Hintergrund
„Herr X, Sie haben einen Schatten auf der Lunge!“ Kaum ein Satz eines Arztes erzeugt
bei einem Patienten so viel Angst wie diese Aussage. Zugleich weckt er den Wunsch
nach einem einfachen Testverfahren, welches die Unsicherheit rasch beendet, die als
besonders quälend empfunden wird, und welches hilft, die bestmögliche Therapie auszuwählen.
Doch wie weit sind wir entfernt von der raschen, nicht- bis wenig invasiven Diagnostik
beim Lungenkrebs? Utopie oder doch greifbare Realität?
Das Lungenkarzinom ist trotz aller Fortschritte in Diagnostik und Therapie die häufigste
zum Tode führende maligne Erkrankung mit nahezu unverändert schlechter Prognose. Neben
Maßnahmen der Prävention (Rückgang des Rauchverhaltens und verbesserter Nichtraucherschutz)
ist eine Änderung dieser Tatsache nur durch Sicherung der Tumore in früheren Stadien
als bisher zu erwarten, da die Mehrzahl der Patienten bei Diagnosesicherung bereits
in einer palliativen Situation ist. Unlängst konnte im Rahmen großer Screening-Studien
(„National Lung Screening Trial (NLST)“, „NELSON-Trial“) gezeigt werden, dass eine
relative Senkung der Mortalität um bis zu 20 % mittels Low-Dose-CT-Screening potenziell
erzielt werden kann, indes mit dem Nachteil einer immens hohen Zahl an falsch positiven
Befunden (96,4 % im NLST) [1]
[2]. Diese führen zu einer erheblichen psychischen Belastung der Patienten, zu unnötigen
weiteren diagnostischen Verfahren mit erhöhter Morbidität und Mortalität und hohen
potenziell vermeidbaren Kosten für das Gesundheitssystem. Zudem ist bei jedem fünften
Patienten der durch ein CT-Screening entdeckte Tumor nicht die zum Tode führende Erkrankung
(„Overdiagnosing“) [3].
Zur Verbesserung der Frühdiagnostik bedarf es daher optimierter Strategien, die die
„Vortestwahrscheinlichkeit“ für die diagnosesichernde invasive Diagnostik erhöhen.
Nicht invasiv gewonnene molekulargenetische Biomarker (diagnostische Biomarker) können
die Spezifität und den positiven Vorhersagewert (PPV) erhöhen und werden hierfür aktuell
getestet [4].
Ein weiteres Anwendungsgebiet molekulargenetischer Biomarker ergibt sich aus der Frage,
welche Therapie für den betroffenen Patienten angewendet werden sollte. Tests auf
Mutationen des EGFR-Gens oder von EML4-ALK-Translokationen sind bereits klinisch etabliert – weitere sind zu erwarten. Diese
prädiktiven Biomarker ermöglichen es, den Patienten der individuell bestmöglichen
Systemtherapie zuzuführen und sind somit grundlegend im Konzept der personalisierten
Krebsmedizin. Die hierfür zur Verfügung stehenden Gewebeproben werden im Zeitalter
des EBUS allerdings immer kleiner und die molekularen Untersuchungsmethoden an diesen
Proben vielfältiger, sodass ein „ökonomischer“ und abgestimmter Umgang mit dem Probenmaterial
an Bedeutung gewinnt. Es besteht die Hoffnung, dass die Gewebe-basierte molekulargenetische
Charakterisierung des Tumors auch zur Entwicklung von Biomarkern führt, die sich dann
auch in Atemluft, im Blut oder im Urin bestimmen lassen können.
Grundsätzliche Herausforderungen der klinischen Anwendung
Grundsätzliche Herausforderungen der klinischen Anwendung
Onkologische Biomarker können grundsätzlich Informationen liefern, ob ein Tumor vorliegt
(diagnostische Marker), auf welche Therapie er anspricht (prädiktive Marker) und wie
die Prognose des Patienten einzuschätzen ist (prognostische Marker) [5]. Diagnostische Marker trennen in der Idealvorstellung eindeutig Gesunde von betroffenen
Personen, wobei Überschneidungen im Grenzbereich ([Abb. 1]) nahezu immer vorliegen. Von besonderer Bedeutung ist daher die Festlegung des Grenzwertes.
