Definition
Die Livedovaskulopathie ist eine chronisch-rezidivierende Erkrankung gekennzeichnet
durch Gefäßverschlüsse der kutanen Mikrozirkulation [2]. Klinisch zeigen sich das Bild einer Livedo racemosa, Ulzerationen und Atrophie
blanche. Eine eindeutige molekulare Ursache der Livedovaskulopathie ist bis heute
nicht bekannt.
Einleitung
Eine der ersten Beschreibungen der Livedovaskulopathie (LV) ist auf Feldaker et al.
zurückzuführen, die 1955 eine Livedo reticularis mit Sommerulzerationen beschrieben
haben [3]. Die LV wurde auch als segmentale hyalinisierende Vaskulitis beschrieben, wobei
hier noch nicht das Verständnis vorlag, dass die Vaskulopathie von einer Vaskulitis
strikt abzugrenzen ist [4]
[5]. Weitere Begriffe wurden im Laufe der Zeit gewählt (z. B. PPURPLE) und auch heute
finden sich noch Publikation zum Begriff „Livedovaskulitis“, die sich bei näherer
Lektüre als Beschreibungen von Patienten mit einer Livedovaskulopathie darstellen
[6]. Auch kennt der ICD-10-Code nur die Livedovaskulitis (L95.0) und keine LV.
Klinisches Bild
Das klinische Bild der LV zeigt in der Vollausprägung eine Trias aus Livedo racemosa-Zeichnung,
Ulzerationen und einer Atrophie blanche. Es ist möglich, dass bei einzelnen Patienten
nicht alle Merkmale sichtbar sind. Die Erkrankung wird von lokalisierten Schmerzen
begleitet [7].
Livedo racemosa
Die Livedo racemosa bezeichnet eine rötlich livide Gefäßzeichnung auf der Haut, welche
insbesondere an der unteren Extremität zu finden ist. Die Färbung ist die Folge eine
Perfusionsstörung in der kutanen Mikrozirkulation und lässt sich per Spatel vorübergehend
wegdrücken. Ihre Ausprägung ist temperaturabhängig. Abzugrenzen von der Livedo racemosa
ist die Livedo reticularis, bei welcher das durchscheinende Gefäßnetz aus vollständigen
Kringeln besteht (analog zur Cutis marmorata), wohingegen die Racemosa-Zeichnung meistens
aus unvollständigen Kreisen besteht [8]. Patienten selber haben diese Erscheinungsform auch als Giraffenfell-Muster bezeichnet.
Ulcerationen
Die Ulzerationen sind in der Regel der Auslöser, weswegen der Patient ärztlichen Rat
sucht. Als Folge reduzierter Gefäßperfusion kommt es zu kutanen Nekrosen, welche zu
flachen und in der Einzelläsion kleineren (< 1 cm Durchmesser) Ulzerationen führen.
Die Ulzerationen sind in der Regel sehr schmerzhaft und zeigen eine verzögerte Heilungstendenz
mit einer lang anhaltenden krustösen Phase ([Abb. 1]). Eine Prodromalphase von 1 – 3 Tagen kündigt häufig das Auftreten neuer Ulzerationen
an [9]. In dieser Phase sollte eine Therapie eingeleitet werden.
Abb. 1 Krustös belegte Ulzerationen oberhalb des linken Außenknöchels einer 23-jährigen
Patientin. Minimale Racemosa-Zeichnung im Vorfuß-Bereich.
Atrophie blanche
Aus den Ulzerationen entstehen im Laufe der Zeit porzellan-weiße atrophe Narben von
sternförmigem Aspekt. Diese Herde zeichnen ein unwiederrufliches Bild der LV und können
entstellendes Ausmaß annehmen. Die Atrophie blanche ist nicht pathognomonisch und
kann auch im Rahmen einer CVI beobachtet werden. Die Atrophie blanche wird auch als
Capillaritis alba bezeichnet [10].
Histologische Untersuchung
Histologische Untersuchung
Eine histologische Untersuchung ist für die Diagnose der LV zu fordern – wenngleich
auch diese allein nicht eindeutig zur Diagnose führen kann. Die Biopsie sollte als
tiefe Inzisionsbiopsie im Übergang von gesunder zu erkrankter Haut erfolgen. Der Diagnosezeitpunkt
beeinflusst das Untersuchungsergebnis maßgeblich. Besteht eine Läsion bereits seit
einigen Tagen, kann schon ein Umbauprozess stattgefunden haben und sekundär einwandernde
Leukozyten lassen eine Vaskulitis vermuten. Ideal zu biopsieren sind Läsionen in der
Übergangsphase von einer rot-lividen Makula zur Nekrose, weil sich dann am ehesten
die zu erwartenden fibrinoiden Ausgüsse und Gefäßokklusionen der mittleren und oberen
Dermis nachweisen lassen. Zudem wird eine Hyalinisierung der Gefäßwand und Infarzierung
im Präparat bei LV beschrieben [11]. Diese sind auch charakteristisch für die Atrophie blanche [12]. Wichtige histologische Differenzialdiagnose ist die Panarteriitis nodosa. Hierbei
finden sich ebenfalls okkludierte Gefäße, allerdings sind diese in weit tieferen Schichten
der Dermis zu erwarten und eine begleitende Entzündungsreaktion ist regelhaft vorhanden.
