Einleitung
Pilon-tibial-Frakturen stellen als intraartikuläre Frakturen, insbesondere aufgrund
der komplexen Frakturmorphologie und des begleitenden schweren Weichteilschadens,
eine besondere Herausforderung für den Chirurgen dar.
Der Begriff „pilon tibial“ (frz.: le pilon = der Stößel, der Stampfer) wurde 1911
von dem französischen Radiologen Étienne Destot geprägt. Er verglich damals den gelenktragenden
Anteil der distalen Tibiametaphyse mit einem Stößel. Zwei Jahre später beschrieb der
belgische Chirurg Albin Lambotte 1913 in seinem Werk „Chirurgie opératoire des fractures“
erstmals Frakturen des Pilon tibiale als Y-Fraktur der Epiphyse. Er war auch der erste
Chirurg, der diese Frakturen mit Schrauben und Drahtzerklagen stabilisierte [18].
Noch bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts galten diese Frakturen als inoperabel,
obwohl bereits durch Lorenz Böhlers Frakturdokumentation bekannt war, dass selbst
kleinste Fragmentdislokationen und die daraus resultierende Inkongruenz der tibialen
Gelenkfläche (frz.: le plafond = Decke) zur posttraumatischen Arthrose führen [2]. Seinen Frakturanalysen zufolge entwickelte sich die konservative Therapie mit geschlossener
Frakturreposition, Extensionbehandlung und Gipsimmobilisation, die später von seinen
Schülern H. Jahna und E. Trojan verfeinert wurde. Mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft
für Osteosynthesefragen 1958 wurden in den Folgejahren Frakturklassifikationen sowie
operative Techniken zur Frakturreposition und -stabilisierung entwickelt.
Die heutigen Behandlungsprinzipien gehen im Wesentlichen auf die Arbeiten von Martin
Allgöwer zurück. Sie beschrieben 1963 sowohl das operationstaktische Vorgehen (Fibulaosteosynthese,
Gelenkflächenreposition, Spongiosaplastik zum Auffüllen der metaphysären Impression,
Tibiaosteosynthese) als auch die Bedeutung der funktionellen Nachbehandlung [13].
Neben der osteosynthetischen Versorgung steht heute die Behandlung und Minimierung
des begleitenden Weichteilschadens im Vordergrund. Spätestens mit der Entwicklung
von anatomisch präformierten winkelstabilen Implantatsystemen konnte dieses Therapieziel
durch minimalinvasive Operationstechniken erfüllt werden.
Klassifikation
In der Vergangenheit haben verschiedene Autoren Frakturklassifikationen zur Einteilung
der Pilon-Frakturen entwickelt, die mittlerweile nur noch von historischer Bedeutung
sind.
Heutzutage hat sich die AO-Klassifikation im klinischen Alltag wie auch in der Literatur
durchgesetzt.
Hierbei werden im Segment 43 (metaphysäres Quadrat, s. [Abb. 1]) 3 Frakturtypen unterschieden, die sich jeweils in 3 Gruppen zu je 3 Untergruppen
einteilen lassen ([Abb. 2]). Diese 3 Frakturtypen sind:
Abb. 2 AO-Klassifikation (www.aofoundation.org) der distalen Tibiafraktur (Segment 43).
Einzelheiten im Text.
Typ-A-Fraktur: extraartikuläre Fraktur
Typ-B-Fraktur: partiell artikuläre Fraktur
Typ-C-Fraktur: vollständig artikuläre Fraktur
Während Typ-A-Frakturen einen rein extraartikulären Verlauf in der distalen Tibiametaphyse
zeigen und somit streng genommen keine Pilon-tibial-Frakturen darstellen, zeichnen
sich die Typ-B-Frakturen dadurch aus, dass die tibiale Gelenkfläche nicht vollständig
von der Metaphyse separiert ist (partielle Dissoziation). B1-Frakturen sind reine
Spaltfrakturen in der koronaren (B1.1) oder sagittalen (B1.2) Ebene. Bei den B2-Frakturen
liegt zusätzlich zur Spaltfraktur eine Impression des Tibia-Plafonds vor. Multifragmentäre
Impressionsfrakturen mit partieller Dissoziation der Gelenkfläche entsprechen dem
Typ B3.
Bei den Typ-C-Frakturen hingegen besteht eine vollständige Dissoziation und Separation
der tibialen Gelenkfläche vom Tibiaschaft. Je nach Komplexität der frakturierten Gelenkfläche
und der Tibiametaphyse werden die Pilon-Frakturen in C1-Frakturen (einfach-artikuläre
Gelenkfraktur, einfach-metaphysäre Fraktur), C2-Frakturen (einfach-artikuläre Gelenkfraktur,
komplex-metaphysäre Fraktur) oder C3-Frakturen (komplex- artikuläre Gelenkfraktur,
komplex-metaphysäre Fraktur) eingeteilt.
