Aktuelle Urol 2014; 45(02): 93-94
DOI: 10.1055/s-0034-1373683
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nierensteine – Prophylaktische Antibiose bei Stoßwellenlithotripsie?

Contributor(s):
Elke Ruchalla

J Urol 2013;
189: 2112-2117
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Publication History

Publication Date:
03 April 2014 (online)

 

Im Hinblick auf die Antibiotikaprophylaxe bei der extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie (ESWL) von Nierensteinen gibt es unterschiedliche Auffassungen: Die American Urological Association empfiehlt sie grundsätzlich, im Gegensatz dazu stehen die europäische Leitlinien, die sie nur bei Risikopatienten empfehlen. Eine Gruppe aus Toronto hat die Wertigkeit gezielter antimikrobieller Prophylaxe untersucht.
J Urol 2013; 189: 2112–2117

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(Bild: Andrea Damm / pixelio.de)

Obwohl nur eine gezielte (im Gegensatz zu routinemäßiger) Antibiotikaprophylaxe bei der ESWL von Nierensteinen durchgeführt wurde, war die Rate von Harnwegsinfektionen und asymptomatischen Bakteriurien extrem gering. Zu diesem Ergebnis gelangen John Honey und seine Kollegen, die insgesamt 526 Patienten in ihre prospektive Kohortenstudie aufgenommen haben. Bei allen Studienteilnehmern wurde am Tag der ESWL eine Urinprobe (Mittelstrahlurin) entnommen. Ein Urinstix-Test wurde durchgeführt und eine Kultur angelegt. Zusätzlich wurde 3 Tage nach der Untersuchung erneut Urin zur Kultur entnommen. Eine antibiotische Prophylaxe erfolgte nach Ermessen der behandelnden Urologen bei Risikopatienten (einliegender Nephrostomie-Katheter, infizierte Steine in der Vorgeschichte, kürzliche durchgeführte Interventionen an den Harnwegen und / oder Nachweis von Nitrit und Leukozyten mittels Urinstix). Innerhalb von einer Woche nach ESWL wurden die Studienpatienten nach Symptomen wie Fieber, Schmerzen beim Wasserlassen und Notwenigkeit einer antibiotischen Behandlung nach Entlassung befragt. Primärer Endpunkt der Studie war die Häufigkeit von ABU, HWI, Urosepsis und das Ergebnis der postinterventionellen Kulturen. Sekundärer Endpunkt war die Aussagekraft der Urinstix für einen tatsächlichen Erregernachweis in der Urinkultur.

Harnwegsinfektion nur bei einem Patient

Die Daten von insgesamt 389 Patienten konnten im Hinblick auf den primären Endpunkt ausgewertet werden, davon hatten 8 gezielt eine Antibiose erhalten. Bei 106 Patienten fehlten die postinterventionellen Kulturen, und bei weiteren 31 fand sich ein positiver Befund bereits am Tag der ESWL. Ein manifester HWI mit Nachweis von E. coli in der Kultur trat lediglich bei einem der 389 Patienten auf (0,3 %), zu einer Urosepsis kam es in keinem Fall. Eine ABU wurde bei 11 Patienten nachgewiesen (2,8 %).

Zur Auswertung des sekundären Endpunkts wurden alle 526 Patienten herangezogen. Dabei ergab sich beim Nachweis von Nitrit gemäß Stix eine Sensitivität von 9,7 % und eine Spezifität von 95 % für einen tatsächlichen Keimnachweis in der Kultur, die Kombination von Nitrit plus Leukozyten änderte diese Zahlen nicht wesentlich.

Fazit

Die ESWL von Nierensteinen per se ist nach diesen Ergebnissen keine Indikation für die prophylaktische Gabe von Antibiotika, meinen die Autoren. Allerdings, so fügen sie weiter an, gab es in ihrer Studie keine Kontrollgruppe, und die Antibiotikagabe, wenn sie erfolgte, war nicht standardisiert. Daher können allgemeingültige Empfehlungen daraus nicht abgeleitet werden. Weitere Untersuchungen sollten aber die adäquaten Indikationen für eine prophylaktische antibiotische Behandlung klären, ebenso die Wahl des Antibiotikums und die Dauer der Therapie.


Kommentar

Ist eine Antibiotikaprophylaxe bei der ESWL notwendig?

Bezüglich einer generalisierten periinterventionellen Antibiotikaprophylaxe vor Durchführung einer Extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie (ESWL) gibt es diskrepante Empfehlungen vonseiten der amerikanischen (AUA) und europäischen (EAU) urologischen Leitlinienkommission. Während in der AUA-Leitlinie immer noch eine universelle Antibiotikaprophylaxe vor ESWL empfohlen wird, beschränkt sich die EAU-Leitlinie auf ein selektioniertes Patientengut. Traditionell wird sicherlich in den meisten deutschen Kliniken, aber auch international, eine periinterventionelle Antibiotikaprophylaxe vor jeglichen Interventionen bei Nephrolithiasis durchgeführt. Die behandelnden Urologen wissen sich hierdurch in der Regel auf der sicheren Seite und gehen damit jeglichem Vorwurf aus dem Weg, die ihnen anvertrauten Patienten unterbehandelt oder nicht ausreichend geschützt zu haben.

