physiopraxis 2013; 11(07/08): 18-19
DOI: 10.1055/s-0033-1353400
physiowissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Die Zahlenversteherin

Nicole Haindl
Eva Trompetter

Subject Editor:
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Publication Date:
26 July 2013 (online)

 

Physiotherapeuten sind häufig mit Zahlen konfrontiert, sei es beim Lesen von Studien oder im Zusammenhang mit Krankheitsbildern. Gesundheitsmanagerin Nicole Haindl fand nun in ihrer Masterarbeit heraus: Knapp die Hälfte der Therapeuten kann Zahlen gar nicht richtig einschätzen.


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Warum halten Sie „Zahlenblindheit“ in den Gesundheitsberufen für so problematisch?

Mit Zahlen kann man bei Patienten Ängste schüren, Sicherheit vortäuschen usw. Besonders problematisch ist daher, wenn medizinisches Fachpersonal Zahlen, zum Beispiel in Studien, nicht richtig interpretieren kann und dadurch Falschinformationen weitergibt.

Was möchten Sie gegen dieses Defizit unternehmen?

Ich würde gerne ein Kurskonzept zum Zahlenverständnis entwickeln. Doch es ist schwer, Berufsangehörige in Kurse zu locken, in denen eher Theorie vermittelt wird.

Arbeiten Sie schon immer gerne mit Zahlen?

Zahlen und Wahrscheinlichkeiten faszinieren mich, da sie viel bei Menschen auslösen können. Man begegnet ihnen ständig, schon bei der Wettervorhersage oder im Fußball. Statistik begleitet also das gesamte Leben.

Nicole Haindl...

... ist 24 Jahre alt und lebt in Bad Sauerbrunn in der Nähe von Wien. Sie hat den Bachelor-Studiengang Gesundheitsmanagement und Gesundheitsförderung an der FH Pinkafeld absolviert. Seit ihrem Abschluss arbeitet sie im Physiozentrum für Weiterbildung in Wien, wo sie unter anderem Kurskonzepte für Gesundheitsberufe entwickelt, insbesondere für Physiotherapeuten. Zudem evaluiert sie externe Weiterbildungskurse und organisiert, dass Referenten aus der ganzen Welt für Weiterbildungen nach Wien kommen. Obwohl Nicole Haindl selbst keine Physiotherapeutin ist, ist sie also mit den Interessen und Bedürfnissen der Berufsgruppe bestens vertraut. In diesem Jahr hat sie zudem ein berufsbegleitendes Masterstudium „Management im Gesundheitswesen“ an der Fachhochschule Pinkafeld erfolgreich abgeschlossen. Ihr besonderes Interesse gilt der quantitativen Forschung und den Zahlen. Auf Tagungen und Kongressen versucht sie auf die „Zahlenblindheit“ in Gesundheitsberufen aufmerksam zu machen. In ihrer Freizeit erkundet sie gerne die Bergwelt ihres Heimatlandes und verbringt sehr viel Zeit in der Natur.

Wie gut verstehen Health Professionals die Bedeutung von Zahlen?

Die Masterarbeit

Zahlen sind für Gesundheitsberufe sehr bedeutend. Sie definieren etwa Krankheiten über Grenzwerte oder dienen dazu, die Risiken medizinischer Behandlungen abzuschätzen. Somit sind sie eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Wahl einer Therapie. Patienten können diese Zahlen oft nur schwer verstehen und benötigen daher qualifizierte Ansprechpartner, die sie dabei unterstützen und ihnen Informationen korrekt weitergeben.

Bisher gab es im deutschsprachigen Raum keine Untersuchungen, wie es um das Zahlenverständnis und die Risikokompetenz von Gesundheitsberuflern steht. Nicole Haindl beschloss deshalb, das numerische Verständnis österreichischer Health Professionals in ihrer Masterarbeit zu untersuchen. Dazu setzte sie eine elektronische Version des Berlin Numeracy Tests (BNT) ein. Dieser erfasst innerhalb von etwa fünf Minuten mit zwei bis vier Fragen das numerische Verständnis der Probanden. Die Fragen stellt das Programm im Testverlauf individuell nach dem Antwortverhalten des Teilnehmers zusammen.

Nicole Haindl lud 4.125 Personen aus 15 verschiedenen Gesundheitsberufen zu der Befragung ein. Die Kontaktdaten stammten aus der Datenbank eines Weiterbildungszentrums in Wien. Mit 46 % ist der Anteil der Physiotherapeuten an der Gesamtstichprobe besonders hoch, da das Zentrum seit vielen Jahre auf diese Berufsgruppe spezialisiert war. Die Testergebnisse von 612 Probanden (Altersdurchschnitt 35 Jahre, 74 % weiblich) konnte Nicole Haindl letztendlich auswerten. 342 der Testpersonen waren Physiotherapeuten.


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Ergebnisse

Nicole Haindl hat herausgefunden, dass ...

  • > in allen Berufsgruppen etwa die Hälfte der Probanden ein eher schlechtes Zahlenverständnis hatte. Sie erreichten nur einen oder zwei der möglichen vier Punkte.

  • > zwischen den verschiedenen Berufsgruppen kaum Unterschiede bestanden.

  • > jüngere und männliche Probanden im Durchschnitt etwas besser abschnitten. Diese Unterschiede waren allerdings nicht signifikant.

  • > Personen mit hohem Bildungsgrad (z. B. Fachhochschulabschluss) über ein signifikant besseres Zahlenverständnis verfügen (p=0,037) als solche mit einem niedrigeren (z. B. Abschluss einer Krankenpflegeschule).

  • > die eine Hälfte der Physiotherapeuten ein sehr gutes (33 % mit 4 Punkten,) oder gutes (18 % mit 3 Punkten) Zahlenverständnis hatte.

  • > die andere Hälfte der getesteten Physiotherapeuten dagegen über ein eher schlechtes numerisches Verständnis verfügte (27 % drei Punkte, 23 % ein Punkt).


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Fazit

Zusammenfassend kann Nicole Haindl festhalten, dass...

  • > die Förderung des Zahlenverständnisses und der Risikokompetenz in der Aus-, Fortund Weiterbildung der Gesundheitsberufe einen höheren Stellenwert bekommen sollte. Das erworbene Wissen würde die Entscheidungsfähigkeit der Berufsangehörigen stärken und sie dabei unterstützen, ihre Patienten kompetent zu beraten.

→ Haindl, N. Zahlenverständnis von Health Professionals - Erhebung des statistischen Zahlenverständnisses und der Risikokompetenz von Health Professionals in Österreich. Masterarbeit an der Fachhochschule Pinkafeld; 2013


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