Einleitung
Herzinsuffizienz ist vereinfacht definiert die Unfähigkeit des Herzens, die Körperperipherie
mit einem ausreichenden Herzzeitvolumen zu versorgen. Dieses erniedrigte Herzzeitvolumen
impliziert nach klassischer Betrachtungsweise eine Veränderung der Virchow-Trias,
die Veränderungen des Blutflusses, der Endothelbeschaffenheit und der Blutzusammensetzung
zusammenfasst und als prädisponierend für thrombotische Erkrankungen beschreibt. Typische
Veränderungen der Thrombogenese bei Herzinsuffizienz sind in Abb. [1] summiert.
Abb. 1 Antikoagulation und Thrombozytenaggregation bei Herzinsuffizienz: Pathophysiologie
der kardialen Thrombogenese; CRP = C-reaktives Protein, vWF = Von-Willebrand-Faktor
(modifiziert nach [1]).
Auf der Basis von 3 in den 1950er Jahren durchgeführten randomisierten Studien – mit
deutlicher Reduktion der Mortalität herzinsuffizienter Patienten (Übersicht bei [2]) – antikoagulieren viele ältere Kliniker ihre Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz.
Es muss aber angemerkt werden, dass die in diesen Studien untersuchten Patienten überwiegend
an postrheumatischer, valvulärer Herzinsuffizienz (s. u.) erkrankt waren und dass
die Studiendesigns nicht so stringent waren, wie das heute üblich ist.
Das aktuelle Verständnis der Herzinsuffizienz ist das eines Symptomenkomplexes unterschiedlicher
Ätiologie. Hierbei wird die Diagnose Herzinsuffizienz traditionell klinisch als kardial
bedingte Luftnot und Belastungsinsuffizienz gestellt, woraus sich ein ätiologisches
Spektrum von symptomatischem Vorhofflimmern (das bei einer entsprechenden diastolischen
Dysfunktion der Herzinsuffizienz mit erhaltener LV-Funktion zuzuordnen sein kann)
über intrakardiale Raumforderungen bis hin zu Erkrankungen mit höhergradiger Einschränkung
der linksventrikulären Pumpfunktion ergibt. Die Frage, ob bzw. bei welchen Formen
der Herzinsuffizienz eine Antikoagulation sinnvoll ist, bleibt trotzdem aktuell und
wurde in den vergangenen Jahren durch eine Reihe randomisierter Studien untersucht.
In vielen Situationen wurde vor allem der Stellenwert der neuen, direkten oralen Antikoagulanzien
(NOAKs) hinterfragt. Der vorliegende Artikel soll die vorliegende Evidenz für unterschiedliche
Formen der Herzinsuffizienz zusammenfassen und kritisch bewerten.
Herzinsuffizienz mit Vorhofflimmern – was ist besonders zu beachten?
Herzinsuffizienz mit Vorhofflimmern – was ist besonders zu beachten?
Indikation nach Risikoprofil
Bei Vorhofflimmern wird die Antikoagulationsindikation grundsätzlich nach dem Risikoprofil
gestellt, das nach neuesten Leitlinien mit dem CHA2DS2VASc-Score abgeschätzt wird [3]
[4]. Die Herzinsuffizienz – in der Originalpublikation definiert als in letzter Zeit
behandlungswürdige Symptomatik [5] – , in den aktuellen Leitlinien prononciert auf die systolische Herzinsuffizienz
mit EF < 40 %, ist obligat schon ein Risikopunkt im genannten Score. Da bei Herzinsuffizienzpatienten
fast regelhaft Begleiterkrankungen wie Diabetes, Hypertonie, KHK oder ein fortgeschrittenes
Lebensalter vorliegen, ist bei nahezu allen Herzinsuffizienzpatienten mit Vorhofflimmern
eine dauerhafte Antikoagulation indiziert.
Typ des Vorhofflimmerns
Für die Indikation zur Antikoagulation ist es unerheblich, ob die Patienten paroxysmales,
persistierendes oder permanentes Vorhofflimmern haben. Dies konnten Hohnloser und
Mitarbeiter in einer Subanalyse der ACTIVE-W-Studie zeigen [6]: Obwohl die 1202 Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern in dieser Analyse jünger
waren und eine geringere Prävalenz an Herzinsuffizienz oder Diabetes aufwiesen, hatten
sie mit 2,0 %/Jahr eine vergleichbare Thromboembolierate wie die 5495 Patienten mit
permantentem Vorhofflimmern (2,2 %/Jahr). Die plasmatische Antikoagulation mit Kumarinen
war in beiden Kollektiven mit einer vergleichbaren Ereignisreduktion verbunden. Somit
besteht bei jedem Patienten mit Herzinsuffizienz, der anamnestisch bereits eine oder
mehrere stattgehabte Vorhofflimmerepisoden aufweist und sich aktuell im Sinusrhythmus
präsentiert, eine Indikation zur oralen Antikoagulation.
