Einleitung
In Deutschland gibt es keine genaue statistische Erfassung über die Anzahl schwangerer
Frauen, die illegale Substanzen konsumieren. Es wird vermutet, dass pro Jahr ca. 3
von 1000 geborenen Kindern eine Mutter mit polyvalentem Drogenkonsum haben [1]. Der ausdrückliche Hinweis im Suchtbericht der Bundesregierung 2012 über die ärztliche
Beratungspflicht zum Thema „Genussmittel in der Schwangerschaft“ lässt die Sorge über
eine höhere Dunkelziffer in Deutschland vermuten und zeigt die Wichtigkeit der Frage
nach dem Konsumverhalten der Schwangeren [2], [3].
Hohe Dunkelziffer. Bereits im Jahr 2011 wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss eine Änderung der Mutterschaftsrichtlinien
vorgenommen und im Mutterpass die ärztliche Frage nach konsumierten Genussmitteln
mit der Ergänzung „Alkohol, Tabak und andere Drogen“ konkretisiert. In den USA ergab
der National Survey on Drug Use and Health 2010, dass 4,4 % der Schwangeren im Monat
vor der Befragung Drogen konsumiert hatten [4]. Sowohl amerikanische als auch in Europa durchgeführte Studien bestätigen die Problematik
der deutlich höheren Dunkelziffern: Lester et al. konnten im Mekonium Neugeborener
in 10,5 % der Fälle illegale Drogen nachweisen, 38 % der positiv getesteten Mütter
hatten den Drogenkonsum jedoch verneint [5]. In einer englischen Untersuchung wurden bei 10,7 % Schwangerer Drogen nachgewiesen,
alle Frauen hatten den Konsum abgestritten [6]. Ursächlich für dieses Verhalten ist nicht nur die Furcht vor Stigmatisierung, sondern
auch die Angst vor den möglichen rechtlichen Folgen, wie z. B. der Inobhutnahme des
Kindes durch das Jugendamt.
Intensive Betreuung notwendig. Gerade wegen der multiplen Substanzwirkung des meist vorliegenden Mischkonsums aus
legalen und illegalen Drogen ist eine intensive suchttherapeutische Betreuung der
Mutter sowie eine engmaschige Schwangerenvorsorge für diese Risikoschwangerschaften
notwendig [7], [8]. Eine enge Zusammenarbeit zwischen betreuendem Gynäkologen und dem Hilfesystem aus
substituierendem Arzt, ambulanten/stationären Therapieeinrichtungen, Geburtsklinik
mit Hebamme und Pädiatrie, koordinierenden Kinderschutzstellen und Jugendamt trägt
zur Risikoreduktion für Mutter und Kind bei und wird deshalb von Expertenkomitees
einstimmig gefordert [9]–[11]. Die vorliegende Arbeit möchte Gynäkologen, Geburtshelfern und Neonatologen eine
Hilfestellung für die komplexe peripartale Betreuung suchtkranker Frauen geben.
Ergebnisse
Psychologische Aspekte der drogenkonsumierenden Schwangeren
Ein Großteil der betroffenen Frauen weist eine gestörte eigene Eltern-Kind-Beziehung
auf: Circa 75 % der Schwangeren kommen selbst aus Suchtfamilien mit kindlicher Vernachlässigung.
Zusätzlich geht man davon aus, dass ca. 50 % der Schwangeren in ihrer Kindheit und
Jugend Gewalterfahrungen ausgesetzt waren [12], [13]. Häufig weisen auch die Kindsväter und der Freundeskreis ähnlich desintegrierte
Lebensläufe auf. Dies erhöht wiederum die Gefahr für die drogenkonsumierende Frau,
auch während der Schwangerschaft psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt zu
sein [14]. Zusätzlich muss davon ausgegangen werden, dass die Hälfte der betroffenen Schwangeren
eine psychiatrische Komorbidität aufweist, hierbei stehen depressive Erkrankungen
sowie Angst- und Persönlichkeitsstörungen im Vordergrund [15], [16].