Liegt dieser mehr im gesunden Kollektiv so wird die Sensitivität erhöht zu Ungunsten
der Spezifität. Umgekehrt sinkt die Sensitivität bei steigender Spezifität, wenn man
den Grenzwert in das erkrankte Kollektiv legt.
Abb. 1 Bei jedem Biomarker kann durch Verschiebung des Grenzwertes die Sensitivität auf
Kosten der Spezifität erhöht werden und umgekehrt. Die grüne Gruppe sind die Gesunden,
die rote die Erkrankten.
Besondere Bedeutung haben in den letzten Jahren die sog. „-omics“- Techniken gewonnen,
benannt nach der gemeinsamen Endung von Genomics, Proteomics, Metabolomics, etc. Diese
Disziplinen beschreiben die Testung und bildliche Darstellung der Gesamtheit der Gene
(Genom), Proteine (Proteom) oder Metabolite (Metabolom) in einem abgegrenzten Kompartiment
(Zelle, Gewebe) zu einem definierten Zeitpunkt. Die Auswertung erfolgt häufig durch
Mustererkennung und bedarf erheblicher biostatistischer Expertise. Bei extrem großen
Datenmengen und sehr vielen Variablen steigt die Möglichkeit, vermeintliche Zusammenhänge
irrtümlich zu identifizieren. Diese Pseudo-Zusammenhänge, auch „Voodoo-Korrelationen“
genannt, müssen bei kritischer Analyse enttarnt werden [6]. Ein Bezug der gefundenen Muster zu biochemischen Prozessen ist mit diesen Methoden
zudem nur schwer möglich.
Ein grundsätzliches Problem der Biomarkerforschung ist die fehlende Darstellung prätherapeutischer
Biomarker im DRG-System. Obwohl das „D“ in DRG für Diagnostik steht, ergeben sich
Erlöse ganz besonders durch Therapien bzw. Prozeduren und nicht durch Verbesserung
diagnostischer Verfahren. Dies erschwert die klinische Einführung selbst effizienter
Biomarker ganz erheblich.
Obwohl bereits seit Jahren eine nicht unerhebliche Zahl an molekulargenetischen Lungenkrebs-Markern
zur Optimierung der Diagnostik entwickelt und getestet wurde, hat es bis dato keiner
der diagnostischen Biomarker geschafft, in den klinischen Alltag einzuziehen. Die
oben genannten Probleme sind hierfür ursächlich.
Gewebe-basierte Biomarker
Gewebe-basierte Biomarker
Die endobronchiale Biopsie (EBB) sowie die transbronchiale Biopsie (TBB) werden standardmäßig
zur Lungenkarzinom-Diagnostik eingesetzt und weisen typischerweise einen Durchmesser
von 1 – 3 mm auf. Bis vor nicht allzu langer Zeit war diese Diagnostik mit der Aussage
„Nicht-kleinzelliges Karzinom“ versus „Kleinzelliges Karzinom“ erledigt. Es ist wichtig
zu wissen, dass eine reine Malignitätsdiagnose auf einem einzelnen Hämatoxylin-Eosin
(HE) Schnitt mit nur wenigen Tumorzellen (50 bis 100) möglich ist, falls diese eindeutig
invasiv wachsen, z. B. unterhalb der respiratorischen Bronchialschleimhaut oder in
Form einer Lymphangiosis carcinomatosa ([Abb. 2]). Mit dem Aufkommen der prädiktiven genomischen Alterationen haben sich die Anforderungen
geändert und der Verteilungskampf um das Biopsat begonnen. Es muss nun häufig neben
der HE und den Schleim- und Bindegewebsfärbungen Alcianblue-Periodic Acid Schiff (AB-PAS)
und Elastica van Gieson (EvG) Immunhistochemie (IHC) durchgeführt werden, typischerweise
ein 2er- oder 4er-Panel (TTF1, p63 /40, CK7, CK5 /6) zur Differenzialdiagnose Adenokarzinom
versus Plattenepithelkarzinom. Weitere Leerschnitte werden zur Bestimmung einer evtl.
EML4-ALK-Translokation (Vorselektion mittels IHC, Bestätigung mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung)
sowie weiteren IHC- oder FISH-Untersuchungen für ROS1, RET, c-MET (Adenokarzinom) und Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptor 1 (FGFR1, Plattenepithelkarzinom) verwendet. Schlussendlich sollten noch genügend Tumorzellen
übrig sein für die DNA-Extraktion mit anschließender PCR-Sequenzierung für z. B. EGFR-, BRAF- oder HER2-Mutationen ([Abb. 3]). Leider sind die HE, AB-PAS und EvG gefärbten Schnitte für die DNA-Extraktion nur
beschränkt brauchbar, da die verwendeten Säuren die DNA degradieren.
