Notfallmedizin up2date 2015; 10(02): 97-98
DOI: 10.1055/s-0033-1358157
Editorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Präklinisches Atemwegsmanagement – eine Kernkompetenz im Rettungsdienst

Berthold Bein
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Publication Date:
14 July 2015 (online)

In dieser Ausgabe von Notfallmedizin up2date erscheint ein Übersichtsartikel unter dem Titel: „Management des schwierigen Atemwegs unter Extrembedingungen, an Beispielen“. In diesem Beitrag geben ausgewiesene Experten einen umfangreichen und detaillierten Überblick über das Thema präklinische Atemwegssicherung. Indikationen, Vorbereitung und klinisch etablierte (und auch weniger verbreitete) Hilfsmittel zur Sicherung des Atemweges werden ausführlich diskutiert. Der Umfang des Beitrags führt vor Augen, dass das Thema Atemwegssicherung einen zentralen Stellenwert im Rettungsdienst einnimmt, und zwar sowohl für Notärzte als auch für Rettungsassistenten bzw. zukünftig Notfallsanitäter. Zwar beträgt die präklinische Intubationsrate nur circa 8 %, es handelt sich jedoch immer um vital bedrohte Patienten bzw. häufig um Patienten in einer Reanimationssituation, und ein missglücktes Atemwegsmanagement hat insofern unausweichlich schwerwiegende Konsequenzen für den betroffenen Patienten. Die Komplexität möglicher Szenarien, von denen zwei als Fallbeispiel aufbereitet wurden, macht eine Neubewertung bislang geübter Praktiken unumgänglich. Insbesondere die immer noch als „Goldstandard“ zur Atemwegssicherung bezeichnete endotracheale Intubation muss hier auf den Prüfstand. Dies vor allem aus zwei Gründen. Erstens belegen aktuelle US-amerikanische Daten aus der sehr großen NEMESIS (The National Emergency Medical Services Information System)-Datenbank, dass trotz Verbesserungen im Vergleich zur Voruntersuchung aus 2008 die Rate fehlgeschlagener Intubationen (basierend auf n = 75 000 Intubationsversuchen) immer noch 15 % beträgt. Der Einwand, es handele sich um Daten aus einem Paramedics-System, greift zu kurz. Auch ältere Daten von Thierbach und Mitarbeitern aus einem arztbesetzten System in Deutschland belegen mehrere Intubationsversuche in über 14 % der Fälle. Aktuelle Daten (n = 8512) aus dem deutschen Reanimationsregister (2011) zeigen eine unverändert hohe Inzidenz von schwieriger (7,5 %) oder letztlich fehlgeschlagener Intubation (2,5 %; PD Gräsner, persönliche Mitteilung). Zweitens ist gezeigt worden, dass die endotracheale Intubation nur dann mit Aussicht auf Erfolg durchgeführt werden kann, wenn der Anwender über ausreichende Erfahrung verfügt und seine Expertise auch kontinuierlich auffrischt. Realistisch trifft diese Voraussetzung nur auf Anästhesisten und Intensivmediziner zu. Diese „human factor“-Komponente wird zunehmend als die entscheidende Determinante für ein erfolgreiches Atemwegsmanagement erkannt. Im Mutterland der Larynxmaske, dem Vereinigten Königreich, wurde kürzlich eine Neubewertung der Atemwegsproblematik vorgeschlagen. Anstatt von einem erwartet oder unerwartet schwierigen Atemweg zu sprechen, wurde eine Einteilung in „basic airways“ und „complex airways“ vorgeschlagen, wobei die Einteilung in eine dieser beiden Situationen überwiegend vom Ausbildungsstand und Erfahrungshintergrund des Anwenders abhängt. Diesem neuen Ansatz liegt die richtige Beobachtung zugrunde, dass ein für einen Anfänger schwierig zu sichernder Atemweg für einen Geübten absolute Routine sein kann. Die Komplexität eines Atemweges wiederum kann dann auch durchaus von den Umgebungsbedingungen abhängen. Insofern könnte dieser Paradigmenwechsel besonders für den Bereich des präklinischen Atemwegsmanagements wichtige Impulse geben. Wir müssen davon ausgehen, dass auch zukünftig Ärzte aus Fachgebieten außerhalb der Anästhesiologie und Intensivmedizin als Notärzte unterwegs sind und dass Notfallsanitäter als ersteintreffende Helfer beim Atemwegsmanagement eine zunehmende Rolle spielen werden. Im Sinne der Patientensicherheit sollte demnach als Goldstandard der Atemwegssicherung das Verfahren definiert werden, welches situations- und anwendergerecht die schnellste Oxygenierung des Patienten ermöglicht. Am Fallbeispiel des Patienten mit Morbus Bechterew wird dies eindrucksvoll verdeutlicht. Die Atemwegssicherung mittels des „Goldstandards“ endotracheale Intubation wäre möglicherweise mit dem entsprechenden Spezialequipment (Videolaryngoskop) einem erfahrenen Anwender gelungen. Das höhere Risiko für den Patienten durch die notwendige Muskelrelaxierung bei einem Fehlschlag stellt diesen „Goldstandard“ in der konkreten Situation allerdings zu Recht infrage und lässt die gewählte Lösung als die bessere, weil patienten- und situationsgerechtere, erscheinen.