Pro
In Anbetracht der begrenzten Effektivität der vorhandenen Behandlungsoptionen hat
der Direktor des National Institut of Health in den USA, T. R. Insel, stellvertretend
für viele Wissenschaftler, Prävention als die aussichtsreichste Strategie eingeschätzt,
den Krankheitsverlauf der schizophrenen Störung und seiner Folgen für die Betroffenen,
Angehörigen und die Gesellschaft positiv zu beeinflussen [1].
Mit dem „abgeschwächten Psychosesyndrom“, wie es jetzt in die Forschungskriterien
von DSM-5 aufgenommen wurde, ist ein wichtiger Schritt von der Therapie hin zur Prävention
schizophrener Störungen vollzogen worden [2]. Hiermit wurde ein wesentliches Teilsyndrom der Risikokriterien für psychotische
Ersterkrankungen, die in den letzten 20 Jahren entwickelt und evaluiert wurden, in
die diagnostischen Kriterien aufgenommen.
Obwohl das Übergangsrisiko in die erste psychotische Episode und die darauf bezogene
Prävention den Hauptfokus dieser Forschungsrichtung bildet, wurde mit zunehmendem
Kenntnisstand deutlich, dass das Risikosyndrom für sich genommen, unabhängig vom Übergang
in die Psychose, Krankheitswert hat [3]. Aus diesem Grund, um die Betroffenen weniger zu stigmatisieren und um die Offenheit
des Ausgangs eines Risikosyndroms zu einer nicht psychotischen Erkrankung oder in
die Remission zu betonen, wurde in der finalen Version des DSM-5 von einem Begriff,
der den Ausgang des Syndroms in den Mittelpunkt stellt (Psychoserisikostadium) abgesehen
und für ein rein deskriptiven, querschnittlichen Begriff entschieden (abgeschwächtes
Psychosesyndrom) [2].
Generell ist zu betonen, dass es sich bei der Prävention von Psychosen, wie sie derzeit
betrieben wird, nicht um den Versuch einer Primärprävention universal in der Allgemeinbevölkerung
oder selektiv bei noch gesunden Risikoträgern handelt. Dazu ist die Inzidenz der schizophrenen
Störung, wie von R. Warner völlig korrekt dargestellt, zu niedrig. Stattdessen handelt
es sich derzeit um eine indizierte Prävention bei Personen, die bereits klinische
Symptome zeigen und wegen der damit verbundenen Beschwerden und Einschränkungen aktiv
Hilfe suchen. In dieser Population ist die Inzidenz der schizophrenen Störung wesentlich
höher und Screenings bezüglich des abgeschwächten Psychosesyndroms können sinnvoll
eingesetzt werden.
Die Psychoserisikokriterien wurden in prospektiven Studien bei hilfesuchenden, klinisch
symptomatischen Jugendlichen und jungen Erwachsene rund um die Welt evaluiert. In
einer aktuellen Metaanalyse, welche die Daten von etwa 2500 Betroffenen einbezog,
wurden Übergangsraten in die psychotische Ersterkrankung von 18 % nach 6 Monaten,
22 % nach 1 Jahr und 29 % nach 2 Jahren und 36 % nach 3 Jahren festgestellt [8]. Die Betroffenen zeigen also ein klinisch bedeutsames Risiko einer psychotischen
Erstmanifestation, welches mehrere 100-fach über dem Erkrankungsrisiko der Normalbevölkerung
liegt.
Zur indizierten Prävention bei Personen mit erhöhtem Psychoserisiko liegen derzeit
8 abgeschlossene randomisiert-kontrollierte Studien mit etwa 1000 Teilnehmern vor,
welche low-dose Risperidon und kognitive Verhaltenstherapie, kognitiv verhaltenstherapeutische
Einzel- oder Komplexinterventionen, Olanzapin oder Omega-3-Fettsäuren bei Patienten
mit abgeschwächten psychotischen Symptomen evaluiert haben. Mittlerweile zeigen 3
Metaanalysen [5]
[6]
[7], dass die jeweiligen Experimentalbedingungen das Auftreten erster psychotischer
Episoden in klinisch bedeutsamen Ausmaß mindestens über 1 – 2 Jahre verzögern können,
die Symptomatik bessern und überwiegend auch das Funktionsniveau. Derzeit empfehlen
die meisten Autoren, wegen des günstigeren Nutzen/Risiko-Profils zunächst psychosoziale
Interventionen anzubieten und nur bei besonderen Risiken oder Nonresponse eine niedrig
dosierte antipsychotische Medikation vorzuhalten [5]
[6]
[7]
[8]. Leider ist die Vermutung von R. Warner zutreffend, dass viele Patienten mit abgeschwächtem
Psychosesyndrom ungerechtfertigterweise medikamentös antipsychotisch behandelt werden.