Abb. 2 Transbronchiale Biopsie von 2 x 2 mm Ausdehnung mit drei atypischen Drüsenstrukturen,
ca. 50 Zellen innerhalb von Lymphgefäßen und damit Nachweis einer Lymphangiosis carcinomatosa.
Befund diagnostisch für wenig differenziertes Adenokarzinom, aber Gewebe nicht ausreichend
für weitere Molekularpathologie (Hämatoxylin-Eosin-Färbung, 25-fach bzw. 200-fach)
Abb. 3 Aufarbeitung einer Lungenbiopsie. Insgesamt 21 Schnitte aus den ersten drei Stufen
mit vier Leerschnitten (LS) für Immunhistochemie (TTF1, p63, CK7, und CK5 /6). HE = Hämatoxylin-Eosin,
Schleimfärbung Alcianblue-Periodic Acid Schiff (AB-PAS), Bindegewebsfärbung Elastica
van Gieson (EvG)
Frisch entnommene Gewebeproben werden üblicherweise in Formalin fixiert und dann in
Paraffin eingebettet (FFPE). Dieses Verfahren ist etabliert, standardisiert und relativ
kostengünstig. Nachteilig ist allerdings, dass hierdurch molekulargenetische Untersuchungen
negativ beeinflusst werden können und insbesondere die RNA-Qualität leidet. Daher
wird zunehmend Gewebe – insbesondere für wissenschaftliche Zwecke – möglichst kurzfristig
nach der Entnahme in Flüssigstickstoff kryokonserviert und qualitätsgesichert in Biobanken
gelagert. Dieses Verfahren lässt zwar auch im weiteren Verlauf alle molekulargenetischen
Untersuchungen zu, ist aber deutlich kosten- und personalintensiver. Zudem besteht
insbesondere bei kleineren Biopsien Unsicherheit hinsichtlich des verbliebenen Tumoranteils
in der Gewebeprobe, nachdem ein Anteil zur Diagnosestellung verwendet wurde.
Moderne bronchoskopische Biopsieverfahren
Moderne bronchoskopische Biopsieverfahren
EBUS-TBNA
Auf Grund einer inzwischen nahezu flächendeckenden Verfügbarkeit der Methode und der
breiten Evidenz in Bezug auf die diagnostische Sicherheit, ist die EBUS-TBNA inzwischen
das primäre Verfahren zur mediastinalen Lymphknotenstadiierung [7]. Die diagnostische Sicherheit steigt bis zur dritten Probenentnahme an, wobei bei
sichtbarem Stanzzylinder („Würmchen“) im Biopsat, zwei EBUS-TBNA ausreichend sind
[8]. In der Forschung ist dieses derart gewonnene Gewebsmaterial allerdings deutlich
unterrepräsentiert. Die weitaus meisten wissenschaftlichen Untersuchungen erfolgen
an operativ entnommenem Tumorgewebe. Es konnte aber bereits gezeigt werden, dass alle
aktuell klinisch bedeutsamen prädiktiven Marker und auch umfassende genomische Untersuchungen
an EBUS-TBNA-Proben sicher durchzuführen sind, obschon das Tumormaterial, welches
durch die EBUS-TBNA gewonnen werden kann, sehr klein ist [9]
[10]
[11]. Bei ausgedehnter molekularer Diagnostik oder zu Forschungszwecken sind allerdings
mindestens vier EBUS-TBNA pro Lymphknotenstation angeraten. Die Zahl der prädiktiven
Marker steigt weiter an und noch ist unklar, ob auch zukünftig alle notwendigen molekulargenetischen
Untersuchungen an wenig Tumormaterial bestimmt werden können, insbesondere da bei
zunehmendem Wissen über Resistenzmechanismen Re-Biopsien nach Chemo- oder Strahlentherapie
notwendig werden [12]. Ob diese Proben für unterschiedliche Analysen ohne Qualitätsverlust aufgeteilt
werden können, ist noch nicht geklärt. Zudem ist unklar, wie hoch der Tumorzellgehalt
der Probe ist. Ein zu geringer Anteil an Tumorzellen kann das molekulare Testergebnis
negativ beeinflussen. Es ist daher zwingend notwendig, den Prozess der Probenentnahme,
-behandlung und -analyse zu standardisieren.
