Rofo 2014; 186(11): 1047-1051
DOI: 10.1055/s-0034-1369353
DRG-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Teil 1 – Plausibilitätsprüfungen und Honorarrückforderungen in der Radiologie

Further Information

Publication History

Publication Date:
23 October 2014 (online)

 

Einführung

Seit einigen Jahren führen bekanntermaßen die Kassenärztlichen Vereinigungen auch im Fachgebiet der Radiologie vermehrt Plausibilitätsprüfungen durch. Der vorliegende Beitrag greift den bereits erschienenen Beitrag zu Plausibilitätsprüfungen in der Radiologie auf1und ergänzt diesen um weitere Aspekte sowie Neuerungen und Entwicklungen der letzten 2,5 Jahre. Plausibilitätsprüfungen enden vielfach in sachlich-rechnerischen Richtigstellungen von Honorarbescheiden zahlreicher Quartale (meist über mehrere Jahre) und führen damit nicht selten zu Honorarrückforderungen im 5- bis 6-stelligen Bereich. Die Kassenärztlichen Vereinigungen verrechnen die Honorarrückforderungen in der Regel mit den nächsten Quartalsabrechnungen. Darüber hinaus drohen Folgeverfahren, wobei etwa in Westfalen-Lippe die parallele Einleitung von Disziplinarverfahren die Regel ist. Darüber hinaus sind denkbar ein Zulassungsentziehungsverfahren, ein berufsgerichtliches Verfahren sowie ein Approbationsentzugsverfahren und ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren. Hinzu kommen nicht unerhebliche Kosten für die anwaltliche Vertretung und die umfangreiche Aufbereitung der Praxisunterlagen (meist durch Praxismanager), ohne die nicht plausibel gemacht werden kann, dass die radiologische Abrechnung ordnungsgemäß erfolgt ist.2


#

Zeitprofile für radiologische Leistungen

Die Plausibilitätsprüfung ist ein Instrument zur Feststellung, ob in Bezug auf die Abrechnung der radiologischen Leistungen eine Abrechnungsauffälligkeit vorliegt und sie deshalb möglicherweise unter Missachtung der Abrechnungsbestimmungen erbracht worden sind. Die Richtlinie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und des GKV-Spitzenverbandes (AbrechnPr-Richtlinie) nennt beispielhaft folgende Verstöße gegen die rechtliche Ordnungsgemäßheit der Abrechnung:

  • Fehlende Berechtigung zur Leistungsabrechnung,

  • Abrechnung nicht oder nicht vollständig erbrachter Leistungen,

  • Abrechnung von Leistungen, welche unter Verstoß gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung erbracht worden sind,

  • Ansatz der falschen Gebührennummer,

  • Nichtbeachtung der vertraglich vereinbarten Abrechnungsbestimmungen,

  • Abrechnung fachfremder Tätigkeit,

  • Fehlen der fachlichen und apparativen Voraussetzungen (einheitliche Qualifikationserfordernisse),

  • Nichteinhaltung von Qualitätsanforderungen, wenn die Leistungserbringung die erfolgreiche Teilnahme an Maßnahmen der Qualitätssicherung voraussetzt,

  • Nichteinhaltung des Überweisungsauftrags zu Auftragsleistung,

  • Fehlende ICD- und / oder OPS-Kodierung.

Zur Ermittlung von Abrechnungsauffälligkeiten werden arztbezogene Zeitprofile erstellt, mithilfe derer festgestellt wird, ob das Abrechnungsverhalten des einzelnen Radiologen auffällig ist3. Geprüft wird mithin, ob die abgerechneten Leistungen in zeitlicher Hinsicht im Einklang mit den Abrechnungsbestimmungen erbringbar waren. Ermittelt wird der Zeitbedarf für die radiologischen Leistungen, d. h. die zur Abrechnung gebrachten Gebührenordnungspositionen (GOP). Die Kassenärztlichen Vereinigungen greifen dabei auf die im Anhang 3 zum EBM-Ä festgelegten Prüfzeiten, die für die einzelnen GOP als Minutenwert von der KBV und den gesetzlichen Krankenkassen festgelegt werden, zurück.

