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DOI: 10.1055/s-0034-1368512
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser!
In der belgischen Tageszeitung „deStandaard“ vom 9. Dezember 2013 wurde ein Artikel mit der Überschrift betitelt: „Welche Länge hat unser Gefäßsystem?“ Die Antwort – es sind 100 000 Kilometer – kann einen schwindlig machen, entspricht diese Länge doch dem zweieinhalbfachen Umfang der Erde. Nach sorgfältiger Recherche kam der Autor zu diesem Ergebnis; er stellte sich allerdings anschließend die Frage, ob dies wirklich stimmen kann. Denn allem Anschein nach haben sogar die Experten keine Ahnung, ob sich wirklich diese Länge ergibt.
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Jeder der befragten Spezialisten kennt und verwendet diese Angaben, doch letztendlich weiß keiner, ob die Zahl richtig ist und woher sie stammt. Dazu kommt, dass keiner diese Länge dementiert, aber jeder betont, dass man die Zahl in ihrem Kontext betrachten müsse. Dazu werden wissenschaftliche Aspekte verwendet. Man kann z. B. aus einem Gewebetypus die Gefäßdichte extrapolieren und daraus die Länge berechnen oder man kann aus dem Sauerstoffverbrauch einer Zelle errechnen, dass diese niemals mehr als 100 Mikrometer entfernt von einem Gefäß liegen darf, damit der Transport auch gesichert ist. William Aird von der Harvard Medical School führt in dem Zeitungsbeitrag aus, dass die unterschiedlichen Ansichten und die damit einhergehenden Untersuchungstechniken immer auch in einem historischen Kontext gesehen werden müssen. Letztendlich tappt aber auch er im Dunkeln, wenn es um die exakte Ziffer und um ihre genaue Herkunft geht.
Ganz unabhängig von der sicherlich sehr beeindruckenden Zahl kommen wir allerdings nicht umhin, den Kreislauf bzw. das Gefäßsystem als ein fundamental wichtiges Organsystem zu begreifen. Zu diesem gibt es aber mehr als eine offene Frage hinsichtlich einiger Behauptungen, z. B. zur Beschreibung der Herzfunktion nach dem Starling-Gesetz oder der gängigen Erklärung der Arteriosklerose. Geht man diesen Fragen nach, erkennt man immer mehr Unstimmigkeiten in Bezug auf das Verständnis dieses so wichtigen Systems, ein Verständnis, welches sich im Laufe der Jahre drastisch geändert hat. Der eine oder andere mag über diese oder jene, damals einfältige Betrachtung des Kreislaufs schmunzeln. Jedoch: Im Kreis kommt alles früher oder später einmal wieder am selben Ort an. Und so ist zu erkennen, dass bei dem Versuch, das Gefäßsystem zu verstehen, oftmals hochtechnologisch erworbene Erkenntnisse erst in einem spezifischen Kontext eine klare Bedeutung erhalten. Und dies v. a. dann, wenn die neuen Daten und Fakten in ein angeblich überholtes Konzept eines schon längst bekannten Phänomens eingliedert werden. Eine Auffrischung der Ansichten Stills hinsichtlich des Kreislaufsystems bildet dabei sicherlich einen interessanten Rahmen zu dieser anscheinend neuen Betrachtung.
Jean-Paul Höppner
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