Kryobiopsie
Die Kryobiopsie ist eine vielversprechende neue Technologie in der Bronchoskopie ([Abb. 4]). Die Sonde ermöglicht die Entnahme einer wesentlich größeren Biopsie. Die mittlere
Biopsieoberfläche liegt bei 10,4 mm2 gegenüber 5,2 mm2 im Vergleich zu Zangenbiopsien, die Artefakt-freie Oberfläche 9,6 mm2 vs. 3,6 mm2. TBBs können bis zu > 15 mm2 Oberfläche haben. Das Gefrieren geschieht über den Joule-Thomson Effekt auf bis – 90°
C mittels N2O/CO2 Gas, was zu geringen Gewebe-Artefakten führen soll. Blutungskomplikationen sind in
Studien nicht signifikant häufiger [13]. Die Kryobiopsie wird anschließend ebenfalls mittels Formalin-Fixation und Paraffin-Einbettung
verarbeitet, oder ein Teil wird direkt in eine Gefrier-Tumorbank gegeben. Bis zu 50 000
Tumorzellen können so gewonnen werden, was grundsätzlich eine weitergehende molekularpathologische
Analytik wie NGS („next generation sequencing“) erlaubt.
Abb. 4 Die Kryosonde (oben) erlaubt die Gewinnung größerer Tumorproben, sodass eine umfassende
immunhistochemische und molekulargenetische Diagnostik ermöglicht wird. Auch Material,
welches mittels EBUS-TBNA (unten) gewonnen wird, ist für viele Untersuchungen ausreichend.
Navigationsbronchoskopie/Radialer Ultraschall
Zur Verbesserung der Rundherddiagnostik werden die elektromagnetische Navigation (EMN)
und die radiale Ultraschallsonde („Minisonde“) eingesetzt. Mit diesen beiden Methoden
ist es, im Vergleich zur konventionellen transbronchialen Biopsie, mit einer höheren
Wahrscheinlichkeit möglich, den zuführenden Bronchus zu identifizieren, der zur Probenentnahme
aus dem Tumor notwendig ist. Bei der EMN wird das Bronchoskop im elektromagnetischen
Feld mit Hilfe einer virtuellen Bronchoskopie gesteuert, die an Hand eines CT-Datensatzes
erstellt wird. Hierdurch können zwei von drei Rundherden definitiv diagnostiziert
werden [14].
Die radiale Ultraschallsonde kann durch den Arbeitskanal eines Bronchoskopes bis in
die Lungenperipherie vorgeschoben werden und ermöglicht die endosonografische Visualisierung
von Rundherden. Hiermit können etwa 73 % der peripheren Lungenkarzinome und 46 % aller
Herde < 2 cm diagnostiziert werden [15]
[16].
Epigenetische Marker
Tabakrauch enthält zahlreiche Karzinogene, welche einen synergistischen Tumor-induzierenden
Effekt auf alle betroffenen Schleimhäute haben, was als Feldkanzerisation bezeichnet
wird. Nach der Theorie der Feldkanzerisierung entstehen parallel an zahlreichen Schleimhaut-„Hotspots“
(multifokales „Feld“) genetische und epigenetische Veränderungen, die über die Vorstufe
der Dysplasie zum invasiven Lungenkarzinom führen können [17]. Das Konzept der Feldkanzerisierung eröffnet die Perspektive einer Vorsorge-Untersuchung
im Sinne einer Suche nach „onkogenen Vorgängen“ in einer umgebenden Tumorvorstufe.
Eine der bekannten epigenetischen Alterationen ist die vermehrte DNA-Methylierung,
z. B. an sogenannten CpG-Inseln im Bereich der Gen-Promotoren. Verschiedene Genprodukte
wie RASSF und p16 sind beim Lungenkrebs betroffen. Diese Hypermethylierung innerhalb
Tumor-spezifischer DNA kann mit einer methylierungsspezifischen PCR detektiert werden.