In dieser prospektiven Kohortenstudie haben John Honey und Kollegen nun dieses Dogma der universellen präemptiven Antibiotikaprophylaxe vor ESWL auf den Prüfstand gestellt.

Stärken und Schwächen der Arbeit

Es handelt sich um eine unizentrische Kohortenstudie, d. h. ein hoher Evidenzlevel bleibt den Ergebnissen verwehrt, da keine Randomisierung vorliegt. Nichtsdestotrotz wurden über einen Zeitraum von 6 Monaten immerhin 526 Patienten prospektiv eingeschlossen.

Nachteilig ist sicherlich, dass die sog. „gezielte“ Antibiotikatherapie nicht im Vorhinein standardisiert, sondern jeweils von dem behandelnden Urologen individuell festgelegt wurde. Primäres Studienziel war die Inzidenz von Harnwegsinfektionen, Urosepsis und asymptomatischen Bakteriurien nach ESWL. Sekundär wurde die Sensitivität und Spezifität von den Urinschnelltest-Parametern Leukozyten und Nitrit (positiv vs. negativ) untersucht.

Alle Patienten hatten eine präinterventionelle Urinanalyse (Schnelltest und Kultivierung am Tag vor ESWL) und innerhalb von 3 Tagen nach Intervention, die letztendlich determinierenden Zielparameter wurden allerdings nur mithilfe eines Fragebogens abgefragt und nicht anhand standardisierter, nachweisbarer Tests evaluiert. Von den letztendlich eingeschlossenen 389 Patienten trat nur bei 0.3 % ein HWI, keine Urosepsis und bei 2,8 % eine asymptomatische Bakteriurie auf. Insgesamt wurde nur bei 2,1 % (!) der Patienten überhaupt eine Antibiotikaprophylaxe durchgeführt. Allerding wurden nur Patienten mit nachweisbar sterilem Urin (Über-Nacht-Kultur) behandelt und für die weitere Auswertung dann auch eingeschlossen.

Diese Ergebnisse sind erstaunlich gut, sodass man eine generalisierte Antibiotikaprophylaxe vor ESWL tatsächlich infrage stellen muss, wenn eine negative Urinkultur am Tag der Therapie vorliegt.

Voraussetzungen für eine Antibiotikaprophylaxe

Diese Praxis ist sicherlich nur bei idealen Kandidaten durchführbar (nicht immunsupprimiert und / oder keine anderweitigen Risikofaktoren, z. B. anatomisch bedingte Obstruktion der ableitenden Harnwege o.ä.). Das mediane Alter des Studienkollektivs war mit 54 ± 12 Jahren auch relativ niedrig.

  • Liegt ein auffälliges Blutlabor oder eine Dilatation der oberen Harnwege vor, sollte eine Antibiotikaprophylaxe durchgeführt werden.

  • Im Falle einer Ableitung (DJ-Stent, Nephrostomie und / oder einliegender Blasenkatheter) sollte ebenfalls eine Prophylaxe durchgeführt werden, auch wenn in dieser Studie 15 % der Patienten ein DJ einliegen hatten. Vor einer abweichenden Empfehlung müssten größere Studienpopulationen vorliegen. Dies wird so auch von den Autoren als limitierender Faktor aufgeführt.

  • Die Autoren führten eine individuelle Prophylaxe durch, falls kürzlich ein HWI oder eine endoskopische Intervention vorausgegangen war.

  • Die Aussage des Urinschnelltests (Dipstick) mit einem hohen negativ prädiktiven und einem niedrigen positiv prädiktiven Wert wird zu Recht infrage gestellt, dies ist konform zur publizierten Datenlage. Folgerichtig wird empfohlen, dass man sich vor einer geplanten Therapie nur auf die aus Mittelstrahl gewonnene Urinkultur (über Nacht) verlassen kann.

Fazit

Im Vergleich zu anderen bis dato publizierten Arbeiten muss man sagen, dass es sich hierbei um eine nicht randomisierte Einzelkohorten-Studie handelt, wenn auch mit sehr hoher Teilnehmerzahl. Somit tragen die Erkenntnisse sicherlich positiv zur klinischen Praxis bei, indem sie die EAU-Leitlinienempfehlung der gezielten prophylaktischen im Gegensatz zur universellen Antibiose unterstützen. In Hinsicht auf Patientensubgruppen, die mit Harnleiterschienen, Neprhostomien und / oder Kathetern versorgt sind, kann anhand dieser Studie noch keine belastbare Empfehlung ausgesprochen werden.

Im Fachgebiet der Urologie werden Patienten im Vergleich zu anderen chirurgischen Fächern eher großzügig mit periinterventioneller Antibiose abgedeckt, sodass eine solche Studie im Zuge der steigenden Resistenzenbildung gegen gängige Antibiotika einen hohen Nutzen aufweist. Dies sollte uns sensibilisieren, unsere gängige Praxis bez. der verabreichten Antibiosen – nicht nur im Zuge der Steintherapie – auf den Prüfstand zu stellen.

Dr. Andreas Neisius, Mainz


Dr. Andreas Neisisus


ist Funktionsoberarzt an der Urologischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz

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(Bild: Andrea Damm / pixelio.de)