Alle Patienten mit Vorhofflimmern und erhöhtem CHA2DS2VASc-Score, z. B. bei Herzinsuffizienz, werden antikoaguliert – unabhängig vom Typ
des Vorhofflimmerns.
Therapie mit NOAKs
Die Frage, ob NOAKs eine sinnvolle Therapie bei Vorhofflimmern sind, wurde in den
großen Studien RE-LY [7], Rocket-AF [8] und Aristotle [9] überprüft. Die genannten Studien haben grundsätzlich Vorhofflimmerpatienten mit
Thromboembolierisiko eingeschlossen, was im Sinne des in den Studien genutzten CHADS2-Scores zwangsläufig auch zum Einschluss herzinsuffizienter Patienten geführt hat.
Grundergebnis aller Studien war, dass NOAKs im Vergleich zu Kumarinen effektiver sind
und/oder die mit ihnen einhergehende Blutungswahrscheinlichkeit geringer ist, sodass
die aktuellen Leitlinien zur Therapie von Patienten mit Vorhofflimmern NOAKs aufgrund
ihres Nettobenefits Kumarinen vorziehen (Empfehlungsgrad IIb, Evidenzklasse A) [4].
Für die Frage, ob NOAKs bei Patienten mit Herzinsuffizienz sinnvoll sind, sind schlussendlich
aber nicht die Gesamtresultate der Studien entscheidend, sondern die Daten zur Schlaganfallprävention
und die Daten zu Blutungsereignissen in der Subgruppe der Patienten mit Herzinsuffizienz.
Insbesondere nach warnenden Publikationen hinsichtlich vermehrter Blutungen bei kritischer
kranken Patienten [10] und dem daraus resultierenden, im Jahr 2011 verschickten Rote-Hand-Brief zu Pradaxa
[11] erscheint es kritisch, diesen Punkt zu hinterfragen. Die Daten sind in der Regel
nur in Online-Supplements oder Substudien der großen Arbeiten verfügbar (Abb. [2], Abb. [3]). Insgesamt zeigt sich sowohl hinsichtlich des Wirksamkeitsendpunkts (Schlaganfälle/periphere
Embolien) als auch des Sicherheitsendpunkts (Blutungen) ein mit dem Gesamtkollektiv
vergleichbares Ergebnis ohne Hinweis auf Sicherheitsprobleme. Es sei aber darauf hingewiesen,
dass eine Dekompensation einer Herzinsuffizienz fast regelhaft mit einer Verschlechterung
der Nierenfunktion einhergeht. Sollten Patienten mit einer solchen Dekompensation
Dabigatran erhalten, müssen die Nierenwerte engmaschig kontrolliert, die Dosis ggf.
angepasst und das Medikament bei einer GFR < 30 ml/min abgesetzt werden, weil Dabigatran
überwiegend renal eliminiert wird und daher bei schlechter Nierenfunktion kumulieren
kann. Da es hierzu 2011 den erwähnten Rote-Hand-Brief gegeben hat [11], erscheint die Beachtung dieser Maßnahmen auch medizinrechtlich relevant. Die beiden
aktuell verfügbaren oralen Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban und Apixaban sind bis zu einer
GFR von 15 ml/min zugelassen und sollten, sofern nicht parallel eine relevante Leberstoffwechselstörung
vorliegt (der Abbau dieser Medikamente verläuft überwiegend hepatisch, daher sind
sie bei Leberzirrhose in den Stadien Child-Pugh B und C kontraindiziert), unkomplizierter
zu handhaben sein.
Abb. 2 Schlaganfälle oder systemische Embolien bei Patienten mit und ohne Herzinsuffizienz
in den Studien zu neuen Antikoagulanzien.
Abb. 3 Blutungsereignisse bei Patienten mit und ohne Herzinsuffizienz in den Studien zu
neuen Antikoagulanzien.
Patienten mit Vorhofflimmern und Herzinsuffizienz können mit NOAKs behandelt werden.