Diese Methode hat potenziell eine hohe diagnostische Wertigkeit, da solche PCR-Reaktionen
auch in zytologischen Flüssigkeiten wie Bronchiallavage, Bronchialsekret, Sputum oder
Pleuraergüssen durchgeführt werden können sowie im peripheren Blut. Da durch die Tumornekrose
DNA freigesetzt wird, sind auch zellfreie Flüssigkeiten geeignet, und für eine erfolgreiche
PCR genügen Volumina von nur 100 Mikroliter durchaus.
Basierend auf einem Tissue Microarray (TMA) von NSCLC Operationspräparaten konnten
wir zeigen, dass die DNA-Methylierung der Homeobox Gene PITX2 und SHOX2 ein unabhängiger prognostischer Biomarker ist für die Krankheitsprogression des Nicht-kleinzelligen
Lungenkarzinoms [18]. Durch die Kombination von histopathologischer Beurteilung der EBUS-TBNA und SHOX2-Methylierung kann eine bessere Aussage über den lokalen Lymphknoten-Status erzielt
werden. Es wurden einerseits zusätzliche Tumorherde identifiziert und andererseits
gutartige Lymphknoten-Vergrößerungen bestätigt. Dies reduzierte weitergehende diagnostische
Untersuchungen [19].
mRNA und microRNA
Als wichtige neue Genregulatoren sind in den letzten Jahren microRNAs (miRNAs) identifiziert
worden. Sie kontrollieren die Genexpression von weit mehr als der Hälfte des menschlichen
Genoms. miRNAs sind zelluläre RNA-Fragmente mit einer Länge von wenigen Nukleotiden,
die keine Protein-kodierende Funktion, dafür aber eine Kontrollfunktion besitzen:
Die einzelsträngigen miRNAs binden an die komplementäre mRNA eines Zielgenes und bewirken
dadurch eine Destabilisierung der mRNA oder eine Blockade der Translation der mRNA
zu einem Protein. miRNAs wirken somit mehrheitlich als „genesilencers“ – über die
Hemmung von endogenen Inhibitoren durch miRNAs kann allerdings ein bestimmter Signalweg
im Sinne des mathematischen „minus x minus = plus“ auch verstärkt aktiviert werden.
Bisher sind mehr als 2500 miRNAs beschrieben worden, wobei eine bestimmte miRNA mehrere
Gene regulieren und umgekehrt die Expression eines Gens durch verschiedene miRNAs
verändert werden kann.
Bei Lungentumoren spielen miRNAs bei drei verschiedenen Prozessen eine zunehmend wichtige
Rolle: 1. bei der Pathogenese, 2. im Rahmen der Diagnostik bzw. der Festlegung des
therapeutischen Prozedere und 3. als prognostische Marker [20]. Exemplarisch wird in der Folge jeweils eine arbiträr ausgewählte miRNA erwähnt.
In der Karzinogenese von Lungentumoren sind miRNAs als pathogenetische Faktoren für
die Dysregulation von Onkogenen und Tumorsuppressorgenen verantwortlich. Die miR-150
hemmt zum Beispiel die Expression des pro-apoptotischen Faktors p53, sodass Lungenkarzinomzellen
vermehrt wachsen [21]. Verschiedene Studien haben den diagnostischen Wert der miR-205 hervorgehoben, welche
die histologischen Subtypen von nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen identifizieren
soll. Eine Überexpression von miR-205 spricht dabei für das Vorliegen eines Plattenepithelkarzinoms
[22]. Die miR-30 und die miR-221/222 sind mit der Aktivität des EGFR-Signalweges assoziiert
worden und könnten somit das individuelle Ansprechen auf eine Tyrosinkinase-Therapie
antizipieren [23]. Bezüglich Prognose schließlich könnte aufgrund der miR-375 eine Aussage gemacht
werden: Patienten, welche die miR-375 im Gewebe oder Blut vermindert exprimieren,
zeigen ein deutlich schlechteres Überleben im Vergleich zu Patienten mit vermehrtem
Nachweis dieser miRNA [24]. Boeri et al. zeigten zudem kürzlich anhand von zwei randomisierten CT-Screening-Studien,
dass Panels von 13 miRNAs in der Lage sind, die Tumorentwicklung vorherzusagen und
eine Prognose zu ermöglichen [25]. Es konnte zudem grundsätzlich gezeigt werden, dass die Bestimmung von miRNAs an
Hand von EBUS-TBNA Proben möglich ist [26].
