Aktuelle Urol 2013; 44(04): 260-261
DOI: 10.1055/s-0033-1351766
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Radikale Zystektomie – Roboterassistiertes Ileumkonduit: 100 Fälle

Contributor(s):
Bettina Rakowitz

Eur Urol 2013;
63: 637-643
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 July 2013 (online)

 
 

Minimalinvasive Chirurgie soll postoperative Komplikationen verringern und den Genesungsprozess beschleunigen. Auch beim Harnblasenkarzinom ist die roboterassistierte Zystektomie inzwischen eine gängige Alternative zur offenen Operation. Die intrakorporale Harnableitung erfolgt bis dahin jedoch meist noch über einen offenen Zugang. Am Rosewell Park Cancer Institute in Buffalo wurden nun die ersten 100 roboterassistierten Ileumkonduits dokumentiert.
Eur Urol 2013; 63: 637–643

mit Kommentar

Auf Basis der vorliegenden Erfahrungen beurteilen Azzouni et al. das roboterassistierte intrakorporale Ileumkonduit (RICIC) als sicher, praktikabel und reproduzierbar. Seit 2009 haben die Ärzte nicht nur die radikale Zystekomie, sondern auch die Harnableitung mit der Robotertechnik angelegt. Die ersten 100 Fälle mit einer Nachbeobachtungszeit von mindestens 90 Tagen flossen in die Studie ein, wobei der Reihe nach jeweils 25 Patienten eine Gruppe (1–4) bildeten. Postoperative Komplikationen wurden in früh (≤ 30 Tage postoperativ) und spät (≤ 90 Tage postoperativ) eingeteilt und nach dem Clavien-System kategorisiert: Leichte Komplikationen umfassten Clavien-Kategorie 1 und 2, während Clavien-Kategorie 3 die schweren Komplikationen abbildete.

Die demografischen Daten waren gleichmäßig über die Gruppen verteilt. Bezüglich der Gesamtzeit der Operation gab es keine Gruppenunterschiede. Allerdings verbesserte sich die Operationszeit für die Harnableitung im Median von 140 min bei Gruppe 1 zu 103 min bei Gruppe 4 (p = 0,002). Als Grund für diese signifikante Verkürzung nennen Azzouni et al., dass sie nach den ersten 25–30 Fällen die RICICTechnik modifiziert haben, indem sie z. B. das Konduit nicht mehr ausspülten.

Mit der Zeit weniger schwere Komplikationen

Die Verweildauer im Krankenhaus erhöhte sich signifikant von 7 Tagen in der 1. Gruppe zu 9–10 Tagen in den restlichen Gruppen. Hierzu passend gab es einen ansteigenden Trend für die Gesamtkomplikationsrate, die v. a. durch die erhöhte Anzahl leichter Frühkomplikationen in Gruppe 3 und 4 bedingt war. Die Wissenschaftler betonen jedoch, dass die Anzahl der schweren Komplikationen in Gruppe 3 und 4 geringer war als in den ersten beiden Gruppen. Die allgemeine Komplikationsrate lag bei 81 %, wobei 15 dieser Patienten schwere Komplikationen erlitten. Insgesamt verzeichneten die Ärzte 164 Komplikationen innerhalb der ersten 90 Tage nach der Operation, die meisten dieser Komplikationen waren auf Infektionen zurückzuführen (31 %). Harnwegsinfektionen bildeten dabei mit 13 % die größte Gruppe.

Fazit

Die roboterassistierte intrakorporale Harnableitung ist für die Autoren nicht nur eine logische, sondern auch machbare und sichere Erweiterung der roboterassistierten Zystektomie. Während frühere Studien über große Schwierigkeiten berichteten, gäbe es nun zunehmend positive Berichte – ein Trend, den die vorliegende Studie untermauere. Allerdings brauche es gemäß der Autoren größere Studien mit längeren Nachbeobachtungszeiten, um die Technik zu validieren. Auch sollten zusätzliche Studien die Vorteile hinsichtlich der Lebensqualität abklären.


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Kommentar

"The technology is here, the potential is enormous, and the path is minimal”

Wie in der aktuellen Literatur nachzuvollziehen ist, hält der Einzug der roboterassistierten Operationen an. Neben der radikalen Prostatektomie werden weltweit auch immer mehr radikale Zystektomien mit der Hilfe des robotischen Systems operiert.

Vorteile des robotischen Systems

Die Rationale für diesen Trend basiert v. a. auf den bekannten Vorteilen eines minimalinvasiven Zugangs wie z. B.

  • geringerer Blutverlust und postoperative Schmerzen,

  • schnellere Konvaleszenz der Darmtätigkeit,

  • kürzere Liegezeit,

  • schnellere Mobilisierung,

  • geringere äußere und innere Wundheilung sowie

  • bessere kosmetische Ergebnisse [ 1 ]–[ 4 ].

Das robotisch-assistierte System erlaubt im Rahmen eines minimalinvasiven Zugangs Bewegungsfreiheitsgrade, die der klassischen Laparoskopie (noch) verwehrt sind. Somit wird angenommen, dass insbesondere Eingriffe im kleinen Becken und Eingriffe, bei denen viel genäht wird, ein spezifischer Vorteil für den Roboter besteht.

Die Durchführbarkeit der robotisch-assistierten radikalen Zystektomie, erstmalig durch Dr. Menon durchgeführt [ 4 ], wurde mittlerweile in mehreren robotisch-spezialisierten Zentren nachvollzogen und stellt dort die Technik der Wahl dar [ 5 ]. Die hier vorgestellte Serie von 100 konsekutiven Zystektomie-Patienten vervollständigt die Erkenntnis, dass die robotische Zystektomie durchführbar ist.

