Schenker ML et al.
Does timing to operative debridement affect infectious complications in open long-bone
fractures? A systematic review.
J Bone Joint Surg Am 2012;
94: 1057-1064
Bestehende Leitlinien empfehlen eine Notversorgung offener Frakturen mit chirurgischem
Debridement innerhalb von sechs Stunden nach Trauma. Ziel der Studie von Schenker
et al. war es, systematisch den Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt des operativen
Eingriffs und konsekutiv auftretenden Infektionen zu ermitteln.
Schenker ML et al. Does timing to operative debridement affect infectious complications
in open long-bone fractures? A systematic review. J Bone Joint Surg Am 2012; 94: 1057–1064
Methodik
Die Autoren durchsuchten für ihre Studie die literarischen Datenbanken von MEDLINE,
EMBASE und Cochrane sowie bestehende bibliothekarische Bestände. Dabei schlossen sie
randomisierte Versuche und Kohortenstudien (retro- und prospektiv), die den Zusammenhang
zwischen der Zeit bis zur operativen Versorgung und Infektionen bei offenen Frakturen
beleuchteten, ein. Beschreibende oder mengenbezogene Angaben wurden nicht in die Untersuchung
mit aufgenommen. Mit Hilfe eines "random effects model" wurde daraufhin eine Meta-Analyse
durchgeführt.
Ergebnisse
Es fanden sich initial 885 Literaturhinweise. Davon wurden 173 Beiträge einer näheren
Betrachtung hinsichtlich der Fragestellung unterzogen. Aus diesen wiederum konnten
lediglich 16 eingeschlossen werden.
Zwischen einem frühen und späten Debridement offener Frakturen fand sich kein signifikanter
Unterschied bezüglich auftretender Infektionen. Diese Angaben beziehen sich auf die
vorliegenden Grenzwerte der eingeschlossenen Untersuchungen.
Weiterhin zweigte sich bei näherer Betrachtung der einzelnen Untergruppen kein signifikanter
Unterschied. Die einzelnen Untergruppen waren hier klassifiziert nach der Verletzungsschwere
(Gustilo- Anderson), Infektionstiefe oder Lokalisation bzw. dem Evidenzgrad der Studien.
(© Thieme Verlagsgruppe; Fotograf / Grafiker: Alexander Fischer)
Kommentar
Das Zeitmanagement bei der Behandlung der offenen Frakturen erscheint uns nach heutigem
Wissensstand eigentlich geklärt (Versorgung und Debridement so schnell wie möglich).
So mutet die bestehende Fragestellung eher einem "alten Hut" an als einem drängenden
aktuellen Problem.
Dennoch zeigt sich insbesondere anhand der vorliegenden Meta-Analyse, dass gerade
einmal 16 Studien von über 800 Literaturhinweisen verwertbare Informationen liefern.
Ein in der offenen Frakturversorgung bestehendes "Gesetz" der "6-Stunden-Regel", die
bereits im späten 19. Jahrhundert aufgestellt wurde, erscheint letztlich als unbewiesen.
Die von den Autoren geforderten weiterführenden Studien sind notwendig. Insbesondere
betrifft dies die modifizierbaren Risikofaktoren, etwa den Zeitpunkt und die Qualität
des primären Managements. Doch dies ist kein triviales Unterfangen aufgrund der Vielzahl
von Parametern und der vielschichtigen Effekte auf die Infektionsrate offener Frakturen.
Aus diesem Grund tun wir gut daran, uns derzeit weiterhin an der 6-Stunden-Regel zu
orientieren und potenzielle Zeitverluste bis zur Primärbehandlung offener Frakturen
zu minimieren.