Das „miRNA-Profiling“ steckt sicherlich noch in seinen Anfängen. Die Bestimmung einer
individuellen miRNA-Signatur wird aber in Zukunft dazu beitragen, die Entstehung von
Lungentumoren besser zu verstehen, das biologische Verhalten eines Tumors abzuschätzen
und eine individualisierte Therapie anbieten zu können.
Biomarker im Serum („liquid based-biopsy“)
Biomarker im Serum („liquid based-biopsy“)
Zurzeit existiert kein Blutbiomarker, welcher mit ausreichender Spezifität und Sensitivität
auf ein Lungenkarzinom hinweist, da die meisten dieser Marker auch bei anderen Krebsarten
oder niedertitrig bei gutartigen Erkrankungen (z. B. COPD) gemessen werden können
[27]. Die bis dahin in Bezug auf nicht-kleinzellige Lungenkarzinome (NSCLC) am besten
untersuchten Biomarker sind CYFRA 21–1, CEA und CA-125, welche allesamt den Proteinbiomarkern
zuzuordnen sind. In fortgeschrittenen Stadien des NSCLC konnte immerhin in mehreren
Studien gezeigt werden, dass erhöhte Werte von CYFRA 21–1 und CEA sowie auch von deren
Kombination in Form des Tumormarker-Index (TMI) mit einer erhöhten Mortalität assoziiert
sind [28]. Zudem gibt es Hinweise, dass einige Biomarker (CYFRA 21–1, NSE) mögliche Prädiktoren
für das Ansprechen einer Chemotherapie bei NSCLC und SCLC sind [29]. Allerdings ist die Evidenzlage zum Einsatz dieser Biomarker bei operablen NSCLC-Stadien
widersprüchlich [30]
[31]
[32]
[33]. Insbesondere in der prospektiv angelegten Studie von Blankenburg et al. waren bei
240 Patienten mit Stadium I NSCLC präoperativ erhöht gemessene Werte von CEA, CYFRA
21–1 und TMI nicht signifikant mit einem verkürzten Überleben assoziiert [32]. Möglicherweise sind aber nicht präoperativ erhöhte Werte ausschlaggebend für die
Prognose, sondern der fehlende postoperative Abfall [33].
Die aktuelle Evidenzlage muss jedoch insgesamt als zu schwach beurteilt werden, um
eine allgemeine Empfehlung für den Einsatz von Blutbiomarkern bei NSCLC abgeben zu
können. Dementsprechend wird der Einsatz von Biomarkern bei NSCLC in den amerikanischen
Richtlinien (ACCP) zurzeit nur innerhalb von klinischen Studien empfohlen [34]. Demgegenüber ist bei neuroendokrinen Tumoren der Lunge (Karzinoidtumoren) die Bestimmung
des Chromogranin A als postoperativer Verlaufsparameter wahrscheinlich sinnvoll, wobei
sich die Europäischen (ESMO) und ACCP-Empfehlungen diesbezüglich uneinig sind [34]
[35]. Es bleibt abzuwarten, ob sich andere im Blut messbare (epigenetische oder miRNA)
Biomarker in Zukunft für diagnostische und prognostische Zwecke einsetzen lassen.
Immerhin sind die ROC-Analysen (AUC, „Area Under Curve“) für Marker-Kandidaten (SHOX-2: 0,78 [0,74 – 0,84]; miRNA: 0,90 [0,83 – 0,97]) vielversprechend [36]
[37].
Volatile Biomarker in der Ausatemluft
Volatile Biomarker in der Ausatemluft
In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass Hunde in der Ausatemluft eines Menschen
mit hoher Sicherheit riechen können, ob dieser ein Lungenkarzinom hat [38].
Die Ausatemluft beinhaltet Hunderte verschiedener volatiler Substanzen, hierzu zählen
ein- und dann wieder ausgeatmete Stoffe, über die Haut aufgenommene Stoffe, wie auch
Substanzen, die bei endogenen metabolischen Prozessen entstehen [39].
Volatile Substanzen können mittels Gaschromatografie/Massenspektrometrie sowie anhand
von Ionenmobilitätspektrometrie in der Ausatemluft nachgewiesen werden. Zudem ist
die Untersuchung der Ausatemluft mit der „elektronischen Nase“ möglich. Im Gegensatz
zu den erst genannten Methoden wird hierbei das Verfahren der Mustererkennung angewendet,
die Erkennung von Einzelsubstanzen ist nicht möglich [40].
