Der Jahreskongress beschäftigte sich gleich zu Beginn mit der Frage nach der wissenschaftlichen
Basis der alltäglichen handchirurgischen Praxis.
Herr Antes führte dabei, – wie unten aufgeführt –, in seinem exzellenten Übersichtsvortrag
durch die Irrungen und Fallen der Evidence based Medicine (EVBM):
Was ist eigentlich EVBM?
Hierunter versteht man den [….] vernünftigen Gebrauch der gegenwertig bestverfügbaren
externen wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen der medizinischen Versorgung
individueller Patienten (Sackett et al.).
Und hier beginnt das Problem, denn der eigentliche Goldstandard der EVBM, indem zeitgleich
zur Therapie auch eine Alternativ,- bzw. Kontrollgruppe hinsichtlich des Outcomevergleiches
generiert wird, gelingt aus ethischen Gründen oder aufgrund der Fallzahlgrößen in
der Handchirurgie oftmals nicht, zumal zum Ausschluss von sogenannten Mischeffekten
auch nur ähnliche Patienten eingeschlossen werden sollten.
Auch kann eine Studie mit hohem evidenz based level aufgrund von systemischen Fehlern
schlechter sein als z. B. eine gute Fallserie z. B. wenn Outcomeparameter gewählt
werden, die gar nicht zur Fragestellung passen.
Ein weiteres Problem stellt der Transfer der Forschungsergebnisse in die klinische
Praxis dar. Bei jährlich 600 000 Studien und davon 20 000 randomisierte, kontrollierte
Studien erreichen 50% der Forschungsergebnisse wegen nicht erfolgter Publikationen
die klinischen Anwender nicht. Das selektive Publizieren führt in der Konsequenz zu
einer positiven Überschätzung der beschriebenen Therapien um 20–40%.
Viele neue Ansätze sollen diese Lücke nun schließen und die Forscher verpflichten
auch ihre Ergebnisse zu publizieren. Dies reicht von der Registrierung zum Zeitpunkt
der Ethikkommission bis zu gesetzlichen Vorgaben in den U.S.A.
Was bleibt als Fazit?
Das Studiendesign (Methodik) bestimmt ebenso wie der EVB-Level über die klinische
Relevanz und nur durch Publikationen der Ergebnisse kann der konsequente Transfer
in den klinischen Alltag gelingen.
Was aber bedeutet dies für die Handchirurgie?
Auch auf diesem Kongress hat sich gezeigt, dass trotz großem Aufwand einer der größten
Probleme die jeweils geringe Fallzahl der Untersuchungsgruppen und der EVB Level darstellten.
Ein Großteil der Beiträge beschrieb Fallserien oder Methodikanalysen. Von 41 Beiträgen
waren 7 Übersichtsreferate, 12 Fallserien, 4 prospektive, 7 retrospektive Studien,
2 Fallvorstellungen und 9 Methodikanalysen zu differenzieren.
Die mittlere Patientenanzahl der Fallserien betrug knapp 19 Patienten, bei den prospektiven
Studien 37 und bei den retrospektiven Studien im Schnitt 38 Patienten (Anm.: Ausnahme
Ulnokarpale Bandverletzungen). Bedenkt man nun noch, dass die Daten häufig über einen
Zeitraum von mehreren Jahren und die Auswertung mit Untergruppierungen erfolgte, so
minimiert sich folgerichtig die akute klinische Relevanz der gewonnenen Ergebnisse.
Den einzigen Weg aus diesem Dilemma bildet der Zusammenschluss von Forschungsgruppen
mit gleichen Interessen. Dies behebt auch den Missstand der repetitiven Studien gleichen
Inhaltes, die über die Jahre immer wieder neu aufgelegt werden. Damit eine solche
Vernetzung möglich ist wird Anfang 2014 eine entsprechende Plattform auf der Homepage
der DGH eingerichtet werden, auf der alle Forschungsgruppen die Möglichkeit erhalten
ihr Projekt selber vorzustellen und ggf. für Kooperationspartner oder Doktoranden
zu werben. So können in gegenseitigem Miteinander auch die jeweiligen Ressourcen der
anderen Kliniken optimal genutzt werden.
Wenn sich dieser Ansatz zur Kooperation durchsetzen kann, wird es sicherlich bald
möglich sein qualitativ hochwertige Studien mit hoher Fallzahl und klinischer Relevanz
zu generieren.
Was gab es sonst noch Neues auf der DGH?
Der Kongress beschäftigte sich in diesem Jahr neben der EVBM mit dem Thema der Frakturbehandlung,
den lokalen Lappenplastiken, ligamentären Verletzungen und freien Themen.
In der Sitzung der EVBM wurde zunächst am Beispiel von Radialisparesen versucht zu
belegen, dass die EVBM nicht alle individuellen Faktoren berücksichtigt, die das therapeutische
Vorgehen beeinflussen würden, sodass die individuelle Entscheidung höher zu stellen
sei als Algorithmen oder EVBM. Da die Definition der EVBM aber einen „vernünftigen„
Gebrauch des Wissens für „individuelle„ Patienten propagiert liegt kein Widerspruch
in der Anwendung der EVBM und individuellen Entscheidungen unter Berücksichtigung
der EVBM.
Interessant war auch die Untersuchung von 48 Hand- und Handgelenkscores auf ihre Inhalts-,
Konstruktions-, und Kriteriumsvalidität. Der Autor stellte fest, dass nur 7 der 48
Scores alle Validitätskriterien erfüllten, sodass bei Studienplanungen eine größere
Sorgfalt auf die Auswahl der Outcomescores gelegt werden müsse.
