Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2013; 20(05): 218-219
DOI: 10.1055/s-0033-1357342
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Riskante Freizeitaktivität: Schwierige Diagnose bei Säuglingen und Kleinkindern – Akute Höhenkrankheit bei kleinen Kindern

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
28. Oktober 2013 (online)

 

Yaron M, Waldman N, Niermeyer S et al. The diagnosis of acute mountain sickness in preverbal children. Arch Pediatr Adolesc Med 1998; 152: 683–687

Thema: Durch den Boom der Outdooraktivitäten mit immer besseren und bequemeren Transportmöglichkeiten für Säuglinge und Kleinkinder (0–3 Jahre) wird auch diese Altersgruppe zunehmend großen Höhen ausgesetzt. Dabei gibt es bisher kaum Kriterien, wie die Akute Höhenkrankheit (Acute Mountain Sickness, AMS) bei Kleinkindern erkannt und diagnostiziert werden kann. Die AMS bei Erwachsenen wird mithilfe des Lake Louise Score (LLS) ermittelt, wobei als diagnostische Kriterien Kopfschmerzen und mindestens eines der folgenden Kriterien gefordert wird: Fatigue, Schwindel, gastrointestinale Beschwerden oder Schlafstörungen. Die Schwierigkeit in der Diagnose der AMS bei Kleinkindern liegt darin, dass Kinder dieser Altersgruppe ihre Beschwerden (noch) nicht artikulieren können.

Projekt: Um auch bei Säuglingen und Kleinkindern eine AMS nach allgemeinen Kriterien diagnostizieren zu können, wurde der LLS modifiziert. Das Kriterium Kopfschmerzen wurde durch den Fussiness Score (Unruhe-Score, FS) ersetzt. Unruhe ist definiert als auffälliger Zustand, der nicht allein durch Müdigkeit, Hunger, Zahnen oder Schmerzen durch eine Verletzung erklärt werden kann, sondern sich zum Beispiel durch unerklärliches Weinen, Rastlosigkeit oder eine erhöhte Muskelspannung äußert.

Die übrigen Kriterien des LLS wurden zu einem Pediatric Symptom Score (PSS) modifiziert: Sind Appetit, Spielverhalten und Schlafverhalten des Kindes normal oder weicht sein Verhalten vom Normalzustand ab?

Die 25 Studienteilnehmer zwischen 3 und 36 Monaten wurden in Denver, USA, mit einer durchschnittlichen Meereshöhe von 1610 m rekrutiert. An den Tagen 1 und 2 wurden der FS und der PSS auf Ausganghöhe erhoben. An Tag 3 kam es zur Ortsveränderung ohne Höhenveränderung, am Tag 4 erfolgte eine Seilbahnauffahrt auf 3488 m, wo über mehrere Stunden wieder der PS und zum Abschluss der PSS beurteilt wurden.

Der so erhobene Children’s Lake Louise Score (CLLS) wurde aus den Summen der Punkte des FS und PSS gebildet. Abweichungen außerhalb der 95. Perzentile wurden als AMS definiert (FS > 4, PSS > 3, CLLS > 7).

Ergebnisse: Am vierten Tag entwickelten 21 % der Kinder eine AMS, die nach den oben genannten Kriterien mit einem FS > 4, einem PSS > 3 und einem CLLS > 7 diagnostiziert wurde. Dabei zeigte sich, dass ein geändertes Schlafverhalten den größten Einfluss auf die Höhe des PSS hatte, gefolgt von geringerer Aktivität und einem geringeren Appetit.

Von den Erwachsenen entwickelten ebenfalls 20 % eine AMS.

Fazit: Die Studie zeigt, dass sich der entwickelte CLLS für die Diagnose einer AMS verwenden lässt, wobei der FS als Äquivalent für die beim LLS verwendeten Kopfschmerzen als Diagnosekriterium eingesetzt werden kann. Gleichwohl bleibt es für Eltern und Ärzte eine große Herausforderung, eine AMS zu diagnostizieren, insbesondere, da das hier verwendete Kriterium der Unruhe auch durch andere spezifische medizinische Probleme hervorgerufen werden kann.

Eine besondere Rolle bei der Differenzialdiagnose spielen die Eltern, die ihr Kind am besten kennen und beurteilen können. Sie sollten vor Aufenthalten in größeren Höhen über die AMS aufgeklärt werden, um bei Auffälligkeiten der Kinder daran zu denken und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.

