Aktuelle Urol 2013; 44(06): 421-422
DOI: 10.1055/s-0033-1363045
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Vesikoureteraler Reflux – Ambulantes Blutdruck-Monitoring sinnvoll bei Nierenvernarbungen?

Contributor(s):
Anna Winters
Fidan et al.
Urology 2013;
81: 173-177
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Publication History

Publication Date:
26 November 2013 (online)

 
 

Entwickeln sich bei Kindern mit vesikoureteralem Reflux ausgeprägte Parenchymschäden, so können diese mit Hypertonie einhergehen. Die Inzidenz einer Hypertonie steigt bei höherem Refluxgrad und mit zunehmendem Alter der Kinder. Fidan et al. aus Ankara, Türkei, fanden, dass die Detektionsrate der Hypertonie bei Anwendung ambulanter 24-Stunden-Messung im Vergleich zur manuellen Messung in der Praxis signifikant überlegen ist.
Urology 2013; 81: 173–177

mit Kommentar

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Zur Diagnose einer Hypertonie sollte bei Kindern und Jugendlichen eine ambulantes Blutdruck-Monitoring erfolgen. (© Sven Hoppe / Fotolia.com)

Vesikoureteraler Reflux (VUR) bei Kindern kann zur Refluxnephropathie und in schweren Fällen zu Hypertonie und selten sogar zu späterem Nierenversagen führen, wobei der zugrunde liegende Mechanismus sowohl der Vernarbung als auch der Entstehung der Hypertonie nur unzureichend bekannt ist. Die Hypertonie ist bei Kindern mit VUR ein ernst zu nehmender Risikofaktor für die Entwicklung einer Niereninsuffizienz, dessen frühzeitige Detektion daher von großer Wichtigkeit ist. Bei der einmaligen Messungen in der Praxis kann der "Weißkittel-Effekt" zu falsch-positiven Ergebnissen führen, und zudem wird die bei Kindern häufige nokturne systolische Hypertonie hier nicht erfasst. Fidan et al. untersuchten die Wertigkeit des ambulanten Blutdruck-Monitoring (ABDM) bei Kindern mit VUR.

An der Studie nahmen Kinder 240 Kinder mit bekanntem VUR teil, die regelmäßig in der nephrologischen Ambulanz der Gazi Universität in Ankara untersucht wurden. Das Durchschnittsalter lag bei 7,1 Jahren (1–19 Jahre), 63 % der Patienten waren Mädchen. Parenchymnarben wurden szintigrafisch (99mTc-DMSA) bei 115 der 240 Kinder nachgewiesen und in verschiedene Schweregrade eingeteilt. Während des durchschnittlich 2-jährigen Follow-up wurde der Blutdruck sowohl manuell als auch mittels ambulantem 24-h-Blutdruck-Monitoring (ABDM) ermittelt.

Bluthochdruckrate im Laufe des Follow-up verdoppelt

Die Vernarbungsrate und der Bluthochdruck korrelierten mit der Schwere des VUR. Zu Beginn der Studie wurde bei 13 von 240 Kindern ein Hypertonus nachgewiesen, und alle betroffenen Kinder hatten Parenchymnarben. Die meisten Kinder mit Hypertonie hatten einen hochgradigen VUR (Grad 4–5). Zu Beginn der Untersuchung wurde somit bei insgesamt 5,4 % der Kinder Bluthochdruck diagnostiziert, im Verlauf der Studie wurden weitere 17 Fälle von Hypertonie nachgewiesen, die Rate verdoppelte sich somit zum Ende des Follow-up nach 24 Monaten auf 12,5 %. Neue Vernarbungen fanden die Ärzte im Studienverlauf nicht.


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ABDM identifiziert zuverlässiger

Die manuelle Blutdruckmessung allein deckte nur 6 der 17 neuen Bluthochdruck-Patienten auf. Ohne das 24-Stunden-Monitoring wäre die Hypertonie demnach bei 65 % der Kinder zunächst unentdeckt geblieben.

Fazit

Kinder mit hochgradigem VUR und renalen Vernarbungen haben ein hohes Risiko für das entstehen einer Hypertonie. Die Hypertonie korrelierte in dieser Studie mit der Schwere der Vernarbung und trat im Verlauf von 2 Jahren mit zunehmendem Alter häufiger auf. Die Autoren weisen darauf hin, dass zur Diagnose einer Hypertonie ein 24-Stunden-Monitoring der manuellen Messung deutlich überlegen ist.


