Einleitung
Mit weltweit jährlich über 1 Mio. Todesfällen stellen Pneumokokken den wichtigsten
Erreger bei der ambulant erworbenen Pneumonie bei Kindern wie Erwachsenen dar und
sind damit zugleich auch die wichtigste impfpräventable Erkrankung [4]. Gemäß US-amerikanischen Berechnungen liegt bei Erwachsenen nach der 5. Lebensdekade
das Lebensrisiko, an einer Pneumokokkenpneumonie oder einer invasiven Pneumokokkeninfektion
zu erkranken, bei über 10 % [31]. In dem vorliegenden Artikel sollen neuere Entwicklungen in der translationalen
und klinischen Forschung zu Pneumokokkeninfektionen dargestellt werden. Für Informationen
zur Pneumokokkenimpfung bei Erwachsenen sei auf den Artikel von Mathias Pletz in diesem
Heft verwiesen.
Der Nasopharynx als Dreh- und Angelpunkt der Transmission
Der Nasopharynx als Dreh- und Angelpunkt der Transmission
Obwohl wir Pneumokokken hauptsächlich als Infektionserreger wahrnehmen, ist die invasive
Infektion doch für den Erreger selbst nicht selten eine Sackgasse und zudem untauglich
für die Transmission an andere Menschen [19]. Viel häufiger und auch bedeutsamer für die Verbreitung ist die asymptomatische
Besiedlung des Nasopharynx. Die Kolonisation des Menschen stellt für Pneumokokken
das einzige Reservoir für ihre Transmission dar [2]
[19]. Sie ist zudem eine obligate Voraussetzung für die Etablierung einer Pneumokokkeninfektion,
wobei die Infektion zumeist einer Besiedlung in kurzem Abstand folgt [8]
[38]. Demzufolge sollten Präventionsstrategien zur Eindämmung der Verbreitung von Pneumokokkeninfektionen
bei Reduktion des Trägertums in der Allgemeinbevölkerung ansetzen. Die Kolonisation
mit Pneumokokken ist stark altersabhängig. Die Besiedlung beginnt kurz nach der Geburt,
und bis zum 2 – 3 Lebensjahr sind bis zu 30 – 55 % der Kleinkinder besiedelt. Danach
fällt die Prävalenz in westlichen Industrienationen auf 5 – 10 % ab [28]. Es überrascht nicht, dass bei engem zwischenmenschlichen Kontakt wie z. B. in Kindergärten
und Massenunterkünften die Kolonisationsprävalenz deutlich ansteigt [2]. Die mittlere Verweildauer von Pneumokokken im Nasopharynx beträgt 4 – 8 Wochen,
und die horizontale Disseminierung über eine Tröpfcheninfektion folgt meist kurz nach
der erfolgreichen Kolonisierung des Nasopharynx [2]. Für die natürliche Immunität gegen kolonisierende Pneumokokken scheinen weniger
Antikörper als CD4 + TH17-Zellen eine Rolle zu spielen [15]. Im Nasopharynx konkurrieren Pneumokokkenstämme sowohl untereinander als auch mit
anderen Bakterien der endogenen Flora wie Haemophilus influenzae, Moraxella catharralis, Staphylococcus aureus oder Neisseria meningitidis. Welcher Pneumokokkenstamm sich durchsetzt, hängt vor allem von seiner Adaptation
an diesen Lebensraum ab [36]. Kapselserotypen mit besonders mächtiger Kapsel können sich der mukosalen Immunität
besser entziehen, und deshalb finden sich stark verkapselte Serotypen wie 19F, 23F
und 6B als Kolonisationsstämme besonders häufig [36]
[37].
