ergopraxis 2014; 7(07/08): 12-14
DOI: 10.1055/s-0034-1386561
wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale Studienergebnisse


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Publication Date:
17 July 2014 (online)

 

RehabMaster – Eine Revolution in der virtuellen Rehabilitation?

Mit dem RehabMaster können Klienten nach einem Schlaganfall ihre Armfunktionen verbessern. Das interaktive System besteht aus einem Tiefensensor und einem Monitor mit integriertem Computer für den Klienten (Abb., Nr. 1 und 2) und einem Monitor inklusive Kontrollcomputer für die Therapeutin (Abb., Nr. 3 und 4). Der Klient sitzt mit ausreichend Bewegungsfreiraum auf einem Stuhl vor dem Bildschirm. Das Computerprogramm gibt ihm spielerische Übungsanweisungen, um Schulter-, Unterarm- und Handfunktionen sowie die Visuomotorik zu trainieren. Währenddessen misst der Sensor, der unterhalb des Bildschirms angebracht ist, seine Bewegungen. Die Therapeutin hat über ihren Bildschirm Einsicht in den Therapieverlauf. Joon-Ho Shin, Hokyoung Ryu und Seong Ho Jang entwickelten den RehabMaster und erforschten seine Wirksamkeit in zwei klinischen Studien am Department of Physical Medicine and Rehabilitation der koreanischen Hanyang University.

In der ersten Studie nahmen insgesamt sieben weibliche und männliche Probanden mit chronischem Schlaganfall teil. Sie hatten milde bis schwere Defizite in den Funktionen der oberen Extremität und trainierten zwei Wochen lang täglich 30 Minuten mit dem System. Zur Überprüfung des Therapieerfolgs kamen der Fugl-Meyer-Test und der modifizierte Barthel-Index zum Einsatz. Am Ende der Untersuchung hatten sich alle Teilnehmer in beiden Tests verbessert. An der Kontrollstudie nahmen 16 weibliche und männliche Probanden mit akutem oder subakutem Schlaganfall teil. Sie erhielten entweder zehn Einheiten konventionelle Ergotherapie in der Gruppe oder konventionelle Ergotherapie in der Gruppe plus 20 Minuten RehabMaster. Am Ende zeigten die Teilnehmer, die zusätzlich mit dem RehabMaster trainierten, im Fugl-Meyer-Test größere Fortschritte. Positive Auswirkungen auf den Barthel-Index konnten die Forscher nicht feststellen.

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Abb.: J Neuroeng Rehabil 2014; 11: 32
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Das System eignet sich, um Schulter-, Unterarm- und Handfunktionen sowie die Visuomotorik bei neurologischen Defiziten zu trainieren. Gegenüber anderen virtuellen Trainingsgeräten sehen die Wissenschaftler beim RehabMaster den Vorteil, dass er sich durch den Einsatz des Tiefensensors und die sichere Ausübung im Sitzen auch für schwer betroffene Menschen nach einem Schlaganfall eignet.

Kave

J Neuroeng Rehabil 2014; 11: 32

KOMMENTAR

Die Therapeutin bleibt wichtig


Aufgrund der kleinen Anzahl an Probanden sollte man die Wirksamkeit des Rehab-Master mit Vorsicht genießen und weitere Studien abwarten. Kommt das System bei schwer betroffenen Klienten zum Einsatz, sollte die Therapeutin darauf achten, wie der Klient die Übungen ausführt bzw. ob er Ausweichbewegungen macht. Gegebenenfalls kann es sinnvoll sein, währenddessen hinter ihm zu stehen und fehlerhaften Bewegungsausführungen entgegenzusteuern.

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Wenn der Klient sich darauf einlassen kann, eignet sich virtuelle Rehabilitation durchaus zur Ergänzung der konventionellen Therapie. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass die Therapeutin weiterhin eine wichtige Rolle spielt und man den Einsatz dieses Therapiemediums individuell abwägen muss.


Verena Kawaletz, Ergotherapeutin, Gesundheitswissenschaftlerin BSc


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Intelligenter Elektrischer Rollstuhl – Mehr Autonomie, Unabhängigkeit und Sicherheit?

