Keywords: Gendermedizin - Schmerz - Schmerzwahrnehmung
Schmerz ist einer der häufigsten Gründe, warum Menschen einen Arzt
aufsuchen. Er ist aber mehr als ein körperliches Symptom, das kuriert
werden soll. Je nach Individuum und Situation kann er Mittel zum
Ausdruck von Gefühlen, Aufforderung zur Kommunikation oder Instrument
zum Erreichen eines Zieles sein. Nicht immer ist dem betroffenen
Menschen – oder seinem Arzt – die Vielschichtigkeit seiner Beschwerde
bewusst.
Dies ist umso erstaunlicher, da wir alle, Männer und Frauen, Kinder
und Alte, Ärzte und Patienten, dieses Phänomen gut kennen. Körperlich
und auch seelisch schmerzhafte Erfahrungen sind regelmäßige und normale
Ereignisse in unserem Leben. Gerade weil Schmerzen ein allgemein
bekanntes, aber immer subjektives und gleichzeitig komplexes Erlebnis
darstellen, werden sie unterschiedlich bewertet und unterliegen starken
soziokulturellen Einflüssen in der individuellen Entwicklung: „Ein
Indianer kennt keinen Schmerz”. Postuliert man, dass der Indianer in
unseren Breiten meist ein kleiner Junge ist, stellt sich schon hier die
Frage, ob Schmerzen abhängig vom Geschlecht verschieden empfunden werden
(sollen).
Unabhängig von der unterschiedlichen Wahrnehmung können wir alle ohne
Schmerzempfindung und -verarbeitung aber auch nicht überleben. Die Folge
einer kompletten Unempfindlichkeit gegen Schmerzen wären andauernde
Verletzungen, die unsere Lebenserwartung deutlich reduzieren würden.
Akute und chronische Schmerzen
Akute und chronische Schmerzen
Akute Schmerzen erfüllen eine physiologische Warnfunktion, die
uns bei bzw. vor weiterer Gefahr für unseren Körper in Alarmbereitschaft
versetzen. Sie werden durch psychosoziale Faktoren wie Angst
beeinflusst, aber selten von ihnen allein ausgelöst oder
unterhalten.
Chronische Schmerzen hingegen können weiter bestehen, obwohl
die körperlichen Ursachen ausgeheilt sind, oder entstehen ohne
somatische Ursache auf dem Boden von Ängsten, Depressionen oder
anderweitig schwierigen Lebensumständen. In jedem Fall sind sie
wesentlich von psychischen und sozialen Umständen beeinflusst. Schmerzen
sind also immer gleichzeitig eine emotionale und eine körperliche
Erfahrung.
Abb. 1 Das bio-psycho-soziale Schmerzmodell zum
Verständnis von Schmerzen .
Die Definition von Schmerzen berücksichtigt diese Tatsache
explizit:
Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit
aktuellen oder potenziellen Gewebeschädigungen verknüpft ist oder mit
Begriffen solcher Schädigungen umschrieben wird [[1] ].
Körper und Seele lassen sich nie, weder bei Gesundheit noch bei
Krankheit, definitiv trennen, da psychische Prozesse biologische Effekte
auslösen und umgekehrt. Deshalb wird heute zum Verständnis von Schmerzen
das sog. bio-psycho-soziale Schmerzmodell herangezogen. Zusätzlich zu
körperlichen und seelischen Faktoren tragen gesellschaftliche oder
kulturelle Einflüsse, Umweltbedingungen sowie familiäre oder berufliche
Konstellationen wesentlich zu unserem Wohlbefinden oder zu
pathologischen Zuständen bei (Abb. 1 ).
Zieht man die vielfältigen Einflüsse in Betracht, die bei der
Schmerzentstehung wirksam werden, ist es nicht verwunderlich, dass sich
zumindest in der alltäglichen Wahrnehmung Frauen und Männer in Bezug auf
Schmerzen stark unterscheiden. In den letzten 2 Jahrzehnten hat sich
auch die Forschung ausführlich mit geschlechtsspezifischen Unterschieden
bei Schmerzen beschäftigt.
