Evidenzbasierte Praxis sieht vor, dass Ergotherapeuten die beste verfügbare Evidenz
nutzen, um ihr therapeutisches Vorgehen zu begründen [1, 2]. Dieser Anspruch klingt
plausibel, ist im Arbeitsalltag aber nur schwer zu erfüllen. Er setzt voraus, dass
man nach verfügbaren Studien recherchiert, diese bewertet und miteinander vergleicht.
Aber mal ehrlich, wann soll eine praktisch tätige Ergotherapeutin das leisten? Glücklicherweise
gibt es Quellen, die ihr die Suche nach der besten verfügbaren Evidenz erleichtern.
Neben klinischen Leitlinien oder systematischen übersichtsarbeiten gehören HTA-Berichte
dazu [3].
Evidenzbasierte Praxis leicht gemacht
Evidenzbasierte Praxis leicht gemacht
„Health Technology Assessment“ (HTA) beschreibt ein Verfahren, das medizinische Interventionen
und Technologien auf den Prüfstand stellt. Dabei recherchieren Forscher Studien, bewerten
diese und fassen ihre Ergebnisse in Berichten zusammen. Die Koordination der HTA-Berichte
übernimmt die Deutsche Agentur für HTA (DAHTA), die ihren Sitz in Köln hat und seit
2000 zum Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) gehört [3,
4].
Ein aktueller HTA-Bericht, an dem die Ergotherapeutin Carola Habermann mitgearbeitet
hat, bewertet beispielsweise die Wirksamkeit und Kosteneffektivität der Ergotherapie
bei Menschen mit mittleren und schweren Demenzformen (
„Demenz“,
). Die Forscher werteten 14 Arbeiten aus und stellten einige methodische Mängel fest.
Dennoch erscheint ihnen die Ergotherapie empfehlenswert. Demnach profitieren Betroffene
unter anderem von einem aktivitätsorientierten Funktions- und Fertigkeitstraining.
Außerdem können Ergotherapeuten die Angehörigen durch gezielte Beratungs- und Trainingsangebote
unterstützen. Diese wirken entlastend, verbessern die Betreuungskompetenzen und verzögern
eine Heimeinweisung [5].
Mit HTA-Berichten ist evidenzbasiertes Arbeiten auch für vielbeschäftigte Ergotherapeuten
machbar.
HTA-Berichte bieten also Therapeuten, Medizinern oder Patienten eine evidenzbasierte
Informationsgrundlage. Damit aber nicht genug: Sie können auch gesundheitspolitische
Entscheidungen beeinflussen. Zum Beispiel, wenn sie den Gemeinsamen Bundesausschuss
dazu veranlassen, Positionen im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkasse zu
ergänzen, zu erhalten oder zu streichen [6, 7].
Ein weiterer Pluspunkt: Interessierte erhalten die vollständigen Berichte kostenlos
über die DAHTA-Datenbank oder über German Medical Science („Nützliche Links“). Und das Ganze in deutscher Sprache.
Themenvorschläge erwünscht!
Themenvorschläge erwünscht!
Heißt das jetzt, dass Ergotherapeuten sich ganz auf die DAHTA-Datenbank verlassen
können, wenn sie evidenzbasiert arbeiten möchten? So einfach ist es leider nicht.
Denn die Anzahl der ergotherapierelevanten HTA-Berichte aus Deutschland ist beschränkt.
Da die Evaluationen sehr zeit- und kostenaufwendig sind, kann die DAHTA pro Jahr nur
rund 15 HTA-Artikel veröffentlichen. Das Kuratorium der HTA entscheidet zweimal jährlich
darüber, welche Themen Priorität haben. Dieses Kuratorium setzt sich unter anderem
aus den Interessenvertretern des Gemeinsamen Bundesausschusses, der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung, der Krankenversicherungen und Patientenorganisationen zusammen.
Ergotherapeuten oder andere Heilmittelerbringer gehören nicht dazu [4, 6, 8]. Wie
alle Interessierten können sie ihre Themenvorschläge aber über die Internetpräsenz
der DIMDI einreichen („Nützliche Links“). Nach der Themenauswahl beauftragt die DAHTA qualifizierte Wissenschaftler damit,
die HTA-Berichte zu erstellen, und fördert deren Forschung finanziell. Der Entwicklungsprozess
unterliegt den „Standard Operating Procedures“ (SOP) und integriert eine mehrstufige
Qualitätsprüfung. Dabei sollen HTA-Berichte über die experimentelle Wirksamkeit, die
Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen und die Kosteneffizienz informieren sowie gleichzeitig
soziale, rechtliche und ethische Fragen berücksichtigen [4, 9, 10].