Beispielhaft wird nachfolgend ein Auszug aus dem Anhang 3 des EBM-Ä dargestellt, aus dem sich der vorgegebene Zeitbedarf für ausgewählte GOP ergibt:

GOP

Kurzlegende

Kalkula-
tionszeit in Minuten

Prüfzeit in Minuten

Eignung der Prüfzeit

24211

Konsiliarkomplex bis 6.–59. Lebensjahr

5

4

Nur Quartalsprofil

24212

Konsiliarkomplex ab 60. Lebensjahr

6

5

Nur Quartalsprofil

34311

CT-Untersuchung von Teilen der Wirbelsäule

13

9

Tages- und Quartalsprofil

34341

CT-Untersuchung des gesamten Abdomens

25

18

Tages- und Quartalsprofil

34343

Zuschlag vollständige zweite Serie

13

9

Tages- und Quartalsprofil

34344

Zuschlag dynamische Serien

15

10

Tages- und Quartalsprofil

34345

Zuschlag Kontrastmitteluntersuchung

8

5

Tages- und Quartalsprofil

34411

MRT-Untersuchung von Teilen der Wirbelsäule

21

14

Tages- und Quartalsprofil

34450

MRT-Untersuchung der Extremitäten außer der Hand, des Fußes

21

14

Tages- und Quartalsprofil

34452

Weitere Sequenzen nach Kontrastmitteleinbringung

13

9

Tages- und Quartalsprofil


#

Überschreitung der zeitlichen Auffälligkeitsgrenzen

Auf der Grundlage der addierten Prüfzeiten werden die tägliche und die quartalsbezogene Arbeitszeit des Radiologen ermittelt. Zeitlich auffällig wird der Radiologe, wenn die Addition der Prüfzeiten ergibt, dass er im Tageszeitprofil an mindestens 3 Tagen im Quartal mehr als 12 Stunden oder im Quartalszeitprofil mehr als 780 Stunden gearbeitet hat. Radiologen werden in der Regel über die Tageszeitprofile auffällig. Der Anhang 3 zum EBM-Ä bestimmt ebenfalls, welche GOP im Tageszeitprofil und / oder im Quartalszeitprofil berücksichtigt werden dürfen. So dürfen beispielsweise die Zeitvorgaben für die radiologischen Konsiliarpauschalen (GOP 24 210 bis 24 212) allein in die Quartalszeitprofilberechnung einfließen, nicht jedoch in die Tageszeitprofilberechnung, da die Konsiliarpauschalen nur einmal pro Behandlungsfall abrechenbar sind. Die ebenfalls im Anhang 3 zum EBM-Ä enthaltenen Kalkulationszeiten dienen allein der betriebswirtschaftlichen Kalkulation des radiologischen Honorars. Aus ihnen werden die für die Zeitprofile relevanten Prüfzeiten abgeleitet.


#

Zeitliche Auffälligkeitsgrenzen von Berufsausübungsgemeinschaften und medizinischen Versorgungszentren

Es entspricht der Handhabungspraxis der Kassenärztlichen Vereinigungen für die Festlegung der zeitlichen Obergrenzen auf die Tageszeit- und Quartalszeitprofile des einzelnen Radiologen abzustellen, mithin eine arztbezogene Betrachtung vorzunehmen.

