Der Klinikarzt 2014; 43(05): 264-265
DOI: 10.1055/s-0034-1377117
Forum der Industrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Herausforderungen im Thrombose-Management – Optimierungsbedarf in der Versorgung niereninsuffizienter VTE-Patienten

Further Information

Publication History

Publication Date:
03 June 2014 (online)

 
 

Patienten mit venösen Thromboembolien (VTE) leiden häufig begleitend an einer eingeschränkten Nierenfunktion. Diese wird allerdings in der antithrombotischen Akuttherapie vielfach nicht ausreichend berücksichtigt, wie die Versorgungsstudie A-TRIP zeigt. Auch im Thrombose-Management von Patienten in höherem Alter und von Tumorpatienten sind Besonderheiten zu beachten, die auf einem Symposium von LEO Pharma im Rahmen der Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung erörtert wurden.

Thrombose-Management im Klinikalltag

Randomisierte klinische Studien mit ihren strikten Ein- und Ausschlusskriterien spiegeln den Praxisalltag meist nur begrenzt wider. Daher sind Versorgungsstudien wichtig, erinnerte Prof. Thomas Wilke, Wismar. Aktuelle Daten zur initialen therapeutischen Antikoagulation bei VTE-Patienten mit Nierenfunktionsstörungen im klinischen Alltag liefert jetzt die Versorgungsstudie A-TRIP (Antithrombotic Treatment in Renally Impaired Patients) [ 1 ].

Für die Studie wurden 5263 Patienten in 5 großen deutschen Krankenhäusern identifiziert, die zwischen 2007 und 2011 wegen einer tiefen Venenthrombose oder Lungenembolie stationär aufgenommen worden waren. Wilke wies darauf hin, dass in gut 700 Fällen keine Krankenakten mehr verfügbar oder keine Serumkreatinin-Werte dokumentiert waren, sodass hier bereits von einem Versorgungsdefizit auszugehen ist. Letztlich konnten Krankenakten von 4554 VTE-Patienten retrospektiv ausgewertet werden.

Bei 538 dieser 4554 Patienten (11,9 %) wurde mindestens einmal ein GFR-Wert unter 30 ml/min gemessen. Er lag bei 385 Patienten (8,5 %) zwischen 15 und 30 ml/min und bei 153 Patienten (3,4 %) sogar unter 15 ml/min (Abb. [ 1 ]). „Im Mittel hat also gut jeder zehnte VTE-Patient eine potenziell stark eingeschränkte Nierenfunktion, sodass eine Dosisadaptation der Antikoagulation notwendig sein kann“, kommentierte Wilke. Denn in diesem Kollektiv besteht bei einigen niedermolekularen Heparinen (NMH) die Gefahr einer Akkumulation und damit ein erhöhtes Blutungsrisiko.

Zoom Image
Abb. 1 Heparin-Versorgungsstudie A-TRIP: hoher Anteil niereninsuffizienter VTE-Patienten in der Akutversorgung im Krankenhaus.
(*GFR bei mindestens einer Messung während des stationären Aufenthaltes unter dem jeweils angegebenen Wert)

Die Daten von A-TRIP verdeutlichen allerdings, dass die in Fachinformationen und Leitlinien genannten Empfehlungen bei etwa der Hälfte dieser Patienten nicht umgesetzt wurden: Vielfach wurde die Dosis nicht an die eingeschränkte Nierenfunktion angepasst. Außerdem wurden in Einzelfällen bei schwerer Nierenfunktionseinschränkung kontraindizierte Antikoagulanzien eingesetzt oder das bei der Therapie mit unfraktioniertem Heparin (UFH) erforderliche aPTT-Monitoring unterlassen.

„Es besteht also bei der Therapie niereninsuffizienter VTE-Patienten im klinischen Alltag noch erheblicher Bedarf an Versorgungsoptimierung“, konstatierte Wilke. Er plädierte in diesem Kollektiv für den bevorzugten Einsatz von NMH wie Tinzaparin (innohep®), bei dem bis zu einer Kreatinin-Clearance von 20 ml/min keine Dosisanpassung erforderlich ist.


#

Alterskrankheit Thrombose

Venöse Thromboembolien sind eine typische Alterskrankheit, die bereits ab dem 60. Lebensjahr rund doppelt, bei 80-Jährigen sogar siebenmal so häufig ist wie bei Jüngeren, informierte Prof. Martin Wehling, Heidelberg. Wichtig für die Pharmakotherapie ist die im Alter stark abnehmende Nierenfunktion.

