B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2014; 30(03): 113-114
DOI: 10.1055/s-0034-1373871
Praxis
Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Empfehlungen für jedes Alter – gegen den Sitzenden Lebensstil von Kindern

A Beck
1   Plattform Ernährung und Bewegung e.V. (peb)
,
M Eichner
1   Plattform Ernährung und Bewegung e.V. (peb)
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Korrespondenzadresse

Mirko Eichner
Stellvertretender Geschäftsführer Kommunikation & Projektentwicklung Plattform Ernährung und Bewegung e.V. (peb)
Wallstraße 65
10179 Berlin
Phone: 030/278797–62   

Publication History

Publication Date:
24 June 2014 (online)

 

Zusammenfassung

Der ausufernde Sitzende Lebensstil gefährdet die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. In jeder Phase der Kindheit gibt es Möglichkeiten, Kindern (Bewegungs)Freiräume zu schaffen, indem z. B. das Kinderzimmer bewegungsfördernd gestaltet wird, Wegstrecken aus eigener Kraft zurückgelegt werden, der Konsum von Bildschirmmedien begrenzt wird oder Kinder ihre Eltern als bewegte Vorbilder erleben.


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Summary

Advice for all ages: Against sedentary lifestyle for children

The rise of sedentary lifestyle endangers the health of children and the youth. At each stage of childhood, there are ways to create (physical exercise) spaces for children, such as the arrangement of children‘s room in a movement friendly way. Other measures include; going on foot regularly, limiting the time spent using screen media or parents serving as role models for their children by regular physical exercise.


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Der Sitzende Lebensstil beeinflusst die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nachhaltig. Gesundheitliche Probleme, wie beispielsweise Übergewicht und eine Verringerung der Knochendichte, können Folgeerscheinungen zu langen Sitzens und geringer körperlicher Aktivität sein. Die Umgebung, in der Kinder und Jugendliche aufwachsen, hat prägenden Einfluss auf ihre Entwicklung und bietet somit die Chance, dem Sitzenden Lebensstil entgegenzuwirken. Entsprechend ihres Alters haben Kinder und Jugendliche unterschiedliche Bedürfnisse, auch im Hinblick auf Bewegung: Während jüngere Kinder die elterliche Zuwendung in hohem Maße brauchen, ist es für ältere oft hinderlich, wenn sie nicht genügend (Bewegungs-)Freiräume erhalten. Hier erhalten Eltern Tipps und Anregungen, wie sie altersgerechte Bewegungsanreize für ihre Kinder schaffen können.

0–12 Monate: vom Strampeln bis zum Laufen

Bereits im Mutterleib und im 1. Lebensjahr werden die Weichen für die spätere Bewegungsbiografie gestellt. Dieser Vorgang wird in der Wissenschaft als „perinatale Programmierung“ bezeichnet. Für die positive Entwicklung eines Babys sind vielfältige Bewegungs- und Sinneserfahrungen entscheidend. Spaziergänge an der frischen Luft, zunächst mit dem Kinderwagen, tun Mutter und Kind gut. Wippen oder die später zum Einsatz kommenden Lauflernhilfen sind für die Bewegungsentwicklung eher hinderlich. Sie verhindern, dass Kinder ihre Selbstwirksamkeit erfahren, d. h. dass sie mit diesen Hilfsmitteln ihre Fortschritte aus eigener Kraft kaum erleben. Sie werden bewegt, anstatt sich zu bewegen. Daher gilt es, diese Hilfsmittel ausschließlich zum Transport einzusetzen, also wenn die Sicherheit es erfordert. Kinder benötigen bereits im 1. Lebensjahr sichere Räume und freie Flächen zum Strampeln, Krabbeln, Hochziehen – und später auch zum Laufen. Organisierte Bewegungsangebote wie Krabbelgruppen fördern neben den Bewegungsaspekten auch das Sozialverhalten der Kinder.


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1–3 Jahre: Bewegungsfreiräume – drinnen und draußen

Kleinkindern sollte Zeit und Gelegenheit gegeben werden, die Welt auf eigene Faust zu erkunden. Als Faustregel gilt: mindestens eine Stunde täglich raus an die frische Luft! Sie sollten täglich die Möglichkeit haben, sich in einer sicheren Umgebung frei zu bewegen. Die Eltern sollten sich dabei zurückhalten und das Kind in seinem natürlichen Entdeckungsdrang unterstützen. Zusätzlich können Eltern den Bewegungsdrang ihrer Kinder beispielsweise durch tobefreundliche Kinderzimmer, Wassergewöhnung oder die Aktivität in einem Sportverein entgegenkommen. Kinder erschließen sich durch Spiel und Bewegung die Welt, sie müssen „nur“ die Möglichkeit erhalten, ihren Bewegungsdrang zu entfalten. Sie sollten die Chance bekommen, die Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu erleben. Mobilitätshilfen wie Schiebestangen für Dreiräder oder Bobby Cars verhindern, dass Kinder ihre Selbstwirksamkeit erfahren.

Bildschirmmedien gilt es in den ersten Lebensjahren gänzlich zu vermeiden. Auch das elterliche Vorbild spielt eine große Rolle für die Kindesentwicklung. Daher gilt auch für Eltern, den Medienkonsum sinnvoll zu dosieren und z. B. tägliche Wege auch gemeinsam zu Fuß, mit dem Tretroller oder dem Laufrad zurückzulegen.


