Rofo 2014; 186(4): 419-422
DOI: 10.1055/s-0034-1368939
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Arbeitsgemeinschaft Physik und Technik in der bildgebenden Diagnostik – Positionspapier zur Umsetzung des Entwurfs der EU-Richtlinie „Euratom Basic Safety Standards“

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Publication Date:
01 April 2014 (online)

 

    Erstellt vom Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Physik und Technik der Deutschen Röntgengesellschaft

    Derzeit entwickelt die EU eine Zusammenfassung mehrerer Einzelrichtlinien zum Strahlenschutz. Der Arbeitstitel lautet: „Richtlinie des Rates zur Festlegung grundlegender Sicherheitsnormen für den Schutz vor den Gefahreneiner Exposition gegenüber ionisierender Strahlung.“ Diese Richtlinie muss zeitnah in nationales Recht in Form einer Änderung der Röntgenverordnung und Strahlenschutzverordnung umgesetzt werden. Eine der bedeutenden Forderung dieser Richtlinie stellt der verstärkte Einsatz von Medizinphysik-Experten in der Radiologie dar. Die Arbeitsgemeinschaft Physik und Technik (APT) nimmt in diesem Papier Stellung zu dieser geplanten Neuerungen und stellt Wege zur Umsetzung dar. Ziel ist es die Sicherheit in der Medizin zu erhöhen und gleichzeitig unnötige finanzielle Belastungen des deutschen Gesundheitswesens zu vermeiden.

    Folgende Abschnitte des Richtlinienentwurfs vom 4.11.2013 stellen die Eckpfeiler zum zukünftigen Einsatz der Medizinphysik-Experten (MPE) dar:

    Artikel 14 -

    Allgemeine Zuständigkeiten für Ausbildung, Fortbildung und Unterweisung- …(2). Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Vorkehrungen für die Einrichtung von Aus- und Fortbildungslehrgängen und Lehrgängen zur Aktualisierung der Fachkunde im Hinblick auf die Anerkennung von Strahlenschutzexperten und Medizinphysik-Experten sowie von arbeitsmedizinischen Diensten und Dosimetrie-Diensten in Bezug auf die Art der Tätigkeiten getroffen werden.

    Artikel 58 -Verfahren-

    …d) bei medizinisch-radiologischen Anwendungen ein Medizinphysik-Experte in angemessener Weise und in dem Umfang hinzugezogen wird, wie es dem radiologischen Risiko der Anwendung entspricht. Insbesondere gilt Folgendes:

    i) Bei anderen strahlentherapeutischen Anwendungen als nuklearmedizinischen Standard-
    therapien ist ein Medizinphysik-Experte zu enger Mitarbeit hinzuzuziehen.

    ii) Bei therapeutischen nuklearmedizinischen Standardanwendungen und bei strahlendiagnos-
    tischen und interventionsradiologischen Anwendungen mit hohen Dosen gemäß Artikel 61 Absatz 1 Buchstabe c ist ein Medizinphysik-Experte hinzuzuziehen.

    iii) Bei anderen medizinisch-radiologischen Anwendungen, die nicht von den Buchstaben a und b erfasst werden, ist gegebenenfalls ein Medizinphysik-Experte zur Beratung in Fragen des Strahlenschutzes bei medizinischen Expositionen hinzuzuziehen..

    Artikel 83 -Medizinphysik-Experte-

    1. Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass der Medizinphysik-Experte je nach Bedarf bei Fragen zur Strahlenphysik im Zusammenhang mit der Umsetzung der in Kapitel VII und in Artikel 22 Absatz 4 Buchstabe c enthaltenen Anforderungen handelt oder berät.

    2. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass je nach medizinisch-radiologischer Anwendung der Medizinphysik-Experte die Verantwortung für die Dosimetrie übernimmt, einschließlich der physikalischen Messungen zur Bewertung der dem Patienten und anderen einer medizinischen Exposition ausgesetzten Personen verabreichten Dosis, hinsichtlich der medizinisch-radiologischen Ausrüstung berät und insbesondere zu Folgendem beiträgt:

    a) Optimierung des Strahlenschutzes von Patienten und von anderen einer medizinischen Exposition ausgesetzten Personen, einschließlich der Anwendung und Verwendung diagnostischer Referenzwerte;

    b) Festlegung und Durchführung der Qualitätssicherung für die medizinisch-radiologische Ausrüstung; c) Abnahmeprüfungen der medizinisch-radiologischen Ausrüstung;

    d) Erstellung technischer Spezifikationen für die medizinisch-radiologische Ausrüstung und die Auslegung der Anlagen;

    e) Überwachung medizinisch-radiologischer Anlagen;

    f) Analyse von Vorfällen mit tatsächlicher oder potenzieller unfallbedingter oder unbeabsichtigter medizinischer Exposition;

    g) Auswahl der für die Strahlenschutzmessungen erforderlichen Ausrüstung;

    h) Schulung von medizinischen Fachkräften und anderen Arbeitskräften hinsichtlich relevanter Aspekte des Strahlenschutzes.