Regelmäßige Nierenwertkontrollen sind vor allem bei Dekompensationen obligat.
Vorhofflattern und atriale Tachykardien
Vorhofflattern und atriale Tachykardien
Indikation nach Risikoprofil
Die Antikoagulation von Patienten mit Vorhofflattern und atrialen Tachykardien orientiert
sich grundsätzlich an der Behandlung des Vorhofflimmerns. Da Patienten mit Herzinsuffizienz
per se einen erhöhten CHA2DS2VASc-Score aufweisen, ist hier in der Regel auch eine dauerhafte Antikoagulation obligat.
Antikoagulation nach Ablation
Vorhofflattern und atriale Tachykardien, deren medikamentöse Frequenzregulierung erfahrungsgemäß
schlechter gelingt als die des Vorhofflimmerns, werden vermehrt mittels Katheterablation
behandelt. Die Frage, ob nach erfolgreicher Ablationsbehandlung weiter antikoaguliert
werden muss, wird kontrovers diskutiert. Nach Ablation eines isoliert rechtsatrialen,
typischen Vorhofflatterns und längerfristiger Rezidivfreiheit kann eventuell diskutiert
werden, ob die Antikoagulation beendet wird, weil das Substrat der Rhythmusstörung
eindeutig therapiert wurde. Bei linksatrialen Rhythmusstörungen (atypisches Vorhofflattern,
atriale Tachykardien) und/oder hohem CHA2DS2VASc-Score erscheint dagegen die weitere Antikoagulation Vorgehen der Wahl zu sein,
weil der erkrankte Vorhof in der Regel als Substrat der Rhythmusstörung persistiert
und die Rezidivrate nach Ablation höher ist als bei typischem Vorhofflattern. Hierzu
gibt es aber keine klaren Empfehlungen in Leitlinien.
„Valvuläre“ Herzinsuffizienz
„Valvuläre“ Herzinsuffizienz
Im Zusammenhang mit der gesteigerten Aufmerksamkeit gegenüber der Antikoagulation
bei Vorhofflimmern wird die Frage, was „valvuläres“ Vorhofflimmern und in Konsequenz
möglicherweise „valvuläre“ Herzinsuffizienz ist, aktuell immer wieder diskutiert.
Hintergrund ist, dass die NOAKs nur für „non-valvuläres“ Vorhofflimmern getestet und
zugelassen sind, eine Nutzung bei „valvulären“ Erkrankungen also „off-label“ und mindestens
aufklärungspflichtig ist. Daher soll an dieser Stelle auf 2 Sonderfälle hingewiesen
werden:
-
Oft wird vergessen, dass der Terminus „valvuläres Vorhofflimmern“ historisch gesehen
die postrheumatischen Vitien beschreibt. Dabei handelt es sich in der Regel um Mitralstenosen
und seltener Aortenklappenstenosen bei Patienten meist mittleren Alters – und hinsichtlich
ihrer Thromboemboliegefahr um eine eigene Entität: Gemäß epidemiologischen Daten aus
der Framingham-Studie (1982) ist die Thromboemboliegefahr bei alleinigem Vorhofflimmern
5-mal höher als beim Sinusrhythmus, bei Vorhofflimmern und Z. n. rheumatischem Fieber
aber sogar 17-mal höher [12]. In Konsequenz werden Patienten mit höhergradigen Mitralvitien ab einem Durchmesser
des linken Vorhofs von 50 mm unabhängig vom aktuellen Vorhofrhythmus immer antikoaguliert.
Für diese Patienten ist die Risikoeinschätzung mittels des CHADS2-Scores obsolet. Die Nutzung neuer Antikoagulanzien ist bei diesen in Westeuropa sehr
seltenen Patienten nicht evidenzbasiert.
-
Bei Patienten mit mechanischen Herzklappen führt Dabigatran auch in hohen Dosierungen
bis 600 mg/d im Vergleich zu Kumarinen zu mehr thromboembolischen Ereignissen und
mehr Blutungen [13]. Daher ist Dabigatran bei mechanischen Herzklappen kontraindiziert. Die Gabe anderer
NOAKs ist ohne vorliegende Daten definitiv nicht empfehlenswert. Warum Dabigatran
bei mechanischen Herzklappen nicht so effektiv ist wie Warfarin, ist nicht völlig
geklärt. Die Autoren der Studie vermuten, dass die Gerinnungsaktivierung bei mechanischen
Herzklappen mehr über den „tissue factor“ und den direkten Kontakt der künstlichen
Oberflächen mit dem Blut geschieht, was beides durch den direkten Thrombininhibitor
weniger gehemmt wird als durch die an vielen Gerinnungsfaktoren angreifenden Kumarine,
die die genannten Gerinnungswege durch Inhibition der Faktor-VII- und Faktor-XI-Bildung
direkt adressieren.