Bei Berufsausübungsgemeinschaften wie auch bei Medizinischen Versorgungszentren erfordert die geltende Rechtslage jedoch, dass die zeitlichen Obergrenzen bezogen auf die Berufsausübungsgemeinschaft bzw. das Medizinische Versorgungszentrum insgesamt gebildet werden. Schöpfen einzelne Ärzte der Berufsausübungsgemeinschaft bzw. des Medizinischen Versorgungszentrums ihr Zeitkontingent nicht vollständig aus, so kann eine Betrachtung des Zeitkontingents der Berufsausübungsgemeinschaft bzw. des Medizinischen Versorgungszentrums insgesamt dazu führen, dass eine zeitliche Auffälligkeit nicht feststellbar ist. In den AbrechnPr-Richtlinien der KBV und des GKV-Spitzenverbands ist geregelt, dass bei Berufsausübungsgemeinschaften und Medizinischen Versorgungszentren die zeitlichen Auffälligkeitsgrenzen mit der Anzahl der in ihr tätigen Ärzte im Umfang ihrer Tätigkeit zu multiplizieren sind. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 14.12.20114 , in dem es um die Rechtmäßigkeit sachlich-rechnerischer Richtigstellungen einer Kassenärztlichen Vereinigung ging, in Bezug auf die Berufsausübungsgemeinschaft festgestellt, dass diese gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung wie ein Einzelarzt als einheitliche Rechtspersönlichkeit gegenüber steht und sie rechtlich gesehen eine Praxis darstellt. Deshalb erwerbe auch die Berufsausübungsgemeinschaft selbst gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Honoraransprüche und werde ggf. zur Rückzahlung überzahlten Honorars verpflichtet. Die vertragsärztlichen Leistungen seien daher nicht dem einzelnen Arzt, sondern der Berufsausübungsgemeinschaft selbst zuzuordnen. Das BSG geht folglich, ebenso wie die AbrechnPr-Richtlinie, davon aus, dass die Berufsausübungsgemeinschaft selbst der Kassenärztlichen Vereinigung als für die Abrechnung verantwortliche Rechtspersönlichkeit gegenüber steht, da die vertragsärztlichen Leistungen der Berufsausübungsgemeinschaft und nicht dem einzelnen Arzt zuzuordnen sind. Da im Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung, wie bereits erläutert, die Rechtmäßigkeit der Abrechnung überprüft wird, ist Prüfungsgegenstand folglich die Rechtmäßigkeit der Abrechnung der Berufsausübungsgemeinschaft selbst. Nur diese (!) Abrechnung, also die der Berufsausübungsgemeinschaft, kann auf das Vorliegen von Abrechnungsauffälligkeiten überprüft werden. Da eine Abrechnung des einzelnen in der Berufsausübungsgemeinschaft tätigen Arztes rechtlich nicht vorhanden ist, kann folglich auch keine arztbezogene Abrechnungsauffälligkeitsprüfung erfolgen. Der Rechtsprechung des BSG sowie der AbrechnPr-Richtlinie folgend, müssen demzufolge die zeitlichen Auffälligkeitsgrenzen bezogen auf die Berufsausübungsgemeinschaft gebildet werden. Für Medizinische Versorgungszentren gilt dies gleichermaßen.

Es ist daher rechtswidrig, für die Feststellung von Abrechnungsauffälligkeiten im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung auf das individuelle Zeitprofil des einzelnen Radiologen abzustellen. Die arztbezogene Betrachtung bei Berufsausübungsgemeinschaften und Medizinischen Versorgungszentren ist insbesondere mit den Regelungen in § 44 Abs. 7 BMV-Ä i. V. m. § 37a Abs. 1 S. 1 BMV-Ä begründet worden, wonach die abgerechneten Leistungen mit der Arztnummer des entsprechenden Arztes zu kennzeichnen sind. Aus dieser Kennzeichnungspflicht und dem Wortlaut des SGB V, der von arztbezogenen Prüfungen sowie vom Zeitaufwand des Vertragsarztes spricht, wurde bisher geschlussfolgert, dass neben der Prüfung der Plausibilität des gesamten MVZ auch eine Prüfung des einzelnen Arztes stattfindet (vgl. Steinhilper, in: Schnapp / Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Auflage, § 17, Rn. 29; Zwingel / Preißler, Das Medizinische Versorgungszentrum, S. 147, Rn. 16; Clemens, in: jurisPK SGB V, § 106a SGB V, 2. Auflage, Rn. 147). Diese Rechtsauffassung war jedoch bereits in der Vergangenheit der Kritik ausgesetzt (vgl. z. B. Zwingel / Preißler, Das Medizinische Versorgungszentrum, S. 147 f. Rn. 17). Sie ist nunmehr aufgrund der (jüngeren) Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 14.12.2011, Az.: B 6 KA 31/10 R, SozR 4–2500 § 106a Nr. 8, vgl. obiges Zitat) überholt und steht zudem im Widerspruch zu der AbrechnPr-Richtlinie. Nach hiesiger Erfahrung halten die Kassenärztlichen Vereinigungen allerdings an der arztbezogenen Betrachtung fest, sodass eine Klärung dieser Rechtsfrage erst in einem etwaigen sozialgerichtlichen Verfahren erfolgen kann.


