physiopraxis 2013; 11(07/08): 20-26
DOI: 10.1055/s-0033-1353401
physiowissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Internationale Studienergebnisse


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26 July 2013 (online)

 

Schwangerschaft – Sport erleichtert Entbindung

Das American College of Obstetricians (Geburtshelfer) and Gynaecologists empfiehlt schwangeren Frauen, sich mindestens 30 Minuten täglich zu bewegen. Vorteile und Risiken dieser Empfehlung waren bislang jedoch unklar. Nun konnten Wissenschaftler zeigen, dass die Empfehlung offenbar zu Recht ausgesprochen wird.

62 Frauen, die vor Studienbeginn in der 12.-14. Schwangerschaftswoche (SSW) und körperlich nicht aktiv waren, beendeten die Studie. 31 davon hatten ab Studienbeginn bis zur 36. SSW viermal pro Woche für 45-60 Minuten trainiert - zumeist Ausdauertraining, aber auch Krafttraining. Die anderen 31 Frauen trieben keinen Sport.

Hinsichtlich Schwangerschaftsdauer sowie der Entwicklung von Schwangerschaftsdiabetes und Bluthochdruck unterschieden sich die Frauen nicht signifikant, wobei die Inzidenz der beiden Erkrankungen in der aktiven Gruppe niedriger war (Diabetes: 9,6 % versus 12,9 %; Hochdruck 0 Fälle versus 3 Fälle). Deutliche Unterschiede zeigten sich bei der Entbindung und nach der Geburt: Bei Erstgebärenden war die Zahl der Kaiserschnitte in der Trainingsgruppe signifikant geringer als bei der Kontrollgruppe (6 % versus 32 %). Zudem benötigte die aktive Gruppe nach der Geburt im Schnitt nur knapp fünf Tage, um wieder drei von fünf definierten Hausarbeiten erledigen zu können. Die Frauen der Kontrollgruppe brauchten dafür knapp acht Tage. Diese Tendenz blieb auch unter Berücksichtigung der Entbindungsart bestehen.

Josc

Med Sci Sport Exerc 2012; 44: 2263-2269


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Krankenhausinfektion – Erhöhtes Risiko durch linksseitige Hirnläsion

Tierexperimentelle Studien legen nahe, dass bei linkseitigen Hirnläsionen ein dort lokalisiertes Netzwerk zur Immunabwehr geschädigt wird. Das könnte dazu führen, dass Patienten nach Hirnschädigung anfälliger für Krankenhausinfektionen werden.

Pasquale Frisina und sein Team aus New Jersey, USA, untersuchten daher 2.236 Patienten, welche nach einer Hirnschädigung eine stationäre Rehabilitation durchliefen. 163 der Patienten hatten eine im Krankenhaus erworbene Infektion erlitten. Eine Analyse ergab, dass 60 % dieser Infektionen bei Patienten mit linksseitigen Läsionen auftraten. Dies war signifikant häufiger als bei Teilnehmern mit rechtshemisphärischer Schädigung und konnte nicht durch andere klinische oder demografische Parameter erklärt werden. Daher mahnen die Forscher an, für diese Patienten neue Interventionen zu entwickeln und zu untersuchen, welche davon die Infektionsresistenz verbessern können.

hoth

Arch Phys Med Rehabil 2013; 94: 516-521


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Juveniler Schlaganfall – Roboter verhilft zu Therapieerfolg

Die robotergestützte Therapie setzt sich zunehmend in der Rehabilitation von Erwachsenen durch, die einen Schlaganfall erlitten haben. Bislang fehlten Studien darüber, ob diese Methode auch bei Jüngeren wirkt. Mit dieser Frage beschäftigte sich nun eine Fallstudie des Neurowissenschaftlers Duncan Turner und seiner Kollegen vom Cambridge University Hospital in England.

Die Forscher untersuchten eine 17-jährige Patientin, die eine intrakranielle Blutung erlitten hatte. Seither konnte sie ihren rechten Arm aufgrund eines Hypotonus nur eingeschränkt bewegen. Linksseitig traten zudem ataktische Bewegungsmuster und Probleme mit den visuell-räumlichen Leistungen auf. Die Patientin trainierte die motorischen Leistungen ihres rechten Armes, indem sie neun Monate lang zweimal pro Woche an einer einstündigen robotergestützten Therapie teilnahm. Um den Therapiefortschritt zu ermitteln, setzten die Forscher vor und nach dem Interventionszeitraum das Fugl-Meyer-Assessment ein. Die Ergebnisse verglichen sie anschließend mit erwachsenen Patienten, die auch an einer robotergestützten Therapie teilgenommen hatten.