Im Gegensatz dazu bedürfen biologische Herzklappen keiner Antikoagulation, sondern
können mit ASS geführt werden. Ist bei Patienten mit biologischen Herzklappen aufgrund
anderer Erkrankungen eine Antikoagulation indiziert, können NOAKs daher grundsätzlich
gegeben werden.
Eine valvuläre Herzinsuffizienz im Sinne einer Kontraindikation zur NOAK-Gabe ist
nur bei postrheumatischen Vitien und prothetischen Herzklappen gegeben.
Dieser Standpunkt wird von den aktuellen Vorhofflimmerleitlinien so geteilt (Kap. 4.1.1
der Leitlinien) [3]. Bei allen anderen Vitien, wie z. B. höhergradigen sekundären AV-Klappen-Insuffizienzen,
sind NOAKs nicht kontraindiziert.
Müssen Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion und Sinusrhythmus
antikoaguliert werden?
Müssen Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion und Sinusrhythmus
antikoaguliert werden?
Die Herzinsuffizienz mit eingeschränkter LV-Funktion geht, wie eingangs beschrieben,
fast regelhaft mit einem reduzierten Herzzeitvolumen einher. Darüber hinaus beschreiben
einige Autoren auch eine Hyperkoagulabilität bei diesen Patienten mit der resultierenden
Bildung linksventrikulärer Thromben und einer erhöhten Schlaganfallrate [14]. Autopsiestudien weisen darauf hin, dass die Rate atherothrombotischer Ereignisse
bei den Patienten mit Herzinsuffizienz erhöht ist, die am grundsätzlich primär rhythmogen
attributierten plötzlichen Herztod verstorben sind [15]. Zum anderen haben viele Patienten mit eingeschränkter LV-Funktion unbemerkte Vorhofflimmerepisoden,
die ein zusätzliches Thromboembolierisiko beinhalten. Diese Daten lassen die Annahme,
dass Patienten mit eingeschränkter LV-Funktion auch im Sinusrhythmus von einer Antikoagulation
profitieren, intuitiv richtig erscheinen.
Zur Klärung dieser Fragestellung wurden 4 randomisierte Studien durchgeführt:
-
HELAS-Studie: In diese Studie wurden 197 Patienten mit einer LV-EF ≤ 35 % eingeschlossen und doppelblind
in eine plasmatische Antikoagulation oder ASS 325 mg/d (bei ischämischer Kardiomyopathie)
bzw. Placebo (bei dilatativer Kardiomyopathie) randomisiert [16]. Primärer Endpunkt war die Kombination aus Schlaganfall, Myokardinfarkt, peripherer
Embolie, Lungenembolie, Hospitalisation aus kardialer Ursache und Tod jeglicher Ursache.
Die Patienten wurden im Mittel 22 Monate nachverfolgt. Die Häufigkeit embolischer
Ereignisse unterschied sich nicht und betrug im Mittel 2,2 pro 100 Patientenjahre,
während nicht mit embolischen Ereignissen assoziierte Endpunkte wie Hospitalisationen
wegen Herzinsuffizienz mit 15 pro 100 Patientenjahren unter ASS deutlich häufiger
auftraten. In der antikoagulierten Gruppe traten immerhin 4,9 relevante Blutungen
pro 100 Patientenjahre auf – im Vergleich zu keinen Blutungen in der Kontrollgruppe.
-
WASH-Studie: Die offen geführte WASH-Studie randomisierte 279 Patienten mit symptomatischer systolischer
Herzinsuffizienz in keine Therapie, ASS oder Kumarintherapie [17]. Die Randomisierung berücksichtigte nicht, ob eine KHK vorlag oder nicht, d. h.