Entstehung eines HTA-Berichts
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> Öffentliche Themensammlung: Themeneinreichung über Online-Fragebogen
-
> Themenauswahl: Das HTA-Kuratorium legt Themen und Prioritäten fest.
-
> Auftragsvergabe und Qualitätssicherung: Die DAHTA beauftragt Wissenschaftler mit der Erstellung des Berichts. Dieser durchläuft
ein mehrstufiges Gutachterverfahren.
-
> Publikation: Die fertigen HTA-Berichte werden in der DAHTA-Datenbank und über German Medical Science
veröffentlicht.
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> Aktualisierung: Die Überarbeitung der HTA-Berichte geschieht auf Antrag und setzt eine erneute Themenauswahl
und Auftragsvergabe voraus.
Nützliche Links
-
> HTA bei DIMDI: www.dimdi.de/static/de/hta/index.htm Das Portal mit der DAHTA-Datenbank dient der Recherche deutschsprachiger HTA-Berichte
und Fragebogen.
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> German Medical Science: www.egms.de Ein Portal für Online-Zeitschriften, Kongresse und Forschungsberichte aus der Medizin
-
> CRD-Database der University of York: www.crd.york.ac.uk/crdweb Datenbank zur Recherche internationaler HTA-Berichte
Gewusst wo!
In der DAHTA-Datenbank findet man beispielsweise HTA-Berichte über Frühinterventionen
für Kinder mit Autismus, Sturzprophylaxe oder pflegerische Versorgungskonzepte für
Menschen mit Demenzerkrankungen [11–13]. Ist das eigene Interessengebiet nicht dabei,
kann man auch auf die internationale HTA-Datenbank zurückgreifen. Sie ist Bestandteil
der CRD-Database der University of York und enthält die HTA-Berichte aller Mitgliedsorganisationen
des International Network for Agencies for Health Technology Assessments (INAHTA).
Mit dem Suchbegriff „Occupational Therapy“ stößt man hier zum Beispiel auf drei HTA-Berichte
aus Österreich, die sich mit dem Einsatz von Ergotherapie nach Schlaganfall, bei Rheumatoider
Arthritis, bei Demenz und Depressionen beschäftigen [14–16].
Für Mitglieder des DVE lohnt sich zudem ein Blick in die EBP-Datenbank, die ergotherapierelevante
HTA-Berichte zusammenfasst und bewertet.
Natürlich gelten die Darstellungen in HTA-Berichten nicht unbegrenzt. Die Halbwertszeit
medizinischer Erkenntnisse liegt bei etwa fünf Jahren [17, 18]. Dann ist es höchste
Zeit, das Thema erneut vorzuschlagen, womit der Entwicklungszyklus von vorne beginnt.
Ein Bericht, viele Auswirkungen
Ein Bericht, viele Auswirkungen
Möchten sich Ergotherapeuten intensiver mit dem Entwicklungsprozess von HTA-Berichten
beschäftigen, kann ihnen ein Workshop oder Symposium der DAHTA weiterhelfen [4]. Die
DIMDI hat zudem ein Handbuch für Autoren herausgegeben, das über die Einzelheiten
der Berichterstellung informiert [10]. An Angehörige von Gesundheitsberufen richtet
sich auch der halbjährige Blended-Learning-Kurs „HTA-Online“, den die Technische Universität
Berlin jeweils zum Herbst anbietet [19, 20].
Die Mühe lohnt sich, denn HTA-Berichte können der Ergotherapie auf verschiedene Weise
zugute kommen. Empfehlen sie den Einsatz von Ergotherapie, sichern sie auch ihre Position
im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung. Außerdem geht von ihnen
eine Signalwirkung aus, die das Image der Ergotherapie verändern kann. Über den HTA-Bericht
von Habermann et al. haben zum Beispiel viele gesundheitsbezogene Fachzeitschriften
und Internetseiten informiert. So auch das deutsche Ärzteblatt unter dem Titel „Studien:
Ergotherapie bei Demenz erfolgreich“ [21].
Und natürlich ganz wichtig: Mit Ressourcen wie den HTA-Berichten ist evidenzbasiertes
Arbeiten machbar. Auch für vielbeschäftigte Ergotherapeuten.