ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2014; 123(01/02): 44-45
DOI: 10.1055/s-0034-1370702
Colloquium
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Internationale Stimmen zum Potenzial von Glasionomermaterialien – Restaurative Zahnheilkunde: Mit GIZ in die Zukunft?

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Publication Date:
18 February 2014 (online)

 

Vor gut einem halben Jahrtausend erblickte im italienischen Vinci eines der einflussreichsten Genies der Wissenschaft das Licht der Welt – unweit der toskanischen Hauptstadt Florenz. Während Vinci zum Namensgeber eines gewissen Leonardo wurde, avancierte Florenz Ende 2013 zum Veranstaltungsort des jährlichen Meetings der CED-IADR (Continental European Division of the International Association for Dental Research), einem der bedeutendsten Treffen zahnmedizinisch tätiger Wissenschaftler. Einige von ihnen diskutierten im Rahmen eines Symposiums des Dentalunternehmens GC die Möglichkeiten Glasionomer-basierter Restaurationskonzepte und gaben Einblicke in ihre Forschungsarbeit.

Glasionomerzemente (GIZ) haben unter anderem aufgrund der adhäsiven [ 1 ] und kariespräventiven [ 2 ] Eigenschaften ihren Platz in der zahnärztlichen Füllungstherapie eingenommen. Zur Optimierung der Materialeigenschaften kombinieren einige moderne Restaurationssysteme eine Glasionomer-basierte Komponente mit einem hochgefüllten Komposit-Coating. Diesem Ansatz folgt auch EQUIA (GC), gemäß der Gebrauchsanweisung des Herstellers unter anderem bei Restaurationen der Klasse I, unbelasteten Restaurationen der Klasse II und kaudruckbelasteten Restaurationen der Klasse II (sofern der Isthmus weniger als die Hälfte des Interkuspidalraumes beträgt) anwendbar und für diese Indikationen über die GKV abrechnungsfähig. Zu EQUIA und dem Thema des genannten Symposiums „Glass-Ionomer based concepts of today in restorative dentistry“ sprach Dr. Piyush Khandelwal (GC) mit den Teilnehmern Prof. Sevil Gurgan (Hacettepe Universität, Ankara, Türkei), Prof. Ulrich Lohbauer (Universitätsklinikum Erlangen, Deutschland) und Dr. Thomas Klinke (Universität Greifswald, Poliklinik für zä. Prothetik, Alterszahnheilkunde und med. Werkstoffkunde, Deutschland).

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S. Gurgan
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U. Lohbauer
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Th. Klinke

? Prof. Gurgan, welcher Aspekt hat die zahnärztliche Füllungstherapie aus Ihrer Sicht in den letzten Jahrzehnten am meisten geprägt?

Gurgan: Für den praktizierenden Zahnmediziner waren die Auswahlmöglichkeiten bei den Restaurationsmaterialien bis vor einigen Jahren auf bestimmte Werkstoffe beschränkt. Als gut funktionierendes Füllungsmaterial in einem breiten Einsatzspektrum galt lange Zeit Amalgam. Über die Jahre hinweg wurden nun zahnfarbene Materialien entwickelt, die hinsichtlich ihrer physikalischen Eigenschaften kontinuierlich verbessert wurden und sich durch eine optimierte Farbgebung auszeichnen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass auch die Öffentlichkeit zunehmend nach ästhetischen, nichtmetallischen Alternativen verlangt – was sich nicht zuletzt im Rückgang von Amalgamrestaurationen widerspiegelt.

? Welche zahnfarbenen Materialien bieten sich für direkte Restaurationen im Seitenzahnbereich an?

Gurgan: Als Material der Wahl im posterioren Bereich gilt heutzutage Komposit. GIZ wiederum sind aufgrund ihrer chemischen Haftung an der natürlichen Zahnsubstanz, ihrer Fluoridfreigabe und der damit verbundenen, remineralisierenden Wirkung in der präventiven Zahnheilkunde sowie in der Kinderzahnheilkunde sehr verbreitet. Im Vergleich zu Kompositen ist die Haftung von GIZ an der natürlichen Zahnsubstanz weniger empfindlich gegenüber der angewandten Verarbeitungstechnik – zumal die Leistungsfähigkeit der GIZ-Füllung mit der Zeit zunimmt.

