Aktuelle Urol 2013; 44(05): 346-348
DOI: 10.1055/s-0033-1353703
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

TOMAX – Erhöhte sexuelle Zufriedenheit

Contributor(s):
Elke Ruchalla

J Urol 2013;
189: 626-632
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 September 2013 (online)

 
 

Bei Spina bifida oder nach traumatischer Rückenmarkschädigung kommt es bei den meisten Männern zu einem Verlust der penilen Sensibilität, auch wenn Erektion und Ejakulation über sakrale Reflexe meist möglich sind. Die fehlenden Empfindungen der Glans penis schränken jedoch bei vielen Betroffenen die sexuelle Zufriedenheit stark ein. Eine niederländische Arbeitsgruppe beschreibt eine Methode, mit der sensible Reaktionen des Penis wiederhergestellt werden können.
J Urol 2013; 189: 626–632

mit Kommentar

Bei Patienten mit tiefer Rückenmarksläsion kann eine Nerven-Bypass-Operation die Empfindungsfähigkeit der Glans penis wiederherstellen und damit die Lebensqualität deutlich verbessern. So die Ergebnisse von Overgoor et al., die insgesamt 30 Patienten (18 mit Spina bifida, 12 mit Rückenmarkstrauma) in ihre Untersuchung aufgenommen hatten. Voraussetzungen waren eine fehlende Empfindungsfähigkeit der Glans penis und eine normale sensible Funktion der Leistengegend.

Zoom Image
Nach der TOMAX-Operation beschrieben die meisten Patienten ihre Partnerschaft als offener und bedeutsamer und ihr Selbstbild als zufriedenstellender. (©Westend61 – nachgestellte Situation)

Präoperativ erfolgte die Untersuchung auf einfache Berührungsempfindung, Temperaturreize und die Wahrnehmungsschwelle für Berührungsreize. Der intakte Bulbokavernosus-Reflex (auf Ebene von S2 bis S4) wurde mittels Elektromyografie bestätigt. Außerdem beurteilte ein Psychologe den allgemeinen psychischen Zustand und die sexuelle Zufriedenheit in semistrukturierten Interviews und mithilfe verschiedenen Fragebögen, darunter die Hospital Depression and Anxiety Scale (HADS) und die Groninger Arousability Scale (GAS).

Bei dem Eingriff (TOMAX; "To maximize sensation, sexuality and quality of life") wurde der N. ilioinguinalis, dessen Verbindung zum ZNS bei den ausgewählten Patienten wegen seiner hohen Eintrittszone (L1) von der Rückenmarkschädigung nicht betroffen war, einseitig distal in der Leiste durchtrennt und mit dem ipsilateralen N. dorsalis penis an der Basis des Penis anastomosiert. Beurteilt wurden die Sensibilität sowie die psychologischen Beurteilungen im Median 6 und 15 Monate postoperativ im Vergleich zu den präoperativen Werten.

Erhöhte Empfindungsfähigkeit der Glans penis nach TOMAX

27 Patienten konnten erfolgreich operiert werden, bei 3 Patienten war der N. ilioinguinalis zu stark geschädigt oder nicht vorhanden. Bei insgesamt 24 Patienten (80 %) bestand bei der zweiten postoperativen Untersuchung eine Empfindungsfähigkeit der Glans penis. Diese nahmen 11 Patienten als tatsächlich in der Glans lokalisierte Empfindung wahr, 13 Patienten als Empfindung im Leistenbereich.

Die postoperative Sexualfunktion und sexuelle Zufriedenheit konnte bei 19 Teilnehmern beurteilt werden: Alle Patienten bewerteten sie deutlich besser als präoperativ. Auch bei denjenigen Männern, bei denen die Empfindung auf die Leiste beschränkt blieb, waren diese Komponenten fast genauso stark verbessert wie bei den Patienten mit Glans-Empfindung. Die Partnerschaftsbeziehung wurde als offener und bedeutsamer beschrieben als vor der Operation, und das allgemeine Körper- Selbstbild als wesentlich zufriedenstellender. Darüber hinaus fand sich als Nebeneffekt ein erfolgreicheres Management der Blasenfunktionsstörung.

Fazit

Mithilfe einer Nervenanastomose über den N. ilioinguinalis kann bei Männern mit tiefer Rückenmarksläsion die sexuelle Empfindungsfähigkeit deutlich verbessert werden. Geeignete Patienten sollten daher routinemäßig über diese Möglichkeit informiert werden.


#
Kommentar

Großer Fortschritt für kleine Gruppe

Nahezu alle Männer mit einer Rückenmarksverletzung leiden an einer Sexualfunktionsstörung. Diese schränkt für die Mehrzahl der Betroffenen die Lebensqualität massiv ein. Während für die rein motorische Komponente (Erektion) mit den Phosphodiesterase-5-Inhibitoren und der Schwellkörper-Autoinjektionstherapie effektive Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, existiert bisher keine Möglichkeit zur Wiederherstellung der Sensibilität im gelähmten Gebiet. Gerade die fehlende Sensibilität stellt für viele Patienten jedoch die gravierendste Einschränkung der Sexualfunktion dar.

Vielversprechendes Verfahren

Die vorliegende Arbeit demonstriert erstmals, dass nach Querschnittlähmung die Sensibilität im männlichen Genital wiederhergestellt werden kann. Dies führt nicht nur zu einer Verbesserung der Sexualfunktion, sondern auch zu einem besseren Management der Blasenfunktionsstörung und somit zu einer insgesamt gesteigerten Lebensqualität.

Die operative Technik, bei welcher der N. ilioinguinalis mikrochirurgisch mit dem N. dorsalis penis anastomosiert wird, erscheint effektiv und komplikationsarm. Auch wenn Langzeitresultate und randomisierte Studien noch ausstehen, so scheint die sog. TOMAX-Operation ein vielversprechendes Verfahren für die Zukunft darzustellen.

Nur bei Patienten mit tiefen Läsionen anwendbar

Einschränkend muss jedoch festgehalten werden, dass aufgrund der Morphologie des N. ilioinguinalis die Technik nur bei Patienten mit einer relativ tiefen Läsion (thorakal 12 und darunter) möglich ist. Mit anderen Worten kann das Verfahren bei der Mehrzahl der querschnittgelähmten Patienten nicht angewendet werden. Daher ist es den Autoren hoch anzurechnen, dass sie ihre Resultate seriös evaluieren und in Fachjournalen publizieren und nicht, wie in der Vergangenheit bei anderen operativen Verfahren geschehen, durch enthusiastische Berichte über vorläufige Ergebnisse in der Laienpresse Erwartungen bei Männern mit Querschnittlähmung wecken, welche sich im klinischen Alltag nicht erfüllen lassen.

Prof. Dr. Jürgen Pannek, Nottwill


#

Prof. Dr. Jürgen Pannek


ist Chefarzt der Neuro-Urologie des Schweizer Paraplegiker- Zentrums in Nottwill

Zoom Image


 
Zoom Image
Zoom Image
Nach der TOMAX-Operation beschrieben die meisten Patienten ihre Partnerschaft als offener und bedeutsamer und ihr Selbstbild als zufriedenstellender. (©Westend61 – nachgestellte Situation)