Diese tritt bei der LV überhaupt nicht oder nur sekundär auf.
Pathophysiologie
Wenngleich die genauen molekularen Mechanismen, die zur Entstehung der LV führen,
weiterhin Gegenstand aktueller Forschungsvorhaben sind, so ist es gesichert, dass
der LV eine Gerinnungsstörung und keine Entzündung zugrunde liegt. Diese Erkenntnis
ist inzwischen hinlänglich gesichert [2]
[4]
[5]
[6], hat sich aber noch nicht bei allen Behandlern durchgesetzt. Auslöser der LV ist
eine chronisch-rezidivierende Thrombosierung in der kutanen Mikrozirkulation. Die
betroffenen Gefäße befinden sich in der obersten und mittleren Dermisschicht und somit
in den Versorgungsgefäßen der darüber liegenden Hautschichten. Eine längere Liste
von Gerinnungsparametern, welche bei LV-Patienten pathologisch verändert sein können,
ist beschrieben. Hier gilt anzumerken, dass in einer retrospektiven Patientenanalyse
von 45 LV-Fällen bei weniger als der Hälfte der Patienten solche assoziierten Marker
entdeckt werden konnten (42 %) [6]
[13]
[14]. Es ist davon auszugehen, dass die offensichtlich vorliegende Thrombosierung durch
eine Gerinnungsstörung ausgelöst wird, die bisher in der Routine-Diagnostik nicht
bekannt ist. Auffällig ist hierbei auch die Lokalisation der Ulzerationen, welche
hauptsächlich an der unteren Extremität auftreten. Hier müssen lokale Perfusionsfaktoren
eine Rolle spielen, die zu einem vermehrten Gefäßverschluss in der Haut der Knöchelregion
führen. Als jüngster Kandidat konnte Lp(a) zur Liste der LV-assoziierten Gerinnungsmarker
beigefügt werden, jedoch ist auch hier abzuwarten, wie sich die Verteilung in größeren
Patientenkollektiven darstellt [15].
Differenzialdiagnose
In der akuten Phase der Ulzeration ist theoretisch jede Form des Ulcus cruris eine
potenzielle Differenzialdiagnose [16]. Die Schwierigkeit von klinischen Diagnosen ohne klare Laborparameter ist bei der
LV nicht unerheblich und wird durch die Seltenheit der Erkrankung noch erschwert.
Die Inzidenz wird bei max. 1/100 000 Einwohnern angesetzt und somit ist es schwierig,
Ärzte mit hoher Erfahrung in der Behandlung der LV anzutreffen. Es bleibt abzuwarten,
ob gegenwärtige Aufklärungsarbeit und multizentrische Studien dazu beitragen können,
dass das Wissen um die Erkrankung insgesamt wächst (www.livedovaskulopathie.de; EudraCT number: 2012-000108-13).
Bei der Anamnese ist genauestens zu beachten, welche Schmerzsymptomatik der Patient
angibt. Charakteristisch ist, dass der Ulzeration ein Prodromalstadium vorhergeht
und der Patient mit geschlossenen Augen bei lokalisiertem Schmerz die Hautläsion zentimetergenau
anzeigen kann. Laborparameter können die LV nicht beweisen, aber vielleicht helfen,
Alternativ-Diagnosen zu verwerfen oder zu bestätigen. Eine Liste zu berücksichtigender
Differenzialdiagnosen ist in [Tab. 1] dargestellt.
Tab. 1
Differenzialdiagnosen der Livedovaskulopathie (adaptiert nach [7]).
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Ulcus cruris unklarer Genese
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Polyarteriitis nodosa (PAN)
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Antiphospholipid-Syndrom
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Lupus erythematosus
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Cryoglobulinämie
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Pyoderma gangraenosum
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Sjögren-Syndrom
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Die sichtbare Livedo racemosa-Zeichnung findet sich neben der LV z. B. auch beim Sneddon-Syndrom.
