Qualität zeigt das Ausmaß, in welchem eine Sach- oder Dienstleistung definierte
Erfordernisse erfüllt [[1]]. Qualität ist somit nicht per
se etwas Positives, sondern ist ein Soll-Ist-Vergleich, der negativ oder positiv
ausfallen kann. Für die Messung der Qualität einer Sach- oder Dienstleistung werden
Kriterien benötigt, die die Anforderungen beschreiben, die man an die jeweilige Leistung
stellt.
Es gibt verschiedene Gründe, weshalb es sinnvoll ist, die Qualität von
Gesundheitsdienstleistungen zu sichern und zu verbessern: 1. Gesundheit ist ein hohes
Gut, das nach allen Regeln der Kunst bewahrt und geschützt werden muss [[1]]. 2. Der Grad an Informiertheit der Menschen ist
verhältnismäßig hoch und die Ansprüche an die Versorgung scheinen gestiegen zu sein.
3.
Seit 2003 sind alle deutschen Kliniken dazu verpflichtet, die Qualität ihrer Leistungen
zu sichern, weiterzuentwickeln und transparent darzustellen (SGB V §135a) [[2]]. Wie die Kliniken diese Vorgaben umsetzen, ist ihnen
selbst überlassen. Daneben fordert das Gesetz, dass die Leistungen „dem anerkannten
Stand der medizinischen Erkenntnisse […] entsprechen und den medizinischen Fortschritt
[…] berücksichtigen“ (SGB V §2, §135a). Behandlungen sollen sich auf wissenschaftliche
Studien und klinische Erfahrung stützen [[3]]. Es sollen
also Erkenntnisse aus aktuellen Studien und Übersichtsarbeiten in die tägliche Praxis
einfließen, um eine bestmögliche Qualität für die Patientinnen zu erreichen. Dieses
Vorgehen nennt man evidenzbasiert.
Nachfolgend werden wichtige Instrumente des Qualitätsmanagements und ihr jeweiliger
Nutzen vorgestellt.
Leitlinien
Leitlinien sind systematisch entwickelte Entscheidungshilfen für Ärztinnen und Ärzte.
Im
Sinne der Evidenzbasierten Medizin vereinen sie aktuelle wissenschaftliche
Erkenntnisse mit praktischer Berufserfahrung[[4]].
Die medizinischen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
findet man auf der Internetseite der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen
Medizinischen Fachgesellschaften (www.awmf.de).
Geburtshilflich relevante Leitlinien gibt es zu Themen wie peripartale Blutungen,
vaginal-operative Geburten, Terminüberschreitung, die Zusammenarbeit zwischen Hebamme
und Arzt. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um S1 Leitlinien. S1
Leitlinien sind Empfehlungen einer Expertengruppe, die im informellen Konsens
festgelegt wurden [[5]]. Das ist die niedrigste
Evidenzstufe von Leitlinien und darf nicht als unumstößliche Wahrheit
missverstanden werden. Diese informelle Konsensfindung ist besonders fehleranfällig
und
lässt offen, welche Inhalte auf persönlicher Meinung und welche auf wissenschaftlichen
Fakten basieren. S1 Leitlinien beruhen nicht auf einer systematischen Suche nach
wissenschaftlichen Studien [[5], [6]].
Lediglich die Leitlinien zur Versorgung von Neugeborenen diabetischer Mütter (S2)
und
zur Behandlung einer Brustentzündung in der Stillzeit (S3) entsprechen einem höheren
Evidenzgrad.
Abgesehen von dieser Problematik ist in der geburtshilflichen Versorgung nicht bekannt,
in wieweit Leitlinien generell zur verbesserten Versorgung und Betreuung der Frauen
beitragen. Es lässt sich nicht belegen, dass ein besseres Outcome für Frauen und Kinder
oder ärztliche Verhaltensänderungen auf Leitlinien zurückzuführen sind [[7]]. Unklar ist, ob dies an den Leitlinien selbst oder an
ihrer mangelnden Übertragung in die Praxis liegt.
In einer Studie von Knoll wurde untersucht, in wieweit ausgewählte Bereiche der
Geburtshilfe (Tokolyse, Abort, Weheninduktion, Antibiose bei Sectio) evidenzbasiert
sind
und Leitlinien folgen. Die Autorin stellt in den Kliniken sehr unterschiedliche
Vorgehensweisen fest, die nicht immer dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entsprechen
[[8]]. Derzeit lassen sich die großen Hoffnungen, die
in evidenzbasierte Leitlinien gesetzt werden, (noch) nicht wissenschaftlich belegen
[[7]].