? Prof. Lohbauer, welchen Nutzen verspricht eine Kombination aus GIZ und Komposit wie beispielsweise beim zweistufigen Restaurationskonzept EQUIA?

Lohbauer: Diese neuen Konzepte arbeiten mit einem nanogefüllten, hydrophilen Coating, welches die Empfindlichkeit des GIZ während der Reifephase herabsetzt und wichtige Werkstoffeigenschaften optimieren soll. So zeigten beispielsweise Messungen der Bruchzähigkeit insbesondere in den frühen Stadien des Reifungsprozesses den schützenden Effekt des Coatings.

? Können Sie uns die Wirkungsweise des Coatings näher erläutern?

Lohbauer: Der Lack infiltriert die oberflächlichen Poren, und aufgrund der hydrophilen Eigenschaften – in Kombination mit einer extrem geringen Viskosität – funktioniert das Abdecken der Oberfläche nahezu perfekt. Durch das Coating wird die naturgemäß bei Glasionomeren stets leicht poröse Oberfläche effektiv infiltriert und so durch den Verbund der Werkstoffe die Biegefestigkeit deutlich gesteigert (Abb. [ 1 ]) [ 3 ]. Der saure Charakter des Materials unterstützt dabei das Anfließverhalten an die Oberfläche. In-vitro-Untersuchungen zeigten, dass zum Beispiel beim Restaurationssystem EQUIA, das aus dem hochviskosen Füllungsmaterial EQUIA Fil und aus dem nanogefüllten, lichthärtendem Kompositlack EQUIA Coat besteht, die anfängliche mechanische Festigkeit durch die Applikation des Coats gesteigert werden konnte.

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Abb. 1 Fluoreszenzmikroskopische Querschnitts-Aufnahme der Grenzfläche zwischen EQUIA Fil und EQUIA Coat. Sichtbar ist die circa 40 μm starke Coating-Schicht, die den GIZ abdeckt und kleinere Oberflächendefekte perfekt verschließt (Quelle: Lohbauer).

? Erst kürzlich wurden auf dem CED-IADR-Kongress in Florenz fortgeschrittene Resultate laufender klinischer Untersuchungen zu EQUIA über die Laufzeit von 24 [ 4 ] beziehungsweise 48 Monaten [ 5 ] vorgestellt. Dr. Klinke, Prof. Gurgan, können Sie Ihre Studien kurz erläutern?

Klinke: Zunächst sei darauf hingewiesen, dass sich die im Rahmen der CED-IADR vorgestellten 2-Jahres-Daten als Zwischenergebnisse verstehen. Die in der Poliklinik für zä Prothetik, Alterszahnheilkunde und med. Werksstoffkunde am ZZMK der Universität Greifswald initiierte Studie, ist als prospektive, randomisierte, deutschlandweite, doppelblinde Feldstudie mit niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen in einem Zeitraum von 5 Jahren angelegt. Die Untersuchung zeichnet sich durch ein einmaliges Studiendesign aus, das für die Betrachtung im Feld konzipiert wurde und den realen Alltag in der niedergelassenen Praxis abbilden soll. Es wurden schriftlich 3194 Zahnärzte eingeladen, von denen 144 definitiv zugesagt hatten, um in ihrer Praxis nach Herstellerangaben jeweils 4 ein- oder zweiflächige Füllungen mit EQUIA Fil oder Fuji IX GP Fast (GC) zu legen.
Gurgan: Das Ziel der von unserer Forschungsgruppe durchgeführten Studie war es, die Leistungsfähigkeit von EQUIA für Restaurationen der Klasse I und II im Vergleich zu Kompositen über einen Zeitraum von 48 Monaten zu bewerten. Die Untersuchung bezog 140 Läsionen ein, die entweder mit EQUIA Fil in Kombination mit EQUIA Coat oder dem Komposit Gradia Direct Posterior (GC) in Kombination mit G-Bond (GC) als Vergleichsmaterial restauriert wurden.