Abgrenzung zur distalen Tibiafraktur
Im klinischen Alltag bereitet die Abgrenzung der Pilon-tibiale-Fraktur von distalen
Tibiafrakturen und Malleolarfrakturen oftmals Schwierigkeiten.
Frakturen, deren Hauptfrakturzone proximal des metaphysären Quadrats liegt ([Abb. 1]), die aber Frakturausläufer in die distale Tibiagelenkfläche aufweisen, werden dennoch
zu den distalen Tibiafrakturen gezählt (Segment 42) und stellen keine Pilon-Fraktur
dar.
Abgrenzung zur Malleolarfraktur
Auch die Differenzierung der Pilon-Fraktur von der Malleolarfraktur ist im Einzelfall
nicht einfach. Während Malleolarfrakturen infolge der Innen- und/oder Außenknöchelfraktur
typischerweise eine koronare Instabilität zeigen, liegt bei den Pilon-Frakturen vermehrt
eine sagittale Instabilität (Fraktur der Tibiahinterkante) vor. Heim stellte 1991
in seiner Monografie für verbleibende Grenzfälle folgende Zuordnung fest [9]:
Frakturen der anterolateralen Tibia: Tubercule de Tillaux-Chaput
Kommt es zu kleinen knöchernen extraartikulären Ausrissen des vorderen Syndesmosenbands
am Insertionsbereich der distalen Tibia (Tubercule de Tillaux-Chaput), wird die Faktur
als Malleolarfraktur interpretiert. Handelt es sich um große intraartikuläre anterolaterale
Frakturen des Tuberculum anterius tibiae werden diese als Kantenfragmente z. B. infolge
einer axialen Kompressionsverletzung gewertet und den Pilon-Frakturen zugeordnet.
Frakturen der posterolateralen Tibia: Volkmann-Fragment
Kleine posterolaterale Kantenfragmente, die von einer typischen Fibulaschrägfraktur
bzw. einer Malleolus-medialis-Fraktur/Deltabandverletzung in Kombination mit einer
Syndesmosenverletzung begleitet werden, werden als Malleolarfraktur eingeteilt. Die
posterolateralen Kantenfragmente haben hier oft einen kurzen und schrägen Frakturverlauf.
Posterolaterale Kantenfragmente zählen zu den Pilon-tibial-Frakturen, wenn zusätzlich
eine Impressionszone des Tibia- Plafonds vorliegt. Hier zeigen die posterolateralen
Kantenfragmente typischerweise einen vertikalen, weit nach proximal reichenden Frakturverlauf.
Die Größe des Kantenfragments nimmt bei diesen Frakturformen oftmals mehr als ein
Drittel der gesamten tibialen Gelenkfläche ein.
Frakturen der posteromedialen Tibia
Bei begleitender fibulotalarer Bandverletzung bzw. Fibulafraktur werden die Frakturen
der posteromedialen Tibia als Malleolarfraktur klassifiziert. Sofern das posteromediale
Kantenfragment das Tuberculum posterior (Insertion der hinteren Syndesmose) der Tibia
nicht erfasst, sondern schräg in den Innenknöchel verläuft, wird die Fraktur als Pilon-Fraktur
eingeteilt.
Abgrenzung zur Charcot-Arthropathie
Das Vorliegen einer Charcot-Arthropathie mit Destruktion oder pathologischer Frakturierung
des Tibia-Plafonds (diabetisch-neuropathische Osteoarthropathie, DNOAP) darf nicht
mit dem Vorliegen einer Pilon-Fraktur verwechselt werden.
Insbesondere eine unauffällige Unfallanamnese, pastös geschwollene und ggf. leicht
gerötete Weichteile ohne Verletzungsmarken sowie eine begleitende plantare Polyneuropathie
müssen den behandelnden Chirurgen auf das mögliche Vorliegen einer Charcot-Arthropathie
aufmerksam machen.
Diagnostischer Algorithmus
Neben der klinischen Beurteilung unsicherer und sicherer Frakturzeichen inkl. der
Einschätzung eines vorliegenden Weichteilschadens (geschlossener und offener Weichteilschaden,
Gefäß-, Nervenbeteiligung?) steht bei der Diagnostik der Pilon-tibiale-Fraktur die
bildgebende Diagnostik im Vordergrund. Diese sollte jedoch v. a. bei massiver Frakturfehlstellung
mit konsekutiver Weichteilkompromittierung erst nach Primärversorgung, d. h. nach
notfallmäßiger Reposition aus grober Fehlstellung und sterilem Wundverband bei offenen
Frakturen erfolgen.