    Artikel 61 -Besondere Anwendungen-

    1. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass geeignete medizinisch-radiologische Ausrüstungen, Verfahren und Zusatzgeräte verwendet werden für medizinische Expositionen

    a) von Kindern,

    b) im Rahmen von Reihenuntersuchungen,

    c) mit hohen Patientendosen, die bei der interventionellen Radiologie, der Nuklearmedizin, der Computertomografie und der Strahlentherapie vorliegen können.

    Dies bedeutet, dass Medizinphysik-Experten in sehr viel stärkerem Maße als derzeit bei diagnostischen Verfahren einzubinden sind. Artikel 14 (2) verpflichtet zudem die Mitgliedstaaten die Aus- und Fortbildung der MPE sicherzustellen. Dies setzt einerseits eine ausreichende Zahl an Studienplätzen an Hochschulen sowie eine entsprechende Zahl an Weiterbildungsplätzen in radiologischen Betrieben voraus. Während grundsätzlich die Zahl der Studienplätze im Bereich Physik, Biomedizinische Technik und Medizinische Physik ausreichend erscheint reicht die Zahl der Weiterbildungsplätze vor allem für den diagnostischen Bereich derzeit in Deutschland vermutlich nicht aus.

    Darüber hinaus muss die Versorgung der einzelnen diagnostischen Betriebe (Röntgenpraxen und radiologische Abteilungen) mit MPEs sichergestellt werden.

    Im Folgenden sollen daher Ansätze aufgezeigt werden, die es erlauben Aus-, Weiterbildung und Versorgung mit MPEs für die Röntgendiagnostik in Deutschland sicherzustellen.

    In der Richtlinie sind nach Artikel 58 unterschiedliche Grade der Integration von MPEs in die verschiedenen medizinischen Bereiche (Therapie und Diagnostik) vorgesehen.

    A zur engen Mitarbeit hinzuzuziehen…

    Kann interpretiert werden als: ständige Anwesenheit des MPE während der Anwendungen

    B hinzuzuziehen…

    Kann interpretiert werden als: Muss während der Anwendung erreichbar sein

    C gegebenenfalls zur Beratung hinzuzuziehen…

    Kann interpretiert werden als: Die Behörde oder die besonderen Bedingungen des Verfahrens kann eine Hinzuziehung notwendig machen.

    Eine „starke Bindung“ entsprechend A ist zunächst nur für Strahlentherapien und nuklearmedizinische Therapien vorgesehen. Nach Artikel 58 (d-ii) ist in Verbindung mit Artikel 61 c für Interventionen und Computertomografien die Hinzuziehung eines MPE nach B erforderlich. Dies wäre theoretisch mit einem Konsultationsvertrag eines in der Region tätigen MPE möglich. Infrage kommt dieses Verfahren aber nur für kleine Betriebe, die nicht über einen hauptamtlichen MPE und nur über wenige Geräte verfügen. Da in Artikel 83 diverse Tätigkeiten aufgeführt werden, die nur vor Ort erbracht werden können, ist für größere Betriebe eine Versorgung mit hauptamtlichen MPEs notwendig. Diese MPEs übernehmen einerseits die Versorgung im Sinne der Richtlinie und könnten andererseits die Weiterbildung junger Kollegen sicherstellen. Zudem können sie im Rahmen von Konsultationsverträgen für kleinere Betriebe zur Verfügung stehen.

    Diese Vorgehensweise könnte die flächendeckende Versorgung mit MPEs sicherstellen, ohne dass jeder Betrieb einen eigenen MPE beschäftigen muss und es zu einer übermäßigen finanziellen Belastung im deutschen Gesundheitswesen kommt. Es gilt nun Regeln und Schlüsselzahlen aufzuzeigen nach denen eine bedarfsgerechte Versorgung erreicht werden kann.