Formen der Drogenhilfe für die Schwangere: abstinenzorientiert oder akzeptierend
Stationäre Entgiftung. Entscheidet sich eine suchtkranke Schwangere für eine abstinenzorientierte Drogenhilfe,
so bedeutet dies die Entgiftung und Entwöhnung von den konsumierten Suchtmitteln mit
dem Ziel der anhaltenden Abstinenz und Drogenfreiheit. Dabei ist eine engmaschige
ärztliche Überwachung von Mutter und Ungeborenem wichtig, üblicherweise in Form eines
stationären Aufenthaltes in einer suchttherapeutischen Einrichtung.
Besonders gewarnt werden müssen Drogenkonsumentinnen vor der Durchführung eines kalten
Entzuges in der Schwangerschaft: Ein abrupter Entzug von Heroin kann vorzeitige Wehentätigkeit
und schwere fetale Herztonalterationen auslösen, bei Benzodiazepinen werden maternale
Krampfanfälle bis hin zu delirartigen Zuständen beobachtet. Eine intrauterine Hypoxämie
mit konsekutivem intrauterinem Fruchttod kann die Folge sein [17]. Verschnittenes Heroin ist durch die Beimischung weiterer toxischer Substanzen in
seiner Auswirkung auf Mutter und Kind ebenfalls nicht abschätzbar.
Nach stationär durchgeführter Entgiftung und Entwöhnung ist auch in der Schwangerschaft
die sich anschließende Phase als problematisch zu werten, in der die Patientin in
ihr gewohntes Lebensumfeld zurückkehrt. Eine gute Kommunikation zwischen den Drogenhilfesystemen
und dem Frauenarzt ist wichtig, um eine psychische Dekompensation der Patientin mit
Steigerung des Suchtdrucks und Rückfälle in alte Verhaltensmuster rechtzeitig zu erkennen.
Agitiertheit, Schwitzen, Zittern, Miosis oder Klagen über Erbrechen, Bauchschmerzen
und Diarrhö müssen auch für den Gynäkologen Warnsymptome einer eventuell entzügigen
Patientin sein.
Substitution. In Abhängigkeit von der individuellen Lebenssituation der Schwangeren entscheidet
sich ein Großteil der Betroffenen für eine akzeptierende Form der Drogenhilfe. Laut
Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV § 5, Abs. 1, Satz 3) führt die Substitution
zur Verringerung der Risiken einer Opiatabhängigkeit während einer Schwangerschaft
und nach der Geburt. Ein frühestmöglicher Beginn der Substitution, auch im 1. Trimenon,
ist daher sinnvoll. Ziel ist die Reduktion des unkontrollierten Substanzabusus und
die ärztlich überwachte, medikamentöse Substitution. Auf diesem Weg soll die körperliche,
seelische und soziale Stabilisierung der Patientin durch Wegfall von Beschaffungskriminalität,
Abusus verschnittener Drogen und Verringerung der Infektionsgefahr erreicht werden
[18]. Durch gleichmäßigere mütterliche Substitut-Plasmaspiegel werden die durch kurze
Heroinhalbwertszeiten verursachten intrauterinen Opiatentzüge mit konsekutiver Gefährdung
des Feten vermieden.
In der Schwangerschaft stehen folgende Substitutionsmittel derzeit zur Verfügung:
-
Methadon-Razemat
-
Levomethadon
-
Buprenorphin
Die vorliegenden Untersuchungen zu den Präparaten scheinen für Buprenorphin ein günstigeres
Profil hinsichtlich des neonatalen Entzugssyndroms und eine geringere Interaktion
mit einer antiretroviralen Therapie bei HIV-Positivität auszustellen [19]–[22]. Für die gynäkologische Beratung ist wesentlich, dass für die genannten Substitute
bislang keine Teratogenität nachgewiesen werden konnte, eine Beeinflussung der neurologisch-kognitiven
Entwicklung der Kinder wird jedoch diskutiert [23].