#

Rechtlich nicht ordnungsgemäße Abrechnung

Die Plausibilitätsprüfung selbst ist kein eigenständiges, zusätzliches Korrekturverfahren neben sachlich-rechnerischer Richtigstellung und Wirtschaftlichkeitsprüfung. Vielmehr ist sie Bestandteil der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abrechnung und dient allein (!) der Feststellung von Abrechnungsauffälligkeiten. Stehen die Abrechnungsauffälligkeiten in Form der Überschreitung der zeitlichen Auffälligkeitsgrenzen fest, steht damit noch nicht die Unrechtmäßigkeit der Abrechnung fest, weil andernfalls die Plausibilitätsprüfung das Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigstellung ersetzen würde und die Richtlinien der KBV und des GKV-Spitzenverbandes bestimmen, dass nach der Feststellung von Abrechnungsauffälligkeiten weitere Überprüfungen durchzuführen sind, in deren Rahmen (mithilfe ergänzender Tatsachenfeststellungen und Bewertungen) erst noch festgestellt wird, ob gegen die rechtliche Ordnungsgemäßheit der Abrechnung verstoßen worden ist. In Anlehnung an die genannten Richtlinien nimmt auch das BSG die beschriebene „Zweistufigkeit“ an (vgl. Beschluss des 6. Senats vom 17.8.2011, Az.: B 6 KA 27/11 B – juris Rn. 6).

Zeitprofil als tauglicher Indizienbeweis

§ 5 Abs. 1 AbrechnPr-Richtlinie regelt in Bezug auf die Tagesprofile einen sog. Wahrscheinlichkeitsbeweis („Indizienbeweis“). Dies entspricht der Rechtsprechung des BSG, das seit der grundlegenden Entscheidung zum Beweiswert von Tagesprofilen aus dem Jahr 1993 (Urteil vom 24.11.1993, Az.: 6 RKA 70/91) in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, dass Tagesprofile als Indizienbeweis für eine nicht ordnungsgemäße Abrechnung geeignet sind. Generell ist der Indizienbeweis im öffentlichen Recht anerkannt, wenn die behördliche oder gerichtliche Überzeugungsgewinnung aufgrund einer „Beweisnot“ (länger zurück liegende Vorgänge, innere Tatsachen, gesetzlich angeordnete Kausalverknüpfungen) anders nicht möglich ist (so Brunn, Richter am Bundesverwaltungsgericht a. D., Der Indizienbeweis im Öffentlichen Recht, NJOZ 2011, 1873, 1883). Ein tauglicher Indizienbeweis für die Kassenärztlichen Vereinigungen sind Zeitprofile nach der Rechtsprechung des BSG jedoch nicht stets, sondern nur unter Beachtung folgender, kumulativ zu erfüllender Voraussetzungen (vgl. BSG, Beschluss vom 17.8.2011, Az.: B 6 KA 27/11 B unter Bezug auf die soeben bereits zitierte grundlegende Entscheidung vom 24.11.1993, Az.: 6 RKA 70/91). Der Nachweis der nicht ordnungsgemäßen Abrechnung im Wege eines direkten Beweises (sog. Vollbeweis) darf nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten möglich sein. Darüber hinaus müssen bei der Erstellung der Zeitprofile bestimmte Kriterien beachtet worden sein. So muss etwa berücksichtigt werden, dass die Zeiten Durchschnittszeiten abbilden, die sich an einem erfahrenen, geübten und zügig arbeitendem Arzt zu orientieren haben. Es ist der Tatsache Rechnung zu tragen, dass diese Durchschnittszeiten letztlich nur einen statistischen Mittelwert bilden und daher durchaus unterschritten werden können, weil es sich eben gerade nicht um absolute Mindestzeiten handelt. Schließlich dürfen in den Tagesprofilen keine delegationsfähigen Leistungen enthalten sein, wobei die Kassenärztlichen Vereinigungen davon ausgehen, dass in den Prüfzeiten der Radiologen solche Leistungsanteile nicht enthalten sind5.