Kommentar

Obwohl diese Studie schon 1998 publiziert wurde, hat sie doch nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. An die BExMed werden immer wieder Anfragen zum Thema Kinder in der Höhe gestellt. Trotz kleinerer Schwächen der Studie (u. a. geringe Fallzahl, Eltern nicht gegen Höhe verblindet, Beurteilung der Kinder durch Eltern, die eventuell selbst erkrankt sind, Definition der AMS bei einem CLLS > 7 retrospektiv) wird hier erstmalig ein Instrument an die Hand gegeben, mit der objektivierbar eine AMS bei Kleinkindern diagnostiziert werden kann.


Ein Consensus Statement der International Society for Mountain Medicine (ISMM) 2001 [ 1 ] und die aktuell gültigen Empfehlungen der UIAA (Union Internationale des Associations d’Alpinisme) 2008 [ 2 ] zu Aufenthalten mit Kindern in der Höhe greifen den hier entwickelten CLLS auf (Tab. [ 1 ]). Wie in vorliegender Studie betont wird, legen auch die genannten Empfehlungen einen besonderen Wert auf die Rolle der Eltern in der Diagnose einer AMS. Dabei gilt zu beachten, dass Merkmale, wie sie im CLLS erhoben werden, solange als AMS gedeutet und entsprechend behandelt werden sollten, bis eindeutig eine andere Ursache identifiziert werden kann.

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Tab. 1 Children Lake Louise Score: 7 Punkte und mehr erfüllen die Kriterien einer Akuten Höhenkrankheit, wenn keine anderen sicheren Gründe für die Symptome vorliegen. Der Unruhe-Score sollte dabei mindestens 4 und die übrigen Symptome mindestens 3 Punkte beitragen.

Wichtig ist, dass eine AMS soweit wie möglich vermieden werden sollte, indem die auch für Erwachsene gültigen Regeln der Akklimatisation beachtet werden. Spezielle Daten für Kinder sind derzeit nur unzureichend verfügbar, es wird aber angenommen, dass Kinder ähnlich den Erwachsenen auf die akute Höhenexposition reagieren.


Allgemein gilt, dass mit Kindern im Vorschulalter keine Höhen über 3000–4000 m aufgesucht werden sollten und die Schlafhöhe unter 2500 m liegen sollte [ 2 ]. Außerdem sollten Eltern neben dem eventuellen Auftreten einer AMS auch andere, durch die Höhe und die Kälte bedingten möglichen Folgen wie Ohrenschmerzen und eine unzureichende Thermoregulation mit Hypothermie und Erfrierungen bei Aufenthalten mit Kindern in der Höhe beachten.


Ob es für Freizeitaktivitäten wirklich nötig ist, Kleinkinder dem nicht unerheblichen Risiko von 20 % zur Entwicklung einer AMS auszusetzen, müssen alle Eltern letztendlich für sich selbst entscheiden.


Helga Vollendorf, Rosenheim
Deutsche Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin


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  • Literatur

  • 1 Pollard AJ, Niermeyer S, Barry P et al. Children at high altitude: an international consensus statement by an ad hoc committee of the International Society for Mountain Medicine, March 12, 2001. High Alt Med Biol 2001; 2: 389-403
  • 2 Meijer HJ, Jean D. Empfehlung der medizinischen Kommission der UIAA Nr. 9: Kinder in der Höhe. Im Internet: www.theuiaa.org/medical_advice.html

  • Literatur

  • 1 Pollard AJ, Niermeyer S, Barry P et al. Children at high altitude: an international consensus statement by an ad hoc committee of the International Society for Mountain Medicine, March 12, 2001. High Alt Med Biol 2001; 2: 389-403
  • 2 Meijer HJ, Jean D. Empfehlung der medizinischen Kommission der UIAA Nr. 9: Kinder in der Höhe. Im Internet: www.theuiaa.org/medical_advice.html

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Tab. 1 Children Lake Louise Score: 7 Punkte und mehr erfüllen die Kriterien einer Akuten Höhenkrankheit, wenn keine anderen sicheren Gründe für die Symptome vorliegen. Der Unruhe-Score sollte dabei mindestens 4 und die übrigen Symptome mindestens 3 Punkte beitragen.