Vor allem die oftmals präklinisch unzureichende Reposition und Immobilisation der
Fraktur muss in der Rettungsstelle sofort nachgeholt werden, um den Druck der Frakturfragmente
auf die Weichteile zu reduzieren und so weitere Hautschäden zu vermeiden.
Die bildgebende Diagnostik beinhaltet primär konventionell-radiologische Aufnahmen
in 2 Ebenen (OSG a.–p. in 20° Innenrotation, sagittale Projektion, inkl. Abbildung
des distalen Unterschenkels), sollte aber durch eine Computertomografie ergänzt werden.
Insbesondere die 2- bzw. 3-dimensionalen Rekonstruktionen helfen dem Chirurgen, die
Frakturmorphologie vollständig zu erfassen und die osteosynthetische Versorgung strategisch
zu planen. Darüber hinaus können Begleitverletzungen des Fußes ausgeschlossen werden.
Der optimale Zeitpunkt für die erweiterte computertomografische Diagnostik ist situativ
zu entscheiden.
Nach radiologischer Primärdiagnostik sollte eine CT-Diagnostik nur dann unmittelbar
erfolgen, wenn das notfallchirurgische Vorgehen davon abhängt, bspw. der Verdacht
einer sekundären Gefäß-Nerven-Verletzung vorliegt (Indikation zur Angio-CT prüfen).
Andernfalls empfiehlt es sich, die computertomografische Diagnostik nach abgeschlossener
Reposition und temporärer Fixateur- externe-Anlage durchzuführen, da sich infolge
der Ligamentotaxis-bedingten Reposition, insbesondere bei Komplexfrakturen, eine bessere
Übersicht über die Frakturmorphologie und somit eine leichtere Frakturanalyse und
Operationsplanung ergibt. Auch im Rahmen der Polytraumaversorgung sollte der Zeitpunkt
der Computertomografie so gewählt werden, dass der prioritätenorientierte Schockraumalgorithmus
(„treat first, what kills first“) nicht verzögert wird.
Konventionell-radiologische Schrägaufnahmen in 45°-Projektionen haben im Zeitalter
der Computertomografie mit multiplanen Rekonstruktionsmöglichkeiten an Bedeutung verloren.
Therapeutischer Algorithmus
In der Behandlung der Pilon-tibial-Fraktur hat sich heute v. a. bei höhergradigem
Weichteilschaden ein zweizeitiges Vorgehen durchgesetzt, d. h. dass die definitive
osteosynthetische Frakturversorgung erst nach Weichteilkonsolidierung im Fixateur
angegangen wird ([Abb. 3]).
Abb. 3 Diagnostischer und therapeutischer Algorithmus zur Behandlung der Pilon-tibial-Fraktur.
Notfallmanagement
Nach erfolgter Notfallreposition vorliegender Frakturfehlstellungen muss der begleitende
Weichteilschaden richtig evaluiert und klassifiziert werden. Offene Frakturen, Gefäß-Nerven-Verletzungen
sowie das Vorliegen eines Kompartmentsyndroms stellen chirurgische Notfallindikationen
dar und bedürfen der umgehenden Intervention.
Reposition und Immobilisation
Pilon-tibial-Frakturen sind in der Mehrzahl der Fälle durch Frakturinstabilität und
begleitenden Weichteilschaden gekennzeichnet. Die geschlossene Reposition und temporäre
Anlage eines Fixateur externe zur externen Frakturstabilisierung und Weichteilkonditionierung
stellt somit die elementare Notfallmaßnahme in der Behandlung der Pilon-tibial-Fraktur
dar, sodass deren Indikation großzügig zu stellen ist.
Der Fixateur externe wird dabei klassischerweise als 3-armiger tibiometatarsaler Fixateur
konstruiert, wobei dem Kalkaneus-Pin ([Abb. 4]) zur Längenretention eine besondere Bedeutung zukommt [12]. Bei der Anlage des Fixateur externe ist darauf achten, dass die tibialen Schanz-Pins
möglichst weit von dem geplanten Plattenlager platziert werden, um sekundäre Kontaminationen
der endgültigen Osteosynthese zu vermeiden. Darüber hinaus sollten die Verbindungsbacken
so montiert werden, dass sie außerhalb der „Region of Interest“ liegen, sodass die
Artefaktbildung im CT minimiert wird.
Abb. 4 Dreiarmiger tibiometatarsaler Fixateur externe mit Kalkaneus-Pin zur temporären Frakturstabilisierung
und Weichteilkonsolidierung.
In Abhängigkeit der Weichteilverletzung und Frakturmorphologie wird von manchen Autoren
zudem eine einzeitige Fibulaosteosynthese empfohlen.