Wissenschaftliche Erkenntnisse
Wissenschaftliche Erkenntnisse
Frauen vulnerabler als Männer
Chronische Schmerzen treten nach aktuellem Kenntnisstand häufiger
bei Frauen auf [[2 ], [3 ]]. Bei akuten Schmerzen stehen noch zu wenige
Daten für eine abschließende Bewertung zur Verfügung. Es gibt jedoch
Hinweise, dass Frauen insbesondere mit Hinblick auf die Schmerzstärke
sensibler sind [[4] ]. Als gesichert gilt,
dass das weibliche Geschlecht ein Risikofaktor für die Chronifizierung
von Rückenschmerzen und postoperativen Schmerzen ist [[5 ], [6 ]]. Frauen
scheinen also insgesamt vulnerabler als Männer zu sein.
Der Begriff Gender bezieht sich nicht auf das biologische
Geschlecht (englisch: Sex), also X und Y Chromosomen, sondern auf
die Rollen, Verhaltensweisen, Aktivitäten und Attribute, die in
einer bestimmten Gesellschaft für Männer oder Frauen als adäquat
gelten.
Die Gendermedizin beschäftigt sich sowohl mit den biologischen
als auch mit den psychologisch und sozial bedingten Ursachen für
Unterschiede bei Symptomen, Ausprägungen und Auslösern von
Krankheiten bei Frauen und Männern.
WHO-Definition
Gender refers to the socially constructed roles, behaviours,
activities and attributes that a given society considers appropriate
for men and women.
Quelle: www.who.int
Die Ursachen sind gemäß dem bio-psycho-sozialen Schmerzmodell in
verschiedenen Bereichen zu suchen.
Auf genetischer Ebene konnten einige sog.
Einzelnukleotidpolymorphismen (Single Nucleotide Polymorphism, SNP),
also Variationen einzelner Basenpaare in einem DNA-Strang,
identifiziert werden, die sich bei Männern und Frauen unterschiedlich
auf die Schmerzwahrnehmung auswirken [[6] ].
Auch die Gehirne von Männern und Frauen unterscheiden sich
hinsichtlich ihrer Struktur und ihrer Funktion. Allerdings steht die
Forschung diesbezüglich noch am Anfang.
Hormonelle Einflüsse
Naheliegend ist, dass die Sexualhormone hier Einfluss nehmen. Sie
werden nicht nur in den Gonaden, sondern an vielen Orten im Körper, z.
B. eben auch im Gehirn, synthetisiert. Östrogen, Progesteron und
Testosteron modulieren bei beiden Geschlechtern nicht nur die
Entwicklung, sondern auch die Funktion von Organen und Körpersystemen.
Stark zusammengefasst wirken Östrogene eher exzitatorisch im
Nervensystem und proinflammatorisch auf das Immunsystem, während
Progesteron in beiden Systemen eher gegenteilige Effekte zeigt.
Testosteron hat tendenziell eine immunsupprimierende Wirkung. Im
zentralen Nervensystem entfaltet es seine Wirkung v. a. über seine
Metaboliten. Diese kann anregend oder hemmend sein [[7] ].
Schmerzverschlechterung bei hohen Östrogenspiegeln
Auch Beobachtungen aus der Klinik geben Hinweise auf eine
Verschlechterung chronischer Schmerzen, verursacht z. B. durch
Migräne oder kraniomandibuläre Dysfunktion, bei hohen
Östrogenspiegeln. Am Ende einer Schwangerschaft steigen jedoch die
Schmerzschwellen unter dem Einfluss hoher Östrogenspiegel. Die
Wirkung von Östrogenen auf die Schmerzempfindung scheint nicht nur
von der absoluten Höhe des Hormonspiegels, sondern auch vom
zeitlichen Verlauf abhängig zu sein. Für Androgene konnten klinisch
bisher v. a. antinozizeptive Effekte gezeigt werden [[7] ]. Da die Wirkung der Steroidhormone von
Alter, weiblichem Zyklus oder der Anwendung von Kontrazeptiva und
Hormonersatztherapien beeinflusst wird, sind entsprechende
Untersuchungen bei Frauen und Männern methodisch sehr aufwändig und
die Ergebnisse insgesamt bis heute nicht einheitlich.
