Wenn es um die menschliche Ernährung geht, werden gerne Kalorien gezählt, die Eigenschaften
von Gemüse,
Fleisch und Sättigungsbeilagen diskutiert und Pläne zur maßvollen Portionsgröße und
abwechslungsreichen
Küche aufgestellt. Für das gewichtige Kernproblem gibt es eine reiche Auswahl an Diäten,
von A wie
Atkins, über G wie Glyx, bis T wie Trennkost. Kohlenhydrate, Eiweiß, Fette, Ballaststoffe
und Vitamine
werden bedacht und je nach Überzeugung berechnet, vermieden, getrennt oder kombiniert.
Spurenelemente
und Mineralstoffe fristen demgegenüber ein Schattendasein, denn bei einer ausgewogenen
Ernährung werden
sie sich schon in angemessenen Mengen einfinden. Diese Einschätzung ist nicht unberechtigt,
gilt aber
nicht automatisch für alle der benötigten Elemente. Deshalb lohnt es sich, diese sog.
Mikronährstoffe
genauer zu betrachten, denn die einzelnen Vertreter unterscheiden sich gewaltig. Es
sind individuelle
Charaktere. Eine Dysbalance kann eher von diagnostischer Bedeutung sein oder muss
als Risikofaktor für
Volkskrankheiten angesehen werden.
Im September fanden hierzu zwei hochkarätige Konferenzen in Berlin statt, die Jahrestagung
der
Gesellschaft für Mineralstoffe und Spurenelemente e.V. (GMS) und das 10th International
Symposium on Selenium in Biology and Medicine (Internationales Selensymposion). Ein
weiterer
Selenkongress folgte im November in Hefei, China. Die GMS-Tagung stand unter dem Motto
„Den Elementen
auf der Spur – Diagnostik und medizinische Bedeutung der Spurenelemente“ und spannte
den Bogen von der
instrumentellen Analytik über Biomarker, Toxizität und Essentialität, neuen Tiermodellen
bis zu
epidemiologischen Studien und Metaanalysen. Unter den Elementen dominierten Kalzium,
Jod, Selen und Zink
die konstruktiven Diskussionen. Der Münchner Ernährungsepidemiologe J. Linseisen beleuchtete
den
Zusammenhang von Kalzium und kardiovaskulär bedingter Mortalität. T. Ittermann aus
Greifswald stellte
unsere ausreichende Jodversorgung vor, warnte aber auch vor dem sich abzeichnenden
Trend zum Defizit bei
Jugendlichen. L. Rink aus Aachen präsentierte die enorme Bedeutung von Zink für das
Immunsystem und
bemängelte das Fehlen geeigneter Biomarker. Angesichts vergleichbarer Effekte eines
Selenmangels
unterstrich dieser Beitrag die Notwendigkeit von Interaktionsstudien. Dieses Konzept
wurde von G.
Banuelos aus den USA in einem geobiologischen Vortrag untermauert, der anhand der
salzreichen und
niederschlagsarmen Küstenregionen Kaliforniens die Problematik der Spurenelementkreisläufe
für die
Landwirtschaft darlegte.
Die GMS-Tagung ging nahtlos in das Internationale Selensymposion über; V. Gladyshev
aus Harvard verglich
speziesübergreifend die Evolution von Selenoproteinen und des Biosyntheseapparats.
D. Söll aus Yale
erläuterte die Möglichkeiten der Umprogrammierung des Systems. E. Arner vom Karolinska
Institut stellte
den Zusammenhang von Selenoproteinen und Zellfunktionen vor. Wissenschaftler aus der
Charité Berlin
erörterten die Bedeutung von Selenoproteinen und Selenstatus für grundlegende Erkrankungen
des
endokrinen Systems.
Aber was macht Selen so einmalig, dass sich Wissenschaftler aus der ganzen Welt für
eine volle
Arbeitswoche treffen und sich der Gefahr geistiger Selenosis aussetzen? Der Übersichtsartikel
von
J. Martitz et al. in diesem Heft kann vielleicht ein wenig dieser Faszination vermitteln.
Selenoproteine
kontrollieren sowohl grundlegende als auch reaktive Signalwege unseres Körpers und
sind somit für fast
alle Erkrankungen relevant. Die Selenverteilung ist weltweit extrem ungleich, sodass
endemische Mangel-
und Vergiftungssymptome bekannt sind, besonders aus China, das die weltweit selenreichsten
und
selenärmsten Regionen beherbergt. Seit sechs Jahren hat sich in China eine Internationale
Gesellschaft
zur Selenerforschung formiert, die bei ihren Tagungen geobiologische Probleme wie
Phytoremidiation,
endemische Fehlversorgungen und neue Supplementationswege adressiert.
Als Mitorganisator dieser drei hier erwähnten Konferenzen hatte ich das Vergnügen,
diesen Themenfeldern
sukzessive ausgesetzt zu sein und mich von dieser weltweiten Begeisterung für die
Selenforschung
anstecken zu lassen. Wenn auch Sie sich einen umfassenden Überblick verschaffen möchten,
dann lege ich
Ihnen neben diesem Heft die entsprechenden Webseiten ans Herz: www.gmsev.de; www.selenium2013.com;
www.seleniumresearch.org. Viel Vergnügen bei der Lektüre. Für Rückfragen stehe ich
Ihnen gerne zur
Verfügung!
Herzliche Grüße, Ihr
Prof. Dr. Lutz Schomburg