In Deutschland wird der Einsatz von kombiniertem Buprenorphin/Naloxon zur Substitution
von Schwangeren bisher nicht empfohlen, in der amerikanischen Literatur kontrovers
diskutiert [24], [25]. In der Schwangerschaft sind das Plasmavolumen und die hepatische/glomeruläre Exkretion
erhöht, sodass ein größerer Opiatbedarf entstehen kann. Ein von den Schwangeren oftmals
gewünschtes Abdosieren des Substitutes sollte von gynäkologischer Seite nur nach enger
Absprache mit dem substituierenden Arzt befürwortet werden. Mindestvoraussetzung ist
ein unauffälliger Schwangerschaftsverlauf mit regelrechtem fetalen Wachstum und Beikonsumfreiheit
[26].
Besondere Aspekte der gynäkologischen Vorsorge nach Feststellen der Schwangerschaft
Vernetzung mit Drogenhilfesystem. Die gynäkologische Betreuung suchtkranker Schwangerer bedeutet für den einzelnen
Frauenarzt, sowohl Teil des Hilfesystems als auch Teil der kontrollierenden Instanzen
zu sein. Somit ist die frühzeitige Vernetzung des Gynäkologen mit den Drogenhilfesystemen
von entscheidender Bedeutung: Auf diesem Weg werden Ressourcen sinnvoll genutzt und
widersprüchliche Aussagen vermieden [10]. Der Großteil der drogenkonsumierenden Schwangeren wird über die Vermittlung der
ambulanten oder stationären Drogenhilfeeinrichtungen den Erstkontakt zum Frauenarzt
aufnehmen. Themen wie Schweigepflichtsentbindung zur Weitergabe relevanter Daten an
Dritte, das eventuelle Vorhandensein einer gesetzlichen Betreuung sowie der Informationsaustausch
mit den Mitarbeitern der Geburtsklinik und des Jugendamtes müssen dabei frühzeitig
angesprochen werden.
Spät bemerkte Schwangerschaft. Die Feststellung der Schwangerschaft bedeutet für die betroffene Frau oft einen zusätzlichen
Belastungsaspekt in einer ohnehin instabilen Lebenssituation. Nicht unterschätzt werden
dürfen dabei die Schuld- und Schamgefühle der Schwangeren sowie die Angst vor fetaler
Fehlbildung durch den Drogenkonsum [27]. Für die geburtshilfliche Betreuung kommt erschwerend hinzu, dass es sich meist
um ungeplante und erst nach dem 1. Trimenon bemerkte Schwangerschaften handelt. Neben
einer durch Fehl- und Unterernährung bedingten Amenorrhö fokussiert sich in Phasen
ausgeprägten Drogenkonsums die Körperwahrnehmung der Frauen auf einen vorhandenen
oder befriedigten Suchtdruck, eine Schwangerschaft liegt nicht im Bereich des gedanklich
Möglichen. Dieses Ausklammern der Verhütungsfrage trifft aber auch immer wieder auf
Patientinnen zu, die sich unter einer Substitutionsbehandlung körperlich soweit stabilisieren,
dass wieder ovulatorische Zyklen auftreten [28].
Kombinationskonsum. Das späte Realisieren der Schwangerschaft bedeutet auch, dass gerade in der vulnerablen
Phase der Organogenese polytoxikoman Substanzen konsumiert wurden, oftmals in Verbindung
mit Alkohol und der konsekutiven Gefährdung der kindlichen Entwicklung – insbesondere
im neurologischen Bereich [29]–[32]. Während von einzelnen Stoffen die mögliche embryonale/fetale Auswirkung bekannt
ist, stellt der Kombinationskonsum weiterhin ein pharmakologisch nicht abschätzbares
Risiko dar. Dies gilt insbesondere für die ständig wachsende Anzahl neuartiger psychoaktiver
Substanzen, die schwere maternale Intoxikationen verursachen können und im Standarddrogenscreening
nicht detektiert werden [33], [34].