    DGMP und EFOMP haben unterschiedliche Personalschlüssel erarbeitet, die aber in keinem Fall den geforderten Leistungsumfang exakt beschreiben. Die Angaben der DGMP zeigen hierbei einen realistischeren Zusammenhang. Daher wurden diese Zahlen als Basiswerte herangezogen und durch eine Bewertung der APT an den Bedarf der Richtlinie angepasst.

    Um eine Vereinfachung für die Aufsichtsbehörden und Betreiber zu schaffen wurde aus diesen Zahlen ein Punktekatalog entwickelt bei dem jedes CT und jede Interventionsanlage einem Punktwert zugeordnet ist. Der Punktwert stellt den prozentualen Anteil einer Vollzeitkraft dar.

    Vergleichbare gesetzliche Personalforderungen wie Betriebsärzte und Arbeitsschutzkräfte basieren auf ähnlichen Schlüsseln wobei dort die Mitarbeiterzahl in den Betrieben zur Bedarfsfestlegung eingesetzt wird. Die Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin nennt für Anwendungen in der Strahlentherapie und Nuklearmedizin ebenfalls Schlüsselzahlen. Diese gelten als Richtwerte anhand derer der Personalbedarf errechnet werden kann. Letztendlich entscheidet die Aufsichtsbehörde, ob sie dem Personalkonzept eines Betriebes zustimmt.

    Der Bericht Nummer 21 der DGMP unterscheidet hinsichtlich des Personalbedarfs zwischen einem gerätebezogenen Bedarf und einen geräteunabhängigen Zusatzbedarf. Letzterer bezieht sich auf die Personendosimetrie, Administration von PACS und RIS, Forschung, Applikationsunterstützung und allgemeine Administration. Hiervon sind nur Anteile im Sinne der Richtlinie zu berücksichtigen, da sie zwar zu den Aufgaben eines Medizinphysikers gehören nicht aber für einen Medizinphysik-Experten im Sinne der Richtlinie gefordert werden. Da sich der Personalbedarf für die Zusatzaufgaben im DGMP-Bericht jeweils auf den Gesamtbetrieb bezieht, wurde in diesem Papier jeweils ein Anteil für den Gesamtbetrieb auf den gerätebezogenen Bedarf hinzuaddiert. Dabei wurde konservativ von einem Großbetrieb ausgegangen. Hierdurch ergeben sich wegen der Verteilung auf eine große Gerätezahl deutlich kleinere Zusatzanteile als bei kleinen Betrieben.

    Der Einsatz interventioneller Angiografieanlagen hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Zum einen sind die Interventionen deutlich komplexer geworden zum anderen tragen heute Aufnahmeserien deutlich mehr zur Strahlenexposition bei als die reine Durchleuchtung. Hinzu kommt der vermehrte Einsatz von Volumen-CT́s und Rotationsangiografien und vor allem die Verlagerung von ehemals operativen Eingriffen wie den Herz-Klappenersatz in das Katheterlabor. Zudem werden mehr Anlagen in einem multidisziplinären Hybrid-OP betrieben. Dies bedeutet, dass immer mehr Geräte im Hochdosisbereich Personen mit Teilfachkunde zugeordnet werden. Neben einer potentiellen Zunahme stochastischer Schäden besteht vor allem die Gefahr vermehrter deterministische Schäden. Gerade in diesen Bereichen werden Optimierungsansätze und ein gezieltes Dosismonitoring für Patient und Personal immer bedeutender. Aus diesem Grunde muss die ursprüngliche Bewertung der DGMP um 30% angehoben werden.

    Für die übrigen Geräte wie allgemeine Durchleuchtungsgeräte incl. C-Bögen und reine Aufnahmegeräte solle Grad C der Zusammenarbeit („gegebenenfalls beratend hinzuzuziehen“) gelten. Daher werden hierfür keine Personalschlüssel bewertet.

    Für größere Kliniken mit 4 Herzkatheteranlagen, 2 Interventionsplätzen in der Radiologie, 1 Hybrid-OP ergeben sich 0,56 Stellen. Für 5 zusätzliche CT, und 1 intraoperativen CT kommen 0,36 Stellen hinzu. Insgesamt ergibt sich somit ein Bedarf von 0,92 Stellen. Die Kosten würden bei Annahme einer kompletten Vollkraft je nach Erfahrung bei 53.000 Euro bis 76.000 Euro Arbeitgeber-Brutto pro Jahr liegen.