Die Tauglichkeit der Zeitprofile als Indizienbeweis wird durch die anstehende Überprüfung der Kalkulation der Leistungen im EBM und die damit einhergehenden Änderungen in der zeitlichen Bewertung (auch) der radiologischen Leistungen infrage gestellt. Diese aktuelle Entwicklung, die in den bisherigen gerichtlichen Entscheidungen des BSG oder von unterinstanzlichen Gerichten naturgemäß noch keine Rolle spielte, stellt gleichzeitig erheblich infrage, ob die Zeitprofile weiterhin den Anforderungen des BSG genügen, um als geeignete Beweismittel anerkannt zu werden. Steht eine zeitliche Anpassung der EBM-Zeiten durch den Bewertungsausschuss kurz bevor, steht die Überarbeitungsbedürftigkeit der Zeitbewertungen ärztlicher Leistungen fest. Die Überarbeitungsbedürftigkeit ergibt sich zudem aus dem Gutachten der IGES Institut GmbH, auf das noch im Einzelnen eingegangen wird6. Zeitprofile, denen überhöhte und daher überarbeitungsbedürftige Zeitbewertungen von Gebührenpositionen zugrunde liegen, sind keine tauglichen Beweismittel für die Unrichtigkeit der Abrechnung, da die Zeitprofile eine solche Schlussfolgerung nicht (mehr) zulassen. Sind die Zeitprofile keine tauglichen Indizienbeweise, so wird dem betroffenen Radiologen die Unrichtigkeit seiner Abrechnung nicht nachgewiesen. Die Kassenärztliche Vereinigung ist weiterhin in der Beweislast für die Unrichtigkeit der Abrechnung. In der Handhabungspraxis der Kassenärztlichen Vereinigungen werden die Zeitprofile nach hiesiger Erfahrung weiterhin als taugliche Indizienbeweise anerkannt. Eine Klärung diese Frage bliebe daher einem sozialgerichtlichen Verfahren vorbehalten. Dem betroffenen Radiologen ist – unter Protest gegen die Beweislast – zu raten, den Indizienbeweiswert der Zeitprofile zu erschüttern, indem er, soweit es ihm objektiv möglich ist, Umstände darlegt, die die Abrechnungsauffälligkeiten erklären.


#

Entkräftung des Indizienbeweiswertes der Zeitprofile

Unterstellt, die Zeitprofile sind von der Kassenärztlichen Vereinigung rechtlich zulässig – d. h. unter Beachtung der soeben erläuterten Voraussetzungen des BSG – als taugliche Indizienbeweise herangezogen worden, so würde daraus die Vermutung folgen, dass die Abrechnung des betroffenen Radiologen nicht ordnungsgemäß erfolgt ist. Das Vorliegen eines (tauglichen) Indizienbeweises im öffentlichen Recht führt jedoch nach verwaltungsrechtlichen Grundsätzen (vgl. im Einzelnen m.w.N. auch zur Rechtsprechung des BVerwG: Brunn, Richter am Bundesverwaltungsgericht a. D., Der Indizienbeweis im Öffentlichen Recht, NJOZ 2011, 1873 ff.) sowie nach der Rechtsprechung des BSG, die sich speziell auf Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung nach § 106a SGB V bezieht, nicht zu einer Umkehr der Beweislast. Denn diese hätte zur Folge, dass der betroffene Radiologe nunmehr den Vollbeweis dafür erbringen müsste, dass seine Abrechnung ordnungsgemäß erfolgt ist. Es reicht vielmehr aus, dass er den Indizienbeweis entkräftet, indem er Umstände vorträgt, die seine zeitlichen Abrechnungsauffälligkeiten erklärbar machen, sodass für sie auch andere Gründe als die nicht ordnungsgemäße Abrechnung ernstlich in Betracht kommen. Denn von einem Indizienbeweis (Hilfstatsache) kann nur dann auf das Vorliegen der Haupttatsache (Unrichtigkeit der Abrechnung) geschlossen werden, wenn ihr Vorliegen wahrscheinlich ist. An dieser Wahrscheinlichkeit fehlt es jedoch gerade, wenn auch andere Gründe für die zeitlichen Auffälligkeiten ernstlich infrage kommen. Eine solche Entkräftung des Indizienbeweises hat zur Folge, dass die Beweislast wieder bei der Kassenärztlichen Vereinigung liegt, da sie die ursprünglich zum Beweis Verpflichtete ist.