Erweiterte Vorsorge
Sonografisches Organscreening. Alle legalen und illegalen Drogen passieren die Plazentaschranke und sind im fetalen
Organismus nachweisbar [35]. Diese Problematik muss der betreuende Gynäkologe im Rahmen des Aufklärungsgespräches
offen kommunizieren. Mögliche Wirkungen auf das Ungeborene und dessen spätere Entwicklung
müssen der Schwangeren erklärt und ein gezieltes sonografisches Organscreening angeboten
werden (Tab. [1]) [36], [37]. Eine Indikation zur invasiven Diagnostik alleine aufgrund des mütterlichen Drogenkonsums
besteht nicht, da diese kein erhöhtes Risiko für eine chromosomale Störung des Feten
beinhaltet. Bei zusätzlich bekannter Hepatitis- und/oder HIV-Infektion sollte wegen
der unklaren Transmissionsgefahr ebenfalls möglichst auf einen solchen Eingriff verzichtet
werden [38].
Tabelle 1 Illegaler Substanzkonsum und mögliche Auswirkung auf den Feten/das Neugeborene (mod.
nach [36]).
Substanz
|
Schwangerschaft
|
Geburt
|
weitere Gefahren
|
IUGR: intrauterine Wachstumsrestriktion, NAS: neonatales Abstinenz(Entzugs-)syndrom,
IUFT: intrauteriner Fruchttod, LKG-Spalte: Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte
|
Heroin
|
IUGR, Frühgeburt, Fehlbildungen?
|
Anpassungsstörungen, NAS
|
Streckungsmittel. Abrupter Entzug: vorzeitige Wehen, Alteration fetaler Herzfrequenz
|
Kokain
|
Fehlgeburt, IUGR, Frühgeburt
|
Anpassungsstörungen
|
akute plazentare Vasokonstriktion, vorzeitige Plazentalösung, IUFT
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Crack
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Herzfehler, Neuralrohrdefekte, LKG-Spalte
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neurologisch-kognitive Auffälligkeiten
|
Cannabis
|
IUGR
|
|
neurologisch-kognitive Spätfolgen?
|
Amphetamine
|
Herzfehler, Fußfehlstellung
|
Hyperexzitabilität
|
Crystal Meth
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s. o., Neurotoxizität
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Zittrigkeit, Gedeihstörung
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maternaler Hypertonus mit vorzeitiger Plazentalösung
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Benzodiazepine (nicht illegal, aber i. S. eines Abusus)
|
IUGR, Fehlbildungen?
|
Anpassungsstörungen, NAS
|
abrupter Entzug: maternale Krampfanfälle, IUFT
|
neue psychoaktive Substanzen
|
Situation unklar: Kombination mit anderen Substanzen in der Auswirkung für Schwangerschaft/kindliche
Entwicklung nicht abschätzbar!
|
Kurze Vorsorgeintervalle. Es empfiehlt sich, die gynäkologischen Vorsorgeintervalle intensiviert alle 2 Wochen
durchzuführen. Dies hat den Vorteil, dass der psychische und physische Zustand der
Schwangeren besser eingeschätzt werden kann und ihre Fürsorgekompetenz für sich selbst
und für das Ungeborene durch zuverlässiges Wahrnehmen der Termine gefordert ist.
Serologie. Neben den in den Mutterschaftsrichtlinien aufgeführten Basisuntersuchungen sind bei
substanzkonsumierenden Patientinnen zusätzliche Aspekte zu beachten: Da Zervixdysplasien
gehäuft auftreten und Krebsvorsorgeuntersuchungen meist nicht wahrgenommen werden,
ist eine Abstrichkontrolle mit HPV-Test (humane Papillomaviren), sowie eine Untersuchung
auf sexuell übertragbare Erkrankungen zu empfehlen [39].
Bei bis zu 10 % Hepatitis-B-, bis zu 80 % Hepatitis-C- und 5–10 % HIV-Positivität
von i. v. Opiatkonsumenten ist die serologische Untersuchung der Patientinnen sowohl
bei Erstkontakt als auch im 3. Trimenon unabdingbar [40]. Arbeiten, die die Infektionsprävalenzen speziell bei schwangeren Drogenkonsumentinnen
untersuchten, zeigten eine große Streubreite in den Resultaten, jedoch mit ebenfalls
hohen Erkrankungszahlen [27].