In einer eigenen Studie war das bei 139 von 503 Betroffenen der Fall [9]. Dass diese Rate durch die Einführung des Syndroms in DSM-5 erhöht wird, wie von
R. Warner formuliert, ist erstmal eine Hypothese. Das Gegenteil halte ich für wahrscheinlicher:
Die hohe Antipsychotikaverschreibung in dieser Patientengruppe, könnte gerade dadurch
begründet sein, dass bis dato keine Diagnose für dieses Syndrom zu Verfügung steht
und entsprechend auch keine Leitlinienempfehlungen vorliegen, die psychotherapeutische
Behandlung empfehlen. R. Warners Vermutung, Betroffene würden durch die Identifikation
des Syndroms und dessen Behandlung stigmatisiert, ist weit verbreitet, aber nach ersten
Pilotergebnissen nicht zutreffend. Betroffene beschreiben Aufklärung und psychoedukativ-psychotherapeutische
Angebote als hilfreich und entlastend [10].
Personen mit erhöhtem Psychoserisiko leiden unabhängig vom Übergang in die Psychose
unter massiv eingeschränkter Lebensqualität, sowie reduziertem Funktionsniveau. 60 – 80 %
der Betroffenen erfüllen zusätzlich zum abgeschwächten Psychosesyndrom andere Diagnosekriterien,
am häufigsten Depression, Angststörungen und Substanzmissbrauch. Viele Betroffene
haben oft eine lange frustrierende Suche nach Unterstützung hinter sich. Besonders
bedeutsam ist, dass auch Personen, die nicht in die Psychose übergehen im 2-Jahres-Verlauf
zu fast 50 % weiterhin abgeschwächte Psychosesymptome zeigen und insgesamt gegenüber
einer Vergleichsgruppe ein deutlich reduziertes Funktionsniveau aufweisen (Übersicht
bei [5]). Die Behauptung von R. Warner, dass die Symptome häufig spontan remittieren ist
somit deutlich zu relativieren. Der überwiegende Teil der Betroffenen ist lang andauernd
symptomatisch und funktionseingeschränkt oder geht in eine Psychose über.
Obwohl zweifelsohne noch weitere Forschungsbemühungen in dem Feld notwendig sind,
ist die Einführung des Syndroms in die Regelversorgung vor dem Hintergrund der dargestellten
Daten als gerechtfertigt anzusehen. Um die Kostenträger von dem dringend notwendigen
Aufbau eines spezifischen Versorgungsangebots für Personen mit abgeschwächtem Psychosesyndrom
zu überzeugen, ist mindestens in der BRD eine spezifische ICD-Codierung des Syndroms
Voraussetzung. In Anlehnung an DSM-5 ist das für ICD-11 geplant [11].
Ein spezifisches Versorgungsangebot sollte niederschwellig, nicht stigmatisierend
und überwiegend ambulant konzipiert sein sowie die spezifischen Bedürfnisse von jungen
Erwachsenen und Jugendlichen reflektieren. Innerhalb dieser Zentren sollen eine Reihe
von Interventionsmöglichkeiten vorgehalten werden. Diese reichen von einem regelmäßigen
Monitoringtermin, motivierender Gesprächsführung bei Substanzmissbrauch, supportiver
Therapie und kognitiver Therapie bis hin zur pharmakologischen Intervention und aufsuchenden
Behandlung (Details s.[12]).
Ein solches Versorgungsmodell ist keine Fiktion. In Australien und Großbritannien
sind groß angelegte Gesundheitsreformen im Gange, bei denen jugendfreundliche Interventionszentren
gegründet werden, die außerhalb von klinischen Settings in Beratungs- und Jugendzentren
etabliert werden, um Patienten mit abgeschwächten Positivsymptomen und ersten Episoden
psychiatrischer Störungen gut zu erreichen und frühzeitig zu behandeln [13]
[14].