Einleitung
Die chronisch obstruktive Bronchitis (COPD) ist durch eine chronische, meist progrediente
Bronchialobstruktion und Destruktion des Lungenparenchyms mit Ausbildung eines Lungenemphysems
charakterisiert [1]. Bei diesem Prozess kommt es neben einem Verlust von Alveolarsepten zu einer Rarifizierung
der pulmonalen Kapillaren. Liebow konnte bereits in den fünfziger Jahren zeigen, dass
Lungen, die emphysematös verändert waren, weniger Blutgefäße aufweisen [2]. Weiterhin wurde nachgewiesen, dass der Verlust von Alveolarsepten durch eine gesteigerte
Apoptose induziert wird [3] und dass ein Emphysem durch eine relative Verarmung an Blutgefäßen charakterisiert
ist [4]
[5]
[6]. Tang et al. entwickelten das Konzept des Verlustes von Kapillaren über den Mechanismus
der Apoptose von Endothelzellen beim Emphysem [7]. Kanazawa et al. fanden erhöhte Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF)-Werte
im Sputum von COPD-Patienten und verminderte Werte im Sputum von Emphysempatienten.
VEGF war negativ mit dem FEV1 bei Patienten mit COPD und positiv bei Patienten mit Emphysem korreliert. Zudem konnten
sie eine Assoziation zwischen hohen VEGF-Werten und besserem Gasaustausch, gemessen
mit Hilfe der DLCO, zeigen [8]. Diese Befunde sind weitere Hinweise auf eine Relevanz pulmonaler Blutgefäße bei
der COPD.
Die strukturellen Veränderungen haben funktionelle Konsequenzen, die mit Hilfe von
Lungenfunktionsuntersuchungen quantifizierbar sind. Die etablierten lungenfunktionellen
Untersuchungen messen vorwiegend Einschränkungen der Ventilation und global der Diffusion.
Veränderungen des kapillären Blutvolumens sind bisher nicht Gegenstand der lungenfunktionsanalytischen
Diagnostik. Die Bedeutung dieser Veränderungen ist für Patienten mit COPD nur unzureichend
charakterisiert.
Die Diffusionskapazität (DLCO) wird im klinischen Alltag meist mit der Single-Breath-Methode
mit Kohlenmonoxid (CO) als Testgas bestimmt. Roughton und Forster [9] erstellten ein Modell, welches beschreibt, dass sich der totale Diffusionswiderstand
1/DLCO aus zwei Widerständen zusammensetzt: dem Widerstand der alveolo-kapillären
Membran (1/Dm) und dem reaktiven Widerstand des Blutes in den Alveolarkapillaren (1/θ × Qc × [Hb]).
Dm = Membranleitfähigkeit, Qc = effektives kapilläres Blutvolumen in ml, [Hb] = Hämoglobinkonzentration,
Θ = Konstante der CO-Aufnahmerate der Erythrozyten pro ml normalem Blut in µmol ×
s-1 × ml-1
[10].
Als Methode zur Bestimmung der Membrankomponente (Dm) und des kapillären Blutvolumens
(Vc) wurde in den letzten Jahren die Diffusionsmessung mit Stickstoffmonoxid (NO)
als Testgas entwickelt (DLNO). Der Untersuchungsablauf ähnelt der DLCO-Messung. DLNO
wird während eines Single-Breath-Manövers mit einer identischen Atemanhaltezeit gemessen.
Da die Reaktionsrate von Hämoglobin, die nach HB-Korrektur mit dem pulmonalen kapillären
Blutvolumen gleichgesetzt wird, mit NO ca. 1400 Mal schneller ist als mit CO, wird
DLNO vernachlässigbar von Änderungen des kapillären Blutvolumens beeinflusst. DLNO
entspricht somit im Zweikomponentenmodell der pulmonalen Diffusionskapazität dem Membranfaktor
Dm und wird nur durch Dm limitiert. Die Differenz zwischen DLCO und DLNO ermöglicht
dann eine Berechnung von Vc [11].
Bei einer COPD ist DLCO schweregradabhängig eingeschränkt [10]
[14]. Mit diesen Untersuchungen sollten mit Hilfe der Messung von DLNO zur Berechnung
der Membrankomponente Dm und des kapillären Blutvolumens Vc charakterisiert werden,
welche Komponenten der Diffusionskapazität an dieser Einschränkung in den einzelnen
Stadien beteiligt sind.
Patienten und Methodik
Es wurden 183 Patienten mit einer COPD (Diagnostik entsprechend der GOLD-Kriterien
[1]) prospektiv in die Untersuchung eingeschlossen. Die Schweregradeinteilung erfolgte
FEV1-basiert entsprechend der GOLD-Empfehlungen [1]. Es wurden 27 Patienten mit leichtgradiger (Gruppe 1), 109 Patienten mit mittelgradiger
(moderat) (Gruppe 2), 37 mit schwerer (Gruppe 3) und 10 mit sehr schwerer (Gruppe
4) COPD untersucht ([Tab. 1]).