So hat das BSG in seinem Beschluss vom 17.8.2011, Az.: B 6 KA 27/11 B, zwar die Tagesprofile als Indizienbeweis anerkannt (juris Rn. 6), daraus jedoch gerade nicht geschlossen, dass der Arzt die Ordnungsgemäßheit der Leistungsabrechnung nachweisen muss. Das BSG unterscheidet vielmehr scharf zwischen den beiden genannten Fragestellungen und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Urteil des Landessozialgerichts Saarland bei der Prüfung, ob gegen die Ordnungsgemäßheit der Abrechnung (§ 12 AbrechnPr-Richtlinie) verstoßen worden ist, nicht auf eine Beweislast des Klägers abgestellt hat, sondern darauf, dass keine Umstände erkennbar waren, die die Abrechnungsauffälligkeiten als ordnungsgemäß erklären konnten. Das BSG ist daher folgerichtig davon ausgegangen, dass kein Rechtsverstoß wegen einer unzulässigen Beweislastumkehr zulasten des Arztes vorgelegen hat. Hätte das Urteil des Landessozialgerichts Saarland auf einer Beweislastumkehr beruht, hätte das BSG einen Rechtsverstoß (zutreffend) angenommen.

Folglich muss eine bloße, auf die vorläufigen Ergebnisse des Plausibilitätsverfahrens gestützte Vermutung der Kassenärztlichen Vereinigung, dass eine unrichtige Abrechnung vorliegt, nicht durch einen direkten Gegenbeweis des betroffenen Radiologen entkräftet werden. Es muss lediglich der Indizienbeweiswert entkräftet und die Erbringung der Leistungen substantiiert dargelegt werden. Einige Kassenärztliche Vereinigungen tendieren jedoch dazu, von dem betroffenen Radiologen den konkreten Nachweis dafür zu verlangen, welcher ärztliche Zeitbedarf für jeden einzelnen Patienten, der an den erklärungsbedürftigen auffälligen Tagen behandelt worden ist, angefallen ist. Sie negieren damit seine „Beweisnot“ und verlangen von ihm eine objektiv unmögliche Beweisführung. Hingegen nehmen sie für sich selbst – aus Gründen der „Beweisnot“ – die grundsätzliche Möglichkeit der Indizienbeweisführung mithilfe der Zeitprofile in Anspruch. Die Führung eines direkten Gegenbeweises ist dem Radiologen objektiv nicht möglich und kann aus Rechtsgründen nicht verlangt werden. Indes sind die rechtlichen Grenzen zwischen zulässigen und unzulässigen Substantiierungs- bzw. Beweisanforderungen fließend. Deshalb sollten betroffene Radiologen so weitreichende Erklärungen und Nachweise wie möglich in das Verwaltungsverfahren einführen. Dies reduziert die rechtlichen Möglichkeiten der Kassenärztlichen Vereinigung, sich auf den Indizienbeweiswert der Zeitprofile rechtmäßig zu berufen und erhöht die Chance, zeitliche Reduzierungen im Verwaltungsverfahren bzw. – wenn es sich nicht vermeiden lässt – in der Sozialgerichtsbarkeit zu erreichen. Beruft sich die Kassenärztliche Vereinigung rechtmäßig auf den Indizienbeweiswert, kann sie allein gestützt auf die Zeitprofile erfolgreich Honorare zurück fordern und Disziplinarmaßnahmen verhängen. In der Entkräftung des Indizienbeweiswertes durch Erklärungen und Nachweise, dass die Leistungen rechtlich ordnungsgemäß erbracht worden sind, liegt mithin der Knackpunkt der Plausibilitätsverfahren. Hier werden betroffene Radiologen und Praxen nur dann erfolgreich sein, wenn sie selbst oder mithilfe sehr guter Praxismanager bereit sind, umfangreich aufgearbeitete Praxisunterlagen zur Verfügung zu stellen. Ziel ist es, mit ihrer Hilfe plausibel zu machen, dass die zur Abrechnung eingereichten GOP – trotz der sich nach dem EBM-Ä ergebenden Zeitprofile – sämtlich rechtlich ordnungsgemäß erbracht worden sind. Die Zusammenstellung und Aufarbeitung der Praxisunterlagen bedeutet eine nicht unerhebliche zeitliche und finanzielle Belastung der betroffenen Praxen. Diese lässt sich jedoch kaum vermeiden, wenn das Ziel darin besteht, die zeitlichen Auffälligkeiten – und damit gleichzeitig die Höhe der Honorarrückforderung und die Rechtsfolgen des Disziplinarverfahrens – zu reduzieren. Dabei ist es mit Blick auf die Unwägbarkeiten, Kosten und Dauer von sozialgerichtlichen Verfahren ratsam, das Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigstellung wie auch das Disziplinarverfahren möglichst im Verwaltungsverfahren zu beenden. Auch aus diesen Erwägungen heraus sollten weitreichende Erklärungen und Nachweise bereits im Verwaltungsverfahren eingereicht werden, um die Chance auf praktikable Lösungen zu erhöhen.