Welche volatilen Substanzen von Hunden gerochen werden, ist bisher nicht bekannt [40]. Jedoch gibt es erhöhte Konzentrationen volatiler Substanzen in der Umgebungsluft
von Tumorgewebeproben [41]. Massenspektrometrisch ließen sich bei 97 Patienten mit gesichertem Lungenkarzinom
signifikant erhöhte Konzentrationen von 2-Butanon, 2-Hydroxyacetaldehyd, 3-Hydroxy-2-Butanon
und 4-Hydroxyhexenal in der Ausatemluft im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe
nachweisen [42]. Auch bei der seitengetrennten Messung über das Bronchoskop zeigten sich bei Tumorpatienten
unterschiedliche Zusammensetzungen der Ausatemluft [43]. Diese Forschungsansätze sind vielversprechend. Untersuchungen an größeren Patientenzahlen
mit Lungenkarzinomen unterschiedlicher Entitäten sind allerdings erforderlich.
Prädiktive Biomarker für eine Therapie mit EGFR- oder ALK-Therapeutika
Prädiktive Biomarker für eine Therapie mit EGFR- oder ALK-Therapeutika
Entsprechend den aktuellen Richtlinien der International Association for the Study
of Lung Cancer (IASLC) oder der European Society of Medical Oncology (ESMO) sollen
Epidermal Growth Factor-Receptor (EGFR)-Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) wie z. B. Afatinib,
Erlotinib oder Gefitinib als Erstlinientherapie bei Patienten eingesetzt werden, die
an einem Adenokarzinom der Lunge oder einem Karzinom mit drüsiger Partialdifferenzierung
erkrankt sind und deren Tumoren Mutationen im EGFR-Gen aufweisen [44].
Deshalb sollte bei allen Patienten mit diesen histologischen Subtypen das Vorliegen
einer EGFR-Genmutation in den Exonen 19 und 21 per Sequenzanalyse getestet werden,
da mehr als 90 % aller EGFR-Mutationen in diesen beiden Exonen zu finden sind [45].
Wird allerdings ein EGFR-Wildtypstatus vorgefunden, so können die Patienten den größten
therapeutischen Nutzen von einer konventionellen Chemotherapie erwarten, die in diesem
Fall den EGFR-TKI überlegen ist. Das Vorliegen anderer, zu einer Aktivierung des Signalwegs
führenden Genmutationen (beispielsweise KRAS- oder BRAF-Genmutationen, MET-Genamplifikationen)
wird in der Regel nicht überprüft, da bisher keine gegen diese Zielstrukturen gerichteten
Therapeutika zugelassen sind. Bei diesen molekularen Abnormalitäten handelt es sich
aber auch um prädiktive Biomarker, obwohl es an prospektiven Validierungen mangelt
[46].
Im Regelfall profitieren Patienten mit EGFR-Genmutationen von einer zielgerichteten Therapie mit EGFR-TKI. Wenn jedoch während
der Erstlinientherapie kein Ansprechen beobachtet werden kann (primäre Resistenz)
oder nach einem initialen Ansprechen eine Progredienz der Tumorerkrankung vorliegt
(erworbene Resistenz), können Genmutationen in den Exonen 18 und 20 vorliegen, auf
die dann getestet werden sollte. Eine Überprüfung auf das Vorliegen dieser eher seltenen
Mutation wird bei der Erstdiagnose nicht empfohlen, da diese Genmutationen und die
damit einhergehenden Resistenzen häufig erst während oder nach der Therapie mit konventionellen
Zytostatika oder TKI auftreten [47].
KRAS-Genmutationen, die neben der EGFR-Genmutation nahezu exklusiv vorliegen, sind anscheinend nicht mit dem Krankheitsverlauf
bei einer Therapie mit Cetuximab assoziiert, obwohl KRAS-Genmutationen typischerweise zu einem Therapieversagen bei einer zielgerichteten
Therapie mit EGFR-TKI führen [48].
HER2-Mutationen, die beim NSCLC eher selten vorgefunden werden, können auch primäre oder
erworbene Resistenzen gegenüber EFGR-TKI verursachen. Damit handelt es sich bei den
HER2-Mutationen nicht nur um eine neue Zielstruktur für die nächste Generation der EGFR-TKI,
sondern auch um einen prädiktiven Biomarker [49].
