Der Klinikarzt 2014; 43(4): 176-177
DOI: 10.1055/s-0034-1376435
Medizin & Management
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Risikoaufklärung durch PJ-ler kann ausreichend sein – Aufklärung kann (!) der ärztlichen Aufklärung gleichstehen

Isabel Häser
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Korrespondenz

Dr. iur. Isabel Häser
Rechtsanwältin
ECOVIS Lüdemann Wildfeuer & Partner
Sonnenstr. 9
80331 München

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Publication Date:
07 May 2014 (online)

 

Zusammenfassung

Das Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigt mit Urteil vom 29.01.2014 (Az.: 7 U 163/12), dass die Eingriffs- und Risikoaufklärung einem Medizinstudenten im Praktischen Jahr übertragen werden kann. Voraussetzung ist, dass die Aufklärung seinem Ausbildungsstand entspricht und unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des auszubildenden Arztes stattfindet. Auf die persönliche Anwesenheit eines Arztes beim Aufklärungsgespräch kommt es nicht entscheidend an.


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Der Fall

Die Patientin (zukünftige Klägerin) erlitt bei einer Herzkatheteruntersuchung eine Dissektion der Arteria femoralis. Später verlangte die Patientin aufgrund angeblicher Aufklärungs- und Behandlungsfehler eine Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von mindestens 10 000,00 Euro und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden. Die Klägerin sah in der Aufklärung durch eine Medizinstudentin im Praktischen Jahr einen Aufklärungsfehler. Bereits das erstinstanzliche Gericht wies die Klage ab. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, die Klägerin sei hinreichend über das Risiko von Gefäßverletzungen aufgeklärt worden. Ein Behandlungsfehler bei der Herzkatheteruntersuchung sei nicht erwiesen. Sodann ging die Patientin in Berufung und verfolgte ihre Ansprüche in vollem Umfang weiter. Sie bemängelt insbesondere, das Landgericht sei zu Unrecht von einer hinreichenden Risikoaufklärung ausgegangen. Zum einen sei das Aufklärungsgespräch inhaltlich nicht ausreichend gewesen und zum anderen hätte eine Delegation auf eine Studentin im Praktischen Jahr nicht erfolgen dürfen.


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Das Urteil

Auch die Berufung wurde zurückgewiesen. Nach Auffassung der Richter des Oberlandesgerichts hat die Patientin wirksam in die Herzkatheteruntersuchung eingewilligt. Die der Einwilligung vorausgegangene Eingriffs- und Risikoaufklärung sei weder inhaltlich unzureichend noch deshalb unbeachtlich, weil sie von einer Medizinstudentin im Praktischen Jahr durchgeführt wurde.

Die Richter verwiesen auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Aufklärung, wonach der Patient „im Großen und Ganzen“ wissen müsse, worin er einwillige. Dazu müsse er über die Art des Eingriffs und seine nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken informiert werden, soweit diese sich für einen medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergäben und für seine Entschließung von Bedeutung sein könnten. Dies bedeute nicht, dass die Risiken in allen erkennbaren Erscheinungsformen aufgezählt werden müssten. Es müsse aber eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern. Bei diagnostischen Eingriffen – wie der hier zu beurteilenden Herzkatheteruntersuchung – seien dabei grundsätzlich strengere Anforderungen an die Aufklärung des Patienten über damit verbundene Risiken zu stellen. Denn bei ihnen bedürfe es einer besonders sorgfältigen Abwägung zwischen der diagnostischen Aussagekraft, den Klärungsbedürfnissen und den besonderen Risiken für den Patienten.


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Aufklärung war ausreichend

Im konkreten Fall kamen die Richter zu der Auffassung, dass die Klägerin insbesondere darauf hingewiesen worden sei, dass es dort, wo der Katheter langgeschoben werde, zu einer Gefäßverletzung kommen und deshalb ggf. eine Notoperation erforderlich werden könne. Dieser Hinweis umfasse auch die tatsächlich eingetretene Dissektion der Arteria femoralis. Auch bei einer rein diagnostischen Herzkatheteruntersuchung müsse nicht jedes Risiko in allen denkbaren Erscheinungsformen dargestellt, sondern nur eine allgemeine Vorstellung von dessen Art und Schwere vermittelt werden. Danach mussten weder die gefährdeten Blutgefäße und die in Betracht kommenden Verletzungsarten medizinisch exakt bezeichnet noch alle denkbaren Folgen im Detail geschildert werden. Dass diese Folgen bei einer Gefäßverletzung gravierend und möglicherweise sogar lebensbedrohlich sein können, ergäbe sich aus dem Hinweis auf eine ggf. erforderliche Notoperation. Dies genüge.