Den Ergebnissen zufolge erzielte die Patientin nach ihrer Behandlung höhere Werte auf allen drei Skalen des Fugl-Meyer-Assessments. Das heißt, sie konnte sowohl ihren rechten Arm als auch ihr rechtes Handgelenk effektiver bewegen als vorher. Damit besteht ein vergleichbarer Therapieverlauf zu dem von Erwachsenen. Trotz der Schwächen, die eine Studie mit nur einer Patientin und ohne Kontrollgruppe hat, betrachten die Forscher ihre Ergebnisse als vielversprechend, vor allem, da der Roboter eine kosteneffektive Therapie ermöglicht.

akb

J Neurol Res 2012; 2: 65-68


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Chronische Schmerzen – Ist Kalzium der Übeltäter?

Starke Schmerzen von langer Dauer hinterlassen oft bleibende Spuren im Nervensystem - der Schmerz wird chronisch. Nun hat eine Heidelberger Forschergruppe um die Professoren Dr. Rohini Kuner und Dr. Hilmar Bading möglicherweise einen Schlüsselmechanismus in der Entstehung dieser Erkrankung entdeckt.

Klar ist schon lange, dass bei Eintreffen eines elektrischen Signals die Nervenzellen im Rückenmark Kalzium aus ihrer Umgebung aufnehmen und dadurch aktiviert werden. Die Wissenschaftler entdeckten jetzt, dass bei sehr heftigen oder anhaltenden Schmerzen so viel Kalzium in die Zellen gelangt, dass dies - was sonst nicht der Fall ist - in den Zellkern transportiert wird. Hier nimmt es Einfluss darauf, welche Bereiche der Gene aktiviert oder deaktiviert werden. Mäuse, in deren Nervenzellen die Wirkung des Kalziums im Zellkern blockiert wurde, entwickelten trotz chronischer Entzündung keine Überempfindlichkeit gegenüber schmerzhaften Reizen und auch kein Schmerzgedächtnis. „Diese von Kalzium regulierten Gene sind der Schlüssel für die Chronifizierung von Schmerzen im Rückenmark, da sie dauerhafte Veränderungen anstoßen können“, ist Professor Kuner überzeugt.

Unter den für diesen Prozess relevanten Genen fanden die Forscher unter anderem eine Genfamilie, die bisher nur mit Entzündungsprozessen des Immunsystems in Verbindung gebracht wurde. In den Nervenzellen des Rückenmarks sorgen diese Erbinformationen dafür, dass die Nervenzelle nur eine bestimmte Anzahl an Synapsen zu anderen Nervenzellen ausbildet, was den Grad der Vernetzung und damit die Intensität der Signalübertragung begrenzt. Die Versuche an Nervenzellen im Labor zeigten den Forschern nun: Wird die Genfamilie durch Kalzium deaktiviert, bilden sich zusätzliche Synapsen. In der Folge wird die Zelle empfindlicher. „Diese strukturelle Veränderung der Zellkontakte kann die dauerhafte Natur einer Vielzahl von Schmerzkrankheiten erklären“, sagt Rohini Kuner.

Josc

Neuron 2013; 77: 43-57 /
Pressemeldung der Uniklinik Heidelberg


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CRPS – Letzter Ausweg Amputation

Manche Patienten, die schon seit langer Zeit unter einem therapieresistenten Complex Regional Pain Syndrome (CRPS) leiden, sehen in einer Amputation der betroffenen Extremität den letzten Ausweg. Bislang gibt es jedoch keine Daten, inwiefern eine Amputation bei diesem Krankheitsbild erfolgversprechend ist. Ärzte aus dem niederländischen Groningen führten daher eine Untersuchung an 21 Patienten durch, die sich die von einem CRPS betroffene Extremität abnehmen ließen.

Bei den meisten Patienten war die untere Extremität betroffen: Sieben ließen das Bein oberhalb des Kniegelenks amputieren, bei jeweils vier ging der Schnitt durch Femur, Tibia oder den Humerus und bei zwei durch den Radius. Die Teilnehmer hatten zuvor zwischen zwei und zehn Jahre unter dem CRPS gelitten.