Durch die Osteosynthese einfacher Fibulafrakturen kann über die meist intakten tibiofibularen
Bänder eine approximative Reposition der antero- und posterolateralen Fragmente erreicht
werden, sodass die tibiale Achse, Länge und Rotation verbessert werden ([Abb. 5]). Bei komplexen Fibulafrakturen, die keine exakte anatomische Rekonstruktion erlauben,
sollte die Osteosynthese im Rahmen der definitiven Operation erfolgen.
Abb. 5 In Abhängigkeit der Weichteilverletzung kann die primäre Plattenosteosynthese einer
begleitenden Fibulafrakur helfen, über Ligamentotaxis eine approximative Reposition
der Pilon-Fraktur zu erreichen.
Je nach Ausdehnung der diaphysären Frakturkomponente können Pilon-tibial-Frakturen
auch von einem Kompartmentsyndrom begleitet werden. In der Literatur wird hier eine
Inzidenz von gut 12 % angegeben [4]. Bei Vorliegen eines Kompartmentsyndroms muss eine notfallmäßige Dermatofasziotomie
durchgeführt werden.
Nur Pilon-tibial-Frakturen, die aufgrund ihrer Frakturmorphologie (z. B. AO-43- B1-Frakturen
als reine Spaltbrüche bzw. anteilig auch die B2-Frakturen [Stauchungsbrüche]) keine
Dislokationstendenz zeigen und stabil sind, dürfen bei geringem Weichteilschaden im
Unterschenkelspaltgips immobilisiert werden.
Insbesondere in diesen Fällen müssen regelmäßige klinische Weichteilkontrollen erfolgen
und bei prolongierter Weichteilschwellung die Indikation zur sekundären Transfixation
kritisch geprüft werden. Im eigenen Vorgehen stellt daher die Immobilisation im Unterschenkelspaltgips
die Ausnahme dar.
Offene Pilon-tibiale-Fraktur
Rund ein Viertel bis ein Drittel aller Pilon-tibial-Frakturen liegen als offene Frakturen
vor [3], [11]. Das notfallchirurgische Vorgehen umfasst zunächst ein Asservieren von Gewebeproben
zur mikrobiologischen Untersuchung mit anschließendem ausgiebigen Débridement und
Jet-Lavage der verletzten Weichteile.
Ein primärer Wundverschluss der verletzten Weichteile sollte die absolute Ausnahme
darstellen. Da es infolge der hohen kinetischen Energie eines Hochrasanztraumas im
Verlauf regelhaft zu sekundären Weichteilschäden kommt, ist jegliche Weichteilspannung
der Haut infolge eines primären Wundverschlusses zu vermeiden und die Indikation zur
temporären Weichteildeckung mittels luftdurchlässigem synthetischem Hautersatz (z. B.
Epigard®) großzügig zu stellen.
Neben dem chirurgischen Débridement ist die perioperative Antibiotikatherapie in der
Behandlung offener Frakturen von entscheidender Bedeutung. Bei erst- und zweitgradig
offenen Frakturen ist als Breitbandantibiotikum Sultamicillin zu wählen. Bei drittgradig
offenen Frakturen finden sich bis zu 40 % gramnegative Erreger, sodass sich in diesen
Fällen Tazobactam/Piperacillin als Kombinationspräparat empfiehlt. Bis zum Vorliegen
des endgültigen Antibiogramms ist diese als kalkulierte Antibiotikatherapie zu wählen.
Selbstverständlich sind begleitende Gefäß- und Nervenverletzungen im Rahmen des Notfalleingriffs
zu rekonstruieren.
Postprimäres Intervall: präoperatives Management
Nach notfallmäßiger Reposition und Transfixation dient das postprimäre Intervall v. a.
zur Konditionierung des Weichteilmantels. Dabei stellt der Fixateur nicht nur eine
effektive Methode zur Frakturretention dar, sondern er vereinfacht auch die regelmäßigen
Weichteilkontrollen und die Patientenpflege. Durch Einhaltung einer strengen Bettruhe
mit Hochlagerung der betroffenen Extremität, die dem Patienten ein hohes Maß an Krankheitseinsicht
und Mitarbeit abverlangt, wie auch durch adjuvante Maßnahmen, wie AV-Pulsation, manuelle
Lymphdrainage und Kryotherapie, kann i. d. R. eine Abschwellung der Weichteile innerhalb
von 5–10 Tagen erreicht werden. Während dieser Zeit auftretende Spannungsblasen sind
als Zeichen eines Hautkompartmentsyndroms zu werten und müssen steril eröffnet und
verbunden werden.
Bei offenen Frakturen sollte innerhalb der ersten 24–48 Stunden eine „Second-look-Operation“
durchgeführt werden. Diese dient neben dem abermaligen Débridement auch dem Wechsel
des synthetischen Hautersatzes. Im Verlauf weiterer programmierter Operationen kann
sukzessive ein Wundverschluss erreicht werden. Ist ein sekundärer Wundverschluss aufgrund
der lokalen Defektgröße nicht möglich, so sind frühzeitig die Weichteile mittels Lappenplastiken
zu decken.