in der Gruppe ohne Therapie waren ebenfalls ca. 60 % KHK-Patienten, die formal eine
Indikation zur Thrombozytenaggregationshemmung hatten. Der primäre Endpunkt war die
Kombination aus Tod, Schlaganfall oder Myokardinfarkt und wurde während der mittleren
Nachverfolgungszeit von 27 Monaten von 26 %, 32 % und 26 % der jeweiligen Patientengruppe
erreicht, was aufgrund der relativ geringen Patientenzahl nicht signifikant war. Die
sehr hohe Ereignisrate war getrieben durch die hohe Zahl von Todesfällen im Nachverfolgungszeitraum
(19 %, 25 %, 22 %), die ätiologisch nicht weiter aufgeschlüsselt wurde. Es bleibt
also unklar, ob die Todesfälle eine Relation zu Thromboembolien hatten. Die eindeutig
„gerinnungsassoziierten“ Ereignisse Schlaganfall und Myokardinfarkt weisen andererseits
auf einen Vorteil für die Therapiegruppen hin (7 %, 4 %, 1 %) mit der Limitation der
geringen Ereignisrate und entsprechend niedriger Aussagekraft. Auch in dieser Studie
waren Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz deutlich häufiger als thromboembolische
Ereignisse und kamen in der ASS-Gruppe öfter vor als in den anderen beiden Gruppen
(19 %, 34 %, 20 %). Die Zahl der schweren Blutungen war gering (0 %, 1 %, 4 %). Die
Autoren folgerten, dass zumindest die ASS-Therapie keine eindeutigen Stellenwert in
der Herzinsuffizienztherapie hat.
-
WATCH-Studie: Die deutlich größere WATCH-Studie [18] randomisierte 1587 Patienten mit symptomatischer, stabiler Herzinsuffizienz, einer
LV-EF ≤ 35 % und Sinusrhythmus in eine plasmatische Antikoagulation (INR 2,5 – 3),
Azetylsalizylsäure oder Clopidogrel. Primärer Endpunkt war wie in der WASH-Studie
die Kombination von Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall mit einem mittleren Nachverfolgungsintervall
von 1,9 Jahren. Auch in dieser Studie unterschied sich die Häufigkeit des primären
Endpunkts nicht (Warfarin: 19,6 %, Azetylsalizylsäure: 20,7 %, Clopidogrel: 21,6 %),
die Kombination von Myokardinfarkten und Schlaganfällen (4,0 %, 4,1 %, 4,4 %) ergab
keine Unterschiede und die Hospitalisationsrate wegen dekompensierter Herzinsuffizienz
war ebenfalls hoch und unter ASS (22 %) höher als in den anderen beiden Studienarmen
(Warfarin 16 %, Clopidogrel 18 %). Hingegen waren die Blutungsraten unter Warfarin
(5,4 %) höher als unter ASS oder Clopidogrel (3,6 %, 2,1 %).
-
WARCEF-Studie: WARCEF [19] war die mit 2305 randomisierten Patienten größte Studie mit der längsten mittleren
Nachverfolgung der Patienten (3,05 Jahre). In WARCEF erhielten Patienten mit Sinusrhythmus
und eingeschränkter LV-Funktion entweder Warfarin (INR 2,0 – 3,5) oder ASS (325 mg/d).
Der primäre Endpunkt war die Kombination aus ischämischem oder hämorrhagischem Schlaganfall
und der Gesamtmortalität. Dieser Endpunkt war mit 7,47 vs. 7,93 /100 Patientenjahre
nicht signifikant unterschiedlich. Die unter Warfarin gesehene Reduktion ischämischer
Schlaganfälle (0,72 % vs. 1,36 %), die auch in den anderen Studien im Trend nachweisbar
war, wurde durch eine erhöhte Hämorrhagierate kompensiert. Ein wirklich interessantes
und hypothesengenerierendes Ergebnis der Studie war, dass die Ereignisrate in den
ersten Behandlungsjahren unter Warfarin höher war als unter ASS, sich aber längerfristig
dieses Verhältnis umgekehrt hat (Abb. [4]). Schlussfolgerung der Studienautoren war, dass die antithrombotische Therapie idealerweise
zu individualisieren ist.
In einer sehr lesenswerten Subgruppenanalyse der WARCEF-Studie [20] wurde versucht, klinische Prädiktoren für einen vermehrten Benefit von einer Warfarin-
oder ASS-Therapie zu differenzieren. Hier zeigt sich sehr konsistent, dass die plasmatische
Antikoagulation vor allem jüngeren Patienten (< 60 Jahre) nutzt, während sie bei älteren
Patienten keinen Vorteil gegenüber einer ASS-Therapie bringt. Dieses Ergebnis ist
auch dann konsistent, wenn schwere Blutungen zum primären Endpunkt Mortalität und
Schlaganfälle addiert werden (Abb. [5]).
