ergopraxis 2013; 6(11/12): 12-13
DOI: 10.1055/s-0033-1361901
wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Interventionsstudien bewerten – Frag doch PEDro

Florence Kranz

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Publication Date:
14 November 2013 (online)

 

Experimentelle Forschung kann Ergotherapeuten dabei helfen, die Wirksamkeit ihrer Therapieangebote zu bestätigen. Doch Vorsicht: Nicht immer halten die Ergebnisse, was sie auf den ersten Blick versprechen. Daher lohnt sich eine kritische Auseinandersetzung, zum Beispiel mithilfe der PEDro-Skala.


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Florence Kranz

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Florence Kranz, Ergotherapeutin BcOT, analysiert in ihrer Masterarbeit gerade systematische Übersichtsarbeiten, die Interventionsstudien bewerten.

Wie wirkt eine bestimmte Intervention und welche Vorteile besitzt sie gegenüber anderen Therapieangeboten? Diese Frage beschäftigt Ergotherapeuten, wenn sie ihr therapeutisches Vorgehen planen. Interventionsstudien können ihnen erste Antworten liefern, weil sie eine bestimmte Intervention mit einer alternativen Behandlungsmethode oder einem Kontrollangebot vergleichen. Man spricht hier auch von (quasi-)experimentellen kontrollierten Studien [1].

Als Goldstandard gelten randomisierte kontrollierte Studien (RCT) [1, 2]. Hier werden Teilnehmer zufällig verschiedenen Gruppen zugeteilt. Dieses Studiendesign nutzten beispielsweise Forscher um die Ergotherapeutin Su Chwen-Yng, um die Wirkung eines ergotherapeutischen Heimprogramms für Kinder mit Intelligenzminderung zu untersuchen [3]. Indem sie die Kinder nach dem Zufallsprinzip der Interventions- und der Kontrollgruppe zuordneten, konnten sie wichtige Fehlerquellen ausschließen. Anders sieht es bei quasi-experimentellen Interventionsstudien aus, die natürliche Gruppen miteinander vergleichen. Hier besteht die Gefahr, dass sich die Gruppen von vornherein systematisch voneinander unterscheiden und die Studienergebnisse durch personenbezogene Störvariablen verzerrt werden [1, 4].

Interne Validi… was?

Neben der randomisierten Zuordnung gibt es viele weitere Kriterien, die die Glaubwürdigkeit einer Interventionsstudie beeinflussen. Checklisten oder Bewertungsinstrumente schärfen den Blick dafür („Bewertungstools“). Diese sogenannten Appraisal-Tools überprüfen vor allem, ob eine Interventionsstudie intern valide ist. Das heißt, ob sich ihre Ergebnisse kausal eindeutig interpretieren lassen [4]. Oder konkreter: Sind die gemessenen Unterschiede in den Gruppen tatsächlich auf die untersuchte Intervention zurückzuführen?

Mit dieser Frage beschäftigt sich auch die PEDro-Skala, eine Checkliste der Physiotherapie- Evidenz-Datenbank [5]. Der deutsche Verband der Ergotherapeuten (DVE) nutzt dieses Instrument, um die Studien seiner EBP-Datenbank zu überprüfen. Sabine George, Vorstandsmitglied für Standards und Qualität, findet dafür gute Gründe: „Mit der PEDro-Skala erhält man eine erste schnelle Übersicht über viele Faktoren, die für die interne Validität einer Studie wichtig sind.“ Außerdem erfüllt sie die wesentlichen Anforderungen an ein Messinstrument – die sogenannten Gütekriterien [6–9].


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Zufällig, vergleichbar und geblindet

Wer eine Studie mithilfe der PEDro-Skala näher analysieren möchte, geht die Checkliste durch und vergibt der Arbeit so bis zu zehn Punkte („Bewertungstools“). Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der sogenannten Randomisierung. Bei diesem Vorgang ordnen Forscher ihre Studienteilnehmer zufällig verschiedenen Studiengruppen zu, indem sie zum Beispiel würfeln oder eine Münze werfen. Dadurch kann man die Interventions- und Kontrollgruppe besser miteinander vergleichen [10]. Berichtet eine Studie nun über die Randomisierung, erhält sie ihren ersten Punkt [11]. Einen weiteren Punkt bekommt sie, wenn die Gruppenzuordnung verdeckt stattfindet. Dabei dürfen diejenigen Personen die Gruppenzuteilung nicht kennen, die anhand der Auswahlkriterien über die Eignung der Teilnehmer entscheiden [10, 11]. Das nächste Bewertungskriterium fordert, dass die Gruppen zu Beginn der Studie in den wichtigsten prognostischen Indikatoren übereinstimmen. Dazu gehören zum Beispiel der Gesundheitszustand oder der Schweregrad einer Erkrankung. Denn die Wirkung einer Intervention lässt sich nur mit einem Alternativ- oder Kontrollangebot vergleichen, wenn die Gruppen ein ähnliches Verbesserungspotenzial besitzen [12]. Am Forschungsprozess beteiligte Personen dürfen sich nicht davon beeinflussen lassen, welcher Gruppe ein Teilnehmer angehört. Daher geht jeweils ein weiterer Punkt an die Studie, wenn die Teilnehmer, Therapeuten und Assessoren die Gruppenzuordnung nicht kennen – also geblindet sind [10, 11].