In dem Abschnitt der Frakturbehandlung wurde neben perkutanen und intramedullären
Verfahren zum einen eine neue Rückzugstechnik zur Versorgung von dorsalen Endgliedbasisfrakturen
und eine experimentelle Studie zur elektromagnetisch navigierten Schraubenosteosynthese
bei Skaphoidfrakturen (=ENS) vorgestellt.
Bei den Endgliedbasisfrakturen wurde eine PDS Cerclage zunächst mit der Nadel durch
den Knochen und dann durch den Fragmentsehnenanteil gefädelt und das Fragment so reponiert.
Es wurden 53 Patienten mit „gutem Erfolg“ bei sehr unterschiedlichen Indikationen
behandelt, die Bewegungsausmasse nach Versorgung jedoch nicht beschrieben. An Komplikationen
wurden ein Fadenriß und ein schleichender Infekt benannt.
Bei dem Vortrag zur elektromagnetisch navigierten Schraubenplatzierung bei Skaphoidfrakturen
wurden 6 Kadaverhände konventionell mit dem Bildwandler und 6 mit der neuen Technik
(ENS) versorgt. Dabei wurde neben der OP Zeit auch die Lage der Schraube im CT verifiziert
und mit der Idealachse verglichen. Eine Empfängersonde wurde unter Bildwandlerkontrolle
am distalen Pol über eine Inzision platziert und dann von antegrad über den dorsalen
Zugang die Schraube navigiert eingebracht. Mit der ENS betrug die OP Zeit im Schnitt
7 min weniger, die Idealachse wurde präziser getroffen und die Durchleuchtungszeit
war geringer. Dennoch verbleibt derzeit noch das Problem, dass nur nicht dislozierte
Frakturen über einen dorsalen Zugang mit der ENS versorgt werden könnten.
Abb. 1 Der Kongress fand dieses Jahr direkt am Rhein statt. (Abbildung mit freundlicher
Genehmigung der Intercongress GmbH).
Abb. 2 Kongresspräsident Joachim Windolf sorgte für ein buntes Programm. (Abbildung mit
freundlicher Genehmigung der Intercongress GmbH).
Abb. 3 Herr Antes führte gekonnt durch die Welt der EVB. (Abbildung mit freundlicher Genehmigung
der Intercongress GmbH).
Der Freitagvormittag stand unter dem Thema der lokalen Lappenplastiken. Nach einem
informativen Übersichtsvortrag von Prof. G. Germann wurden verschiedene Fallserien
zur Defektdeckung von palmaren Weichteildefekten mittels Insel,- und Crossfingerlappen
vorgestellt und des Weiteren der seltene Fall eines Hidradenokarzinoms aufgearbeitet.
Es schloss sich die Sitzung der freien Vorträge an. Interessant war neben der Vorstellung
des Designs einer Pilotstudie zur Optimierung der Stammnervenrekonstruktion durch
Elektrostimulation mit implantierten Elektroden, eine Studie, die die Regenerationsergebnisse
sensibler Digitalnerven nach Naht, Nerventransplantation und Interposition von Venenmuskelinterponaten
untersuchte. Diese 3 Gruppen wurden nach 6 Monaten verglichen und es fanden sich im
Vergleich zwischen Venenmuskelinterponaten und Nerveninterponaten keine Unterschiede
(altersunabhängig) in der erreichten 2 Punktediskrimination (5,0–5,5 mm), jedoch verbleibende
Sensibilitätsdefizite an der Hebestelle bei Transplantation. Die Fallzahl ist jedoch
auch hier noch zu gering und die Mischeffekte sind zu groß, um schon eine definitive
Aussage für die Klinik tätigen zu können. Ein weiterer interessanter Vortrag untersuchte
die potentielle Schädigung von Knorpelgewebe bei der Arthroskopie im Rahmen der Radiofrequenztherapie.
Geht man von einer Gewebeschädigung bei 50°C aus, so erreichte die Messung bei monopolarem
Einsatz 50° und bei Bipolaren bis zu 70°. Diese Temperaturen werden nach 10 s erreicht,
sodass als klinisches Fazit eine hohe Spülrate und möglichst kurze monopolare statt
bipolare Anwendungen empfohlen wurden.
Die DGH endete am Samstag mit den freien Themen und ligamentären Bandverletzungen.
In einer großen retrospektiven Studie wurde untersucht inwieweit sich Läsionen des
ulnokarpalen Bandkomplexes vor einer Arthroskopie (ASK) vorhersagen lassen. Dabei
wurden die Ergebnisse der präoperativen klinischen und auswärtigen radiologischen
(MRT) Untersuchung mit dem tatsächlichen ASK Befund korreliert und der positiv prädiktive
Wert ermittelt. Letztlich lag dieser zwischen 0,55 und 0,59, sodass diese Verfahren
in diesem Setting nicht dazu geeignet waren eine Läsion sicher vorherzusagen oder
auch auszuschließen.
Interessant war auch eine Studie zur arthroskopischen Synovialektomie der Fingergrund
(=MP),- und Mittelgelenke (=PIP) bei Arthrose und rheumatischer Arthritis (=RA). Während
diese Methode bei der RA zu einer guten Zufriedenheit und Schmerzreduktion führte
(MP>PIP), konnte bei der Arthrose nur bei geringerer Ausprägung und bei den MP Gelenken
eine Verbesserung erzielt werden.
Insgesamt hat auch dieser Jahreskongress 2013 wieder viele neue und interessante Ansätze
beinhaltet. Um eine patientenorientierte Forschung zu etablieren, die eine klinische
Konsequenz für die Praxis implementiert wäre es wünschenswert, dass künftig die handchirurgisch
Forschenden noch näher zusammenrücken und – arbeiten. Wir hoffen, dass ab 2014 die
neue Plattform auf der DGH -Homepage hierfür eine Hilfe darstellt und die an ähnlichen
Themen wissenschaftlich Interessierten zusammenführt.