Roboterassistierte Ileumkonduit-Harnableitung erfordert Expertise

Diese retrospektive "single center, single surgeon"-Serie zeigt v. a. den Umgang mit der intrakorporalen Ileumkonduit-Harnableitung, welche derzeitig (noch) nicht von allen "Roboter-Zentren" durchgeführt wird. Nachvollziehbar ist für die Aneignung dieser "verfeinerten" Operations-Technik offensichtlich ein gewisser Grad an Expertise notwendig. Dies betrifft neben der Patientenselektion vor allem den Operateur, den Assistenten als auch das OP-Team. Bei fehlenden onkologischen / funktionellen Langzeitdaten aufgrund des noch relativ "jungen" robotorassistierten OP-Verfahrens müssen daher andere Surrogat-Parameter zur Bewertung dieser neuen, rein laparoskopsichen Technik herangezogen werden. Diese Parameter werden in der Arbeit von Faris et al. durch intraoperative, pathologische und 30- bzw. 90-Tage-Komplikationen abgebildet. Dieses entspricht dem gängigen Standard zur Bewertung neuer operativer Ansätze.

Komplikationsraten bei offener und roboterassistierter Zystektomie

Ähnliche Arbeiten wurden sowohl für die offene Zystektomie als auch für den Vergleich zwischen offener und robotisch-assistierter Zystektomie durchgeführt. Für die offene Operation (63 % Ileumkonduits) zeigten Shabsigh und Kollegen, dass selbst in "geübten Händen" bis zu 64 % der operierten Patienten irgendeine Form von postoperativer Komplikation erlitten, wovon immerhin 13 % sog. "Major"-Komplikationen darstellten. Selbst 60–90 Tage nach der offenen Operation litten noch 1,3 % der Patienten an sog. "Major"-Komplikationen [ 6 ].

Für die robotische Operation (57 % Ileumkonduits) führten Ng und Kollegen einen Vergleich der Komplikationsraten zwischen der offenen und robotischen Technik durch [ 7 ]. Hier wiederum zeigte sich, dass nach 30 Tagen sowohl die Gesamt- als auch "Major"-Komplikationsraten der robotischen Operation signifikant niedriger war (59 vs. 41 %, p = 0,04 und 30 vs. 10 %, p = 0,0007). Nach 90 Tagen zeigte wiederum die robotischen Operation eine signifikant geringere "Major"-Komplikationsrate (31 vs. 17 %, p = 0,03). Wichtig anzumerken ist, dass die Harnableitung im robotischen Arm offen durchgeführt wurde, es sich also um die noch gängigere "Hybrid"-Technik handelte [ 8 ]–[ 12 ].

Die aktuelle Arbeit zeigte bei vergleichbaren perioperativen Kennzahlen, wie bspw. Lymphknotenanzahl, OP-Länge und Blutverlust, ebenfalls gut vergleichbare Gesamt- und "Major"-Komplikationsraten nach 30 bzw. 90 Tagen von 50 und 13 % bzw. 66 und 15 %. Anders ausgedrückt erlitten 81 % aller Patienten innerhalb von 90 Tagen postoperativ irgendeine bzw. eine "Major"-Form der Komplikation. Diese gefühlt hohe Rate an Komplikationen spiegelt tatsächlich die Morbidität des Eingriffs wider. Diese trifft vielleicht eher auf die Patientenkohorte als auf die OP-Technik / Zugangsart zu. Daher sind Verbesserungen der Patientenversorgung in jedem Fall ein Fortschritt.

Prospektiv randomisierte Studie wünschenswert

Jedoch darf man kritisch anmerken, dass entgegen der intuitiven Annahme, dass sich mit zunehmender Anzahl der Eingriffe, die Komplikationsraten verringern, ein solcher Volumen-Effekt nicht durch die Kollegen gezeigt werden konnte.

Dieses kann mehrer Gründe haben:

  • Es handelt sich bei der vorgestellten Serie um eine sog. "single surgeon, single center"-Erfahrung. Fraglich bleibt neben der Übertragbarkeit auf andere, vielleicht nicht so spezialisierte Kliniken, ob diese Serie bereits auf einem solch hohen Niveau durchgeführt wurde, sodass hier die Spannbreite zur Verbesserung schon von vornherein als klein zu bewerten ist?

  • Zusätzlich kann die retrospektive Natur der Analyse eine Einschränkung der Übertragbarkeit der Ergebnisse darstellen (z. B. Patientenselektion?). Eine prospektiv randomisierte Studie, wie sie teilweise bereits durchgeführt wurde, im Vergleich der offen vs. "pure robotic"-Zystektomie wäre in diesem Zusammenhang sicher wünschenswert [ 13 ], [ 14 ].

Wichtige Pionierarbeit

Abschließend bleibt es jedoch wichtig festzuhalten, dass der robotische Einsatz bei der Zystektomie auf dem Vormarsch ist und dass sich ebenfalls die OP Technik kontinuierlich verändert / verbessert [ 15 ]. Auf dem Weg zur Etablierung eines neuen Standards benötigt es Pionierleistungen. Daher ist die vorgestellte Arbeit sicher als wegweisender Baustein auf dem Weg zu Etablierung der robotisch-assistierten Zystektomie zu werten.

Ich möchte diesen Kommentar mit den Worten von Dr. MJ Mack beschließen, der bereits 2001 in JAMA folgendes formulierte: "The technology is here, the potential is enormous, and the path is minimal" [ 16 ].

PD Dr. Felix Chun, Hamburg


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PD Dr. Felix Chun


ist Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

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