#
#

Detaillierte Patientendokumentation

Im Hinblick auf die nicht unerheblichen finanziellen Folgen und zeitlichen Belastungen, die mit Plausibilitätsprüfungen einher gehen, sollten zeitliche Auffälligkeiten möglichst von vornherein vermieden werden. Lassen sich diese nicht vermeiden, ist es für die Praxen mehr als ratsam, eine detaillierte Patientendokumentation zu führen, aus der hervorgeht, dass die abgerechneten Leistungen tatsächlich und vollständig von dem betreffenden Radiologen in dem entsprechenden Quartal bzw. an dem entsprechenden Tag erbracht worden sind. Die Software der Praxis sollte einen solchen Nachweis möglich machen, indem mit ihrer Hilfe arzt-, patienten-, tages- und GOP-bezogen die jeweils erbrachten Leistungen in zeitlicher Chronologie abgebildet werden können. Erklärt werden regelmäßig diejenigen GOP, die für die zeitlichen Auffälligkeiten im Wesentlichen verantwortlich sind. Streng genommen müsste der Nachweis für jeden einzelnen Arbeitstag des Radiologen erfolgen. Allerdings reicht es regelmäßig aus, die Plausibilität der Abrechnung zunächst für diejenigen Tage nachzuweisen, an denen eine besonders hohe Überschreitung der täglichen Arbeitszeit vorliegt. Die Kassenärztliche Vereinigung geht davon aus, dass bei einer Erklärung ausgewählter, besonders auffälliger Tage auch die restlichen auffälligen Tage erklärt worden sind. Das Vorliegen einer Patientendokumentation wird häufig darüber entscheiden, ob der Radiologe seine Abrechnung plausibel machen und damit vor allem die Honorarrückforderungen und die Rechtsfolgen aus dem Disziplinarverfahren abwenden kann.


