Liebe Frau Professor Bayerl,
Kürzlich besuchte ich wieder einmal in Schwäbisch Hall die Ausstellung „Alte Meister“
der Sammlung Würth in der Johanniterkirche. Es handelt sich dabei um die spätmittelalterlichen
Schätze Fürstlich Fürstenbergischer Provenienz, die 2004 hier eine würdige Bleibe
erhielten und adäquat bewahrt sowie wundervoll präsentiert werden. Es lohnt sich der
Besuch und jedermann ist vom Stifter eingeladen.
Diesmal ist mir ein Bild besonders aufgefallen, weil es sich um die Bestätigung einer
besonderen christlichen Ikonografie handelt, die ich in der „Aktuellen Dermatologie“
im Jahre 2010 vorstellte [1]. Darauf möchte ich eingehen.
Es handelt sich um das Bild „Die letzte Kommunion Maria Magdalenas in der Kathedrale
von Aix-en-Provence“. Der Maler ist nicht bekannt, stammt aber sehr wahrscheinlich
aus dem Bodenseeraum, weshalb er als „Seeschwäbischer Meister“ bezeichnet wird [2]. Datiert wird das Bild um 1500 (Sammlung Würth, Inv. 6497). Dargestellt ist eine
Schlüsselszene aus dem Leben der Maria Magdalena. Gemeint ist die „ägyptische“ Maria
aus Magdala, welche, nach sündigem Leben, als Büßerin auf eine Wallfahrt nach Jerusalem
geht und in der Wüste geläutert wurde. Der schöne Körper wird durch wallendes Haupthaar
und eine Ganzkörperbehaarung verhüllt. Sie kehrt zurück, erhält vom Abt Zosimas die
letzte Kommunion und verstirbt binnen Jahresfrist. Diese Szene in der Kathedrale von
Aix-en-Provence ist auf dem Bild dargestellt. Die Geschichte geht zurück auf die „Legenda
aurea“ des Jakobus de Voragine, Erzbischof von Genua im 13. Jahrhundert.
Diese Marienlegende war im 15. Jahrhundert sehr bekannt und weit verbreitet. Die Verhüllung
des wohlgestalten Körpers durch die Ganzkörperbehaarung dient als Zeichen der Absage
vom sündigen Leben und zugleich als Voraussetzung für Gnade und Aufnahme in die Kirche
und deren Sakramente. Als Mahnung und Verheißung wirkt sie auf die Kirchgemeinde.
Deshalb wurde sie in vielen Kirchen im Altarbereich den christlichen Bildprogrammen
beigefügt. Berühmt ist das geschnitzte Halbrelief im Münnerstädter Altar von Tilmann
Riemenschneider (1490 – 1492) und die Skulptur von Donatello um 1440. Besonders aber
in den Gemeindekirchen fand die Verbreitung statt und ist gelegentlich noch erhalten,
so im Magdalenenaltar des Lucas Moser in Tiefenbronn [1]. Andere sind in Museen bewahrt, im Berliner Museum Preußischer Kulturbesitz oder
hier in der Johanniterkirche zu Schwäbisch Hall. Zuweilen wurden kompakte Bildprogramme
mit mehrere Szenen dargestellt, immer aber die Schlüsselszene der Kommunion als Zeichen
der Wiederaufnahme in die christliche Gemeinschaft. Es handelte sich damals um ein
beliebtes und für die Künstler wohl auch reizvolles Thema, war es doch geboten, die
Monstrosität der Hypertrichose zu verbinden mit dem noch durchschimmernden wohlgestalten
Leib. Verhüllte Schönheit in den christlichen Bildprogrammen war damals neu und riskant.
Es war eine hohe Zeit der Bildergeschichten, die bald darnach durch „Wort und Schrift“
ergänzt und wohl auch etwas abgelöst wurde (Buchdruck und Bibelübersetzung). Seither
hat sich viel verändert. Die „Legenda aurea“ mit ihren Bildergeschichten ruht als
musealer Schatz unseres kulturellen Gedächtnisses unter anderem in der Sammlung Würth;
wohl behütet und gepflegt. Dies zu erinnern, ist meine Absicht.
Abb. 1 Die ägyptische Maria Magdalena mit generalisierter, erworbener Hypertrichose; eine
reuige Büßerin, die Gnade findet (Bild: Sammlung Würth, Foto: Horst Ziegenfusz, Frankfurt
a. M.)
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