Schmerzschwellen und -toleranzen
Großes Interesse galt auch der Untersuchung von Schmerzschwellen
und -toleranzen. Insgesamt wird nach heutigem Kenntnisstand davon
ausgegangen, dass Frauen bei den meisten getesteten
Schmerzqualitäten (z. B. Druck oder thermische Reize) empfindlicher
als Männer reagieren [[8] ]. Allerdings
wurden diese Studien meist an gesunden Probanden und nicht an
Schmerzkranken durchgeführt. Da die Methodik nicht immer einheitlich
war (Alter der Probanden, Versuchsaufbau, sozialer und kultureller
Hintergrund u. a.) und die meisten Studien keine Aussagen zum
Zyklusstag der untersuchten Probandinnen machen, sind die Ergebnisse
noch nicht als endgültig zu werten.
Begleitumstände
Wie bei experimentellen Versuchsaufbauten, sind auch im normalen
Leben Begleitumstände von großer Bedeutung für die Schmerzempfindung.
Zum Beispiel gehen psychische Leiden oft mit körperlichen Schmerzen
einher. Nicht selten sehen Schmerzspezialisten Patienten, deren
Schmerzen ein Hauptsymptom ihrer Depression oder Posttraumatischen
Belastungsstörung sind. Von beiden Erkrankungen sind Frauen häufiger
als Männer betroffen [[9] ]. In diesen
Zusammenhang fällt auch die traurige Realität von körperlichem oder
seelischem Missbrauch in Kindheit und Jugend. Eine solche Erfahrung
erhöht das Risiko für chronische funktionelle Störungen und Schmerzen
im Erwachsenenalter [[10] ]. Mädchen und
junge Frauen werden laut Literatur eher Opfer von sexuellem Missbrauch
als Männer [[11] ].
Bewältigungsstrategien
Nicht nur Erlebnisse, positiv oder negativ, entscheiden über unser
Befinden. Die Entwicklung von chronischen Schmerzen wird auch
maßgeblich durch unsere Strategien im Umgang mit schmerzhaften
Erfahrungen beeinflusst. Einstellungen und Verhaltensweisen,
Gegebenheiten in der Familie und am Arbeitsplatz können
Chronifizierungsvorgänge fördern (s. Kasten S. 13 ).
Als ungünstige Herangehensweise gilt z. B. das „Katastophisieren”.
Der Betroffene fühlt sich hilflos und leidet unter einer ständigen
gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Erlebten und der (unbewussten)
Übertreibung des Problems. Diese Copingstrategie scheint eher von
jungen Mädchen als von jungen Männern angewendet zu werden [[12] ]. Frauen und Mädchen suchen wohl auch mehr
soziale Interaktion, um mit Belastungen umzugehen als Männer oder
Jungen, die sich eher ablenken [[12] ].
Diskutiert wird auch, ob die Geschlechtsrollenorientierung oder
auch das Lernen am Modell, z. B. bei einer schmerzkranken Mutter, das
eigene Risiko für chronische Schmerzen erhöht. Eine Untersuchung zur
somatoformen Schmerzstörung kam hier zu folgendem Ergebnis: Erkrankte
beider Geschlechter neigten bei der Selbstbeschreibung in signifikant
größerem Maße zu femininen Rollennormen als gesunde Kontrollpersonen.
Diese fanden sich eher in traditionell maskulinen Rollennormen und
Eigenschaften wieder [[13] ]. Insgesamt
stellen sich bei den meisten dieser Verhaltensweisen und Phänomene
noch viele interessante Fragen bez. geschlechtsspezifischer
Unterschiede.
Konsequenzen für die Therapie
Konsequenzen für die Therapie
Arzneimitteltherapie
Spannend ist jetzt schon die Frage nach der therapeutischen
Konsequenz. Hier rücken zunehmend Medikamente in den Fokus. In
Deutschland wird leider erst seit 2004 vom Arzneimittelgesetz
gefordert, „dass die vorgelegten Unterlagen zur klinischen Prüfung
auch geeignet sein müssen, den Nachweis der Unbedenklichkeit oder
Wirksamkeit eines Arzneimittels einschließlich einer unterschiedlichen
Wirkungsweise bei Frauen und Männern zu erbringen” [[14] ].