Expertinnenstandard
Der von Hebammen entwickelte Expertinnenstandard zur „Förderung der physiologischen
Geburt“ zeigt, wie physiologische Geburten möglichst ohne Einsatz von Interventionen
gefördert werden können [[9]]. Mit Struktur-, Prozess-
und Ergebniskriterien kann die Qualität der Geburtshilfe überprüft werden. Der Standard
basiert auf einer systematischen Literaturrecherche und einem Konsens in der
Expertinnengruppe (klinisch und außerklinisch tätige Hebammen, Kreißsaalleitungen,
Hebammenlehrerinnen, Wissenschaftlerinnen). Er entspricht einem S1 Evidenzlevel, ohne
dass er exakt in die Hierarchiestufen der medizinischen Leitlinien eingeordnet werden
kann. Bis vor kurzem wurde die Anwendung des Expertinnenstandards in ausgewählten
Kreißsälen erprobt. Einige Verantwortliche berichten von sinkenden Interventionsraten
nach der Einführung. Eine wissenschaftliche Evaluation steht jedoch noch aus.
Definitionen
Leitlinien sind systematisch entwickelte Therapie- und Entscheidungshilfen für
Ärzte zu spezifischen Themen oder Krankheiten. Sie beruhen auf aktuellen
wissenschaftlichen Erkenntnissen und Praxiserfahrungen [[4]].
„Die Expertenstandards sind Instrumente, mit deren Hilfe die Qualität von
Pflegeleistungen definiert, realisiert und bewertet werden kann und die Auskunft
darüber geben, welche Verantwortung die Berufsgruppe der Pflegenden […] hat.“ [[21]]
„Ein Qualitätsindikator dient der Bewertung, ob ein Qualitätsziel erreicht
wird.“ [[23]] „Er misst den Erfüllungsgrad von
relevanten Qualitätsanforderungen.“ [[22]]
Qualitätsmanagementsysteme
Qualitätsmanagementsysteme
In den letzten Jahren haben viele Kliniken sogenannte Qualitätsmanagementsysteme
eingeführt. Die „Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen“ (KTQ)
und
die DIN EN ISO (Normenreihe 9000 ff) sind die gängigsten.
KTQ wurde von den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen und der Deutschen
Krankenhausgesellschaft speziell für Krankenhäuser entwickelt [[10]]. Die Zertifizierung nach KTQ ist freiwillig. Sie
erfolgt mit einer Selbstbewertung mithilfe eines Kriterienkataloges und mit einer
Fremdbewertung durch Visitation. Insgesamt werden in diesem Prozess 72
Qualitätskriterien betrachtet. Ein Zertifikat wird für 3 Jahre vergeben, wenn mindestens
55 % der Maximalpunktzahl erreicht wird [[11]].
Auch die DIN EN ISO (Normenreihe 9000 ff) ist im Kliniksektor weit verbreitet [[11]]. Dieses Qualitätsmanagementsystem stammt aus der
industriellen Fertigung und stellt lediglich einen Rahmen für die Ausgestaltung des
Qualitätsmanagements dar. Die DIN EN ISO beinhaltet kaum konkrete Vorgaben und die
Kliniken müssen diesen vorgegebenen Rahmen selbst mit Inhalt füllen. Das QM-System
besteht aus einem Katalog, der überwiegend organisatorische Prozesse beleuchtet und
der
von den Kliniken mit Prozessbeschreibungen und Kriterien für Qualität gefüllt wird.
Das
Ergebnis ist ein klinikspezifisches Qualitätshandbuch. Die ISO Norm wird bei einer
Zertifizierung von einem externen autorisierten Gutachter mittels Visitation geprüft
und
gilt für drei Jahre [[11]].
Die Realisierung von Qualitätsmanagementsystemen ist mit einem hohen personellen und
finanziellen Aufwand verbunden. Folgende Aspekte werden bei einigen Systemen
kritisiert:
-
Die Reliabilität und Validität der Qualitätsmessung ist in einigen Systemen
problematisch: Es ist nicht garantiert, dass zwei Gutachterteams zum gleichen
Ergebnis kommen.
-
Die Ergebnisqualität der Krankenhäuser wird kaum geprüft.
-
Qualität hat eine geringe Bedeutung in der täglichen Arbeit.
-
Die Zertifizierungsverfahren selbst verfügen selbst nur über wenig konkretes
Qualitätsmanagement.
-
Es fehlen schlüssige Belege zur Kosteneffektivität der Zertifizierungsverfahren.
-
Die Systeme regeln vor allem organisatorische Fragen. Fragen hinsichtlich einer
patientennahen, medizinischen und pflegerischen Versorgung werden zu wenig
thematisiert [[12]].