Der optimale Operationszeitpunkt ist erreicht, wenn die Weichteilschwellung soweit
abgeklungen ist, dass bereits kleine Hautfalten abgrenzbar werden ([Abb. 6]).
Abb. 6 Nach Weichteilkonsolidierung ist der optimale Operationszeitpunkt für eine osteosynthetische
Versorgung erreicht, wenn an den Weichteilen kleine Hautfalten abgrenzbar sind („wrinkle
sign“).
Während des postprimären Intervalls erfolgt zeitnah die computertomografische Diagnostik.
Dank der mittlerweile standardisierten 2- und 3-dimensionalen Rekonstruktionsmöglichkeiten
wird die Frakturanalyse und Fragmentzuordnung wesentlich erleichtert. Regelhaft kommen
folgende Fragmente bei einer Pilon-tibiale-Fraktur vor [18].
-
Innenknöchelfragment
-
anterolaterales Fragment
-
posterolaterales Fragment
-
vorderes Tibiakantenfragment
-
hinteres Tibiakantenfragment
-
zentrales Pilon-Fragment (engl: „die punch fragment“)
Anhand der CT-Analyse erfolgt die Planung der Operation. Diese beinhaltet neben der
Wahl des Operationszugangs auch die jeweilige Osteosynthesetechnik und Implantatauswahl.
Operatives Management
Operationszeitpunkt
Der optimale Operationszeitpunt ist erreicht, wenn die initiale Weichteilschwellung
mit begleitender Inflammation abgeklungen ist und die Haut beginnt, Falten zu zeigen.
Dies ist in Abhängigkeit des initialen Weichteilschadens 5–10 Tage nach Trauma zu
beobachten ([Abb. 6]).
Operationsplanung
Nach computertomografischer Frakturanalyse sind präoperative 2-dimensionale Planungsskizzen
der Fraktur, des Repositionsergebnisses und der anschließenden Osteosynthese zu fordern
([Abb. 7]).
Abb. 7 Präoperativ muss anhand der konventionell-radiologischen und computertomografischen
Diagnostik die Frakturanalyse inkl. der Planung der Operation (Zugangswahl, Reposition,
Osteosyntheseverfahren) erfolgen. Planungsskizzen der Fraktur, des Repositionsergebnisses
und der anschließenden Osteosynthese helfen hierbei.
Operationszugang
Das Outcome einer Pilon-tibial-Fraktur wird im Wesentlichen von der Qualität der Rekonstruktion
der frakturierten Gelenkfläche wie auch von der Konsolidierung des Weichteilschadens
bestimmt [15].
Der oder die Operationszugänge sind daher so zu wählen, dass eine optimale Frakturübersicht
gewährleistet ist, bestehende Weichteilschäden (z. B. Hautnekrosen ehemaliger Spannungsblasen)
durch die zugangsbedingte Morbidität nicht weiter kompromittiert werden und eine Positionierung
geeigneter Implantate vorgenommen werden kann.
Sofern mehrere Operationszugänge erforderlich sind (i. d. R. der laterale und der
anteromediale Standardzugang), muss zwischen diesen eine ausreichende Weichteilbrücke
(mind. 5–7 cm) erhalten werden.
Mehrere Zugänge stehen hierfür zur Auswahl:
Anteromedialer Zugang
Der anteromediale Zugang stellt einen Standardzugang zur Versorgung der Pilon-tibial-Fraktur
dar. Er beginnt ventral auf Höhe der Frakturmorphologie der distalen Tibia (ca. 5–8 cm
oberhalb der Gelenkebene) und läuft lateral neben der Tibiavorderkante über die Gelenkebene
nach distal, bevor er nach medial zum Cornu naviculare umschlägt (beachte N. saphenus).
Dadurch können insbesondere die medial gelegenen Frakturanteile adressiert werden.
Läuft der Zugang stattdessen geradlinig Richtung Talonavikulargelenk aus, bekommt
man über die lateralen Anteile des Plafonds eine bessere Übersicht. Nach Inzision
der Kutis und Subkutis muss die darunterliegende Faszie samt dem Extensorenretinakulum
gespalten werden. Die Sehnenscheide der Extensoren sollte dabei geschlossen bleiben.