Die meisten Substanzen, die in der Schmerztherapie verwendet
werden, wurden schon vor dieser Bestimmung entwickelt und zugelassen,
sodass nur wenige Daten auf diesem Gebiet vorliegen. Gesichert ist
aber, dass es erhebliche Unterschiede in der Pharmakokinetik ,
d. h. bei Resorption, Verteilung, Metabolisierung und Ausscheidung,
gibt. Eine Hauptrolle spielt hier das Cytochrom-p450-System in der
Leber, das für die Verstoffwechslung der meisten Medikamente zuständig
ist. Die einzelnen Subtypen dieser großen Enzymfamilie unterscheiden
sich in ihrer Aktivität nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern
auch zwischen unterschiedlichen Ethnien [[7 ], [15 ]]. Auch die
Wirkung eines Medikaments am Rezeptor (Pharmakodynamik) kann bei
Männern und Frauen möglicherweise unterschiedlich stark sein [[16] ]. Solche Effekte konnten an
Opioidrezeptoren bereits gezeigt werden [[16 ], [17 ]]. Leider
ist das vorhandene Wissen im Moment noch nicht ausreichend, um
geschlechtsspezifische Dosierungsempfehlungen geben zu können.
Merke: Eine ganz wesentliche Tatsache aber ist gut
belegt: Frauen sind generell gefährdeter, unter unerwünschten
Arzneimittelwirkungen zu leiden [[18] ].
Methoden der Komplementärmedizin werden wohl unterschiedlich häufig
angewandt. Laut einer deutschen Untersuchung nutzen Frauen Akupunktur,
Homöopathie, Osteopathie und Phytotherapeutika öfter als Männer.
Frauen scheinen bei chronischen Schmerzen auch besser von Akupunktur
zu profitieren als Männer [[7 ], [19 ]].
Risikofaktoren für eine Chronifi-zierung von
Rückenschmerzen
(modifiziert nach [[31 ], [32 ]])
Verhalten
ausgeprägtes Schonverhalten
Rückzug von normalen Alltagsaktivitäten
ausgeprägtes Vermeidungsverhalten
extreme Schmerzangaben
Medikamentenmissbrauch
Kognitionen
Arbeitsplatzfaktoren
Überzeugung, dass die Arbeitstätigkeit dem Körper schadet
wenig unterstützende Umgebung am Arbeitsplatz
kein Interesse von Vorgesetzten oder Kollegen
Unzufriedenheit am Arbeitsplatz
fehlender finanzieller Anreiz, Arbeit wieder aufzunehmen
Rentenwunsch
geringe Bildung, geringer sozioökonomischer Status
Iatrogene Faktoren
Unterstützung von Schonverhalten
Inanspruchnahmeverhalten
mehrere (z. T. sich widersprechende) Diagnosen
katastrophisierende Äußerungen des Arztes
Soziale Faktoren
Emotionen
Multimodale Therapiestrategien
Zur Behandlung chronischer Schmerzzustände ist meist keines der
genannten Therapieverfahren allein ausreichend. Angezeigt ist eine
Multimodale Schmerztherapie. Hierbei handelt es sich nicht um das
bloße Zusammenstellen einzelner Therapieformen, sondern um ein
Konzept, bei dem verschiedene somatische, körperlich und psychologisch
übende Verfahren nach vorgegebenem Behandlungsplan und mit identischem
Therapieziel anwendet werden [[5] ]. Eine
solche Schmerztherapie wird, anders als z. B. häufig in einer
Rehabilitationsmaßnahme, in einer festen Patientengruppe durchgeführt.
So kann genug Ruhe und Vertrauen entstehen, um den ganzen Menschen,
also alle biologischen, psychischen und soziokulturellen Faktoren, die
zur Entstehung und Aufrechterhaltung der chronischen Schmerzen
beitragen, zu berücksichtigen.
Merke: Die Wirkung der Multimodalen Schmerztherapie ist
bei beiden Geschlechtern sehr gut belegt. Allerdings scheinen Frauen
noch besser als Männer zu profitieren [[20] ]. Eventuell stehen Frauen den
Programminhalten offener gegenüber, sind geübter in
Körpertherapieverfahren oder haben einen größeren Nutzen von der
Kommunikation in einer Gruppe als Männer .