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Den Ergebnissen auf den Grund gehen

Zwei weitere Punkte gibt es für die Outcome-Messungen. Outcomes bezeichnen Zielgrößen, um die Wirksamkeit einer Intervention zu bestimmen, wie zum Beispiel die motorischen Leistungen oder die Teilhabe der Klienten [12]. Findet die Messung eines zentralen Outcomes zu mehreren Zeitpunkten statt, müssen mehr als 85 Prozent der Teilnehmer auch tatsächlich daran teilnehmen. Scheiden nämlich zu viele Probanden vorzeitig aus einer Studie aus („lost to follow-up“), kann es zu systematischen Verzerrungen kommen [10, 13]. Das nächste Kriterium „Intention-to-treat-Analyse“ kann man bejahen, wenn alle Probanden an den zugedachten Interventionen oder Kontrollangeboten teilgenommen haben. Ansonsten müssen die Forscher die Messwerte so analysieren, als wäre dies geschehen [11].

Bewertungstools

Bewertungsinstrumente, die in deutscher Übersetzung vorliegen:

Zum Schluss beleuchtet die PEDro-Skala den statistischen Bericht, der zwei Mindestmerkmale gewährleisten sollte. „Wenn nicht einmal diese erfüllt sind, sind die Studienergebnisse mit größter Vorsicht zu genießen“, sagt Sabine George. Im Einzelnen heißt das, dass der Bericht statistische Gruppenvergleiche für mindestens ein zentrales Outcome beinhalten soll. Dabei können die Forscher zwei oder mehrere Behandlungen miteinander vergleichen. Beispielsweise untersuchte das Forschungsteam um den Neurologen Rajesh Verma bei Klienten nach Apoplexie, welche Vorzüge das Bedeutungsvolle Aufgabenspezifische Training (MTST) gegenüber einer Kombinationsbehandlung aus Neurophysiologischem Training und Brunnstrom-Methode besitzt [14]. Alternativ können die Forscher ihre Interventionsgruppe auch mit einer Warte- oder Kontrollgruppe vergleichen, deren Teilnehmer eine Schein- oder Nicht-Behandlung erhalten. Ein letzter Punkt geht an die Studie, wenn sie mindestens für ein zentrales Outcome gleichermaßen Punkt- und Streuungsmaße ermittelt. Das heißt, wenn sie angibt, wie groß der Behandlungseffekt ist und wie sich die beobachteten Werte verteilen [10, 15].


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Checkliste gibt schnellen Überblick

Mit der PEDro-Skala erhält man also einen konkreten Punktwert, der Auskunft über die Glaubwürdigkeit einer Studie gibt. Dieser ermöglicht es außerdem, die Qualität verschiedener Interventionsstudien miteinander zu vergleichen. Man kann den erzielten Punktwert aber auch kritisch sehen: So vergibt die PEDro-Skala in manchen Fällen bereits einen Punkt, sobald ein zentrales Outcome das Kriterium erfüllt, beispielsweise die ermittelten motorischen Funktionen. Diese Bewertung ist allerdings nicht maßgeblich, wenn sich die Therapeutin für eine andere Zielgröße interessiert, zum Beispiel für die Teilhabe [12].

Sabine George gibt außerdem zu bedenken: „Natürlich bietet die Verwendung der PEDro-Skala nicht nur Vorteile. Beispielsweise erweckt die Möglichkeit, eine Gesamtpunktzahl zu errechnen, leicht den Eindruck, dass jedes Kriterium in jeder Studie gleich wichtig ist – und dass es keine weiteren gibt. Dem ist nicht so.“ Daher ermutigt sie die Leser dazu, Studienzusammenfassungen der DVE-Datenbank zusätzlich kritisch zu hinterfragen. Außerdem muss jeder Therapeut überlegen, ob die Studie tatsächlich zur Situation eines Klienten und zum eigenen Arbeitskontext passt – also ob sie auch die Anforderungen an die externe Validität erfüllt [12].

Trotz dieser Grenzen vermittelt eine Checkliste wie die PEDro-Skala einen schnellen Überblick über die maßgeblichen Qualitätskriterien. Ein weiterer Pluspunkt: Die PEDro-Skala erhält man in deutscher Übersetzung mit ausführlicher Anleitung kostenlos im Internet („Bewertungstools“). Warum also nicht gleich ausprobieren …?


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