Fortschr Neurol Psychiatr 2014; 82(5): 249
DOI: 10.1055/s-0034-1366470
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frontotemporale Demenzen – eine immerwährende interdisziplinäre Herausforderung für Neurologen und Psychiater

Frontotemporal Dementia – an Everlasting, Interdisciplinary Challenge for Neurologists and Psychiatrists
G. R. Fink
Further Information

Publication History

Publication Date:
13 May 2014 (online)

Die heterogene Gruppe der frontotemporalen Demenzen (ca. 10 % aller Demenzen) umfasst die zweithäufigste Form früh beginnender (ca. 20 %), degenerativ bedingter Demenzen nach der Alzheimer-Demenz, allerdings wird die Diagnose klinisch nach wie vor zu selten und vor allem zu spät gestellt. Bei den frontotemporalen Demenzen kommt es zu einer umschriebenen frontalen und/oder temporalen (oder selten auch parietalen) kortikalen Atrophie, die Insel ist regelmäßig eingeschlossen. Histologisch können u. a. sogenannte „Pick-Kugeln“ (die unter anderem Tau-Protein und Ubiquitin enthalten), aber auch Nervenzellverluste und subkortikale Gliosen beobachtet werden. Letztlich sprechen aber auch die histopathologischen Befunde dafür, dass es sich um eine heterogene Erkrankungsgruppe handelt. Der Altersgipfel liegt zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr, Früherkrankungen wie auch Spätfälle kommen vor. Die Mehrzahl der Fälle tritt sporadisch auf, jedoch ein Viertel bis zur Hälfte der Fälle zeigt einen dominanten Erbgang. Über 15 verschiedene Mutationen des Gens für das Tau-Protein auf Chromosom 17 bei der familiären Form der FTD mit Parkinson-Symptomatik unterstützen die Annahme einer starken genetischen Komponente der Erkrankung ebenso wie die Assoziation mit dem ALS-Demenz-Komplex (ca. 1 – 2 % der ALS-Fälle [1]). Abhängig von den Hauptsymptomen werden zwei Formen klinisch unterschieden: eine behaviorale Form (bvFTD), bei der Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen wie z. B. gestörter Antrieb und verändertes Sozial- und Essverhalten im Vordergrund stehen, und eine Form, bei der ein Verlust der Sprachfähigkeiten im Vordergrund steht (primär progressive Aphasien, PPA). Bei diesen Varianten der FTD werden mittlerweile drei Unterformen unterschieden: die nicht-flüssige oder agrammatische, die semantische und die logopenische.

Lüscher, Schwerthöffer und Diehl-Schmid beschreiben in der aktuellen Ausgabe der „Fortschritte der Neurologie Psychiatrie“ einen interessanten Fall einer möglichen frontotemporalen Demenz mit Betonung von Verhaltensauffälligkeiten (bvFTD), wobei die differenzialdiagnostische Schwierigkeit der Abgrenzung von einer affektiven Erkrankung ausgiebig erörtert wird [2]. Anhand der Kasuistik werden die diagnostischen Wege und differenzialdiagnostischen Überlegungen geschildert und es wird an die Konsensuskriterien von Rascovsky et al. für die bvFTD erinnert [3]. Nach diesen sollten mindestens drei der folgenden Verhaltensauffälligkeiten bestehen, um die Diagnose einer möglichen bvFTD zu stellen: Zeichen der Enthemmung, Apathie und Passivität, Verlust von Mitgefühl oder Einfühlungsvermögen, Hyperoralität oder Änderung des Essverhaltens, Perseverationen, stereotype Verhaltensmuster und Störungen exekutiver Funktionen. Zusätzliche bildgebende Befunde (frontale oder temporale Atrophie in CCT/MRT oder frontaler bzw. temporaler Glukosehypometabolismus im FDG-PET) bzw. eine alltagsrelevante Störung des Verhaltens erlauben es, die Diagnose als „wahrscheinlich“ einzuordnen, während die gesicherte bvFTD weiter die Domäne des Pathologen bleibt, sofern nicht eine eindeutige genetische Zuordnung möglich ist.

Die von Rascovsky et al. publizierten, revidierten diagnostischen Kriterien für die bvFTD sind ein Beispiel für die Fortschritte, die in den letzten Jahren im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen und im Speziellen im Bereich der Demenzen erzielt werden konnten. Es ist das Verdienst der Kasuistik von Lüscher, Schwerthöffer und Diehl-Schmid, nicht nur diese Fortschritte zu veranschaulichen, sondern auf die im Alltag dann doch weiterhin relevanten Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zu anderen affektiven Erkrankungen hinzuweisen. Dass dabei manchmal erst der Verlauf hilft, ist klinischer Alltag, genauso wie die Tatsache, dass manche diagnostischen Entscheidungen auch dann leichter sind, wenn Fälle neuropsychiatrischer Erkrankungen interdisziplinär angegangen werden.

Die Herausgeber der „Fortschritte der Neurologie Psychiatrie“ begrüßen in ihrem Kreis ganz herzlich Herrn Professor Dr. Heinz Reichmann, Dresden, als neuen Mitherausgeber. Heinz Reichmann wird nicht nur seine wissenschaftlichen Schwerpunkte (neuromuskuläre Erkrankungen, extrapyramidale Bewegungsstörungen, Neurosarkoidose und Störungen des Energiestoffwechsels in Gehirn und Muskel), sondern auch seine vielfältigen nationalen und internationalen Erfahrungen in das Herausgebergremium einbringen.

Alle Herausgeber freuen sich auf die Zusammenarbeit mit Heinz Reichmann und sind sicher, dass damit ein weiterer wichtiger Schritt zur Sicherung des Fortbestands der „Fortschritte der Neurologie Psychiatrie“ gelungen ist.

Zoom Image
Prof. Dr. med. G. R. Fink
 
  • Literatur

  • 1 Nass RD, Meister IG, Haupt WF et al. ALS and frontotemporal dementia – case report and review of the literature. Fortschr Neurol Psychiatr 2012; 80: 711-719
  • 2 Lüscher S, Schwerthöffer D, Diehl-Schmid J. Frontotemporal dementia (FTD) – even with revisited criteria a diagnostic challenge. Fortschr Neurol Psychiatr 2014; 82: 267-270
  • 3 Rascovsky K, Hodges JR, Knopman D et al. Sensitivity of revised diagnostic criteria for the behavioural variant of frontotemporal dementia. Brain 2011; 134: 2456-2477