Arzt oder Ärztin – Patient oder Patientin
Auch bei der Entscheidung für eine Diagnose oder eine Therapie
spielt das Geschlecht von Arzt und Patient eine Rolle. Die höhere
Bereitschaft von Frauen, ärztliche Hilfe zu suchen oder Medikamente
einzunehmen, wird immer wieder beschrieben.
Zumindest bei der Untersuchung von 2 der häufigsten
Schmerzerkrankungen, Rückenschmerzen und Kopfschmerzen, konnten keine
eindeutigen Belege für diese Hypothese gefunden werden [[21] ].
Patient oder Patientin
Allerdings konnte in einer Studie gezeigt werden, dass Frauen
anders anamnestisiert werden als Männer. Ihnen werden z. B. eher
Fragen zu psychosozialen Belastungen gestellt als Männern [[22] ]. Männern wird oft unterstellt, ihren
Körper als gut oder schlecht funktionierende Maschine wahrzunehmen.
Dazu passend fand diese Untersuchung, dass Ärzte bei Frauen mit
Beschwerden an der Halswirbelsäule eher zu unspezifischen Diagnosen
tendierten, als bei Männern mit dem gleichen Problem [[22] ].
Dieses Phänomen hat aber auch strukturelle Ursachen. Die
ICD-10-Kriterien einer depressiven Störung (z. B. Antriebslosigkeit,
Mangel an Interesse, gedrückte Stimmung, Beeinträchtigung des
Selbstwertgefühls) finden sich eher bei erkrankten Frauen. Männer
mit Depressionen tendieren häufiger zu Alkoholabusus oder
gesteigerter Aggressivität, also zu externalisierenden
Verhaltensweisen und werden deshalb eventuell später diagnostiziert
als Frauen [[23] ].
OP-Indikationen
Möglicherweise werden auch Operationsindikationen bei Männern und
Frauen unterschiedlich gestellt. Eine schwedische Untersuchung, die
sich auf das Swedish Spine Register bezieht, berichtet z. B., dass
mehr männliche als weibliche Patienten wegen eines lumbalen
Bandscheibenvorfalls operiert wurden. Die Autoren stellen allerdings
zur Diskussion, ob dies an der möglicherweise unterschiedlichen
Bereitschaft von Männern und Frauen, sich einer Operation zu
unterziehen liegt, oder ob der Eingriff unterschiedlich häufig von
den Ärzten empfohlen wurde [[24] ].
Arzt oder Ärztin
Auch die Tatsache, ob ein Arzt oder eine Ärztin behandelt, kann
auf vielfältige Weise Untersuchungsergebnisse und Therapiepläne
beeinflussen. Es liegt nahe, solche Tendenzen eher in Gesellschaften
mit starren Rollenverhältnissen zu vermuten. Schweden hingegen gilt
als Land mit einer vergleichsweise hohen Sensibilität für die
Gleichheit der Geschlechter. Umso interessanter ist deshalb, dass
eine schwedische Studie deutliche Unterschiede bei Anamnese und
Diagnose gezeigt hat, je nachdem, ob ein Arzt oder eine Ärztin
beteiligt war [[22] ].
Es wird wiederholt berichtet, dass Ärztinnen empathischer und
patientenorientierter kommunizieren als Ärzte. Ärztinnen wird
attestiert, sich mehr um partnerschaftliche
Arzt-Patienten-Beziehungen zu bemühen und psychosozialen Faktoren in
den Gesprächen mehr Raum einzuräumen. Sie scheinen aktiver zuzuhören
und Gefühle bei sich und den Patienten eher zuzulassen [[25 ], [26 ]]. Eine
vielbeachtete Studie wies nach, dass die Qualität der Versorgung von
Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes durch Ärztinnen besser
als durch Ärzte war [[27] ].
Geschlechtsspezifische Aspekte in der Arzt-Patienten-Beziehung bei
Schmerzkranken wurden hingegen bisher nicht untersucht.
Schmerzschwelle
Allerdings gibt es Berichte zur Abhängigkeit der Schmerzschwellen
vom Geschlecht des Untersuchers. Männliche Probanden scheinen bei
weiblichen Untersuchern höhere Schmerzschwellen zu haben [[28] ]. Einer aktuellen klinischen Untersuchung
zufolge, ist dies nur bei sehr leichten Schmerzen der Fall. Starke
Schmerzen werden weiblichem Personal gegenüber höher angegeben – und
zwar von männlichen und weiblichen Patienten [[29] ].