Nun werden die Sehnen der Mm. extensor hallucis et digitorum (EHL, EDL) epiperiostal
gelöst und samt Gefäß-Nerven-Bündel nach lateral mobilisiert. Die Sehne des M. tibialis
anterior wird anschließend nach medial abgelöst. Je nach führender Frakturpathologie
kann jedoch auch die Präparation anderer Fenster zwischen Strecksehnen erforderlich
werden. Bei der Arthrotomie des OSG sollte darauf geachtet werden, dass die gefäßführenden
Kapselanteile zur Perfusion der Fragmente erhalten bleiben. Nach Mobilisieren und
Wegklappen des anterolateralen Fragments gelingt eine gute Übersicht, v. a. auf die
zentralen („Die-punch“-Fragment) und medialen Fragmente (Malleolus-medialis-Fragment)
([Abb. 8]). Mithilfe eines eingesetzten tibiotalaren Spreizers können auch die posterioren
Frakturanteile dargestellt werden.
Abb. 8 42-jähriger Patient mit einer lateralseitig zweitgradig offener 43-C3.3-Fraktur.
Nach primärer Fibulaosteosynthese und Transfixation (vgl. [Abb. 6]) erfolgt im postprimären Intervall die definitive Osteosynthese. Nach Reposition
des zentralen „Die-punch“-Fragments und Rekonstruktion der Gelenkfläche erfolgt die
Doppelplattenosteosynthese und Stabilisierung der Metaphyse.
Anterolateraler Zugang
Der anterolaterale ist wie der anteromediale Zugang ein Standardzugang. Er beginnt
proximal zwischen Tibia und Fibula, überquert das anterolaterale Fragment und läuft
Richtig Os metatarsale IV geradlinig aus. Bei der Präparation muss auf den hier epifaszial
verlaufenden N. peronaeus superficialis geachtet werden. Nach Fasziotomie und Durchtrennung
des Extensorenretinakulums werden die Muskelbäuche vom EDL und EHL dargestellt und
nach medial mobilisiert. Der Zugang bietet, insbesondere unter Verwendung eines Spreizers,
eine gute Übersicht v. a. über das laterale tibiale Plafond und das distale Tibiofibulargelenk.
Der Anteil des Malleolus medialis kann allerdings nur eingeschränkt eingesehen werden.
Medialer Zugang
Der mediale Zugang verläuft streng medialseitig zentriert über dem Innenknöchel und
bietet sich v. a. für horizontale und vertikale Frakturverläufe an (z. B. AO 43-B1).
Oftmals liegt eine medialseitige Impressionszone des Plafonds vor (AO 43-B2). In diesen
Fällen wird über einen weiter anteromedial angelegten Zugang eine bessere Übersicht
erreicht.
Posteromedialer Zugang
Der posteromediale Zugang bietet eine sehr gute Übersicht über das mediale wie auch
das posteriore Tibiafragment (z. B. bei AO 43-B1.1). Die Hautinzision des posteromedialen
Zugangs beginnt ca. 1 Querfinger dorsal der posteromedialen Hinterkante der distalen
Tibia und verläuft dorsal entlang der Tibialis- posterior-Sehne nach distal, wo er
nach ca. 1–2 Querfingern am Innenknöchel umschlägt und Richtung Cornu naviculare zielt.
Nach Darstellung der Faszie wird diese zusammen mit dem Retinaculum flexorum gespalten.
Nachdem auch das tiefe Faszienblatt inzidiert wurde, stehen, je nach Frakturmorphologie,
unterschiedliche Intervalle zwischen den einzelnen Flexorensehnen zur Verfügung. Während
mediale und posteromediale Fragmente über das Intervall distale Tibia/Tibialis-posterior-Sehne
bzw. Tibialis posterior/Flexor digitorum longus erreicht werden können, gelingt über
das Intervall Flexor digitorum longus/Flexor hallucis longus ein Zugang zum posterolateralen
Fragment. Das sich hier befindliche Gefäß-Nerven-Bündel muss bei der Präparation unbedingt
geschont werden. Sofern der anteriore, konvexe Wundrand als Weichteilmantel nach ventral
mobilisiert wird, kann über diesen Zugang auch eine vollständige Einsicht über den
Malleolus medialis erreicht werden.
Lateraler Zugang
Der laterale Zugang, der streng zentral über der Fibula läuft, dient ausschließlich
zur Versorgung der begleitenden Fibulafraktur bzw. zur Refixation knöcherner Syndesmosenausrisse.
Sofern die weitere Versorgung der Pilon-tibiale- Fraktur einen anteromedialen Standardzugang
erfordert, so sollte der laterale Zugang weiter dorsal gewählt werden, um einen ausreichenden
Sicherheitsabstand von 5–7 cm zwischen den beiden Zugängen zu wahren. Im Falle einer
vorrangig anterolateralen Frakturmorphologie des tibialen Plafonds kann der laterale
Zugang proximal beginnen, um dann auf Höhe der Tibiametaphyse S- förmig nach ventral
umzuschlagen und Richtung Os metatarsale IV distal auszulaufen.
