Psychiatr Prax 2014; 41(03): 171
DOI: 10.1055/s-0034-1369934
Mitteilungen der BDK
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen aus der Bundesdirektorenkonferenz (BDK)

Gerhard Längle
1   Tübingen/Bad Schussenried
,
Thomas Pollmächer
2   Ingolstadt
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
01 April 2014 (online)

 

Interkulturelle Öffnung der Psychiatrischen Kliniken in Deutschland – Vorstellung des Arbeitskreises Psychiatrie und Migration der Bundesdirektorenkonferenz

Die aktuell 14 Mitglieder des AK beschäftigen sich seit 2001 mit der klinischen Versorgung von Patienten mit Migrationshintergrund. Eine Pilotstudie zur Inanspruchnahme stationärer Versorgung 2004 ergab, dass Patienten mit Migrationshintergrund nahezu ihrem Anteil an der Wohnbevölkerung von knapp 20 % entsprechend stationär-psychiatrisch behandelt werden. 2006 bestätigte eine repräsentative bundesweite Umfrage die wesentlichen Aussagen unserer Pilotstudie.


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Ungeklärt ist bislang allerdings die Frage, ob diese Behandlung spezifischen Bedürfnissen und Erwartungen unterschiedlicher ethnokultureller Gruppen sowie den Anforderungen der Klinik, ihre Behandlungsziele zu erreichen, gerecht wird.

Die aktuelle Umfrage des AK befasst sich mit der interkulturellen Öffnung psychiatrischer Krankenhäuser. 2012 wurde allen Mitgliedern der Bundesdirektorenkonferenz ein Fragebogen mit 42 Items zugeschickt. Neben administrativen Rahmenbedingungen wurden therapeutische und konzeptionelle Aspekte wie die Arbeit mit Dolmetschern und die allgemeine interkulturelle Orientierung der Kliniken abgefragt. Es nahmen insgesamt 72 Kliniken teil (Rücklauf von mehr als 60 %).

Ein Drittel der Kliniken verfügte über spezielle ambulante Angebote, 12,5 % hatten stationäre Konzepte für Patienten mit Zuwanderungsgeschichte etabliert. Immerhin die Hälfte aller Kliniken war der Ansicht, ihr stationäres Behandlungsangebot sei bereits generell interkulturell ausgerichtet.

Behandlungsprobleme durch ein unterschiedliches Krankheitsverständnis werden stärker gewichtet als Probleme bei der sprachlichen Verständigung. Daraus werden aber keine Einschränkungen des therapeutischen Vorgehens abgeleitet – eine bedarfsgerechte Anpassung therapeutischer Strategien erfolgt also nicht. Das entspricht den Ergebnissen vorangegangener Erhebungen.

Obwohl die Migrantenversorgung in 54,2 % der Kliniken im Klinikkonzept und in 44,4 % auch im Qualitätsmanagement verankert ist, messen weniger als 40 % der Versorgung ihrer Patientenklientel mit Zuwanderungsgeschichte eine hohe Bedeutung zu, nur 25 % sehen die interkulturelle Öffnung als bedeutendes Thema der Zukunft.

Für die Behandlung von Migranten sehen die Kliniken besonderen Bedarf an qualifizierten Dolmetschern mit mehr als 75 % (sehr hoch und hoch) an erster Stelle vor hausinterner Fortbildung und speziellen Curricula für das Pflegepersonal. Der Wunsch nach muttersprachlichen Mitarbeitern folgt an vierter Stelle.

Die Umfrage zeigt eine zunehmende interkulturelle Orientierung psychiatrischer Krankenhäuser. Im stationären Bereich sind spezielle Konzepte noch die Ausnahme. Die psychiatrischen Institutsambulanzen beschäftigen hingegen oft muttersprachliche Mitarbeiter für die Behandlung von Patienten mit Zuwanderungsgeschichte. Der zukünftige Bedarf wird von den Direktoren recht pragmatisch gesehen: ein funktionierendes und bezahlbares Dolmetschersystem sowie hausinterne Fortbildung in interkultureller Kompetenz sind die am häufigsten genannten Erfordernisse.

Professionelle Basis der Arbeit mit Zuwanderern ist eine ausreichende sprachliche Verständigung. Es leben mehr als 180 unterschiedliche Nationalitäten in Deutschland und die Zahlen der Asylsuchenden nehmen in den letzten Jahren wieder zu. Daher ist eine dolmetschergestützte Kommunikation von zentraler Bedeutung für Diagnostik und Therapie. Studien weisen darauf hin, dass bei Patienten mit geringen Deutschkenntnissen häufiger Angehörige, Freunde und Bekannte übersetzen. Ein solches Vorgehen ist unprofessionell und kann nicht akzeptiert werden.

Inwiefern tatsächlich bereits 50 % der Kliniken eine grundlegende interkulturelle Öffnung aller Stationen umgesetzt haben, kann durch die Umfrageergebnisse nicht weiter konkretisiert werden. Die Diskrepanz zwischen der Angabe von Problemen (häufig und sehr häufig rund 80 %) beim kulturell geprägten Krankheitsverständnis und der sprachlichen Verständigung (rund 74 %) und der als wesentlich weniger problematisch eingeschätzten Einigung auf ein gemeinsames therapeutisches Vorgehen (rund 40 %) lässt eine Marginalisierung des Themas vermuten und könnte auch mit verborgenen Vorurteilen zusammen hängen. Diese noch offenen Fragen erfordern weitere wissenschaftliche Untersuchungen.

Die Unterstützung durch die Krankenhausträger und die Verwaltungen vor Ort kann noch verbessert werden. Eine eindeutige Öffnung im Sinne eines unmissverständlichen Top-down-Prozesses ist nicht durchgängig vorhanden. Positiv zu werten ist, dass ein Drittel der Kliniken bereits Migrationsbeauftragte benannt hatte. Allerdings benötigen die Migrationsbeauftragten die klare, kontinuierliche und verbindliche Unterstützung der Klinikleitungen (definierter wöchentlicher Anteil der Arbeitszeit).

Angemessene psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung für Menschen mit Migrationshintergrund kann nur über verbesserte kulturelle Sensibilität aller Mitarbeiter erreicht werden. Es geht darum, in der Begegnung mit den Patienten nicht nur das Fremde im Anderen zu sehen, sondern auch die eigenen Einstellungen zu reflektieren und die Kultur der Institutionen so zu verändern, dass alle Patienten einen fairen Zugang zu psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung erhalten.

Korrespondenzadresse
Dr. med. Eckhardt Koch
Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Cappeler Straße 98
35059 Marburg
eckhardt.koch@vitos-giessen-marburg.de


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