Nach der Operation hatten sich bei einem großen Teil der Patienten die Beschwerden verringert: 20 Patienten berichteten, dass sich ihr Leben durch die OP verbessert habe. 19 hatten weniger Schmerzen, 17 waren mobiler, 14 konnten besser schlafen. Immerhin 18 Patienten würden die Operation unter den gleichen Umständen noch einmal durchführen lassen. Doch nicht alle Ergebnisse waren positiv: An der betroffenen Extremität bekamen drei der Teilnehmer erneut ein CRPS, ein anderer an der anderen Extremität. Ein weiterer Patient ließ sich drei Jahre nach der Unterschenkelamputation auch einen Teil der oberen Extremität abnehmen, weil er dort ebenfalls ein CRPS entwickelt hatte.

Josc

J Bone Joint Surg Am 2012; 94: 2263-2268


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100 – Milliarden US-Dollar ...

... betragen die Kosten, die in den USA jährlich durch Rückenschmerzen verursacht werden.

J Bone Joint Surg Am 2006; 88 (Suppl 2): 21-24


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Rückenschmerzen – Parietale Osteopathie senkt Schmerzmittelgebrauch

Eine parietale osteopathische Behandlung (Osteo) lindert die Schmerzen von Menschen mit chronischen unspezifischen Rückenschmerzen besser als therapeutischer Ultraschall oder eine Scheinbehandlung. So lautet das Ergebnis einer Forschergruppe aus Texas, USA.

An der Studie nahmen 455 Patienten teil, die seit wenigstens drei Monaten unter unspezifischen Rückenschmerzen litten. Ausschlusskriterien für die Teilnahme waren das Vorliegen von Red Flags und Radikulopathien. Nach der Untersuchung teilten die Autoren die Probanden einer von vier Gruppen zu:

  • > Osteo plus Ultraschall

  • > Plazebo-Osteo plus Ultraschall

  • > Osteo plus Plazebo-Ultraschall

  • > Plazebo-Osteo plus Plazebo-Ultraschall

Die Osteo bestand aus sechs verschiedenen Mobilisations-, Manipulations-, Faszien- und Weichteiltechniken im lumbosakralen Bereich sowie am Becken. Der Therapeut konnte sich beim jeweiligen Patienten für alternative Techniken entscheiden, sofern er eine der vorgegebenen Techniken als kontraindiziert oder uneffektiv einstufte. Die Plazebo-Osteo beinhaltete unter anderem Handauflegen, aktive und passive Bewegungen sowie die gleichen Techniken der osteopathischen Behandlung mit verminderter Kraft. Der Ultraschall wurde entweder mit therapeutisch wirksamer oder, als Plazebo, mit unterschwelliger Intensität appliziert.

Alle Patienten erhielten sechs Behandlungen über acht Wochen hinweg. Die letzte Untersuchung fand nach zwölf Wochen statt. Die Texaner fanden heraus, dass sich die Osteo- Gruppe hinsichtlich ihrer Schmerzen deutlicher verbesserte als die Probanden mit Plazebo- Osteo. Zudem nahmen sie weniger Schmerzmittel. Bei anderen Parametern, etwa der Arbeitsfähigkeit, der allgemeinen Gesundheit sowie der Rückenfunktion - gemessen mit dem Roland-Morris-Fragebogen -, verbesserten sich die beiden Gruppen mit „echter“ Osteopathie nicht relevant. Ultraschall, egal ob im wirksamen oder unwirksamen Bereich appliziert, beeinflusste das Outcome nicht.

Josc

Ann Fam Med 2013; 11: 122-129


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Masterthesis – Fragebogen zum Therapiebericht

Mehrere Umfragen und Studien haben gezeigt, dass physiotherapeutische Berichte an den Arzt in Länge und Inhalt oft nicht optimal sind. Dadurch verschlechtert sich die Arzt- Therapeuten-Kommunikation und gefährdet möglicherweise in Folge die optimale Versorgung des Patienten.

Im Rahmen seiner Masterarbeit möchte der Physiotherapeut und physiopraxis-Autor Alexander Winkler („Finanzspritzen für Physiotherapeuten“, S. 53) herausfinden, welche Faktoren auf die physiotherapeutische Berichterstattung Einfluss nehmen. Anschließend will er einige Handlungsempfehlungen zugunsten der Arzt-Therapeuten- Kommunikation ableiten.

Josc

MASTERTHESIS

Unterstützer gesucht

Deutsche Physiotherapeuten, die Alexander Winkler bei seiner Masterthesis unterstützen möchten, füllen den Fragebogen unter www.masterarbeit-therapiebericht.jimdo.com aus . Das Beantworten der 17 Fragen dauert ca. 10 Minuten und erfordert keine speziellen Kenntnisse.


