Dialyse aktuell 2013; 17(10): 576-577
DOI: 10.1055/s-0033-1363873
Forum der Industrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

5. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) – Oxidativer Stress und kardiovaskuläre Erkrankungen bei Dialysepatienten – Aktuelles Wissen und Therapie

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20 January 2014 (online)

 
 

Patienten mit chronischer Nierenerkrankung (CKD), insbesondere Dialysepatienten, haben eine sehr hohe kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität. Diese korrelieren mit dem Verkalkungszustand der Patienten. Auffällig stark und schon lange bekannt ist der Zusammenhang mit hohen Serum-Phosphat-Spiegeln [ 1 ], sodass die Phosphatsenkung eines der wichtigsten Therapieziele darstellt. Verschiedene neue Studien bestätigten die Mortalitätsreduktion von HD-Patienten (HD: Hämodialyse) durch Phosphatbindertherapien [ 2 ].

Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der kalzium- und metallfreien Phosphatbindung mit Sevelamer, da eine unnötige Kalziumbelastung, aber auch oxidativer intrazellulärer Stress die Kalzifizierung bei diesen Patienten deutlich beschleunigen. Auf dem Symposium der Firma Sanofi auf der 5. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) wurde diskutiert, inwieweit Sevelamer auch den oxidativen Stress senken und somit zu einer verbesserten kardiovaskulären Gesundheit der Patienten beitragen kann.

Neue Studien belegen den Nutzen der kalziumfreien Phosphatbindertherapie

Eine Outcomeverbesserung durch Sevelamer wurde in verschiedenen aktuellen Erhebungen nachgewiesen. Eine Metaanalyse der Mortalitätsdaten von 11 randomisierten und 3 nicht randomisierten Studien [ 3 ] ergab für Dialysepatienten einen signifikanten Benefit einer kalziumfreien Phosphatbindertherapie (Abb. [ 1 ]). Die überwiegende Mehrzahl der Studien war mit Sevelamer durchgeführt worden. Aus den 11 randomisierten Studien konnten 4622 Patienten (936 verstorben) ausgewertet werden, aus den 3 anderen Studien gingen die Daten von 2813 Patienten (791 Todesfälle) in die Analyse ein. Während in den nicht randomisierten Studien die Senkung der Mortalität durch die kalzium- und metallfreien Phosphatbinder (PB) 11 % (RR 0,89) betrug, errechnete sich in den randomisierten Studien eine Mortalitätsreduktion von 22 % (RR 0,78). Diese Ergebnisse waren unabhängig vom Grad der Phosphatsenkung.

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Abb. 1 Eine Metaanalyse von Jamal et al. ergab für Dialysepatienten einen signifikanten Benefit einer kalziumfreien Phosphatbindertherapie.
nach [ 3 ]

Die Outcomeverbesserung durch Sevelamer bestätige sich auch in einer großen Multicenterstudie [ 4 ], die wie PD Vincent Brandenburg, Aachen, betonte, noch nicht in die Metaanalyse von Jamal et al. [ 3 ] eingegangen war. In der randomisierten und kontrollierten Studie von Di Iorio et al. erhielten 466 inzidente Dialysepatienten (HD-Dauer < 120 Tage) über 2 Jahre entweder Sevelamer (n = 232) oder Kalziumkarbonat (n = 234). Angestrebt wurden ein Serumphosphat von 2,7–5,5 mg/dl und ein Kalziumspiegel von 8,0–9,9 mg/dl. Der Follow-up lag bei 3 Jahren, harte Endpunkte waren die kardiovaskuläre Mortalität und die Gesamtmortalität.

Im Ergebnis hatten Patienten der Sevelamergruppe gegenüber der Kalziumgruppe ein 4-mal geringeres Gesamtmortalitätsrisiko: Während der Nachbeobachtung verstarben in der Sevelamergruppe 28, in der Gruppe mit kalziumhaltigen Phosphatbindern dagegen 100 Patienten (HR 0,23; p < 0,001). Die Zahl letaler kardiovaskulärer Ereignisse betrug dabei in der Sevelamergruppe 9, in der Kalziumgruppe 79. Dies entsprach einer 10-fachen Reduktion der kardiovaskulären Mortalität.