#

Delegationsfähige Leistungen

Das Bundessozialgericht hält die Überprüfungen der Abrechnungen über Tages- und Quartalszeitprofile bekanntlich für grundsätzlich rechtmäßig, allerdings muss die Bemessung der Zeiten unter Weglassen der delegationsfähigen Leistungen erfolgen. Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben in ihrer Stellungnahme vom 29.08.2008 zur persönlichen Leistungserbringung die Möglichkeiten und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen aufgeführt7. Hiernach zählen Anamnese, Indikationsstellung, Untersuchung des Patienten einschließlich invasiver diagnostischer Leistungen, Stellen der Diagnose, Aufklärung und Beratung des Patienten, Entscheidung über die Therapie und Durchführung invasiver Therapien einschließlich der Kernleistungen operativer Eingriffe zu den höchstpersönlichen Leistungen des Arztes. Dabei ist allerdings festzuhalten, dass auch Bestandteile dieser Leistungen einer Teildelegation unterliegen können, was durch die Vereinbarung über die Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung vom 01.10.2013 (Anlage 24 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä)) bestätigt wurde. So ist es zweifelsfrei anerkannt, dass nicht ärztliches Personal das Aufklärungsgespräch des Arztes mittels Fragebögen und Formularen vorbereiten kann. Daher können Leistungen, die der Arzt wegen ihrer Art oder der mit ihnen verbundenen besonderen Gefährlichkeit für den Patienten oder wegen der Umstände ihrer Erbringung, insbesondere der Schwere des Krankheitsfalles, nicht höchstpersönlich erbringen muss, an nicht ärztliche Mitarbeiter delegiert werden. Die Entscheidung, ob und an wen der Arzt eine Leistung delegiert, ob er den betreffenden Mitarbeiter ggf. besonders anleitet und wie er ihn überwacht, muss der Arzt von der Qualifikation des jeweiligen Mitarbeiters abhängig machen. Hierdurch tritt in der Regel eine erhebliche Schonung der Ressourcen des delegierenden Arztes ein.

Dabei sind MTRA aufgrund von §§ 9, 10 MTAG (Gesetz über technische Assistenten in der Medizin) berechtigt, die technische Durchführung der radiologischen Leistung selbständig zu erbringen. § 9 Abs. 2 MTAG regelt, dass die MTRA zu folgenden Tätigkeiten berechtigt sind:

  • Durchführung der technischen Arbeiten und Beurteilung ihrer Qualität in der Radiologischen Diagnostik und anderen bildgebenden Verfahren einschließlich Qualitätssicherung,

  • technische Mitwirkung in der Strahlentherapie bei der Erstellung des Bestrahlungsplans und dessen Reproduktion am Patienten einschließlich Qualitätssicherung,

  • technische Mitwirkung in der nuklearmedizinischen Diagnostik und Therapie einschließlich Qualitätssicherung,

  • Durchführung messtechnischer Aufgaben in der Dosimetrie und im Strahlenschutz in der Radiologischen Diagnostik, der Strahlentherapie und der Nuklearmedizin.

Soweit die vielfältigen Tätigkeiten, die unter diese Leistungsbeschreibung fallen, Bestandteil der Prüfzeiten sind und delegiert werden, sind die Zeitprofile der Kassenärztlichen Vereinigungen um die delegierten Leistungsanteile zeitlich zu reduzieren.

(Teil 2 dieses Beitrages erscheint in der nächsten Ausgabe der RöFo)

Anke Harney
Fachanwältin für Medizinrecht
Jens Remmert, LL.M.
Rechtsanwalt

Rechtsanwälte Wigge
Scharnhorststr. 40
48 151 Münster
Telefon: (0251) 53 595–0
Telefax: (0251) 53 595–99
E-Mail:
kanzlei@ra-wigge.de
www.ra-wigge.de

1Vgl. Harney, Plausibilitätsprüfungen in der Radiologie, RÖFO Januar 2012, S. 72 – 73.
2Vgl. im Einzelnen die Ausführungen unter Punkt 5. b.
3 Zur Bildung von Zeitprofilen, die sich auf die Berufsausübungsgemeinschaft oder das Medizinische Versorgungszentrum insgesamt beziehen, vgl. die Ausführungen unter Punkt 4.

4Az.: B 6 KA 31/10 R, SozR 4-2500 § 106a Nr. 8.
5Zu den delegationsfähigen Leistungen siehe die Ausführungen unter Punkt 7.
6Siehe die Ausführungen unter Punkt 10.

7Die Stellungnahme kann auf der Homepage der Bundesärztekammer heruntergeladen werden: http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.7.47.3225&all=true, abgerufen am 12.08.2014.


#
#