Aktuelle Urol 2013; 44(05): 340-342
DOI: 10.1055/s-0033-1356861
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Harnblasenkarzinom – Neoadjuvante Therapie mit Cisplatin und Gemcitabin

Contributor(s):
Elke Ruchalla

J Urol 2013;
189: 1682-1686
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 September 2013 (online)

 
 

Wenn ein Harnblasenkarzinom bereits die Muskelschicht der Blase infiltriert, liegt trotz radikaler Zystektomie und pelviner Lymphadenektomie die Rezidivrate bei bis zu 40 % nach 5 Jahren. Dafür verantwortlich sind u. a. okkulte Mikrometastasen, die möglicherweise mit einer neoadjuvanten Chemotherapie beherrscht werden könnten. Eine Metaanalyse der US-amerikanischen South West Oncology Group (SWOG) hat jetzt Daten zur Therapie mit Cisplatin und Gemcitabin ausgewertet.
J Urol 2013; 189: 1682–1686

mit Kommentar

Die neoadjuvante Behandlung mit Cisplatin und Gemcitabin führt bei muskulär invasivem Harnblasenkarzinom zu guten Ansprechraten gemäß pathologischer Beurteilung. So die Autoren der SWOG, die für insgesamt 7 Studien (6 retrospektive, 1 prospektive Phase-II-Studie) eine gepoolte Auswertung erstellt haben. Die Studien schlossen 164 Patienten mit invasivem Harnblasenkarzinom ein, die mindestens 2 Zyklen einer neoadjuvanten Kombinationstherapie mit Cisplatin plus Gemcitabin erhalten hatten und für die ein pathologisch gesichertes Staging nach Zystektomie berichtet wurde. Die Arbeiten waren zwischen 2007 und 2012 veröffentlicht worden und umfassten eine mediane Nachbeobachtungszeit zwischen 12 und 32 Monaten. Beurteilt wurde der Anteil der Patienten, bei denen nach Zystektomie die Stadien pT0, geringer als pT2 sowie pN1 diagnostiziert worden waren.

Gutes pathologisches Ansprechen nach Kombinationstherapie

Für 111 Patienten waren Einzelheiten zur Chemotherapie verfügbar: 88 Patienten (79 %) wurden alle 3 Wochen behandelt, die restlichen alle 4 Wochen. Am häufigsten wurden Cisplatin 70 mg / m2 (als Einzeldosis oder aufgeteilt) plus Gemcitabin 2000 mg / m2 an den Tagen 1 und 8 verabreicht. Cisplatin 75 mg / m2 und Gemcitabin 2500 oder 3000 mg / m2 wurden seltener eingesetzt. Die pathologische Beurteilung nach der Zystektomie fand bei 25,6 % der Patienten ein Stadium pT0, bei 46,5 % ein Stadium von geringer als pT2 und bei 29,7 % ein Stadium pN1.

Die Verträglichkeit der Chemotherapie war dabei insgesamt zufriedenstellend, nur 2 Studien berichteten über spezifische Toxizitäten: Eine davon fand eine hämatologische Toxizität vom Schweregrad 3 oder 4 bei 38 % der Behandelten, die zweite Neutropenie und Anämie bzw. Thrombozytopenie vom Schweregrad 3 oder 4 bei 14,3 %, 2,4 % bzw. 21,4 %. Schwere gastrointestinale Nebenwirkungen waren nicht beschrieben.

Fazit

Eine neoadjuvante Kombinationsbehandlung mit Cisplatin und Gemcitabin kann bei invasiven Harnblasenkarzinomen eine gute Ansprechrate gemäß pathologischer Beurteilung erreichen, folgern die Autoren. Diese Daten rechtfertigen die Durchführung größerer, prospektiver, randomisierter Studien mit diesem Ansatz. Dabei müssen dann neben dem Surrogatparameter "pathologisches Ansprechen" v.a. für die Patienten relevante klinische Ergebnisse wie progressionsfreie und Gesamtüberlebenszeiten beurteilt werden.


#
Kommentar

Viele Fragen bleiben offen

Multimodale Therapie beim muskelinvasiven Urothelkarzinom

Die Arbeit von Yuh et al. befasst sich mit der neoadjuvanten Chemotherapie beim muskelinvasiven Blasenkarzinom vor radikaler Zystektomie. In der palliativen Therapie des metastasierten Blasenkarzinoms ist die Kombination von Gemcitabin und Cisplatin (GC) im klinischen Alltag ein anerkannter Standard. Obwohl das Schema GC auch regelmäßig zur neoadjuvanten Behandlung benutzt wird, existieren keine hochwertigen Daten, die die Wirksamkeit in dieser Situation belegen. Die Studiendaten, die zur Aufnahme der neoadjuvanten Chemotherapie in die Leitlinien von EAU und AUA geführt haben, basieren überwiegend auf dem MVAC- bzw. CMV-Regime [ 1 ]. Dennoch ist GC durch den Umkehrschluss von der palliativen Therapie zum De-facto-Standard in der Praxis geworden.