Abb. 4 Risiko für Tod, hämorrhagische oder embolische Schlaganfälle unter plasmatischer
Antikoagulation im Vergleich zur ASS-Therapie: Subanalyse aus der WARCEF-Studie [19]).
Abb. 5 Jüngere Patienten haben unter Warfarin weniger Ereignisse als unter Azetylsalizylsäure:
Subanalyse aus der WARCEF-Studie [20].
Die 4 genannten Studien wurden in 2 Metaanalysen unter Verwendung der individuellen
Datensätze eingebracht [21]
[22]. Hier zeigte sich, dass Warfarin die Mortalität im Gesamtkollektiv gegenüber ASS
nicht verändert. Die signifikant niedrigere Rate ischämischer Schlaganfälle unter
Warfarin – die die eingangs aufgestellte Hypothese, dass eine bei Herzinsuffizienz
ungünstig veränderte Virchow-Trias zu mehr thromboembolischen Ereignissen führt, unterstützt – steht
einer erhöhten Rate von Blutungen gegenüber, wobei die Zahl der intrakraniellen Blutungen
zwar erhöht, aber nominell niedrig ist (Abb. [6]). Obwohl auf den gleichen Datensätzen basierend, sind die Schlussfolgerungen der
Arbeiten unterschiedlich: Während Rengo und Mitarbeiter folgern, dass kein Nettonutzen
der plasmatischen Antikoagulation für die Patienten mit Sinusrhythmus und Herzinsuffizienz
nachweisbar ist [21], sehen Hopper und Kollegen aufgrund der niedrigeren ischämischen Schlaganfallhäufigkeit
bei parallel nur wenigen intrakraniellen Blutungen den Einsatz der plasmatischen Antikoagulation
als gerechtfertigt an [22].
Abb. 6 Metaanalyse ASS vs. Warfarin (nach [21]).
Die Frage, ob die Therapie mit ASS zu vermehrten kardialen Dekompensationen führt,
wie in den kleineren Studien suggeriert, bleibt letztlich offen. In den genannten
Metaanalysen gibt es hier kein eindeutiges Signal. Zu bedenken ist, dass die oben
diskutierten Studien mit der in den USA üblichen ASS-Dosierung von 325 mg/d durchgeführt
wurden. Diese Dosis kann grundsätzlich in vitro die günstigen Effekte der ACE-Hemmer
auf den Prostaglandinstoffwechsel abschwächen, was die gesehenen Effekte erklären
könnte. Aus diesen Gründen erscheint die in Europa übliche, niedrigere ASS-Dosis von
100 mg/d sinnvoller, falls ASS wegen vaskulärer Erkrankungen gegeben werden muss.
Dieser Erklärungsansatz bleibt aber letztlich spekulativ.
Die aktuelle Datenlage zeigt keinen Nutzen für die generelle plasmatische Antikoagulation
von Patienten mit Sinusrhythmus und eingeschränkter LV-Funktion.
Ist die Gabe von ASS sinnvoll?
Ist die Gabe von ASS sinnvoll?
Die Frage, ob die Gabe von ASS bei Sinusrhythmus und höhergradig eingeschränkter LV-Funktion
sinnvoll ist, kann nur aus Subgruppen von nicht zu diesem Zweck entworfenen Studien
extrapoliert werden. Eine Übersicht dieser Arbeiten legt zumindest nahe, dass kein
überzeugender Nutzen für die ASS-Therapie aus den spärlichen Daten ableitbar ist [23]. Übliche Praxis, die allenfalls Expertenmeinung widerspiegelt, ist, Patienten mit
vaskulärer Grunderkrankung mit ASS zu behandeln, während bei Patienten ohne KHK ASS
verzichtbar ist. Dies scheint umso wichtiger bei der hohen Zahl von Tabletten, die
Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz üblicherweise einnehmen müssen, und
der in Studien gezeigten suboptimalen Medikamentencompliance dieser Patienten [2].
Wenn keine KHK vorliegt, ist ASS verzichtbar.