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Schmerzen – Erwartung beeinflusst Wirksamkeit von Schmerzmitteln

Die Wirksamkeit eines Schmerzmittels hängt nicht nur von dessen Dosierung und Wirkstoff ab, sondern auch vom Glauben des Patienten. Das fanden PD Dr. Ulrike Bingel aus Hamburg und ihre Kollegen heraus.

Sie setzten Probanden kurzen Hitzereizen aus. Währenddessen gaben sie ihnen ein Schmerzmittel - ohne dass die Teilnehmer es wussten. Die Schmerzintensität sank. Als die Forscher den Probanden sagten, dass sie nun ein Schmerzmittel bekommen würden, verdoppelte sich der schmerzlindernde Effekt, obwohl die Wissenschaftler die Dosis nicht veränderten. Als die Probanden später die Information bekamen, dass sie nun kein Schmerzmittel mehr erhalten und der Schmerz gleich stärker werden könnte, erhöhte sich die Schmerzintensität, trotz weiterhin gleicher Medikamentendosis, wieder auf den Ausgangswert - so als hätten die Probanden gar kein Medikament bekommen. Im funktionellen MRT konnten die Wissenschaftler sehen, dass das körpereigene schmerzhemmende System aktiviert wird, wenn der Teilnehmer an die schmerzlindernde Wirkung glaubt. Dieser Mechanismus verstärkt die Wirkung des Schmerzmittels. „Damit ist klar, dass negative Erwartungen an eine Therapie deren Erfolg beeinträchtigen und die Wirkung von eigentlich potenten Schmerzmitteln ungünstig beeinflussen können“, sagt Ulrike Bingel.

Josc

Nach einer Meldung im Newsletter Gesundheitsforschung 62; April 2013


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Schlaganfall – Imaginationstraining verbessert Neglekt

Die Vernachlässigung der visuellen Information einer Raum- oder Körperseite, ein sogenannter Neglekt, kann die Teilhabe am alltäglichen Leben von Patienten nach Schlaganfall erheblich einschränken. Deutsche Forscher stellten sich nun die Frage, ob Patienten, die noch sechs Monate nach dem Schlaganfall einen Neglekt aufwiesen, von einem Imaginationstraining profitieren.

Sie schlossen zehn Patienten in ihre Untersuchung ein. Zunächst überprüften die Wissenschaftler die Stärke des Neglekts sowie die Einschränkungen der Patienten im Alltag. In einem ersten dreiwöchigen Intervall ohne Therapie veränderten sich die Parameter zum Neglekt bei diesen Patienten nicht. In den nächsten vier Wochen fanden täglich zwei, jeweils 30 Minuten lange Einheiten mit motorischem Imaginationstraining statt. Dabei saßen die Patienten auf einem Stuhl und sollten sich vorgesagte Bewegungen so gut wie möglich mit dem vom Neglekt betroffenen Arm vorstellen.

Das Training verringerte die Neglektstärke und teilweise auch die Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten signifikant. Dieses Ergebnis blieb in den folgenden drei behandlungsfreien Monaten erhalten.

hoth

NeuroRehabilitation 2013; 32: 43-58

Kommentar

Es ist eine wichtige Erkenntnis, dass sich ein primär für motorische Funktionsverbesserungen ausgelegtes Training - ursprünglich vor allem von Sportlern angewandt - auch auf neuropsychologische Störungen wie den Neglekt positiv auswirkt. Sollte sich das Ergebnis bestätigen, könnten Physiotherapeuten künftig noch mehr in die Therapie dieser Patienten involviert werden. Ähnliche Hinweise gibt es auch für die Spiegeltherapie: In Studien wirkte sie sich nicht nur auf die Motorik, sondern auch auf Schmerzen und Neglekt positiv aus. Die vorliegende Arbeit hat natürlich nur Pilotcharakter: Die Stichprobe ist sehr klein, eine Kontrollgruppe fehlt. Trotzdem sind diese ersten Hinweise eine wichtige Grundlage für weitere Untersuchungen. Man darf gespannt sein, ob und wie sich kognitive Therapiestrategien wie das motorische Imaginationstraining und die Spiegeltherapie sinnvoll in die Rehabilitation von Patienten nach Schlaganfall integrieren lassen und welche zusätzlichen Effekte sich letztlich zeigen. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass sich diese Therapien auch als Eigentraining eignen. Damit lässt sich die Therapiezeit sinnvoll und kostengünstig erhöhen.

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Holm Thieme


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