? Können Sie uns die wichtigsten Resultate Ihrer Untersuchungen kurz schildern?

Klinke: Für EQUIA Fil konnte derzeit in der Feldstudie eine 99,5 %-ige Überlebensrate nach 12 Monaten und eine 96,3 %-ige nach 24 Monaten festgestellt werden. In der jetzigen Datenauswertung weisen dabei kleine einflächige Füllungen eine höhere Lebenserwartung als zweiflächige Füllungen auf. Alle derzeit untersuchten 644 Füllungen wurden von externen, kalibrierten, universitären Kollegen entsprechend der FDI-Kriterien nach Hickel et al. als klinisch gut bewertet. Ob die vorliegenden, aktuellen Ergebnisse durch die laufenden Follow-Ups gestützt werden können, werden die folgenden Nachuntersuchungen zeigen.
Gurgan: Nach 4 Jahren lag die Retentionsrate für EQUIA bei Klasse-I-Restaurationen bei 100 % und für Klasse-II-Restaurationen immerhin bei über 92 %. Postoperative Sensitivitäten traten insgesamt nicht auf, zudem waren beim Entstehen von Sekundärkaries und bei Veränderung von Oberflächentexturen über 4 Jahre keine signifikanten Unterschiede zwischen EQUIA- und Kompositfüllungen festzustellen.

? Zu welchem Fazit kommen Sie?

Klinke: Die bisherigen Ergebnisse im Feld weisen für beide untersuchten Materialien eine gute klinische Performance über den untersuchten Zeitraum von bis zu 24 Monaten nach (Abb. [ 2 ]). Aus den Resultaten lässt sich derzeit schließen, dass EQUIA eine Alternative für kleinflächige Füllungen im Seitenzahnbereich darstellen kann – vorzugsweise im Prämolarenbereich. Voraussetzung ist jedoch die strenge Indikationsstellung, die adäquate Vorbereitung des Zahnes sowie die Verarbeitung des Materials nach Herstellerangaben. Hinzuzufügen ist, dass zum Erreichen einer optimalen Langlebigkeit das Indikationsspektrum auf kleine ein- und zweiflächige Füllungen begrenzt und Verarbeitungshinweise sowie Indikationseinschränkungen des Herstellers strikt befolgt werden sollten. Es bleibt zu überlegen, ob ein Recoating im jährlichen Bonuszyklus durchgeführt werden sollte.
Gurgan: Nach 48 Monaten konnten bei keiner der zu diesem Zeitpunkt verbliebenen 126 Restaurationen eine Verminderung der Performance hinsichtlich Retentionsverhalten, Auftreten von Sekundärkaries, Oberflächenstruktur, postoperativen Sensibilität sowie Farbbeständigkeit festgestellt werden. Darüber hinaus wurden für beide Füllungsmaterialien nur geringfügig signifikante Unterschiede hinsichtlich Randschluss und Verfärbungen im Vergleich zum Ausgangswert gefunden. Daraus schließen wir, dass beide Materialien eine vergleichbare klinische Leistungsfähigkeit nach 48 Monaten aufweisen, was sie zu geeigneten Füllungsalternativen für die untersuchten Kavitätenklassen macht.

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Abb. 2 Vergleich von Restaurationen mit GC Fuji IX GP FAST (li) und GC EQUIA Fil (re) nach 24 Monaten: keine sichtbaren Unterschiede im Erscheinungsbild (Quelle: Klinke).

? Abschließend ein Blick voraus: Prof. Gurgan, wie schätzen Sie das Zukunftspotential von GIZ ein?

Gurgan: Aufgrund der zahlreichen Vorteile sehe ich in GIZ ein zuverlässiges Füllungsmaterial heranwachsen, das sich im Sinne einer modernen Zahnmedizin vor allem für eine auf adhäsiven Techniken basierende minimalinvasive Zahnheilkunde empfiehlt.

