Sportphysio 2014; 02(02): 53-56
DOI: 10.1055/s-0034-1376405
Sportphysio Research
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sportphysio Research

Further Information

Publication History

Publication Date:
20 May 2014 (online)

Aktuelle Richtlinien für das Management von Gehirnerschütterung

RUNTER VOM SPIELFELD  Gehirnerschütterung (engl.: concussion) wird auch von den Medien zunehmend thematisiert – vor allem dann, wenn bekannte Profisportler für eine lange Zeit ausfallen oder sogar ihre Karriere aufgeben müssen. Als Paradebespiel gilt Sidney Crosby aus Kanada, wahrscheinlich der beste Eishockeyspieler der Welt, der wegen Spätfolgen seiner Gehirnerschütterung fast ein Jahr brauchte bis zum erfolgreichen Comeback in der NHL. Eishockey gehört zusammen mit Rubgy und American Football zu den Sportarten mit dem höchsten Risiko für Gehirnerschütterungen. Da wichtige Aspekte wie Diagnostik, Therapie, Rehabilitation und v. a. Rückkehr zum Sport bis heute zum Teil unerforscht sind, ist die Bedeutung von diesem vierten Internationalen Consensus Meeting umso größer – das erste fand bereits 2001 in Wien statt.

Die Gehirnerschütterung wird durch biomechanische Kräfte ausgelöst. Es ist eine Verletzung des Gehirns und wird als komplexer pathophysiologischer Prozess definiert, welcher das Gehirn beeinträchtigt. Ursache ist oft ein Kopf-zu-Kopf-, Ellbogen-zu-Kopf- oder Kopf-zu-Boden-Aufprall (der auch via Gesicht oder Nacken entstehen kann). Praktisch wird immer eine Reihe von neurophysiologischen Reaktionen ausgelöst, die sich als funktionelle Beinträchtigung (ohne strukturellen Schaden) äußert. Verschiedene klinische und kognitive Symptome sind zu beobachten, die sich in den meisten Fällen innerhalb von sieben bis zehn Tagen erholen können. Dabei teilt man die Gehirnerschütterungen in drei Schweregrade ein: minimale, moderate (in diesen zwei Stufen sind die meisten durch Sport verursachten Gehirnerschütterungen klassifiziert) und schwere Traumata.

Zoom Image
Rugby, Eishockey und American Football gehören zu den Sportarten mit einem hohen Risiko für Gehirnerschütterung. Für die Sportler sind die adäquate Untersuchung und Behandlung karriereentscheidend. (Foto: PhotoDisc, MEV)

Eine direkte spezifische Diagnostik und die adäquate Versorgung am Unfallort sind extrem wichtig (siehe Kasten „Erstsymptome bei Gehirnerschütterung”). Wenn ein Spieler irgendwelche Zeichen einer Gehirnerschütterung aufweist, dann ist eine unmittelbare Untersuchung bei einem Arzt oder einem geschulten Sportphysio unabdingbar (nach den Regeln der Erstversorgung und mit einer speziellen Vorsicht für die Halswirbelsäule). Als Regel gilt, den Spieler sofort aus dem Spiel zu nehmen und den Abtransport in die Kabine zu veranlassen. Eventuell in die Klinik, wenn Schlimmeres vermutet wird, wo die Symptome und Zeichen der Gehirnerschütterung genauer beurteilt werden können. Dabei sind die SCAT3-Formulare von großer Hilfe und werden von den Consensus-Experten dringend empfohlen. Der Verunfallte sollte in den ersten Stunden nicht allein gelassen werden, also unter ständiger Beobachtung sein, und er sollte am selben Tag keinen Sport mehr ausüben.

Die SCAT3-Formulare beinhalten kurze neurophysiologische Testsequenzen zur Erfassung der kognitiven Funtionen. Die üblichen Orientierungsfragen am Spielfeld („Zeit, Ort, Name, ...”) sind zwar immer noch o.k. für einen schnellen Check der Situation, haben sich aber nicht als zuverlässig bezüglich der Einschätzung der Gedächtnisfunktionen erwiesen.

Eine Reihe von zusätzlichen apparativen Untersuchungen stehen dann den Spezialisten zur Verfügung, um die Diagnostik so präzise wie möglich zu gestalten. Während man auf konventionellen bildgebenden Verfahren nichts erkennt (außer es bestehen Pathologien an Halswirbelsäule oder Schädel), können verfeinerte Technologien (wie der „functional MRI” oder neuropsychologische computerisierte Tests) wertvolle Informationen – v. a. auch als Verlaufskontrolle – liefern. Die definitive Diagnose der Gehirnerschütterung und deren Schweregrad wird dann von Medizinern gestellt.

Das Consensus Statement Paper bedingt eine progressive Rückkehr zum Sportprotokoll, wo der Sportler von Stufe zu Stufe getestet wird, wenn keine Symptome auftreten. Als Faustregel gilt 24 h pro Stufe, was aber in der Praxis selten vorkommt. Wichtig dabei ist wirklich, dass der Sportler ohne jegliche Symptome jede Stufe bewältigen kann.

Es ist von großer Bedeutung, dass Sportphysios, die in Risikosportarten wie Eishockey, Rugby oder American Football arbeiten, über gute Kenntnisse über Gehirnerschütterungen und deren Versorgung verfügen. Speziell die ersten Maßnahmen, inklusive das Herausnehmen des Athleten vom Feld und die Berücksichtigung der „Return to play”-Richtlinien, sind dabei sehr wichtig!

mb

BJSM 2013; 23: 160-171

FORMAT Consensus Meeting. Wissenschaftler aus der ganzen Welt versammelten sich in Zürich (Home of FIFA, November 2012), um die aktuellen Forschungsergebnisse auf dem Gebiet zu präsentieren. Anschließend trafen sich 32 internationale Experten und veranlassten ein sogenanntes Consensus Statement Paper. Außerdem wurden im Paper auch die SCATs (Sports Concussion Assessment Tools) aktualisiert und präsentiert.

SUPPORT IOC (International Olympic Committee), FIFA (Fédération Internationale de Football Association), FEI (Fédération Equestre Internationale), IIHF (International Ice Hockey Federation), IRB (International Rugby Board)

Weitere Infos

Erstsymptome bei Gehirnerschütterung

Wenn bei der Untersuchung einer dieser Punkte präsent ist, wird eine Gehirnerschütterung in Betracht gezogen:

  • somatische Symptome (z. B. Kopfschmerzen)

  • kognitive Symptome (z. B. Nebelgefühl)

  • emotionale Symptome (z. B. Labilität)

  • physische Zeichen (z. B. Bewusstseinverlust, Amnesie)

  • Verhaltensstörungen (z. B. Reizbarkeit)

  • kognitive Einschränkungen (z. B. verlangsamte Reaktionszeiten)

  • Schlafstörungen (Schläfrigkeit, Schlaflosigkeit)

Links

Die Ausgabe des British Journal Sports Medicine (BJSM 2013; 23) ist dem Thema Gehirnerschütterung gewidmet und beinhaltet weitere 12 Review Papers über Gehirnerschütterungen im Sport.