Des Weiteren können in ungefähr 5 % der pulmonalen Adenokarzinome ALK-EML4-Translokationen nachgewiesen werden. In diesen Fällen erwies sich die Therapie mit
dem dualen ALK- und MET-TKI Crizotinib gegenüber einer Kombinationschemotherapie als
deutlich überlegen. Standard in der ALK-Diagnostik ist die FISH-Untersuchung, welche
sich allerdings recht aufwendig gestaltet und ein hohes Maß an Expertise verlangt.
Einfacher erscheint daher ein vorheriges Screening mittels ALK-Immunhistochemie. Der
ALK-Antikörper erfasst eine Überexpression des ALK-Fusionsproteins und zeigt eine
hohe Übereinstimmung mit der FISH-Untersuchung. In einer Studie mit 186 FISH-positiven
Fällen zeigten nur drei Fälle immunhistochemisch ein negatives Ergebnis [50].
Daher sollten Patienten mit Adenokarzinomen bezüglich einer ALK-EML4-Translokation zunächst mittels IHC auf eine ALK-Expression untersucht werden.
Prädiktive Biomarker für eine Therapie mit konventionellen Zytostatika
Prädiktive Biomarker für eine Therapie mit konventionellen Zytostatika
Für die Chemotherapie mit konventionellen Zytostatika wie Antifolaten oder Platinderivaten
gibt es bisher keine validierten prädiktiven Biomarker.
Die Expression der Thymidylat-Synthase (TS) scheint ein prädiktiver Biomarker für
eine Chemotherapie mit Pemetrexed zu sein. Einerseits scheint eine niedrigere Expression
auf dem mRNA- und/oder dem Proteinlevel mit einem guten objektiven Ansprechen und
andererseits einem längeren progressionsfreien Überleben sowie einem verlängerten
Gesamtüberleben zu korrelieren [51].
Wegen des Fehlens prospektiver Studien wird die prädiktive Funktion dieses Biomarkers
immer noch kontrovers diskutiert, wenn auch erste Ergebnisse aus prospektiven Studien
den Zusammenhang zwischen der mittels IHC bestimmten Proteinexpression und dem Gesamtüberleben
zu bestätigen scheinen [52].
Es ist bekannt, dass die Expression des Excision Repair Cross-Complementation Group 1 (ERCC1)-Gens ein prädiktiver Biomarker für eine Therapie mit Platinderivaten bei verschiedenen
Tumoren ist. In einer Metaanalyse verschiedener pro- und retrospektiver Studien konnte
nachgewiesen werden, dass eine erhöhte Expression des DNA-Reparatur-Enzyms ERCC1 mit
einem verkürzten Überleben und einem schlechteren Ansprechen der NSCLC-Patienten auf
eine platinhaltige Chemotherapie assoziiert ist [53].
Ähnlich wie für ERCC1 wird auch für das Enzym Ribonukleotid-Reduktase M1 (RRM1) eine
prädiktive Funktion für eine Chemotherapie mit Gemcitabin diskutiert [54].
Trotz der guten prädiktiven Eigenschaften der ERCC1 – und RRM1-Expression in verschiedenen
retrospektiven Studien, bei denen immunhistochemische und/oder molekularpathologische
Techniken eingesetzt wurden, verlief eine prospektive klinische Phase III-Studie,
bei der die Patienten der Biomarker-Expression in ihren Tumoren entsprechend verschiedene
Zytostatika-Kombinationen erhielten, negativ, d. h. die Biomarker-adaptierte Chemotherapie
führte zu keinem verbesserten PFS oder OS [55].
Ausblick
Prätherapeutische Biomarker haben ein großes Potenzial, die Behandlung des Lungenkarzinoms
zu verbessern. Es haben aber bisher nur wenige prädiktive Biomarker ihren Weg in die
klinische Praxis geschafft. Enorme Anstrengungen werden unternommen, um weitere Substanzen
zu etablieren, welche die Therapie und damit die Prognose von Patienten mit Lungenkarzinom
verbessern können. Fortgeschrittene Tumorstadien werden heutzutage minimalinvasiv
bronchoskopisch diagnostiziert, sodass meist nur wenig Probenmaterial zusätzlich zur
histologischen Diagnosestellung zur Verfügung steht. Von besonderer Bedeutung ist
daher ein optimal abgestimmter Prozess von der bronchoskopischen Probenentnahme über
die Probenbehandlung bis zur Probenanalyse unter Einbeziehung aller betroffenen Berufsgruppen.