Rofo 2014; 186(09): 898
DOI: 10.1055/s-0034-1369235
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Egas Moniz (1874–1955) – Leserbrief[1]

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Publication Date:
29 August 2014 (online)

 

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    Egas Moniz war eine schillernde Persönlichkeit mit vielfältigen Talenten, die u. a. als Politiker und Arzt die öffentliche Aufmerksamkeit suchte. Seinen Geburtsnamen legte er ab und benannte sich nach

    dem portugiesischen Edelmann und Freiheitskämpfer Egas Monis (1080–1146). Als Erfinder der zerebralen Arteriografie verdient Egas Moniz hohe Anerkennung, denn zahlreiche Patienten haben nach der Weiterentwicklung der Methode davon profitiert. Von seinen eigenen Patienten darf das allerdings bezweifelt werden, denn die Indikationsstellung betraf häufig Krankheitsbilder, die damals noch nicht sinnvoll therapierbar waren (z. B. Gefäßmalformationen), die bereits mit anderen Methoden diagnostiziert worden waren (z. B. ein großer Hypophysentumor) oder bei denen kein pathologischer Gefäßbefund zu erwarten war (z. B. postenzephalitischer Parkinsonismus). Im Vordergrund stand also das wissenschaftliche Interesse, was angesichts der damals noch sehr hohen Letalität der Methode zumindest aus heutiger Sicht ethisch bedenklich ist. Die Pionierzeit der zerebralen Arteriografie gehört daher aus der Sicht der betroffenen Patienten eher zu den dunklen Kapiteln der Medizingeschichte.

    Dies gilt umso mehr für die „Psychochirurgie“, die Egas Moniz 1949 immerhin den Nobelpreis einbrachte. Der damalige Enthusiasmus für die präfrontale Leukotomie ist angesichts fehlender Psychopharmaka und katastrophaler Zustände in überfüllten „Irrenanstalten“ zwar verständlich, doch selbst damalige wissenschaftliche Standards wurden von Moniz nicht beachtet. Ohne systematischen Vergleich zwischen prä- und postoperativem Befund und ohne Langzeitbeobachtung postulierte er in seiner ersten Behandlungsserie eine Heilungsrate von 35% (7 von 20). Die präfrontale Leukotomie (später modifiziert und als Lobotomie bezeichnet) wurde danach an weit über 10 000 „Geisteskranken“ ausgeführt, wobei u. a. Schizophrenie, Depression, Homosexualität und Anorexia nervosa zu den Indikationen zählten. Selbst hyperaktive und anderweitig verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche wurden operiert (u. a. Rosemary Kennedy, die Schwester von John F. Kennedy, die durch den Eingriff zum Pflegefall wurde). In größeren Serien betrug die „Heilungsrate“ 25%, die unmittelbare Letalität 5–10%. Bei der Propagierung seiner Methoden und der Bekämpfung zeitgenössischer Kritiker oder vermeintlicher Konkurrenten offenbarten sich nicht nur Eitelkeit und Nationalismus, sondern auch offener Antisemitismus [2].

    Natürlich darf man das Werk von Egas Moniz nicht an heutigen ethischen und

    wissenschaftlichen Standards messen, doch eine gänzlich kritiklose Darstellung wäre ebenso wenig gerechtfertigt.

    Mit freundlichen Grüßen

    Prof. Dr. med. Michael Strotzer
    Radiologe und Neuroradiologe

    1. Uwe Busch. Egas Moniz (1874–1955). Fortschr Röntgenstr 2014; 186: 715-717

    2. Rainer Fortner. Egas Moniz (1874–1955)- Leben und Werk unter Berücksichtigung der
      Leukotomie und ihrer ethischen Implikationen. lnaugural-Dissertation, Medizinische Fakultät der Universität zu Würzburg (Juni 2003)


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