    Für mittelgroße Häuser mit 2 Herzkatherplätzen, 1 Interventionsanlage in der Radiologie und 2 Computertomografen würden sich 0,36 Vollkräfte ergeben. Hier wäre eine Kooperation zwischen verschiedenen Kliniken zur medizinphysikalischen Versorgung denkbar. Die Kosten pro Klinik würden bei 19.000 bis27.000 Euro/Jahr liegen.

    Im Vergleich dazu wird eine mittlere Praxis lediglich einen Bedarf von 0,12 bis 0,18 Stellen für 2 - 3 Computertomografen aufweisen. Dieser Bedarf könnte über Konsilverträge mit freiberuflichen oder nebenberuflichen Medizinphysikern gedeckt werden.

    Laut dem statistischen Auskunftsportal STATISTA verfügten die deutschen Krankenhäuser im Jahre 2012 über 1.463 Computertomografen und 1.697 Angiografieanlagen (incl. Koronarangiografieanlagen). Der Anteil der niedergelassenen Radiologen an der Gesamtzahl beträgt 33%. Eine lineare Projektion vorausgesetzt, ergibt sich eine Gesamtzahl von ca. 2.000 Computertomografen in Deutschland. Für die Angiografieanlagen, die in erster Linie in Kliniken angesiedelt sind, wird von einer ähnlich großen Zahl ausgegangen.

    Der Gesamtbedarf für Deutschland beläuft sich bei Anwendung des obigen Schlüssels auf 280 Medizinphysikexperten (120 für CT, 160 für die Angiografieanlagen). Davon stehen derzeit bereits ca. 100 MPÉs in Kliniken und Praxen bereit. Somit ergeben sich Mehrkosten für das deutsche Gesundheitswesen von 11,5 Mio. Euro pro Jahr (bei im Mittel 64500 Euro/Stelle). Dieser Betrag wird aber durch die Zusatztätigkeiten der Medizinphysiker in den Bereichen Firstlineservice, Qualitätssicherung, Großgerätemanagement, IT, Lehre und Wissenschaft etc. kompensiert.

    Der Vorstand der APT empfiehlt die aufgeführten Personalschlüssel in eine entsprechende Richtlinie zu übernehmen. Beispielhaft hierfür ist die Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin, die bereits Personalschlüssel für Medizinphysik-Experten in der Strahlentherapie und der Nuklearmedizin ausweist. Für die Konsilverträge muss die Richtlinie ein nachgewiesenes, aktives Vertragsverhältnis fordern.

    Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Physik und Technik
    Horst Lenzen, Münster
    Olga Fröscher, Freiburg
    Roland Simmler, Zürich
    Georg Stamm, Hannover
    Jürgen Westhof, Kassel

    Es ergeben sich demnach entsprechend Tabelle 1 folgende Personalschlüssel:

    Pro Computertomograf: 0,06 Vollzeitkräfte

    Pro Angiografieanlage: 0,08 Vollzeitkräfte

    Tabelle 1: Personalschlüssel für Medizinphysikexperten

    Bewertung

    DGMP

    Bericht 21

    Geräte

    MPE

    Punkte pro Gerät

    Gerätegrundbedarf CT (Stellen)

    0,0355

    Zusatz Strahlenschutzüberwachung

    0,0055

    Zusatz Applikation

    0,0083

    Zusatz Weiterentwicklung

    0,0066

    Zusatz RIS/PACS reiner RöV-Anteil

    0,0053

    Summe

    0,0612

    0,06

    Gerätegrundbedarf Angio/HKL/

    0,0355

    Zusatz Strahlenschutzüberwachung

    0,0073

    Zusatz Applikation

    0,0083

    Zusatz Weiterentwicklung

    0,0066

    Zusatz RIS/PACS reiner RöV-Anteil

    0,0053

    Zuschlag wegen neuer Techniken und komplexer Anwendungen (z.B. Hybrid-OP) 30%

    0,0189

    Summe

    0,0819

    0,08

    Gerätegrundbedarf spezielle DL (Stellen)

    0,0173

    Zusatz Personendosimetrie

    0,0036

    Zusatz Applikation

    0,0041

    Zusatz Weiterentwicklung

    0,0032

    Zusatz RIS/PACS reiner RöV-Anteil

    0,0026

    Summe

    0,0308

    0,03

    Gerätegrundbedarf Standardgerät (Stellen)

    0,0173

    Zusatz Personendosimetrie

    0,0027

    Zusatz Applikation

    0,0041

    Zusatz Weiterentwicklung

    0,0032

    Zusatz RIS/PACS reiner RöV-Anteil

    0,0026

    Summe

    0,0300

    0,03


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