Posterolateraler Zugang (Bauchlage)
Der posterolaterale Zugang bietet eine gute Übersicht über die Tibiahinterkante und
ist indiziert, wenn hier die Hauptfrakturzone liegt. Hierzu wird paraachillär lateral
unter Schonung des N. suralis eine geradlinige Inzision durchgeführt. Nach Fasziotomie
wird die peronäale Muskulatur nach lateral und der Muskelbauch des FHL nach medial
mobilisiert. Unter Verwendung eines Spreizers kann die Einsicht in die Frakturzone
verbessert werden. Nachdem das posteromediale und -laterale Fragment jeweils mobilisiert
und weggehalten wird, können Impressionsfrakturen über diesen Zugang mit Spongiosa
unterfüttert werden. Nach Zurückklappen der dorsalen Hauptfragmente können diese mit
einer dorsalen Abstützplatte stabilisiert werden. Darüber hinaus kann nach Mobilisation
der peronäalen Muskulatur nach medial über den posterolateralen Zugang eine begleitende
Fibulafraktur versorgt werden.
Minimalinvasive Plattenosteosynthese (MIPO-Technik)
Die Integrität eines intakten Weichteilmantels trägt entscheidend zur Frakturkonsolidierung
bei. Das oberste Ziel bei der operativen Versorgung einer Pilon- tibial-Fraktur sollte
daher neben einem anatomischen Repositionsergebnis die Reduktion des operativen Traumas
und der Zugangsmorbidität sein.
Minimalinvasive Repositions- und Osteosynthesetechniken bieten sich bei un- oder gering
dislozierten Frakturen der distalen Tibia an.
Diese Techniken kommen auch bei Frakturen mit extremen Weichteilschäden zum Einsatz,
um eine weitere zugangsbedingte Kompromittierung der Weichteile zu vermeiden. Die
Wahl eines minimalinvasiven Vorgehens darf jedoch nicht zu Kompromissen hinsichtlich
der Gelenkreposition führen.
Sofern bei der Primäroperation noch nicht geschehen, ist mit der osteosynthetischen
Versorgung der Fibula zu beginnen. Die Rekonstruktion der fibularen Achse, Länge und
Rotation führt über Ligamentotaxis zu einer präliminären Reposition der Pilon-tibiale-Fraktur
und vereinfacht die nun anstehende Feinreposition erheblich.
Die geschlossene Feinreposition gelingt, je nach Frakturtyp, indirekt (z. B. mithilfe
einer Spitz-Spitz-Repositionsklemme, Kirschner-Drähten, Ligamentotaxis) und einer
intraoperativen radiologischen Kontrolle. Behelfsweise können auch einzelne Mini-open-Zugänge
(s. Operationszugänge) erforderlich werden. Im Zeitalter zunehmender Verbreitung von
Iso-C-3-D-Bildwandlern sind intraoperative CT-Kontrollen, insbesondere bei der geschlossenen
Reposition von Gelenkfrakturen, zu fordern. Alternativ kann die Reposition arthroskopisch
kontrolliert und assistiert erfolgen. Vor allem bei Pilon-Frakturen mit einer Impressionsfraktur
(AO 43-B2) des Plafonds kann das extraartikuläre Zurückstößeln der imprimierten Gelenkfläche
arthroskopisch kontrolliert werden. Plattenunabhängige perkutane Zugschrauben stabilisieren
nun den Gelenkblock, bevor eine winkelstabile anatomisch vorgeformte Überbrückungsplatte
über einen Mini-open-Zugang eingebracht und mit Kopfverriegelungsschrauben besetzt
wird.
Offene Reposition und interne Fixation
Trotz der detaillierten Beschreibungen zur konservativen Therapie der Pilon- Fraktur,
die auf Böhler und dessen Schüler zurückgehen, konnten deren ermutigende Behandlungsergebnisse
schwer reproduziert werden, sodass die konservative Therapie sich nicht durchsetzen
konnte.
In den 60er-Jahren veröffentlichten Rüedi und Kollegen operative Prinzipien, die im
Wesentlichen auch heute, knapp 50 Jahre später, noch gelten [14].
-
Osteosynthese der Fibula
-
Rekonstruktion des tibialen Plafonds
-
Defektauffüllung mit Spongiosa
-
mediale Abstützung
Osteosynthese der Fibula
Sofern die Fibulafraktur bei der Primäroperation noch nicht reponiert und mittels
Plattenosteosynthese versorgt wurde, stellt dies den 1. Schritt dar. Insbesondere
bei einfachen Fibulafrakturen, die eine anatomische Reposition ermöglichen, sollte
mit diesem Schritt begonnen werden, da sich infolge der Ligamentotaxis das antero-
und posterolaterale Fragment ausrichten. Im Falle einer komplexen Fibulafrakur und
einer einfachen Tibiafrakturkomponente sollte jedoch umgekehrt verfahren werden.