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Delegation der Aufklärung an PJ-ler zulässig

Es ist nicht von vornherein unzulässig, die Aufklärung des Patienten auf einen Medizinstudenten im Praktischen Jahr zu delegieren, so die Richter. Die Aufklärung durch einen solchen Studenten kann (!) der ärztlichen Aufklärung gleichstehen. Das Gericht verweist insoweit auf die Approbationsordnung für Ärzte, wonach Medizinstudenten im Praktischen Jahr entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen durchführen können und sollen. Dies entspreche auch dem Zweck des Praktischen Jahres, die Anwendung der während des vorhergehenden Studiums erworbenen ärztlichen Kenntnisse zu lernen und damit die praktischen Fähigkeiten und die klinische Erfahrung zu erwerben, die in der medizinischen Ausbildung vermittelt werden müssen. Die Voraussetzungen lagen nach Meinung der Richter im konkreten Fall vor. Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass die PJ-lerin sowohl während ihres Studiums, dessen theoretischen Teil sie als Studentin im Praktischen Jahr bereits absolviert hatte, als auch während der Famulatur mit Herzkatheteruntersuchungen befasst war und diese auch schon in Patientengesprächen erläutert hatte. Sie war daher nach ihrem Ausbildungsstand in der Lage, Patienten über diesen Eingriff und dessen Risiken aufzuklären. Die Studentin habe sich auch nicht nur selbst anhand eines ihr überlassenen Aufklärungsbogens in diese Aufgabe eingearbeitet. Sie habe vielmehr glaubhaft bekundet, dass dieser Bogen mit ihr durchgesprochen und dabei hervorgehoben wurde, worauf besonders zu achten sei. Von einer ausreichenden Anleitung und Aufsicht ging das Gericht aus, da die Studentin die Aufklärungsgespräche nicht von vornherein selbstständig geführt, sondern zunächst an mehreren Gesprächen teilgenommen habe, die von einem Arzt geführt wurden.


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Anwesenheit eines Arztes nicht zwingend

Da ihre eigenen Aufklärungsgespräche nach den auch insoweit glaubhaften Angaben der Zeugin regelmäßig in Anwesenheit eines Arztes stattfanden, war auch die erforderliche Aufsicht gewährleistet. Zwar konnte sich die Studentin nicht mehr erinnern, ob im konkreten Fall bei dem Gespräch ein Arzt anwesend gewesen sei. Darauf kommt es aber nach Auffassung der Richter nicht entscheidend an. Begründet wird dies damit, dass es sich bei einer Herzkatheteruntersuchung nicht um eine seltene Spezialmaterie, sondern um einen standardisierten Eingriff, über den die Zeugin schon mehrfach aufgeklärt hatte, ohne dass es dabei zu Beanstandungen gekommen wäre, handelt. Zum anderen könne bei einem Aufklärungsgespräch, anders als beim Eingriff selbst, kein unvorhergesehener Notfall auftreten, der das sofortige Eingreifen eines Arztes erforderlich machen würde. Bei außergewöhnlichen Fragen des Patienten bestünde die Möglichkeit, einen Arzt hinzuzuziehen oder um Rat zu fragen.


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Auf mögliche Organisationsmängel kam es nicht an

Die Frage, ob die ordnungsgemäße Durchführung der Aufklärung durch klare, stichprobenweise kontrollierte Organisationsanweisungen sichergestellt war, stellte sich für das Gericht als unerheblich dar. Ein Organisationsverschulden des Klinikträgers oder des operierenden Arztes käme nur dann infrage, wenn der Patient falsch oder unzureichend aufgeklärt worden sei. Dies sei hier aber gerade nicht der Fall gewesen. Die Studentin habe der Klägerin alle für eine eigenverantwortliche Entscheidung erforderlichen Kenntnisse vermittelt, sodass eine ärztliche Aufklärung auch aus diesem Grund entbehrlich gewesen sei.


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Fazit

Eine Delegation der Aufklärung an Studenten ist nach diesem Urteil grundsätzlich möglich. Allerdings sollte hierin kein Freibrief für Delegationen der Aufklärung gesehen werden. Maßgeblich ist immer der Ausbildungsstand des einzelnen Studenten. Darüber hinaus muss die Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes auch tatsächlich stattfinden und im Ernstfall nachgewiesen werden.


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