Antikoagulation bei intrakardialen Thromben
Antikoagulation bei intrakardialen Thromben
Lokalisation. Intrakardiale Thromben sind typische Ursachen ischämischer Schlaganfälle und systemischer
Embolien. Daher ist unbestritten, dass beim Nachweis eines intrakardialen Thrombus
eine Antikoagulation indiziert ist. Dabei sind 2 grundsätzliche Situationen zu unterscheiden:
-
Linksatriale Thromben bei Vorhofflimmern (Abb. [7a]) werden nach den Leitlinien für Vorhofflimmern (s. o.) behandelt. NOAKs sind hierzu
grundsätzlich zugelassen (der Zulassungstext lautet: Prophylaxe von Schlaganfällen
und systemischen Embolien bei erwachsenen Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern
und einem oder mehreren Risikofaktoren, was unabhängig vom Vorliegen intrakardialer
Thromben ist). Die Dauer der Antikoagulation richtet sich entsprechend nach dem individuellen
Risiko und wird in der Regel lebenslang durchgeführt. Ob die NOAKs eher als Warfarine
zur Auflösung intrakardialer Thromben führen können, ist bisher nicht beantwortet.
-
Linksventrikuläre Thromben (Abb. [7b]) bilden sich typischerweise im linksventrikulären Apex oder in Aneurysmen/Divertikeln
des linken Ventrikels. Der Nachweis oder Ausschluss linksventrikulärer apikaler Thromben
kann echokardiografisch aufgrund typischerweise auftretender Nahfeldartefakte in der
Echokardiographie ausgesprochen schwierig sein. Die Gabe linksherzgängiger Kontrastmittel
ist ggf. sinnvoll. Eine alternative Methode zum Nachweis ist das Cardio MRT oder CT.
Abb. 7 Echokardiografische Darstellung intrakardialer Thromben. a Linksatrialer Thrombus bei Vorhofflimmern in der transösophagealen Echokardiografie.
b Linksventrikulärer Thrombus in der transthorakalen Echokardiografie.
Therapie. Zur Therapie dieser Thromben sind aktuell lediglich Kumarine zugelassen (Zulassungstext:
Behandlung und Prophylaxe von Thrombose und Embolie – ohne Einschränkungen), ohne
dass es hierzu eine Evidenzbasierung gibt. Grundsätzlich wird angenommen, dass die
NOAKs in dieser klinischen Situation genauso wirksam sind wie Kumarine. Ihr Einsatz
ist jedoch off-label und damit aufklärungspflichtig.
Dauer der Antikoagulation. Unklar bei linksventrikulären Thromben ist, wie lange die Antikoagulation weitergeführt
werden sollte. Intuitiv unstrittig ist sicher, dass Patienten, bei denen in weiteren
echokardiografischen Untersuchungen Thromben im linken Ventrikel nachgewiesen werden,
weiterhin antikoaguliert bleiben bzw. sogar intensiver antikoaguliert werden sollten
(empirisch kann die Zugabe von ASS oder eine höhere INR diskutiert werden; Daten hierzu
liegen nicht vor). Ob jedoch die Antikoagulation abgesetzt werden kann, wenn Thromben
nicht mehr nachweisbar sind, ist offen. Die Leitlinine der „Heart Failure Society
of America“ empfehlen eine Antikoagulation für 3 Monate nach Myokardinfarkt und Ventrikelthrombus,
sonst bei Patienten mit stattgehabter Thromboembolie. In allen anderen Fällen soll
die Antikoagulationsindikation von der Morphologie des Thrombus abhängig gemacht werden
[2]. Die ESC und die AHA geben hier keine eindeutigen Empfehlungen.
In den Augen des Autors sollte eine unkompliziert führbare Antikoagulation in den
Fällen, in denen das thrombogene Substrat persistiert (z. B. höhergradig eingeschränkte
LV-Funktion, Aneurysmen) unbegrenzt weitergeführt werden. In Fällen einer klinischen
Besserung (z. B. Tachymyopathie oder Myokarditis mit wieder normalisierter LV-Funktion)
kann man die Antikoagulation versuchsweise beenden, wenn echokardiografisch kein Thrombus
mehr nachweisbar ist.
Sonderfall: Non-Compaction-Kardiomyopathie
Sonderfall: Non-Compaction-Kardiomyopathie
Krankheitsbild. Die linksventrikuläre Non-Compaction-Kardiomyopathie, syn. „spongy“, schwammartiges
Myokard (NCCM), hat in den letzten Jahren vermehrte Aufmerksamkeit erfahren. Sie geht
mit ausgedünnten Ventrikelwänden mit schwammartigen Septen einher, die typischerweise
das linksventrikuläre Kavum bis zur Hälfte ausfüllen. Das Bild gleicht dem embryologischen
Phänotyp des Herzens in der 6. – 8. Embryonalwoche. Es wird diskutiert, dass die NCCM
einer fehlenden Verdichtung des Myokards entspricht, die üblicherweise zu Beginn der
Fetalperiode abgeschlossen ist. Die genaue Pathogenese ist jedoch genauso umstritten
wie klare Diagnosekriterien. Erschwerend kommt hinzu, dass sich phänotypisch ein komplettes
Spektrum von eindeutigen Fällen mit schwerster Trabekularisierung und hochgradig eingeschränkter
Ventrikelfunktion bis zu fast normaler Morphologie darstellt. Für weitere Details
sei auf aktuelle Übersichtsarbeiten verwiesen [24]
[25].
