Zahnmedizin up2date 2014; 8(6): 589-615
DOI: 10.1055/s-0033-1357996
Oralmedizin
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Alterszahnmedizin – Eine komplexe Herausforderung

Christian E. Besimo
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
21. November 2014 (online)

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Einleitung

Die Alterszahnmedizin verstand sich bisher als ein Fach, das insbesondere die Betreuung höheraltriger Menschen im 4. Lebensalter zum Inhalt hat. Es ist durch eine fortgeschrittene Hilfs- und Pflegebedürftigkeit gekennzeichnet und zieht in der Regel ein Leben in einer Institution nach sich. Trotz der zahlreichen Anstrengungen, die auf diesem Gebiet bereits unternommen wurden, müssen wir uns heute eingestehen, dass sich der orale Gesundheitszustand dieser Menschen bis heute nicht wirklich verbessert hat. Es ist uns zwar gelungen, für das Alter mehr Zähne zu erhalten, diese weisen aber dieselben Krankheiten wie früher auf, im Wesentlichen Karies und Parodontitis. Die Gesamtbelastung der Gesundheit durch orale Infektionskrankheiten hat somit im Alter deutlich zugenommen [1]–[3]. In Zukunft wird die Periimplantitis noch hinzukommen. Außerdem ist die Zahl der in Institutionen lebenden, pflegebedürftigen älteren Menschen deutlich gestiegen und wird weiter steigen, diese Menschen werden auch immer später in die Institutionen eintreten [4]. Der Bedarf an zahnärztlicher Betreuung für Betagte im 4. Lebensalter, dem wir bereits heute in keiner Weise gewachsen sind, wird sich somit in Zukunft noch wesentlich erhöhen.

Merke: Die herkömmlichen zahnmedizinischen Betreuungskonzepte haben zu keiner tatsächlichen Verbesserung der Mundgesundheit höheraltriger Menschen geführt.

Wir müssen uns dringend und ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit diese Fokussierung der Alterszahnmedizin auf das 4. Lebensalter und infolgedessen auf ein mehrheitlich rein palliatives Betreuungskonzept richtig war. Wer sich mit dieser Fragestellung näher befasst, wird rasch erkennen, dass die oralen Erkrankungen und Defizite des 4. Lebensalters bereits wesentlich früher verursacht werden. Dies geschieht nämlich in der 3. Lebensphase, in der die älteren Menschen zu Hause leben und ihren Alltag selbstständig bzw. mehr oder minder unterstützt bewältigen. Die in dieser Lebensphase auftretenden oralen Problemstellungen stehen in engem Zusammenhang mit der Zunahme chronischer gesundheitlicher und in der Folge auch sozialer Herausforderungen, die das aktive und selbstständige Seniorenalter deutlich zu beeinträchtigen vermögen. Dabei müssen wir uns natürlich zusätzlich die unbequeme Frage gefallen lassen, inwieweit die im jüngeren Erwachsenenalter erfolgreich eingesetzten diagnostischen, präventiven und therapeutischen Konzepte auch für das 3. und 4. Lebensalter ihre Wirksamkeit haben [5], [6].

Merke: Die oralen Erkrankungen und Defizite, mit denen wir uns in den Institutionen konfrontiert sehen, treten bereits in der 3. Lebensphase auf, in der die älteren Menschen zu Hause leben und in einer zahnärztlichen Praxis betreut sein sollten.