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3–6 Jahre: Freiräume und Sport

Auch im Alter von 3–6 Jahren gilt die Prämisse, dass sich Kinder erproben und ihren Bewegungsdrang entfalten müssen. Durch Bewegungsherausforderungen, wie zum Beispiel eine Turnstange im Kinderzimmer, werden sie dabei unterstützt. Die Zeit für gemeinsames Spielen und Bewegen mit der Familie ist in dieser Lebensphase besonders wichtig und wertvoll. Schritt für Schritt sollten den Kindern mehr Eigenverantwortung und Freiräume zugestanden werden – auch wenn es den Eltern nicht immer leicht fällt loszulassen. Wenn Kinder eigene, und manchmal schmerzhafte, Bewegungserfahrungen machen, lernen sie am meisten. Die Mitgliedschaft in einem Sportverein kann dem natürlichen Bewegungstrieb der Kinder zusätzlich zur Entfaltung verhelfen.

Frühestens ab dem Alter von 3 Jahren können Kinder sinnvoll an Bildschirmmedien herangeführt werden. Dabei sollten die Bildschirmzeiten eine Dauer von maximal 30 Minuten pro Tag nicht überschreiten – das heißt jedoch nicht, dass täglicher Medienkonsum zu empfehlen ist. Und auch in diesem Zusammenhang sind Eltern Vorbilder.


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6–10 Jahre: Schulweg, Sport und Hausaufgaben unterbrechen

Mit dem Alter der Kinder sollten auch deren Frei- und Bewegungsräume entsprechend wachsen. Den täglichen Schulweg können sie zunehmend allein oder gemeinsam mit anderen Kindern zu Fuß oder auch mit dem Roller bewältigen. Und auch beim Spielen oder Sport an der frischen Luft ist die elterliche Aufsicht häufig nicht mehr notwendig.

Die Einrichtung des Kinderzimmers spielt neben der bewegten Gestaltung gemeinsamer Aktivitäten bei der Unterstützung zu mehr Bewegung im Alltag eine bedeutende Rolle. Viele Sitzmöbel oder die Fokussierung des Kinderzimmers auf den Schreibtisch wirken bewegungshemmend. Sportvereine bieten mit ihren Sozialtarifen für alle Kinder die Möglichkeit, verschiedene Sportarten auszuprobieren und die bevorzugte Sportart zu finden.

Der Umgang mit Bildschirmmedien sollte auch in dieser Entwicklungsphase geregelt sein. Bis zum 10. Lebensjahr sollte die Bildschirmzeit auf maximal 60 Minuten pro Tag begrenzt bleiben. Mit den schulischen Ansprüchen wächst auch der Umfang der Hausaufgaben, die Kinder und Jugendliche erledigen müssen. Um die langen Sitzzeiten in der Schule auszugleichen, gilt es auf die Einhaltung von „Sitzpausen“ während der Hausaufgaben zu achten.


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10–14 Jahre: unterwegs mit dem Rad und Bildschirm-Zeitkonten

Mit der Fahrradprüfung in der 4. Klasse gewinnen große Kinder an Unabhängigkeit hinzu, und ihr Aktionsradius wird größer. Dabei ist es wichtig, ihnen die Chance zu geben, Freiräume zu entdecken und nach und nach mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Bei Spiel oder Sport an der frischen Luft benötigen sie keine elterliche Aufsicht mehr, und auch der Schulweg kann spätestens jetzt mit dem Fahrrad oder zu Fuß auf eigene Faust bewältigt werden. Im Kinderzimmer gilt weiterhin die Vorgabe, genug Raum für Bewegung zu schaffen, indem der Schreibtisch oder andere Sitzmöbel im Hintergrund bleiben.

Spätestens ab dem 14. Lebensjahr wird die Reglementierung des Zugangs zu Bildschirmmedien zu einer echten Herausforderung. Hier bieten sich wöchentliche Zeitkonten an, mit denen der zeitliche Umfang der Nutzung geregelt, dem Kind aber die Verantwortung über das „Wann“ überlassen wird. Mit dem Übergang in die weiterführende Schule wachsen das Lern- und damit auch das Sitzpensum erneut. Besonders wichtig sind Sitzpausen während der Hausaufgaben, zu denen auch die Lieblingssportart im Verein oder mit Freunden einen wertvollen Ausgleich bietet.


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Ab 14 Jahre: mehr Eigenverantwortung – auch für Bewegung

Ein wichtiger Entwicklungsschritt vom Kind zum Jugendlichen ist die Abgrenzung gegenüber dem Elternhaus. Freiräume, in denen sich Jugendliche ausprobieren können, sind somit besonders wichtig, und die Wahrscheinlichkeit, dass elterliche Apelle Gehör finden, sinkt rasant. Einen geeigneten Rahmen können Sportvereine bieten, aber auch selbst organisierte Sportarten wie BMX-Radfahren, Inline-Skaten, Skateboarden oder auch das Ausführen von Nachbarshunden.

Trotz wachsender Eigenverantwortung sind elterliche Vorgaben in bestimmten Bereichen weiterhin vonnöten: Die Nutzung von Bildschirmmedien sollte auf maximal 2 Stunden am Tag begrenzt bleiben. Für mobile Geräte wie Smartphones oder Tablet-PCs ist diese Einschränkung schwieriger umzusetzen, aber nicht weniger wichtig. Hier spielt vor allem die Vorbildfunktion der Eltern eine große Rolle. Es sollten kreative Lösungen gefunden werden, wie z. B. die Vereinbarung, mobile Bildschirmmedien vorwiegend im Stehen zu nutzen.

Je älter Jugendliche werden, desto höher sind die Anforderungen der weiterführenden Schulen. Schüler lernen fast den ganzen Tag sitzend, und die Hausaufgaben lassen sich kaum im Stehen erledigen. Unter Umständen kann auch über die Nutzung eines Stehpultes nachgedacht werden. Entsprechend der „Sitzbelastung“ ist es wichtig, auf Sitzpausen zu achten und zur Nutzung bewegter Alternativen im Alltag (z. B. Treppe statt Fahrstuhl) zu ermutigen.


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