Antikoagulation. Die Frage, ob Patienten mit NCCM antikoaguliert werden müssen, ergibt sich intuitiv
aus dem echokardiografischen Bild tiefer ventrikulärer Septen mit sehr niedrigem intrakavitärem
Fluss, der zur Thrombenbildung prädisponiert. Die Datenlage ist jedoch spärlich und
umfasst im Wesentlichen heterogen behandelte Patientenserien ohne kontrollierte Intervention.
In Abwesenheit von Leitinienempfehlungen oder kontrollierter Studien besteht weitgehender
Konsens, dass Patienten mit dem Bild einer NCCM und eingeschränkter linksventrikulärer
Funktion (EF < 40 %), sichtbaren Thromben, einer Anamnese von Vorhofflimmern oder
mit stattgehabten Thomboembolien antikoaguliert werden sollten. Bei normaler LV-Funktion
wird eine Antikoagulation von den meisten Autoren nicht empfohlen.
Was sagen die Leitlinien zur Antikoagulation bei Herzinsuffizienz
Was sagen die Leitlinien zur Antikoagulation bei Herzinsuffizienz
Drei aktuelle Leitlinien nehmen Stellung zur Antikoagulation von Herzinsuffizienzpatienten
unabhängig von Vorhofflimmern:
ESC. Die Europäische kardiologische Gesellschaft (ESC) legt in ihren Herzinsuffizienzleitlinien
2012 fest, dass nur Patienten mit Vorhofflimmern antikoaguliert werden müssen. Die
Stellungnahme aus der Vorversion von 2008, dass Patienten mit intrakardialen Thromben
antikoaguliert werden sollen, findet sich nicht mehr.
ACC/AHA. Die Amerikanischen Kardiologengesellschaften (ACC/AHA) definieren eine harte Indikation
zur Antikoagulation bei stattgehabtem thromboembolischem Ereignis. Eine weichere Indikation
besteht bei Patienten mit Prädisposition zu thromboembolischem Ereignis (Amyloidkardiomyopathie,
Non-Compaction-Kardiomyopathie, familiäre Kardiomyopathie mit Thromboembolien bei
nahen Verwandten).
HFSA. Die amerikanische Herzinsuffizienzgesellschaft (HFSA) hat 2010 (also vor Publikation
der WATCH- und WARCEF-Studien) eine Antikoagulation von Patienten mit eingeschränkter
EF und nach pulmonalen und systemischen Embolien empfohlen. Weiterhin gibt es hier
die oben erwähnten Empfehlungen zum Umgang mit Ventrikelthromben.
Die ausführlichste Stellungnahme findet sich in einem unlängst publizierten Konsensuspapier
zur Behandlung von Patienten mit Sinusrhythmus und eingeschränkter LV-Funktion [2], siehe Kasten „Kernaussagen“.
-
Thromboembolische Komplikationen tragen zu Morbidität und Mortalität von Herzinsuffizienzpatienten
bei.
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Bei Herzinsuffizienzpatienten sollte aktiv nach Indikationen für die Antikoagulation,
vor allem nach paroxysmalem Vorhofflimmern, gesucht werden. Eine Risikoabschätzung
für die Antikoagulation ist mit dem CHA2DS2VASc- und dem HASBLED-Score möglich [3].
-
Wenn eine plasmatische Antikoagulation durchgeführt wird, ist eine parallele Gabe
von Thrombozytenaggregationshemmern nicht sinnvoll (außer 12 Monate nach Myokardinfarkt).
-
Wenn keine spezifische Indikation (KHK etc.) besteht, ist ASS bei Herzinsuffizienz
nicht indiziert.
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Aktuell gibt es keine gute Datenlage dafür, alle Herzinsuffizienzpatienten mit plasmatischer
Antikoagulation zu behandeln. Individuelle Antikoagulationsentscheidungen sind nach
Abwägung von Thromboembolierisiko und Blutungsrisiko gemeinsam mit dem Patienten zu
treffen.