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Kommentar

Goldstandard bei der Diagnostik der Hypertonie

In der Arbeit von Fidan et al. wird über den Nachweis und die Häufigkeit einer arteriellen Hypertonie bei 240 Kindern und Jugendlichen mit Nachweis von refluxassoziierten narbigen Nierenveränderungen berichtet. Patienten, die andere mögliche Ursachen für eine arterielle Hypertonie aufwiesen, sind in die Studie nicht einbezogen worden. Leider wird dies in der Beschreibung des Patientenkollektivs nicht detaillierter erläutert.

Die Blutdruckdiagnostik basiert bei allen Patienten auf der klassischen auskultatorischen Messmethode nach Riva Rocci, 48 % der Patienten wurden zusätzlich mit 24-Stunden-Blutdruckmessungen (Ambulante Blutdruckmessung, ABDM) untersucht. Bei der Auswertung der ABDM wurden neben der Bewertung der mittleren Blutdruckwerte über den gesamten Messzeitraum sowie der Mittelwerte am Tag und in der Nacht auch der Blutdruck-Load (Prozentsatz der Blutdruckwerte höher als die 95. Perzentile für das korrespondierende Alter, Geschlecht und Körperhöhe) mit einbezogen (Hypertonie bei einem Blutdruck-Load >25 % der Grenzwerte). Wenn in der ABDM der Blutdruck-Load mehr als 50 % beträgt, besteht nachweislich auch im Kindes- und Jugendalter ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer linksventrikulären Hypertonie [ 1 ]. In der vorliegenden Arbeit wird mit Recht betont, dass die ABDM ein sensibleres Instrument zur Diagnose einer Hypertonie im Vergleich zu Einzelmessungen nach Riva Rocci darstellt. Die ABDM ist im Kindes- und Jugendalter der "Goldstandard" bei der Diagnostik und Behandlung einer Hypertonie mit dem Ziel, bereits in jungem Lebensalter das kardiovaskuläre Risiko zu senken [ 2 ].

Viele Daten fehlen

Die Studie zeigt eindrücklich, dass das Risiko für die Entwicklung von Nierennarben und Folgeerkrankungen abhängig ist vom Grad des VUR. Eine Hypertonie wird v.a. bei Patienten mit VUR Grad 4 und 5 und Nierennarben diagnostiziert. Ein hoher Prozentsatz der Patienten in dieser Studie zeigt einen beidseitigen Reflux (69 von 115 Patienten). Patienten mit beidseitigem, dilatierendem Reflux sind bedroht von einer Niereninsuffizienz. Hierzu fehlen leider klinische Daten in der Studie (Kreatininwerte, eGFR). Eine Abgrenzung von kongenitaler Refluxnephropathie (RN, Assoziation von VUR und Dysplasie) und erworbener RN (Nierennarben nach HWI bei VUR) fehlt ebenfalls. Zu der Problematik von Harnwegsinfektionen, erworbenen Nierenschäden und auch zu operativen Maßnahmen im Kollektiv gibt es keine Daten. Leider fehlen auch Angaben zum Geschlecht der Patienten mit Hypertonie. Jungen mit kongenitaler Refluxnephropathie sind als junge Erwachsenene häufiger bedroht von Hypertonie, Proteinurie und Niereninsuffizienz [ 3 ]. Die kongenitale Dysplasie in Assoziation mit einem hochgradigen VUR ist pathogenetisch wahrscheinlich sehr bedeutsam.

Jährliche Kontrollen wichtig

Die Arbeit von Fidan et al. zeigt, dass das Hypertonierisiko bei Kindern mit Refluxnephropathie mit steigendem Lebensalter zunimmt. Auch andere Arbeiten beschreiben, dass bei diesen Kindern eine Hypertonie nur selten vor der Pubertät diagnostiziert wird [ 4 ]. Die Arbeitsgruppe von Simoes e Silva berichtete über Langzeitergebnisse von 664 Patienten mit VUR und Nierennarben und ermittelte Wahrscheinlichkeitswerte für die Entwicklung einer arteriellen Hypertonie: 2 % für 10-jährige, 6 % für 15-jährige und 15 % für 21-jährige. Bei bilateralen Parenchymnarben steigt das Hypertonierisiko deutlich an. Die American Urological Association veröffentlichte 2010 Empfehlungen für die langfristige Nachsorge von Kindern mit primärem VUR [ 5 ]. Jährliche Kontrollen sollen beinhalten: Größe, Gewicht, Blutdruck, Serumkreatinin (mit Bestimmung der eGFR) und Urinanalysen (Proteinurie, Bakteriurie).

Dr. Eberhard Kuwertz-Bröking, Münster


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Dr. Eberhard Kuwertz-Bröking


ist Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Kinderund Jugendmedizin des Universitätsklinikums Münster

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Zur Diagnose einer Hypertonie sollte bei Kindern und Jugendlichen eine ambulantes Blutdruck-Monitoring erfolgen. (© Sven Hoppe / Fotolia.com)