Rekonstruktion des tibialen Plafonds und Spongiosaplastik
Zu Beginn der Rekonstruktion des tibialen Plafonds kann ein Spreizer eingebracht werden,
um so die Übersicht über die tibiale Gelenkfläche zu verbessern. Nachdem das anterolaterale
und das mediale Fragment weggeklappt wurden, erfolgt die primäre Inspektion der Frakturmorphologie,
bei der nicht nur die einzelnen Fragmente zugeordnet, sondern auch Begleitverletzungen
(z. B. osteochondrale Läsionen des Talus) erfasst werden sollten ([Abb. 9]).
Abb. 9 Darstellung einer AO-43-B1.1- Fraktur über einen anterolateralen Zugang. Auffallend
ist die ausgeprägte Knorpelkontusion der anterolateralen Talusschulter.
Anschließend werden die jeweiligen Fragmente vom Frakturhämatom gereinigt. Das Frakturhämatom
sollte asserviert werden, da es später zusammen mit der Spongiosaplastik zum Auffüllen
spongiöser Defekte dient. Die Reposition beginnt üblicherweise am posterolateralen
Fragment.
Mit der Reposition des zentralen und des medialen Fragments wird sukzessive die Gelenkfläche
wiederhergestellt und temporär mit Kirschner-Drähten fixiert.
Imprimierte tibiale Gelenkflächen werden nun vorsichtig außerhalb der Impressionszone
mit dem Flachmeißel oder dem Stößel gegenüber der talaren Gelenkfläche aufgerichtet
und mit Spongiosa unterfüttert. Bevor nun das anterolaterale Fragment eingepasst wird,
können spongiöse Defekte mittels Spongiosaplastik ausgeglichen werden. Anschließend
werden die Kirschner-Drähte durch interfragmentäre Zugschrauben ausgetauscht.
Plattenosteosynthese
Insbesondere komplexe B- und alle C-Frakturen benötigen als zusätzliche Stabilisation
eine Überbrückungsplatte, die den Gelenkblock mit der Tibiadiaphyse verbindet. Sowohl
die anterolaterale als auch die mediale Platte wird üblicherweise distal über den
jeweiligen Zugang eingebracht und nach proximal submuskulär bzw. subkutan vorgeschoben.
Nach Reposition des Gelenkblocks gegenüber der Diaphyse und Kontrolle der Plattenlage
wird diese nun temporär mit Kirschner-Drähten fixiert. Abschließend werden nun zunächst
die distalen Schraubenlöcher besetzt, wobei darauf zu achten ist, dass der gesamte
Gelenkblock von den Schrauben erfasst und gehalten wird. Proximal sollten v. a. bei
osteoporotischer Knochenqualität mind. 3–4 Kopfverriegelungsschrauben bikortikal verankert
sein. Postoperativ wird der 3-armige Fixateur externe um den Kalkaneus-Pin reduziert.
Nach Weichteilkonsolidierung kann der Fixateur im Verlauf auf Station entfernt werden.
Salvage-Verfahren
In Ausnahmefällen kann aufgrund der initialen Schwere eines offenen oder geschlossenen
Weichteilschadens eine zeitgerechte Konsolidierung der Weichteile ausbleiben, sodass
sich ein konventionell-osteosynthetisches Verfahren verbietet. In diesen Fällen bieten
sich Kombinationsverfahren aus Ilizarov- Fixateur und minimalinvasiver Osteosynthese
zur Stabilisierung des Gelenkblocks an ([Abb. 10]), um insbesondere Wundkomplikationen oder sekundäre Pseudarthrosen zu vermeiden
[6].
Abb. 10 54-jähriger Patient mit 43-C2-Fraktur und drittgradig geschlossenem Weichteilschaden.
Kombinationsverfahren aus Ilizarov-Fixateur und minimalinvasiver Osteosynthese bieten
sich insbesondere bei massiven Weichteilschäden als „Salvage“-Verfahren an.
Nachbehandlung
Nach Weichteilkonsolidierung beginnt die Mobilisation des Patienten mit 15 kg Teilbelastung
im Unterschenkelcast oder Walker. Begleitend sollte in Abhängigkeit der Frakturschwere
und des Weichteilschadens mit passiven Bewegungsübungen begonnen werden, die später
auch aktiv durchgeführt werden können. Kryotherapie und manuelle Lymphdrainage helfen,
eine persistierende Weichteilschwellung zu reduzieren. Radiologische Verlaufsaufnahmen
zur Kontrolle der Frakturkonsolidierung sollten unmittelbar postoperativ und mind.
nach 6 und 12 Wochen durchgeführt werden. In Abhängigkeit der Frakturheilung kann
eine Belastungssteigerung nach 6–8 Wochen erfolgen. Der Übergang zur Vollbelastung
ist i. d. R. nach 12 Wochen möglich.