Konsequenzen für die Praxis
Konsequenzen für die Praxis
Nihil nocere und Prävention sind immer Basis ärztlichen Handelns. Um
nicht zu schaden, ist die Abwägung des Für und Wider einer Therapie
entscheidend.
Höheres Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei
Frauen
Frauen haben ein höheres Risiko für unerwünschte
Arzneimittelwirkungen. Für die Schmerztherapie sind Übelkeit nach
Opioiden, allergische Reaktionen auf NSAR oder auch das Risiko einer
QT-Zeit-Verlängerung durch viele in der Schmerztherapie gebräuchliche
Substanzen (Amitryptilin, Methadon etc.) zu nennen [[18 ], [30 ]].
Zu beachten ist auch, dass Frauen und Männer bestimmte
Nebenwirkungen wie z. B. Gewichtszunahme oder Potenz- und
Libidostörungen eventuell unterschiedlich bewerten.
Risikofaktor weibliches Geschlecht für
Chronifizierungsvorgänge
Geht es um Prävention, gilt es v. a. Chronifizierungsvorgängen
vorzubeugen.
Das weibliche Geschlecht gilt als Risikofaktor für die Entwicklung
von chronischen Schmerzen nach Operationen und für die Entwicklung von
chronischen Rückenschmerzen.
Für Letztere wurden u. a. folgende Risikofaktoren
identifiziert:
katastrophisierende Gedanken,
Somatisierung,
Depression,
körperliche Extrembelastung am Arbeitsplatz,
niedrige Bildung,
niedriges Einkommen,
Rauchen,
frühere Schmerzen und
Übergewicht [[5] ].
Viele dieser Einflussgrößen betreffen Frauen häufiger als Männer.
Insofern scheint es bei Frauen noch wichtiger als bei Männern zu sein,
auf diese Warnzeichen zu achten, um das Risiko einer Chronifizierung
frühzeitig zu erkennen und gegensteuern zu können. Die verschiedenen
psychosozialen Risikofaktoren (s. Kasten S. 13 ) müssen aber
selbstverständlich im Umgang mit beiden Geschlechtern präsent sein.
Sensibilität für Geschlechterunterschiede und für die eigene Rolle im
Arzt-Patienten-Verhältnis sind hier sehr hilfreich.
Männer sollten mehr unterstützt werden, sich multimodalen
Schmerztherapien zu öffnen und komplementäre Therapieverfahren zu
nutzen, um genauso gut wie Frauen von diesen Maßnahmen profitieren zu
können.
Fazit
Für eine exakte Diagnose und eine erfolgreiche Behandlung von Männern
und Frauen ist es wichtig, biologisch begründete Unterschiede zwischen
den Geschlechtern zu kennen und die Auswirkungen dieser Unterschiede auf
Krankheitsentstehung und Therapiewirkung oder -nebenwirkung zu
beachten.
Besonders bei komplexen Zuständen wie Schmerzen reicht das Wissen
über die „Hardware” allerdings nicht aus. Psychische und soziale
Faktoren sind gleichwertig zu berücksichtigen und in die Therapie mit
einzubeziehen. Darüber hinaus müssen wir uns vergegenwärtigen, dass
nicht nur Patientinnen und Patienten ihre eigenen Lebenserfahrungen,
Rollen und Überzeugungen in die Arzt-Patienten-Beziehung einbringen,
sondern auch wir Ärztinnen und Ärzte.
Für die Zukunft benötigen wir also noch mehr als bisher Forschung,
die sich mit den unterschiedlichen psychischen, sozialen und kulturellen
Einflüssen auf Schmerzen bei Frauen und Männern beschäftigt. Darüber
hinaus ist von großer Bedeutung, der Forderung des Gesetzgebers
nachzukommen und die Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten bei
beiden Geschlechtern zu belegen.
Eine große Aufgabe wird darin bestehen, geschlechtsspezifische
Unterschiede bei der Funktion unseres Gehirns v. a. in Bezug auf
Interaktionen – Stichwort Arzt-Patienten-Beziehung – besser zu
verstehen.