Di Iorio et al. hatten im Vorjahr in ähnlichem Studiendesign den Effekt der kalzium- und metallfreien Phosphatbindertherapie auf das Outcome von Prädialysepatienten [ 5 ] untersucht: 239 CKD-Patienten erhielten randomisiert entweder Sevelamer (n = 107) oder einen kalziumhaltigen PB (n = 105). Der Zielbereich des Serumphosphates bei CKD 3–4 war 2,7–4,6 mg/dl und 3,5–5,5 mg/dl bei CKD 5. Auch diese Patienten profitierten von einer Sevelamertherapie, ihre Gesamtmortalität war signifikant niedriger: In 36 Monaten erreichten 12 von 107 den primären Endpunkt (Tod) vs. 22 von 105 Patienten in der Kalziumgruppe (p < 0,05). Das spräche für eine frühzeitige PB-Therapie.

Hierzu erwähnte Brandenburg eine Untersuchung von Block et al. [ 6 ], die scheinbar im Widerspruch zu diesen Daten steht, da sie im Ergebnis keinen vorteilhaften Effekt der frühzeitigen PB-Therapien zeigen konnte. Hier sei, so Brandenburg, "ein kritischer Blick hinter die Kulissen erforderlich": So gingen nämlich in die Auswertung alle Arten von PB ein und wurden in toto analysiert. Wenn auch für eine statistisch valide Subgruppenanalyse die Patientenzahlen zu gering waren, fiele doch auf, dass es die kalziumhaltigen PB waren, die zu diesem negativen Gesamtergebnis geführt hatten.


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Ursachen der hohen Mortalität bei CKD-Patienten

Mit der sehr hohen Mortalität von CKD- und insbesondere Dialysepatienten korreliert die hohe Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen bzw. Kalzifizierungen [ 7 ], die bei 80 % der Hämodialysepatienten zu finden sind [ 8 ]. Kalzifizierungen sind für das kardiovaskuläre Risiko bedeutsamer als andere Faktoren wie Hypertonus oder die Lipide [ 9 ]. Bei den Patienten kommt es nicht nur zur klassischen Intimaverkalkung, sondern besonders zu einer Verkalkung der Gefäßmedia und somit neben einer Stenosierung zur gleichzeitigen Versteifung der Gefäße. So korreliert die gemessene Pulswellengeschwindigkeit als Maß der arteriellen Steifheit direkt mit der Mortalität [ 10 ], wie Prof. Frank Strutz, Wiesbaden, erklärte.

Es resultieren Komorbiditäten wie koronare Herzkrankheit, periphere arterielle Verschlusskrankheit, zerebrale Ischämie, Aortenaneurysmen, erektile Dysfunktion und Shuntprobleme (für HD-Patienten von besonderer Bedeutung). Die Gefäßkalzifizierungen führen nicht nur zu den genannten Problemen und erhöhen die Mortalität, sondern beschleunigen bei Prädialysepatienten oft auch die Progression der renalen Grunderkrankung. Bei terminal niereninsuffizienten Patienten vermindern sie aus operationstechnischen Gründen nicht selten die Chance auf eine Nierentransplantation.

Nicht nur die Gefäße, sondern auch das Herz weist bei CKD-Patienten unter urämischen Milieubedingungen häufig schwere gewebliche Veränderungen auf [ 11 ], erläuterte Brandenburg. Es kommt im Myokard zur Aufhebung normaler Strukturen, zur Entstehung großer Fibroseareale und zum Verlust einer normalen Leitfähigkeit mit in der Folge ausgeprägter Arrhythmieneigung. Darüber hinaus resultiert eine diastolischen Relaxationsstörung mit Füllungsproblematik bei erhaltener Ejektionsfraktion. Eine diastolische Funktionsstörung lässt sich dopplerechografisch messen und ist oft bei CKD-Patienten nachweisbar [ 12 ]. Zusätzlich finden sich häufig Kalzifikationen bzw. Stenosen der Aortenklappe, die den linksventrikulären Druck, zusätzlich zu einer oft vorhandenen Hypertonie, erhöhen und die kardiale Hypertrophie vorantreiben [ 13 ].

In ihrer Gesamtheit führen die kardialen Schäden zu einem überprozentual häufigen Auftreten des plötzlichen Herztodes bei Dialysepatienten [ 14 ].