Tab. 1
Patientencharakteristika.
COPD-Schweregrad
|
leicht
|
moderat
|
schwer
|
sehr schwer
|
Alter
|
63,7 ± 10,1
|
66,5 ± 10,6
|
65,1 ± 9,2
|
57,2 ± 5,8
|
Geschlecht (w/m)
|
11/16
|
21/89
|
8/29
|
2/8
|
Größe (cm)
|
169,6 ± 9,3
|
172,4 ± 8,9
|
173,0 ± 7,5
|
174,6 ± 8,3
|
Gewicht (kg)
|
78,2 ± 22,0
|
82,0 ± 17,5
|
81,7 ± 24,0
|
74 ± 10,1
|
BMI (kg/m2)
|
27,0 ± 6,2
|
27,6 ± 5,5
|
27,4 ± 8,1
|
24,7 ± 4,6
|
Ausschlusskriterien waren Asthma bronchiale, Herzinsuffizienz (EF < 50 %), akute Lungenarterienembolie,
akuter Myokardinfarkt, signifikantes Vitium cordis, andere strukturelle Lungenerkrankungen
(Fibrosen u. a.) und die Leberzirrhose.
Es wurden Alter, Geschlecht, Größe, Gewicht, Nikotinkonsum (pack years) sowie Begleiterkrankungen
und Medikation dokumentiert. Danach erfolgten lungenfunktionelle Untersuchungen mit
Spirometrie, Fluss-Volumen-Kurve und Ganzkörperplethysmografie (MasterScreenPro®, Fa. Viasys) entsprechend der üblichen Standards. Die Messungen der Diffusionskapazität
erfolgten mit der Single-Breath-Methode für CO und zusätzlich für NO zur Charakterisierung
von Dm und Vc (Fa. Viasys MS PFT Pro®). Die Messwerte wurden in % der jeweiligen individuellen Sollwerte berechnet. Die
in diesem Arbeitsplatz hinterlegten individuellen Sollwerte basieren auf Untersuchungen
von Crapo und Crapo [14] und sind auf deren Grundlage teilweise extrapoliert.
Statistik: Es erfolgten eine Varianzanalyse für unabhängige Stichproben, Mehrfachvergleiche
nach Bonferroni und eine Korrelationsanalyse nach Pearson nach vorangegangener Testung
auf Normalverteilung. Eine Irrtumswahrscheinlichkeit (α-Fehler) von p < 0.05 wurde
als statistisch signifikant betrachtet. Bei multiplen Korrelationen erfolgte eine
entsprechende Adjustierung des Signifikanzniveaus. Die statistische Auswertung erfolgte
mit Hilfe des Programms WinSTAT®.
Ergebnisse
Die pulmonale Diffusionskapazität (DLCO) zeigte eine schweregradabhängige Abnahme
([Abb. 1a] und [1 b]). Ebenso nahmen sowohl der Membranfaktor (Dm) als auch das kapilläre Blutvolumen
(Vc) schweregradabhängig ab. Beide Teilkomponenten der pulmonalen Diffusionskapazität
korrelierten statistisch hoch signifikant positiv mit dem FEV1. Mit abnehmendem FEV1 nehmen auch Dm und Vc ab. So betrug für die Korrelation zwischen FEV1 und Dm r = 0,52 (p < 0,001) und für die Korrelation zwischen FEV1 und Vc r = 0,47 (p < 0,001). Es bestanden statistisch signifikante Unterschiede sowohl
für Dm als auch für Vc zwischen den Gruppen 1 und 2 bzw. 1 und 3, 1 und 4, 2 und 3
sowie 2 und 4 (p jeweils < 0,001). Hingegen waren keine signifikanten Unterschiede
zwischen den Patienten mit schwerer (GOLD III) und mit sehr schwerer COPD (GOLD IV)
nachweisbar ([Abb. 2 – 3]).
Abb. 1 Pulmonale Diffusionskapazität für CO (DLCO) bei Patienten mit COPD unterschiedlicher
Schweregrade (Statistik im Text).
Abb. 2 Membrankomponente der pulmonalen Diffusionskapazität (Dm) bei Patienten mit COPD
unterschiedlicher Schweregrade (Statistik im Text).
Abb. 3 Pulmonales kapilläres Blutvolumen (Vc) bei Patienten mit COPD unterschiedlicher Schweregrade
(Statistik im Text).
Die Quotienten aus der jeweiligen Einschränkung von Dm und Vc (Dm/Vc) zeigten das
Verhältnis der Einschränkungen der einzelnen Teilkomponenten. Dm/Vc war schwach signifikant
negativ mit dem FEV1 korreliert. Mit abnehmendem FEV1 nahm Dm/Vc diskret zu (r = – 0,12) (p < 0,05). Dm/Vc war bei der Mehrzahl der Patienten
schweregradunabhängig > 1. Somit überwiegt schweregradunabhängig die Einschränkung
von Vc über die Einschränkung von Dm. Signifikante Unterschiede zugunsten eines Überwiegens
der Vc-Einschränkung bestanden zwischen den GOLD-Gruppen 1 und 4 (p < 0,01) sowie
2 und 4 (p < 0,001) ([Abb. 4]).