Ernährung. Auf eine ausreichende Gewichtszunahme mit Optimierung der Ernährung sowie regelmäßige
Kontrollen des Hämoglobin- und Eisenwertes ist zu achten.
Zervixlänge und Fetometrie. Frühgeburtsbestrebungen können durch regelmäßige Messungen der sonografischen Zervixlänge
rechtzeitig erkannt werden. Dies erscheint wegen der unter Opioideinnahme eingeschränkt
interpretierbaren Schmerzempfindung der Patientinnen auch im Hinblick auf vorzeitige
Wehentätigkeit von Bedeutung. Um eine in bis zu 30 % auftretende intrauterine Wachstumsrestriktion
(IUGR) mit konsekutiv erniedrigtem Geburtsgewicht rechtzeitig zu diagnostizieren,
sollten fetometrische Verlaufskontrollen alle 2–3 Wochen erfolgen, bei nachgewiesener
IUGR in Kombination mit der Doppler-Sonografie [41], [42].
Tabak und Alkohol. In den Vorsorgen regelmäßig thematisiert werden sollte der häufige Konsum von Alkohol
und Tabak bei Drogenkonsumentinnen: Zwar ist den meisten rauchenden Schwangeren die
gesundheitsschädliche Wirkung von Nikotin für den eigenen Körper und für die fetale
Entwicklung bekannt, jedoch nicht, dass das neonatale Opioid-Entzugssyndrom durch
Nikotin weiter verstärkt wird [43], [44]. Ein Alkoholabusus erhöht nicht nur die Gefahr der fetalen Wachstumsrestriktion
und Mikrozephalie, sondern kann im Rahmen der fetalen Alkohol-Spektrum-Störung neben
körperlichen Fehlbildungen schwere neurologische Entwicklungsdefizite beim Ungeborenen
verursachen [29], [45].
Geburt und Wochenbett
Eine frühzeitige Kontaktaufnahme des betreuenden Gynäkologen mit der Geburtsklinik
sollte folgende Informationen beinhalten:
-
aktuelle Hepatitis- und HIV-Serologie (bei bekannter Hepatitis-C-Infektion inklusive
Viruslast)
-
Ansprechpartner für die peri- und postpartale Substitution
-
Klärung der Venensituation
-
Analgesiewünsche der Patientin mit Vorstellung in der anästhesiologischen Abteilung
Für die Pädiatrie sind neben der aktuellen Substitution der Schwangeren Informationen
über bestehenden Beikonsum und das Prozedere für den Verbleib des Neugeborenen wichtig.
Das gynäkologische Aufklärungsgespräch mit der Patientin über Geburt, Stillen und
das neonatale Entzugssyndrom trägt entscheidend dazu bei, spätere Konfliktsituationen
zu vermeiden:
Geburtsmodus und Analgesie. So führen kontroverse Empfehlungen hinsichtlich des Entbindungsmodus bei Hepatitis-C-Positivität
immer wieder zu Verunsicherung. Der betreuende Frauenarzt sollte der Schwangeren aufzeigen,
dass die Datenlage auch bei hoher mütterlicher Viruslast keinen eindeutigen Vorteil
für die primäre Sectio zur Vermeidung der maternofetalen Transmission ergibt [46]. Ein weiteres Problem stellt die Untertherapie von Schmerzen bei opiatabhängigen
Patienten dar, dies betrifft auch die sub- und postpartal benötigte Analgesie: Da
der Schmerzmittelbedarf durch eine Hyperalgesie der betroffenen Patientin höher sein
kann, ist eine Regionalanästhesie das Mittel der Wahl für die vaginale Geburt.