Trotz dieser Kritik berichten einige Kliniken in Erfahrungsberichten von positiven
Auswirkungen. Der Prozess der Zertifizierung wird als wertschöpfend angesehen oder
als
Anstoß, längst Geplantes umzusetzen. Eine Zertifizierung sei nützlich, um Schwachstellen
im Betrieb aufzudecken [[13]]. Auch interdisziplinäre
Veränderungen gelängen besser. Als wichtigste Veränderungen durch Zertifizierungen
gelten:
-
Transparenz des Klinikgeschehens,
-
höheres Qualitätsbewusstsein,
-
steigende Mitarbeitermotivation,
-
größere Identifikation der Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter mit der Klinik,
-
ausgeprägter Organisationsgrad wichtiger Abläufe und
-
mehr Patientensicherheit [[13]].
Deutlich wird außerdem, dass zusätzliche Stellen, Engagement außerhalb der Arbeitszeit,
ein zusätzlicher administrativer und ein hoher Kommunikationsaufwand nötig waren [[13]]. Die Autoren fanden keine Belege für eine
Verbesserung der Versorgungsqualität (im Sinne der Ergebnisqualität) durch eine
Zertifizierung [[13]].
Neugebauer et al. untersuchten die Wirkung von KTQ und stellten folgende Verbesserungen
fest:
Qualitätsindikatoren in der Geburtshilfe
-
E-E-Zeit (Zeit, die vom Entschluss zur Notsectio bis zur Entwicklung/Geburt des
Kindes vergeht) bei Notsectio unter 20 Minuten
-
Anwesenheit eines Pädiaters bei Frühgeburten
-
Bestimmung des arteriellen Nabelschnur pH Wertes bei Geburten
-
keine kindliche Azidosen bei Geburt (pH < 7,00)
-
kein kritisches kindliches Outcome (pH < 7,00 und 5-Minuten-Apgar < 5 und
Base Excess ≤ 16)
-
möglichst kein Dammriss III oder IV
-
durchgeführte Lungenreife bei Frühgeburten, wenn die Frauen vorher mindestens
zwei Tage stationär behandelt wurden
-
keine mütterlichen Todesfälle
-
Antibiotikagabe bei vorzeitigem Blasensprung
-
Antibiotikagabe bei Sectio
[[19]].
-
klare Definition von Zuständigkeiten und Neuregelung von Aufgabenspektren
-
Veränderung des Führungsverhaltens
-
Akzeptanz des Qualitätsmanagementsystems
-
höhere Mitarbeiterzufriedenheit [[14]]
Schubert hat in ihrer Untersuchung 19 Krankenhäuser nach Aufwand und Nutzen eines
Zertifizierungsverfahrens befragt. Sie stellte folgende Verbesserungen fest:
-
größere Transparenz des Klinikgeschehens
-
generelle Anhebung des Qualitätsbewusstseins
-
höhere Motivation der Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter
-
höherer Organisationsgrad wichtiger Abläufe
-
höhere Patientensicherheit [[15]]
Ernst et al. fanden in ihrer Untersuchung in einem Perinatalzentrum Level 1 nach einer
Zertifizierung eine größere Transparenz, eine sehr gute interdisziplinäre Zusammenarbeit
und eine frühzeitige Erkennung von Schwachstellen [[16]].
Benchmarking und Qualitätsindikatoren
Benchmarking und Qualitätsindikatoren
Benchmarking stammt aus der Wirtschaft und ist ein kontinuierlicher Prozess, in dem
die eigenen Leistungen mit den Leistungen anderer verglichen werden, und zwar
derjenigen, die als überlegen angesehen werden. „Die Ergebnisse dieses Vergleichs
werden
qualitativ bewertet und führen so zur Implementierung und Anpassung von neuen Methoden
und Prozessen (‚Bestlösung‘)“ [[17]]. Es geht darum,
besser als andere zu werden [[17]].
Die Wirkung von Benchmarking ist bereits mehrfach untersucht worden. Die Bereitstellung
von Informationen aus dem Benchmarking steht in Zusammenhang mit stärkerer Motivation,
Kosteneffizienz und Leistungsverbesserung. Die Wirkung wird mit der Theorie des
sozialen Vergleichs erklärt. In dieser Theorie geht man davon aus, dass Menschen
sich grundsätzlich mit anderen vergleichen möchten. Dadurch erfahren sie mehr über
den
eigenen Status, die eigenen persönlichen Fähigkeiten und können sich besser einschätzen.
Menschen wollen geringfügig besser sein als andere und sind somit motiviert, die eigenen
Anstrengungen zu intensivieren [[18]].
Im Sinne von Benchmarking können die Qualitätsindikatoren wirken.