Während der Polysaccharidimpfstoff für Pneumokokken keinerlei Effekte auf die Kolonisationsflora
hat, gelang es mit dem 7-valenten und anschließend mit dem 13-valenten Konjugatimpfstoff
die Kolonisationsraten bei geimpften Kindern etwa zu halbieren [8]
[9]. Da kolonisierte Kleinkinder das wesentliche Reservoir auch für Infektionen im Erwachsenenalter
darstellen, führte die Einführung des 7-valenten Konjugatimpfstoffs (PCV-7) zu einer
zunächst unerwarteten Herdenimmunität auch im Erwachsenenalter. So gingen in den USA
im Rahmen des Impfprogramms bei Kleinkindern invasive Infektionen durch die im Impfstoff
enthaltenen Serotypen bei den über 65-Jährigen um 92 % zurück [22]. Da in dieser Altersgruppe Serogruppen, die nicht in PCV-7 enthalten sind, häufiger
vorkommen, war der Gesamteffekt auf die Inzidenz von Pneumokokkeninfektionen bei älteren
Patienten insgesamt nur moderat [22]. Mit der höheren Abdeckung von Serotypen im Erwachsenenalter durch den 13-valenten
Pneumokokkenkonjugatimpfstoff (PCV-13) darf man gespannt sein, wie sich die Herdenimmunität
nach seiner breitflächigen Einführung entwickeln wird. Aufgrund der Bedeutung der
nasopharyngealen Kolonisation für die Transmission wird inzwischen auch diskutiert,
ob man die Reduktion der Kolonisationprävalenz als weiteres Zulassungskriterium für
zukünftige Impfstoffe verwenden soll [8].
Update zur Epidemiologie
Pneumokokken stellen unverändert den wichtigsten Erreger der ambulant erworbenen Pneumonie
(engl. community-acquired pneumonia, CAP) dar. Ihr Anteil wird stabil auf 30 – 55 %
geschätzt. In einer kürzlich erschienenen Studie aus Spanien lag der Anteil von Pneumokokken
bei 44 % [3]. In der deutschen CAPNETZ-Studie wurde ein Anteil von Pneumokokken bei der CAP von
30 % ermittelt, wobei die Schwankungen zwischen den Untersuchungen am ehesten auf
Unterschiede in der Studiendiagnostik zurückzuführen sind [23]. Patienten mit Pneumokokken-CAP bieten klinisch ein schwereres Krankheitsbild als
Patienten mit anderen CAP-Erregern. So mussten Patienten mit Pneumokokken-CAP in der
CAPNETZ-Studie häufiger hospitalisiert werden, hatten einen höheren CURB-Punktwert
bei Aufnahme und wiesen häufiger eine respiratorische Partialinsuffizienz auf [23]. Etwa 25 – 30 % der Fälle von Pneumokokken-CAP verlaufen bakteriämisch. Damit stellt
die CAP mit 80 % den wichtigsten Fokus für invasive Pneumokokken-Erkrankungen dar
[12]. Die Sterblichkeit der bakteriämischen CAP bei Erwachsenen über 65 Jahren ist mit
20 % hoch [12]. Bei der Pneumokokken-Meningitis und Pneumokokken-Bakteriämien ohne Fokus steigt
die Letalität sogar auf 40 % an [12]. Anhand der Pneumokokken-CAP konnte elegant gezeigt werden, dass die Erregerlast
direkt mit der Krankheitsschwere korreliert. So stieg in einer spanischen Studie mit
der Konzentration von Pneumokokken-DNA im Blut auch das Risiko für die Entwicklung
eines septischen Schocks, Lungenversagen und Tod [25]. In mehreren Kohortenstudien weisen Patienten mit bakteriämischer Pneumokokken-CAP
eine höhere Sterblichkeit auf als Patienten mit nicht-bakteriämischer Pneumokokken-CAP
[20]
[30]. Dagegen korrelierte der Nachweis von Pneumokokken in der Blutkultur in der CAPNETZ-Studie
nicht mit der Sterblichkeit [23]. Erwachsene mit invasiven Pneumokokkeninfektionen sind überwiegend multimorbide
Patienten. Daten aus den Niederlanden zufolge weisen etwa 60 % der Patienten über
65 Jahren mit invasiver Pneumokokkeninfektion eine internistische Komorbidität auf,
und weitere 20 % haben einen primären oder sekundären Immundefekt [12]. Grunderkrankungen mit einem besonders hohen Risiko für eine invasive Pneumokokkeninfektion
sind solide und hämatologische Neoplasien sowie HIV/AIDS. Hier liegt das Erkrankungsrisiko
20 – 50-fach über dem der Allgemeinbevölkerung [14]. Bei Patienten mit Diabetes mellitus, chronischer Lungen- oder Herzerkrankung sowie
erhöhtem Alkoholkonsum ist das Risiko immerhin noch um das 3 – 10-Fache erhöht [14].