Er wies ebenfalls darauf hin, dass die Elimination einiger NMH stark von der Nierenfunktion abhängt, diese daher bei niereninsuffizienten Patienten kumulieren können. Dies trifft insbesondere für kurzkettige NMH zu.

Tinzaparin hebt sich aufgrund seines relativ hohen mittleren Molekulargewichts von 6500 Dalton deutlich von den meisten anderen NMH ab. Es wird daher im Gegensatz zu diesen in höherem Maße bereits im Organismus vor der Ausscheidung durch die Niere inaktiviert. Tinzaparin kann somit auch bei stark eingeschränkter renaler Funktion eingesetzt werden; eine Dosisanpassung ist bis zu einer Kreatinin-Clearance von 20 ml/min nicht erforderlich. Wehling kritisierte, dass bislang nur wenige Studiendaten zum Sicherheitsprofil niedermolekularer Heparine in therapeutischer Dosierung bei älteren Patienten vorhanden sind. Eine Ausnahme macht Tinzaparin, das als einziges NMH in einer großen Studie (n = 200) auch bei sehr alten Patienten (> 80 Jahre) geprüft wurde [ 2 ]. Er plädierte dafür, in der NMH-Therapie älterer Thrombosepatienten Substanzen wie Tinzaparin zu bevorzugen, bei denen keine Kumulationsgefahr besteht und deren Nutzen/Risiko-Profil auch in höherem Lebensalter dokumentiert ist.


#

Malignome erhöhen Thromboserisiko

Auch Tumorpatienten sind verstärkt thrombosegefährdet [ 3 ]: Bei Vorliegen einer Krebserkrankung ist aufgrund der ausgeprägten Hämostase-Aktivierung von einer 4- bis 7-fachen Steigerung des VTE-Risikos auszugehen. Allerdings hat sich die übliche antithrombotische Therapie mit initial Heparin und Vitamin-K-Antagonist (VKA) wegen der generell bei diesem Kollektiv erhöhten VTE-Rezidivrate sowie dem erhöhten Blutungsrisiko nicht als effektiv erwiesen, mahnte Prof. Guy Meyer, Paris/Frankreich.

Basierend auf den Daten der bei onkologischen Patienten erstellten CLOT-Studie, in der durch die NMH-Therapie im Vergleich zum VKA eine Halbierung der Rezidivrate erreicht wurde, empfehlen internationale Leitlinien für diese Patienten die therapeutische NMH-Gabe und eine anschließende Sekundärprophylaxe ebenfalls mit einem NMH [ 4 ], [ 5 ]. Bestätigt werden die CLOT-Daten durch die Studie Main-LITE an 200 Patienten mit tumorassoziierter tiefer Beinvenenthrombose, die randomisiert einer Therapie mit UFH/Warfarin oder Tinzaparin jeweils über 3 Monate zugeteilt wurden [ 6 ]. Im einjährigen Follow-up wurde die Rate an VTE-Rezidiven durch Tinzaparin im Vergleich zum Referenzarm mehr als halbiert (7 % vs. 16 %; p = 0,044). „Dabei war das Blutungsrisiko nicht erhöht“, betonte Meyer.

Auch eine Metaanalyse belegt den Benefit von Tinzaparin bei Tumorpatienten mit VTE [ 7 ]: Das Risiko für symptomatische VTE-Rezidive wurde im Verlauf der 3- bis 6-monatigen Therapie gegenüber VKA um relativ 38 % gesenkt, ohne dass vermehrt schwere Blutungskomplikationen auftraten. Im weiteren Follow-up über ein Jahr belief sich die Risikoreduktion für Rezidivthrombosen unter Tinzaparin sogar auf relativ 59 %.


#

VTE-Sekundärprophylaxe mit Tinzaparin bei Krebspatienten

Bislang gibt es nur wenig repräsentative Studiendaten zur verlängerten Therapie (Sekundärprophylaxe) mit NMH. Für die Phase-III-Studie CATCH (Comparison of Acute Treatments in Cancer Hemostasis) wurden daher 900 Tumorpatienten mit akuter VTE rekrutiert und zu einer Langzeittherapie mit Tinzaparin über 6 Monate oder zum Kontrollarm mit initialer Tinzaparin-Gabe über 5–10 Tage gefolgt vom VKA randomisiert [ 8 ]. Meyer wertete die CATCH-Studie als wichtig, um Effektivität und Sicherheit der Sekundärprophylaxe mit NMH bei Tumorpatienten zu untermauern. Erste Ergebnisse werden voraussichtlich Ende 2014 vorliegen.

Quelle: Satellitensymposium „Research News in the Management of Venous Thromboembolism“ am 13. Februar 2014 im Rahmen der 58. GTH-Jahrestagung in Wien. Veranstalter: LEO Pharma GmbH.
Der Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von LEO Pharma.
Die Autorin ist freie Journalistin.