Das Sneddon-Syndrom hat jedoch über die kutane Beteiligung hinaus systemische Zeichen
wie Verschluss von Hirngefäßen mit entsprechender neurologischer Symptomatik. Es ist
dem Autor bisher kein Fall aus der Literatur und Praxis bekannt, in dem die LV eine
Organbeteiligung gezeigt hätte – es ist eine strikt kutan limitierte Erkrankung. Histologisch
ist die Panarteriitis nodosa ebenfalls mit Fibrinthrombi versehen. Hier liegt der
Fokus jedoch in den tieferen Schichten der Dermis und ein perivaskuläres Infiltrat
kennzeichnet die Erkrankung, welches bei der LV nicht in der Form gesehen wird. Klinisch
kann die LV auch Ulzerationen im Rahmen von Autoimmunerkrankungen wie einem SLE oder
einem Antiphopholipid-Syndrom ähneln [17]
[18]
[19]. Es hat sich bewährt zur Abgrenzung von entzündlichen Dermatosen nach Ausschluss
von Kontraindikationen eine kurzfristige Antikoagulations-Therapie zu initiieren [20]. Die LV spricht auf diese rasch an – entzündliche Dermatosen so gut wie nie!
Therapie
Es hat sich gezeigt, dass eine frühzeitige Behandlung der LV essentiell ist [15]. Zum einen kann man in der Frühphase noch das Auftreten von Ulzerationen und damit
auch von irreversiblen Narbenbildungen verhindern. Zum anderen ist in dieser Phase
die Schmerzsymptomatik noch modellierbar und der Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.
Die auslösenden Faktoren für Schübe der LV sind individuell verschieden und sollten
per sorgfältiger Anamnese vermieden werden. Insbesondere bei Hitze-bedingter LV sollte
an heißen Tagen auf ausreichende Hydratation geachtet werden.
Hinsichtlich einer topischen oder systemischen Therapie ist leider bis heute noch
kein Ergebnis einer kontrollierten Studie zur LV publiziert worden. Die in der Literatur
verfügbaren Daten und Übersichtsarbeiten basieren meistens nur auf Einzelfallberichten
oder monozentrischen Fallserien. Größere Patientenkollektive wurden teilweise retrograd
über einen Zeitraum von 10 Jahren hinsichtlich Therapie und Ansprechen ausgewertet.
Somit besteht nur ein sehr geringer Evidenzgrad. Mit besonderer Spannung darf daher
das Ergebnis einer ersten multizentrischen Studie zur LV erwartet werden (EudraCT
number: 2012-000108-13). Große Einigkeit besteht hinsichtlich der Tatsache, dass die
LV als Vaskulopathie mittels Antikoagulantien behandelt werden sollte [2]
[4]
[6]. Der Einsatz von niedermolekularem Heparin in der therapeutischen Dosierung (1 mg/kgKG
Enoxaparin 1-0-1) wird empfohlen. Die Dosis kann in Phasen geringerer Krankheitsaktivität
halbiert werden. Dazu hat sich der Einsatz von Patiententagebüchern bewährt. Der Patient
dokumentiert täglich den LV-bedingten Schmerz auf einer Visual Analog Scale (VAS)
und kann nach Abklingen der Schmerzen unter 50 % vom Ausgangswert eine Dosisadaptation
vornehmen [15]. In der amerikanischen Literatur wird auch vielfach der Einsatz von Cumarin-Derivaten
zur erfolgreichen Therapie der LV beschrieben [21]. Hierbei bleibt aber sowohl die Thematik der häufigen Therapiekontrolle als auch
die Möglichkeit von Therapieversagern bestehen. Während Cumarin-Derivate eine selektive
Ausschaltung der Vitamin-K-abhängigen plasmatischen Gerinnung bewirken, ist der antithrombotische
Effekt der niedermolekularen Heparine mit einem breiteren Ansatzspektrum größer.
Einzelne Arbeiten haben einen Erfolg im Einsatz von Fibrinolytika als auch von Immunglobulinen
gesehen [22]
[23]. Diese Therapieformen sind sicher nicht in der großen Breite einsetzbar und nicht
zuletzt aufgrund der Kosten nur im ausgewählten Einzelfall nutzbar. Was nicht mehr
vorkommen sollte, ist, dass die LV mittels Steroidtherapie topisch und systemisch
behandelt wird. Leider stellt der Autor fest, dass viele Patienten diesem Regime immer
noch längere Zeit unterworfen werden, auch wenn sich keine Besserung einstellt.
Interessant ist die Entwicklung neuer Antikoagulantien, welche die Therapie der LV
weiter vereinfachen können. Neue Berichte zeigen, dass der Einsatz von Rivaroxaban,
einem oralen FaktorXa-Antagonisten, in der Behandlung der LV Erfolg gezeigt hat, und
es wird gegenwärtig in einer multizentrischen prospektiven Studie überprüft, ob Rivaroxaban
effektiv für die Behandlung der LV eingesetzt werden kann [24]. Der Einsatz eines oralen Medikaments ohne stetige Blutwertkontrolle stellt für
die Patienten einen großen möglichen Gewinn an Lebensqualität dar.
Anmerkung
Der Autor steht für Fallbesprechungen und Anfragen zum Thema Livedovaskulopathie gerne
bereit. Weiterführende Informationen für Ärzte und Patienten sind auch auf der Webseite
www.livedovaskulopathie.de verfügbar.