Schnelldiagnostik bei der rationalen Antibiotikatherapie
Schnelldiagnostik bei der rationalen Antibiotikatherapie
Pneumokokken sind in Deutschland weiterhin gegenüber Penicillin hochsensibel und bei
Erregernachweis ist eine Deeskalation der antibiotischen Therapie auf ein Schmalspektrumpenicillin
gefahrenlos möglich [10]. Mit einer Schnelldiagnostik für Pneumokokken könnte somit der Einsatz von Breitspektrumantibiotika
bei der CAP verringert werden. Die konventionelle Kulturdiagnostik ist hierfür zu
langsam und unsensitiv. Zudem wird sie durch Antibiotikagaben vor Abnahme der Kulturen
erheblich in ihrer Sensitivität gemindert [16]. Eine Beschleunigung der Pneumokokkendiagnostik stellt der Antigentest im Urin dar.
Kommerziell erhältlich ist ein Urinantigentest, basierend auf dem Pneumokokken-Zellwandantigen
(Binax-NOW S. pneumoniae Urinary Antigen Test®). Mit diesem Bedside-Test kann mit geringem apparativen Aufwand innerhalb von 15
Minuten eine Erregerdiagnose gestellt werden. In Metaanalysen wird die Sensitivität
mit 69 – 74 % und die Spezifität mit 84 – 97 % für die Diagnose der Pneumokokkenpneumonie
angegegeben [29]. Wird bei Patienten mit CAP neben der leitliniengerechten Basisdiagnostik auch ein
Test für Pneumokokken-Antigen im Urin durchgeführt, so wird die Erregerdiagnose in
zusätzlichen 11 – 15 % der Fälle allein aufgrund des Antigentests gestellt [27]
[32]. Leider stehen diese ermutigenden Ergebnisse im Gegensatz zu den Erfahrungen aus
kontrollierten Interventionsstudien. Hier konnte bisher kein Vorteil einer diagnostischen
Strategie unter Berücksichtigung des Urin-Antigens belegt werden [7]
[33]. Dementsprechend wird der Test in den deutschen Leitlinien nicht empfohlen [10]. Ein neuer Antigentest, basierend auf einem Multiplex-ELISA der Kapselpolysaccharide
des 13-valenten Pneumokokken-Konjugatimpfstoffs (Prevenar®), befindet sich derzeit in klinischer Erprobung. Für die 13 Kapselserotypen, die
mit dem Test erfasst werden, scheint er eine deutlich höhere Sensitivität als der
Binax-Now-Test aufzuweisen [24]. Da jedoch andere Serotypen nicht erfasst werden, eignet sich der Test in seinem
derzeitigen Format nur für seroepidemiologische Untersuchungen.