Postpartalphase. Postpartal eignen sich nichtsteroidale Antiphlogistika zur weiteren Therapie. Nach
Sectio haben sich Kombinationen aus kurzwirksamen opioidhaltigen Analgetika zusammen
mit Antiphlogistika oder auch PCA-Pumpen bewährt [47]–[52]. Eine detaillierte Rückmeldung an den Substitutionsarzt über die applizierten Medikamente
vermeidet Unklarheiten bei den nach Klinikentlassung anstehenden Drogenscreenings.
Stillen. Ein vorhandener Stillwunsch sollte prinzipiell unterstützt werden, das kindliche
Entzugssyndrom kann jedoch weder durch das mütterliche Substitut therapiert, noch
ein erneuter Entzug beim Kind durch Abstillen ausgelöst werden [53]–[55]. Frauen mit HIV-Infektion, mit anhaltendem Drogenabusus/Beikonsum und psychischer
Instabilität ist allerdings vom Stillen abzuraten [56]. Ebenfalls problematisch ist der Übertritt von Nikotin in die Muttermilch. Konsumiert
die Stillende mehr als 5–8 Zigaretten pro Tag, sind bewusste Rauchpausen vor dem nächsten
Anlegen nicht durchführbar und es muss mit vermehrter Unruhe, Koliken und Gedeihstörungen
des Neugeborenen gerechnet werden [57].
Weiter kontrovers diskutiert wird das Thema Hepatitis-C-Infektion der Mutter und Stillen:
eine Arbeit von Laufs et al. und die zweite ergänzende Empfehlung der Nationalen Stillkommission
von 2008 geben an, dass bislang kein Fall einer Hepatitis-C-Infektion durch Stillen
nachgewiesen wurde [58], [59]. Die Schwangere muss aber darüber aufgeklärt werden, dass z. B. bei blutenden Brustwarzen
und hoher mütterlicher Viruslast über 600 000 IU/ml ein theoretisches Restrisiko für
eine Infektion des Säuglings besteht. Eine ausführliche Stillberatung und Anleitung
im Wochenbett durch die betreuende Hebamme ist hier von besonderer Wichtigkeit.
NAS. Das in 75–90 % Häufigkeit auftretende neonatale Entzugssyndrom (NAS) ist für das
betroffene Kind, die Mutter und das Klinikpersonal äußerst belastend. Da substituierte
Frauen oftmals unrealistische Vorstellungen bezüglich der Vorhersagbarkeit des kindlichen
Entzuges haben, muss der Gynäkologe im Vorfeld ausführliche Aufklärungsarbeit, möglichst
in Zusammenarbeit mit den pädiatrischen Kollegen, leisten.
Die Ausprägung des neonatalen Entzugssyndroms korreliert nicht immer mit der Einnahmedauer
und -dosis des verwendeten Präparates. Durch die unterschiedlich langen Halbwertszeiten
der Substitute treten die kindlichen Symptome zu unterschiedlichen Zeiten auf und
halten unterschiedlich lange an [60]. Für das Ausmaß der kindlichen Symptome können der zusätzliche Nikotinentzug und
individuelle interferierende Parameter wie Kindsgewicht, Reife des Neugeborenen oder
auch die aktuell diskutierten Gen-Polymorphismen eine nicht zu unterschätzende Rolle
spielen [61], [62]. Für das betreuende Klinikpersonal ist zu berücksichtigen, dass die Mutter die Zeit
des kindlichen Entzuges oftmals als krisenhafte Zuspitzung ihres Versagens erlebt,
sodass eine enge Kommunikation mit ihr und dem Hilfesystem wichtig ist und der Bindungsaufbau
zum Kind intensiv unterstützt werden muss. Hier kann das Stillen durch den engen Mutter-Kind-Kontakt
ein wertvoller psychologischer Faktor für die Wöchnerin sein.
Kontrazeptionsberatung. Unabhängig davon, ob das Neugeborene bei der Mutter verbleiben kann oder nicht, sollte
die gynäkologisch-geburtshilfliche Betreuung der Patientin nicht ohne verlässliche
Absprachen hinsichtlich der zukünftig durchzuführenden Kontrazeption enden.