#
Nur jeder zweite VTE-Patient mit schwerer Nierenfunktionseinschränkung lege artis behandelt

Prof. Dr. Thomas Wilke ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Pharmakoökonomie und Arzneimittellogistik an der Hochschule Wismar.

Zoom Image

? Herr Professor Wilke, Sie haben kürzlich aktuelle Ergebnisse der A-TRIP-Studie vorgestellt. Was war die Rationale für die Initiierung dieser Studie?


Prof. Thomas Wilke: Epidemiologischen Daten zufolge sind VTE-Patienten oft bereits älter und haben überdurchschnittlich häufig eine stark eingeschränkte Nierenfunktion. Es könnte sich also um ein für das Vorgehen im klinischen Alltag relevantes Kollektiv handeln, in dem therapeutische Besonderheiten zu beachten sind. Bei der Wahl des Antikoagulans für die Akut-und Langzeittherapie ist daher darauf zu achten, inwieweit die Gefahr besteht, dass die Substanz im Falle einer Niereninsuffizienz kumuliert und dadurch das Blutungsrisiko erhöht wird. Daher ist die Bestimmung der Nierenfunktion vor Therapiebeginn und – bei einigen Präparaten – eine eventuelle Dosisanpassung der Antikoagulation obligat. In der A-TRIP-Studie wollten wir klären, wie häufig bei VTE-Patienten im klinischen Alltag mit einer schweren Nierenfunktionsstörung, d. h. einer GFR < 30 ml/min, zu rechnen ist und wie sie behandelt werden. Zu dieser wichtigen Frage der klinischen Versorgung gab es bislang nahezu keine Daten.


? Welche Resultate der Studie haben Sie besonders überrascht?


Prof. Wilke: Es ist bemerkenswert, wie groß das Kollektiv niereninsuffizienter VTE-Patienten ist: Rund die Hälfte hat eine eingeschränkte GFR von ≤ 60 ml/min, ab der bereits einige Antikoagulanzien mit Vorsicht verabreicht werden müssen. Und bei immerhin 12 % der Patienten wurde mindestens einmal ein GFR-Wert < 30 ml/min gemessen, bei dem einige Substanzen kontraindiziert sind und andere dosisadaptiert zu geben sind [ 1 ].


Was uns aber wirklich überrascht hat, ist die Tatsache, dass nur etwa jeder zweite dieser schwer niereninsuffizienten Patienten lege artis, d. h. gemäß Leitlinien und entsprechend der jeweiligen Fachinformation, behandelt wird. Anscheinend wird die an die Nierenfunktion angepasste Gabe von Antikoagulanzien in den von uns untersuchten Akutkrankenhäusern nicht ausreichend beachtet oder es gibt praktische Schwierigkeiten, die deren Umsetzung erschweren.


? Es ist also deutlicher Nachholbedarf in der VTE-Therapie niereninsuffizienter Patienten festzustellen. Welche Gründe vermuten Sie dafür?


Prof. Wilke: Ich denke, dass der Behandlungsablauf bei diesen Patienten im Krankenhaus eine Herausforderung darstellt. Es scheint im normalen Klinikalltag schwierig zu sein, die in den Fachinfos genannten Einschränkungen in der Antikoagulanzientherapie umzusetzen, d. h. die Nierenfunktion regelmäßig zu messen, die gemessenen Werte schnell verfügbar zu haben, ärztlich auszuwerten und die Dosis des eingesetzten NMH entsprechend anzupassen.


? Wo sehen Sie Ansätze zur Optimierung der Behandlung in diesem Kollektiv?


Prof. Wilke: Kliniken, die weiterhin NMH wie Enoxaparin einsetzen, bei dem eine Adaptation der Dosis u. a. an die Nierenfunktion vorgeschrieben ist, müssen die oben genannten Prozesse in ihren Ablauf integrieren. Eine Alternative ist der Wechsel zu anderen Präparaten wie Dalteparin oder Tinzaparin, die bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion unkomplizierter sind, was den Behandlungsablauf vereinfacht.


! Herr Professor Wilke, herzlichen Dank für das Gespräch!


Das Interview führte Dr. Katharina Arnheim, Freiburg.


#

 
Zoom Image
Abb. 1 Heparin-Versorgungsstudie A-TRIP: hoher Anteil niereninsuffizienter VTE-Patienten in der Akutversorgung im Krankenhaus.
(*GFR bei mindestens einer Messung während des stationären Aufenthaltes unter dem jeweils angegebenen Wert)
Zoom Image