Ein zweiter Ansatzpunkt zur Beschleunigung der mikrobiologischen Diagnostik ist eine
schnellere Speziesdiagnose aus einer positiven Blutkultur. Hier hat die MALDI-TOF
Massenspektrometrie die diagnostische Mikrobiologie revolutioniert. Mit der Entwicklung
von speziellen Protokollen zur Probenbearbeitung können mit dieser Technologie inzwischen
Bakterien direkt in einer positiven Blutkulturflasche identifiziert werden. Die Dauer
bis zur Erregerdiagnose wird so um etwa 30 h auf 1 – 2 h verkürzt [6]. Die korrekte Erregerdiagnose auf Speziesniveau wird bei Bakterienisolaten in 80 – 95 %
und bei Diagnostik direkt aus der Blutkultur in 66 – 87 % der Fälle gestellt [6]
[34]. Probleme ergaben sich jedoch bisher bei der Identifikation von Streptococcus species,
wo aufgrund des hohen Verwandtschaftsgrads die sichere Differenzierung von Streptococcus pneumoniae und Streptococcus mitis/oralis häufig nicht gelang [6]. Dieses Problem konnte jedoch mit neueren Diagnosealgorithmen weitgehend beseitigt
werden, die Pneumokokken in über 90 % der Fälle richtig identifizieren [11]
[26]. In mehreren Studien konnte inzwischen auch gezeigt werden, dass der Einsatz von
MALDI-TOF zur Blutkulturdiagnostik zumindest bei Gram-negativen Bakteriämien das klinische
Management relevant beeinflussen kann [5]
[34]. Ob dies auch bei bakteriämischen Pneumokokkeninfektionen gelingt, muss in klinischen
Studien untersucht werden.
Rolle von Makroliden in der Kombinationstherapie bei CAP
Rolle von Makroliden in der Kombinationstherapie bei CAP
Makrolide besitzen neben ihren antibiotischen Eigenschaften auch antiinflammatorische
und immunmodulatorische Eigenschaften. In In-vitro- und In-vivo-Studien konnte gezeigt
werden, dass Makrolide die Produktion inflammatorischer Zytokine wie TNF-alpha, IL-6,
IL-8 und Interferon-γ senken und Gewebsdestruktion und Inflammation in der Lunge günstig
beeinflussen. [13]. Auch in großen Kohortenstudien konnten günstige Effekte der Kombination eines Betalaktams
mit einem Makrolid auf das Überleben bei Pneumokokkenpneumonie gezeigt werden [17]
[18]
[35]. In einer Metaanalyse zum Einfluss von Makrolid-basierten Behandlungen der CAP auf
die Mortalität ergab sich zwar eine 22 %-Reduktion der Mortalität, dieser Effekt war
jedoch nicht mehr nachweisbar, wenn nur kontrollierte Interventionsstudien analysiert
wurden [1]. Trotz der Indizien aus Kohortenstudien kann derzeit nicht sicher beantwortet werden,
ob Makrolide in der Kombination mit Betalaktamen tatsächlich den Verlauf von Pneumokokkeninfektionen
günstig beeinflussen, da diese Studien zumeist von einer Verzerrung durch Indikation
(Confounding by indication) beeinflusst werden. Gemeint ist hiermit, dass Patienten,
bei denen Makrolide in Kombination verordnet werden, sich klinisch von Patienten mit
einer Monotherapie unterscheiden. Tatsächlich zeigte die Analyse von 451 Patienten
einer TREAT-Kohorte, dass Patienten, die eine Monotherapie mit einem Betalaktam erhielten,
älter waren, mehr Komorbidität aufwiesen und schwerere klinische Symptome aufwiesen
als Patienten, die kombiniert behandelt wurden [21]. Mehr Evidenz zur Kombinationstherapie bei der Pneumokokkenpneumonie wird hoffentlich
die erste Interventionsstudie zu dieser Fragestellung bringen. In der CAP-Start-Studie
(ClinicalTrials.gov Identifier: NCT01660204) wird in einer multizentrischen randomisierten
Interventionsstudie eine Betalaktam-Monotherapie mit einer Kombinationstherapie mit
einem Makrolid und einer Monotherapie mit einem Fluorchinolon verglichen. Erste Ergebnisse
werden für 2014 erwartet.