Qualitätsindikatoren werden derzeit vom Aqua-Institut evidenzbasiert entwickelt. Das
Aqua-Institut ist eine fachlich unabhängige Institution, die im Rahmen eines
Vergabeverfahrens ausgewählt wurde und die gemäß § 137a SGB V Verfahren zur Messung
und
Darstellung der Versorgungsqualität im Gesundheitswesen entwickelt.
Die bundesweiten Ergebnisse der jährlichen Erhebungen dieser Qualitätsindikatoren
werden
veröffentlicht und sind im Internet frei zugänglich. Somit haben alle geburtshilflichen
Kliniken die Möglichkeit, ihre eigenen Ergebnisse mit dem Bundesdurchschnitt zu
vergleichen und Konsequenzen abzuleiten. Zu jedem Qualitätsindikator ist ein erwünschter
Zielbereich als Mindeststandard definiert, den die Kliniken möglichst erreichen sollten.
Abb. [1] zeigt die Entwicklung in Deutschland seit
Einführung der Qualitätsindikatoren.
Abb. 1 Entwicklung der Qualitätsindikatoren über die vergangenen zehn Jahre in
Deutschland (Eigenerstellung 2014 in Anlehnung an BQS 2004–2007 und AQUA
2008–2013).
Die meisten Ziele werden inzwischen erreicht. Lediglich die Antibiotikagabe bei
vorzeitigem Blasensprung ist im Bundesdurchschnitt bei weniger als 95 % der Fälle
erreicht und benötigt mehr Anstrengung.
Offenbar kann eine externe Kontrolle (durch das Aqua-Institut) die interne
Qualitätsentwicklung (in den Kliniken) fördern. Besonders auffällig ist, dass
eine E-E-Zeit von 20 Min. bei einer Notsectio kaum noch überschritten wird, dass
es zunehmend gewährleistet ist, dass Pädiater bei Frühgeburten anwesend sind und
dass vor Frühgeburten meistens eine Lungenreife verabreicht wird. Hier können große
Qualitätssteigerungen nachgewiesen werden.
Die vorliegenden Indikatoren bilden nicht die gesamte geburtshilfliche Qualität ab.
Wichtige Aspekte wie Wohlbefinden und Zufriedenheit der Frauen werden nicht
berücksichtigt.
Fazit
In den geburtshilflichen Kliniken werden zahlreiche Anstrengungen unternommen, um
die
Qualität zu sichern und zu verbessern. Jede Form von Qualitätsmanagement benötigt
finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen sowie das Engagement der Beteiligten.
Deshalb ist es erstrebenswert, dass Qualitätsmanagement nachweislich einen Nutzen
für
Frauen und Neugeborene hat und nicht lediglich dem Marketing einer Klinik dient. Hier
besteht dringender Forschungsbedarf.
Um die Qualität in der Geburtshilfe umfassender zu messen, sind Qualitätskriterien
und -ziele sinnvoll, die mit der Berufsgruppe der Hebammen abgestimmt sind bzw.
hebammenwissenschaftliche Erkenntnisse beachten.
Qualität außerhalb der Klinik
Qualität außerhalb der Klinik
Die Frage nach der Qualität wird längst auch in der freiberuflichen Hebammenarbeit
gestellt. Seit 1996 werden außerklinische Geburten statistisch erhoben und zunächst
auf
freiwilliger Basis ausgewertet. 1999 gründete sich aus diesem Engagement die
Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG e. V.). Die QUAG
veröffentlicht jährliche Qualitätsberichte, um u. a. die Sicherheit für Mutter und
Kind
sowie die Kompetenz der Hebammen in der außerklinischen Geburtshilfe zu belegen. Seit
2008 übernehmen Krankenkassen die Betriebskostenpauschale für Geburtshäuser und
verpflichtet diese zur Umsetzung eines Qualitätsmanagementverfahrens [[20]].
Ab 1.1.2015 müssen freiberufliche Hebammen ein Qualitätsmanagement nachweisen, um
weiter
mit den gesetzlichen Krankenkassen Leistungen abrechnen zu können. Hierfür stellt
der
DHV ein Qualitätsmanagementhandbuch in Anlehnung an die DIN EN ISO zur Verfügung.
Diese
Vorlage muss allerdings von den Anwenderinnen ‚mit Leben gefüllt‘ werden.
Internetadressen
Aqua (2009–2013). Bundesauswertungen verfügbar unter:
https://www.sqg.de/ergebnisse/leistungsbereiche/geburtshilfe.html
BQS (2004–2007). Bundesauswertungen verfügbar unter:
http://www.bqs-qualitaetsindikatoren.de/archiv