Abb. 4 Verhältnis der Einschränkung des pulmonalen kapillären Blutvolumens und der Einschränkung
der Membrankomponente der pulmonalen Diffusionskapazität (Dm/Vc) bei Patienten mit
COPD unterschiedlicher Schweregrade (Statistik im Text).
Diskussion
Neben der globalen Diffusionskapazität sind bei der COPD auch die Teilkomponenten
der pulmonalen Diffusion, der Membranfaktor (Dm) und das kapilläre Volumen (Vc) schweregradabhängig
reduziert. Bereits bei Patienten mit leichtgradiger COPD war eine Einschränkung beider
Komponenten der Diffusionskapazität nachweisbar.
Bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten war in allen COPD-Schweregraden das pulmonale
kapilläre Volumen (Vc) im Vergleich zum Membranfaktor (Dm) stärker eingeschränkt.
Die Reduktion des kapillären Volumens Vc trägt demnach bei Patienten mit COPD unabhängig
vom Schweregrad der Erkrankung zur Reduktion der gesamten Diffusionskapazität stärker
bei als der Membranfaktor. Das Überwiegen der Vc-Einschränkung gegenüber der Dm-Reduktion
war bei den Patienten mit schwerer COPD (GOLD-Stadium 4) im Vergleich zu den leichtergradig
erkrankten (GOLD 1 und 2) statistisch signifikant stärker ausgeprägt. Der von mehreren
oben genannten Arbeitsgruppen morphologisch gezeigte und pathogenetisch begründete
Aspekt des Verlustes von pulmonalen Kapillaren bei COPD und Emphysem [2]
[4]
[5]
[6] hat, wie diese Ergebnisse zeigten, für die Patienten eine funktionelle Konsequenz.
Die vaskuläre Komponente der Diffusionseinschränkung ist besonders bei Patienten mit
schwerer COPD überwiegend.
Die in der vaskulären Theorie zur Entstehung des Emphysems [2] im Fokus stehende Rarifizierung pulmonaler Kapillaren wird hinsichtlich der funktionellen
Konsequenz durch die Ergebnisse der Funktionsdiagnostik gestützt. Die u. a. von Santos
et al. beschriebene Steigerung der VEGF-Konzentration im Sputum bei Patienten mit
leichtgradiger COPD könnte einen reparativen Mechanismus vermuten lassen. Mit unseren
Daten kann nicht ausgeschlossen werden, dass die in dieser Arbeit vermutete Vermehrung
der Kapillaren in der Bronchialschleimhaut stattfindet [12] und dass sich entgegengesetzt im Lungenparenchym die in ihrer funktionellen Konsequenz
beobachtete kapilläre Rarifizierung abspielt. Die relative Kontribution von Gefäßuntergang
und -neubildung in Abhängigkeit von den betroffenen Kompartimenten bleibt zukünftigen
Untersuchungen vorbehalten.
Eine Limitierung der vorliegenden Untersuchungen ist die geringere Patientenzahl in
der Gruppe der schwergradigen COPD. Dies war durch die bekannte Tatsache bedingt,
dass es diesen Patienten aufgrund der erforderlichen Atemanhaltezeit und Vitalkapazität
oft nicht möglich ist, die Untersuchung korrekt durchzuführen. Wir sehen die prinzipielle
Aussage der Untersuchungen dadurch aber nicht eingeschränkt.
Der Stellenwert der NO-Diffusionsmessung und der Charakterisierung der Teilkomponenten
der Diffusion in der klinischen Praxis ist noch unklar [14]
[15]. Erste Ergebnisse sprechen für einen möglichen Einsatz der NO-Diffusionsmessung
in der sehr frühen Emphysemdiagnostik bei Rauchern [16]. Diese wird durch unsere Untersuchungen gestützt, dass selbst bei leichtgradiger
COPD Veränderungen von Vc und Dm nachweisbar sind. Potenzielle weitere Einsatzgebiete
könnten u. a. die Verlaufsbeurteilung von Patienten mit kardialen und pulmonalen Einschränkungen
sein. Dies bleibt jedoch zukünftigen Untersuchungen vorbehalten.
Die schweregradabhängige Einschränkung der Diffusionskapazität bei Patienten mit einer
COPD ist sowohl durch eine Reduktion der Membrankomponente als auch des kapillären
Blutvolumens bedingt. Diese Veränderungen sind bei allen Schweregraden der COPD nachweisbar
und korrelieren mit dem FEV1. Die Reduktion des pulmonalen kapillären Blutvolumens steht bei allen Schweregraden
der COPD quantitativ im Vordergrund.