Korrespondenzadressen

Sevil Gurgan
DDS, PhD, Professor
Dept. of Restorative Dentistry
School of Dentistry, Hacettepe University
06100 Ankara, Turkey
E-Mail: sgurgan@hacettepe.edu.tr

Ulrich Lohbauer
Prof. Dr.-Ing.
Universitätsklinikum Erlangen
Zahnklinik 1 – Zahnerhaltung und Parodontologie
Glückstraße 11
91054 Erlangen
E-Mail: lohbauer@dent.uni-erlangen.de

Thomas Klinke
Dr., Oberarzt
Universitätsmedizin Greifswald
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Poliklinik für zä. Prothetik, Alterszahnheilkunde und med. Werkstoffkunde
Walther-Rathenau-Strasse 42a
17475 Greifswald
E-Mail: klinke@uni-greifswald.de


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  • Literatur

  • 1 Triana R, Prado C, Garro J, Garcia-Godoy F. Dentin bond strength of fluoride-releasing materials. Am J Dent 1994; 7: 252
  • 2 Kantovitz KR et al. Inhibition of mineral loss at the enamel/sealant interface of fissures sealed with fluoride- and non-fluoride containing dental materials in vitro. Acta Odontol Scand 2006; 64 (Suppl. 06) 376-383
  • 3 Lohbauer U, Krämer N, Siedschlag G, Schubert EW, Lauerer B, Müller FA, Petschelt A, Ebert J. Strength and wear resistance of a dental glass-ionomer cement with a novel nanofilled resin coating. Am J Dent 2011; 14: 124-128
  • 4 Klinke T, Daboul A, Biffar R. EQUIA - RCT in the field: Longevity after 24 months. CED-IADR-Meeting in Florenz, 2013, Abstract 3. Abruf am 13.09.2013 unter: https://iadr.confex.com/iadr/ced13/webprogram/Paper179792.html
  • 5 Gurgan S. Gurgan S. EQUIA study – Clinical performance of EQUIA restorative System in restoration of posterior teeth. Vortrag auf CED-IADR-Meeting in Florenz: 06.09.2013

  • Literatur

  • 1 Triana R, Prado C, Garro J, Garcia-Godoy F. Dentin bond strength of fluoride-releasing materials. Am J Dent 1994; 7: 252
  • 2 Kantovitz KR et al. Inhibition of mineral loss at the enamel/sealant interface of fissures sealed with fluoride- and non-fluoride containing dental materials in vitro. Acta Odontol Scand 2006; 64 (Suppl. 06) 376-383
  • 3 Lohbauer U, Krämer N, Siedschlag G, Schubert EW, Lauerer B, Müller FA, Petschelt A, Ebert J. Strength and wear resistance of a dental glass-ionomer cement with a novel nanofilled resin coating. Am J Dent 2011; 14: 124-128
  • 4 Klinke T, Daboul A, Biffar R. EQUIA - RCT in the field: Longevity after 24 months. CED-IADR-Meeting in Florenz, 2013, Abstract 3. Abruf am 13.09.2013 unter: https://iadr.confex.com/iadr/ced13/webprogram/Paper179792.html
  • 5 Gurgan S. Gurgan S. EQUIA study – Clinical performance of EQUIA restorative System in restoration of posterior teeth. Vortrag auf CED-IADR-Meeting in Florenz: 06.09.2013

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S. Gurgan
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U. Lohbauer
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Th. Klinke
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Abb. 1 Fluoreszenzmikroskopische Querschnitts-Aufnahme der Grenzfläche zwischen EQUIA Fil und EQUIA Coat. Sichtbar ist die circa 40 μm starke Coating-Schicht, die den GIZ abdeckt und kleinere Oberflächendefekte perfekt verschließt (Quelle: Lohbauer).
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Abb. 2 Vergleich von Restaurationen mit GC Fuji IX GP FAST (li) und GC EQUIA Fil (re) nach 24 Monaten: keine sichtbaren Unterschiede im Erscheinungsbild (Quelle: Klinke).