Diskussion
Ein Großteil der drogenabhängigen Frauen befindet sich im reproduktiven Alter. Fehlendes
kontrazeptives Bewusstsein und riskantes sexuelles Verhalten sind die Hauptursachen
für ungeplante Schwangerschaften und maternale Infektionen bei diesen Patientinnen
[63], [64], [65]. Die gynäkologisch-geburtshilfliche Betreuung der substanzkonsumierenden Schwangeren
stellt durch das erhöhte fetomaternale Risiko eine besondere Herausforderung an Professionalität
und Interdisziplinarität, aber auch an die ärztliche Empathie dar.
Engmaschige Vorsorge
Reduktion des Beigebrauchs. Eine von Welle-Strand und Mitarbeitern ausgewertete norwegische Kohortenstudie zeigte
die positive Bedeutung der engmaschigen Schwangerenvorsorge auch im Hinblick auf die
Reduktion des Beigebrauchs von Alkohol, anderer illegaler Drogen und Tabak [66]. Da ca. 95–98 % aller Drogenabhängigen rauchen, ist die Motivation der Schwangeren
zur Konsumreduktion eine wichtige ärztliche Aufgabe. Holbrook und Kaltenbach konnten
durch ein Tabakentwöhnungsprogramm bei methadonsubstituierten Schwangeren eine Reduktion
der täglich gerauchten Zigaretten auf knapp die Hälfte des bisherigen Konsums erreichen
[67]. Die Vermutung, dass drogenkonsumierende Schwangere für eine Tabakreduktion nicht
motiviert oder überfordert seien, muss somit auch von gynäkologischer Seite hinterfragt
werden.
Neben der physischen Abhängigkeit von suchterzeugenden Substanzen gibt es gerade bei
betroffenen Schwangeren Hinweise, dass psychische Parameter wie Selbstwertgefühl,
Depressionen und Ängste eine wichtige Rolle in der Abusussituation spielen [68]. Ein besseres Verständnis für diese Interaktionen wird dringend benötigt, da gerade
die Hochrisikogruppe von schwerabhängigen Schwangeren trotz Substitution häufig einen
Beigebrauch von anderen illegalen Drogen aufweist: Delano et al. konnte im Mekonium
Neugeborener nachweisen, dass ca. 1 Drittel der mit Methadon substituierten Mütter
noch mindestens ein weiteres Opioid beikonsumiert hatten. Dies bedeutet für die Schwangerenvorsorge
eine Risikoerhöhung für den Feten durch die potenzierte Drogenexposition und schwankende
Opiatspiegel [69]. Ein Abdosieren von Substitutionsmedikamenten oder die Neueinstellung mit Buprenorphin
bei Schwangeren wird deshalb von einzelnen Autoren mit der Begründung eines erhöhten
maternalen Beikonsumrisikos und der Begünstigung eines intrauterinen Abstinenzsyndroms
abgelehnt [70].
Eine individuelle, sorgfältige Einschätzung der Stabilität der Schwangeren durch den
Substitutionsarzt sowie ein enger Informationsaustausch mit dem betreuenden Gynäkologen
sind wichtige Grundvoraussetzungen zur Beratung der Schwangeren.
Non-Compliance-Problematik
Weiterhin hochproblematisch sind diejenigen Schwangeren, die sich dem Hilfesystem
entziehen und die Vorsorgetermine beim Gynäkologen nur sporadisch wahrnehmen [7]. Die ärztliche Begleitung dieser Schwangeren beinhaltet auch, die von den Patientinnen
oft erlebte Stigmatisierung und ablehnendes Verhalten zu vermeiden. Eine eingeschränkte
Compliance darf nicht zum „Aufgeben“ der Patientin durch den Gynäkologen führen [71], [72].
Die gynäkologisch-geburtshilfliche Betreuung drogenkonsumierender Schwangerer bleibt
eine komplexe Aufgabe. Neben der medizinischen Vorsorge sind wir angehalten, die Mutter
in ihrer Verantwortung zu fördern, aber auch zu fordern: Drogenabusus in der Schwangerschaft
ist nicht mehr individuelles, sondern nun maternales Verhalten.