Eine Metaanalyse kann aus schlechten Daten keine guten Daten machen

Die Gruppe von Yuh et al. führte deswegen 2012 ein systematisches Review und eine Metaanalyse der vorhandenen Daten zur neoadjuvanten Therapie mit Gemcitabin und Cisplatin vor radikaler Zystektomie durch. Darin liegt die große Stärke dieser Arbeit – sie zeigt was wir nicht wissen: Die zugrunde liegenden Daten wurden überwiegend retrospektiv erhoben und die Patientenanzahl mit 111 Patienten ist für die statistische Auswertung zu gering. Zudem verwendeten die analysierten Studien heterogene Therapieprotokolle mit unterschiedlicher Zyklusdauer, Dosierung und Zyklenanzahl. Weiterhin wurde keine standardisierte Zystektomie mit einem definierten Lymphadenektomiefeld durchgeführt. Diese Heterogenität lässt eine hohe statistische Verzerrung vermuten.

Der größte Schwachpunkt der Arbeit liegt in den teilweise fehlenden Überlebensdaten der Studienpatienten. Daher wurde aus der Not heraus das pathologische Ansprechen als Endpunkt für die Metaanalyse gewählt. Die Autoren begründen ihre Entscheidung mit retrospektiven Studiendaten [ 2 ], [ 3 ] und Phase-II-Studien, nach denen das pathologische Ansprechen mit einem Überlebensvorteil gleichzusetzen sei. Bei Phase-II-Studien ist die pathologische Ansprechrate als primärer Endpunkt zwar akzeptabel, kann aber nicht bei Phase-III-Studien oder Metaanalysen verwendet werden, bei denen qualitativ hochwertige Endpunkte wie das Gesamtüberleben gefordert werden müssen.

Blasenkarzinompatient = Studienpatient?

Die Arbeit von Yuh zeigt uns erneut, dass wir aus schlechten Studiendaten keine Handlungsempfehlungen für den klinischen Alltag ableiten können. Umso mehr besteht die Notwendigkeit, mehr prospektive, hochwertige Studien beim Blasenkarzinom durchzuführen und Blasenkarzinompatienten bevorzugt im Rahmen klinischer Studien zu behandeln. Ein Vorbild dafür ist die pädiatrische Onkologie in Deutschland: Über 90 % aller krebserkrankten Kinder werden in klinischen Studien behandelt [ 4 ].

Patienten profitieren von einer perioperativen Chemotherapie

Diese Metaanalyse unterstützt die Auffassung, dass Patienten mit muskelinvasivem Blasenkarzinom von einer multimodalen Therapie (perioperative Chemotherapie und Zystektomie) profitieren. Auf dem ASCO 2013 wurde eine aktuelle Metaanalyse zur perioperativen Chemotherapie vorgestellt, die die Daten von insgesamt 21 randomisierten, kontrollierten Studien zu neoadjuvanter und adjuvanter Chemotherapie mit insgesamt 3986 Patienten ausgewertet hat. Dabei zeigte sich im Vergleich zur alleinigen Zystektomie eine signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens bei einer perioperativen Chemotherapie, unabhängig vom adjuvanten oder neoadjuvanten Therapieansatz [ 5 ].

Zusammenfassend ist es wichtig, dass jeder Blasenkarzinompatient mit einem muskelinvasiven Urothelkarzinom ein multimodales Therapiekonzept mit neoadjuvanter oder adjuvanter cisplatinhaltiger Chemotherapie erhält. Dieser Punkt wird auch bei der momentanen Entwicklung der S3-Leitlinie zum Blasenkarzinom durch die DGU (Deutsche Gesellschaft für Urologie) und DKG (Deutsche Krebsgesellschaft) berücksichtigt. Mit einer aufwendigen De-novo-Literaturrecherche soll eine fundierte Empfehlung zum Einsatz der perioperativen Chemotherapie entstehen.

Dr. Sebastian C. Schmid, Prof. Dr. Jürgen E. Gschwend und Prof. Dr. Margitta Retz, München


#

Dr. Sebastian C. Schmid


ist Assistenzarzt an der Urologischen Klinik und Poliklinik des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München

Zoom Image

Prof. Dr. Jürgen E. Gschwend


ist Direktor der Urologischen Klinik und Poliklinik des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München

Zoom Image

Prof Dr. Margitta Retz


ist Oberärztin an der Urologischen Klinik und Poliklinik des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München

Zoom Image
  • Literatur

  • 1 Advanced bladder cancer (ABC) meta-analysis collaboration. Eur Urol 2005; 48: 202-205 discussion 205–206
  • 2 Rosenblatt R et al. Eur Urol 2012; 61: 1229-1238
  • 3 Splinter TA et al. J Urol 1992; 147: 606-608
  • 4 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Qualität der pädiatrisch-hämatologisch-onkologischen Versorgung. In: IQWiG-Berichte 2009. Köln: IQWIG;
  • 5 Tjokrowidjaja A, Lee C, Stockler MR. J Clin Oncol 2013; 31 (Suppl.): Abstract 4544

  • Literatur

  • 1 Advanced bladder cancer (ABC) meta-analysis collaboration. Eur Urol 2005; 48: 202-205 discussion 205–206
  • 2 Rosenblatt R et al. Eur Urol 2012; 61: 1229-1238
  • 3 Splinter TA et al. J Urol 1992; 147: 606-608
  • 4 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Qualität der pädiatrisch-hämatologisch-onkologischen Versorgung. In: IQWiG-Berichte 2009. Köln: IQWIG;
  • 5 Tjokrowidjaja A, Lee C, Stockler MR. J Clin Oncol 2013; 31 (Suppl.): Abstract 4544

 
Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image