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Klassische Ursachen der Kalzifizierung und oxidativer Stress

Neben Phosphat und Kalzium rücken in den letzten Jahren zunehmend weitere, teilweise "altbekannte", aber auch neue Parameter in den pathophysiologischen Mittelpunkt der Kalzifizierung. Gemeinsam ist vielen dieser Faktoren ein kausaler Zusammenhang mit intrazellulärem oxidativem Stress, bei dem das Gleichgewicht zwischen Radikalbildung und Antioxidanzien gestört ist. Schon eine milde Hyperurikämie, so Strutz, geht via Aktivierung der NADH-Oxigenase, mitochondrialer und endothelialer Dysfunktion mit der Zunahme des oxidativen Stresses einher [ 15 ].

Neben dem LDL-Cholesterin als klassischem Kalzifizierungsrisikofaktor trägt in der Urämie auch eine Modifikation der normalen Funktionen des HDL-Cholesterins zum oxidativen Stress bei [ 16 ]: HDL verliert seine gefäßprotektive Wirkung, fördert stattdessen die Inflammation und senkt die Stickstoffmonoxidverfügbarkeit, was eine direkte Zunahme oxidativer Prozesse bedeutet.

Der oxidative Stress bzw. der Verlust des intrazellulären Antioxidanziengleichgewichtes führt zur Zunahme der Bildung von AGEs (Advanced Glycation Endproducts). Diese sind nicht nur bei CKD-Patienten zu finden, sondern auch bei diabetischer Stoffwechsellage, klassischer Atherosklerose und normalen Alterungsprozessen. Dabei reagieren Zuckerreste mit freien Aminogruppen von Lysin oder Arginin, es entsteht Pentosidin, Methylgloxal und andere AGEs, die im Blut der Patienten nachweisbar sind. In der Folge kommt es z. B. durch reduzierte Kollagenelastizität bzw. Quervernetzung verschiedener Proteine zu Progredienz vaskulärer und renaler Schäden sowie auch zur Kataraktentstehung oder Gelenkversteifung.


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Sevelamer reduziert oxidativen Stress

Die multifaktorielle Pathogenese urämischer kardiovaskulärer Schäden erfordert, so Strutz, einen multifaktoriellen, therapeutischen Ansatz. So sollte bei CKD-Patienten neben der Phosphatkontrolle, Blutdruck- und Diabeteseinstellung stets auch eine günstige Beeinflussung der Faktoren des oxidativen Stresses erfolgen, was mit Sevelamer möglich ist [ 17 ]]. Viele Studien zeigten, dass Sevelamer das LDL-Cholesterin um 20–37 % reduziert [ 18 ], den Harnsäurespiegel [ 19 ] und Inflammationsmarker wie IL-6 und das CrP [ 20 ], [ 21 ] senkt, durch eine AGE-Rezeptor-Induktion die AGE-Clearance verbessert [ 22 ], [ 23 ] und die Fetuin-A-Konzentration im Serum [ 21 ] erhöht.

Sevelamer, "dessen Datenlage unter den Phosphatbindern derzeit mit Abstand am größten ist", so Strutz, kann also durch Phosphatsenkung, Kalziumfreiheit und seine pleiotropen Effekte einen 3-fachen Beitrag in der Behandlung von CKD- und Dialysepatienten leisten, was sich in den Ergebnissen der eingangs vorgestellten Mortalitätsstudien [ 3 ], [ 4 ], [ 5 ] auch niedergeschlagen hat. Denn Sevelamer ist der einzige Phosphatbinder, der Überlebensdaten für Prädialyse- und Dialysepatienten liefert [ 4 ], [ 5 ]. Verglichen mit kalziumhaltigen Phosphatbindern, so Brandenburg, geben die neuen Mortalitätsdaten "einen starken Hinweis darauf, dass wir den Patienten mit kalziumfreien Phosphatbindern etwas Gutes tun." Die Ergebnisse der Metaanalyse unterstützen die Erfahrungen aus mittlerweile mehr als 15 Jahren klinischer Forschung, mehr als 600 wissenschaftlichen Publikationen und der praktischen Anwendung aus mehr als 2 Millionen Patientenjahren mit Sevelamerkarbonat [ 24 ].

Dr. Martina Berthold, Weimar

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main.
Die Beitragsinhalte stammen vom Symposium "Oxidativer Stress – Key-Player der kardiovaskulären Mortalität bei CKD?", 06.10.2013, unterstützt von der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main, auf der 5. Jahrestagung der DGfN, Berlin.
Die Autorin ist Mitarbeiterin bei albersconcept, Weimar.


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  • Literatur

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