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Abb.: Int J Environ Res Public Health 2014; 11: 2244–2261

Seit 2006 arbeitet ein Team mit Forschern um Physiotherapeutin Prof. Dhalia Kairy aus unterschiedlichen Universitäten und Forschungseinrichtungen in Montréal, Kanada, an der Entwicklung eines intelligenten elektrischen Rollstuhls. Ausgestattet ist er mit einer künstlichen Intelligenztechnologie sowie Laser- und Sonarsensoren, die Objekte mittels Schallimpulsen orten können. Diese kann man auch an einem handelsüblichen Rollstuhl anbringen. Der Fahrer bedient den Rollstuhl über Spracherkennung, Joystick oder ein taktiles Display. Somit versetzt er das Hilfsmittel in die Lage, automatisch einem festgelegten Weg zu folgen, statische und dynamische Hindernisse zu vermeiden und sich einem vorgegebenen Zielobjekt (zum Beispiel einer Person) anzuschließen.

Um potenzielle Nutzer in den Entwicklungsprozess einzubinden, zeigten die Forscher 12 Rollstuhlfahrern (durchschnittlich 55 Jahre alt, vier Frauen, acht Männer, muskuloskeletale oder neurologische Erkrankung mit Langzeiteinschränkung) und vier betreuenden Personen (durchschnittlich 67 Jahre alt, männlich, begleiten Rollstuhlfahrer bei täglichen Aktivitäten) ein vierminütiges Video über einen intelligenten Rollstuhl-Prototyp (Abb.). Anschließend befragte ein Ergotherapeut die Probanden in einem offenen Interview nach ihren bisherigen Erfahrungen bezüglich:

  • > der Nutzung ihres Rollstuhls,

  • > positiver Aspekte und Herausforderungen im Gebrauch,

  • > unerfüllter Mobilitätsbedürfnisse,

  • > ihres Eindrucks von dem intelligenten elektrischen Rollstuhl und

  • > der Relevanz von Funktionen wie einem vorgegebenen Weg folgen, Hindernisse vermeiden oder sich einem vorgegebenen Zielobjekt anschließen.

Die Antworten machten deutlich, dass sich sowohl die befragten Rollstuhlfahrer als auch ihre Betreuer vorstellen können, technologische Neuerungen zu nutzen und mit deren Hilfe noch mehr Autonomie, Unabhängigkeit und Sicherheit zu erhalten. Allerdings reagierten die Teilnehmer nicht nur positiv auf diese Möglichkeiten. Sie sahen zum Beispiel eine Gefahr darin, sich zu sehr auf die Technik zu verlassen und selbst die Kontrolle zu verlieren. Dies könne dazu führen, dass sich Fähigkeiten wie das Reaktionsvermögen zurückbilden, wenn sie nicht mehr genutzt werden. Als kritisch erachteten sie zudem die Breite des Rollstuhls durch die Sensoren, Schwierigkeiten bei der Schnelligkeitsregelung, wenn man einem vorgegebenen Objekt folgt und Hindernisse wie Schlaglöcher, Glassplitter oder rote Ampeln nicht erkennt.

Dennoch gibt es den Teilnehmern zufolge eine große Gruppe möglicher Nutzer, die nach adäquatem Training Vorteile von den technischen Neuerungen hätten, zum Beispiel Personen mit eingeschränkter motorischer Kontrolle der oberen Extremitäten, verminderter Orientierung, langsamer Reaktionszeit, eingeschränkter Sicht und Ermüdungserscheinungen.

Saja

Int J Environ Res Public Health 2014; 11: 2244–2261


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Rollstuhlfahrer – Hindernisse im Alltag

Rollstuhlfahrer kämpfen im Alltag mit vielen Herausforderungen:

  • > schmale Eingänge und Aufzüge

  • > Gehwege in schlechtem Zustand

  • > überfüllte Stadien, Festivals und Einkaufszentren

  • > Für andere Verkehrsteilnehmer sind sie häufig schlecht sichtbar.

Bislang und mit handelsüblichen Rollstühlen können sie diese Hürden oft nur umgehen, indem sie bestimmte Situationen oder Plätze meiden oder fremde Hilfe in Anspruch nehmen.

Saja

Int J Environ Res Public Health 2014; 11: 2244–2261


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Schlaganfall – Therapieerfolge mithilfe virtueller Realität

Durch den Einsatz von virtueller Realität in der Ergo- und Physiotherapie erzielen Menschen nach einem Schlaganfall Verbesserungen in den ICF-Komponenten Körperfunktionen und -strukturen, Aktivität und Partizipation. Dabei macht es keinen Unterschied, um welche Art von bewegungsgesteuerten Spielen es sich handelt. Zu diesem Ergebnis kam Ergotherapeutin Sandy Tatla mit ihren Forschungskollegen an der University of British Columbia im kanadischen Vancouver.

Die Wissenschaftler führten eine Metaanalyse durch, um die Evidenz von virtueller Realität in der Therapie von Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, zu überprüfen. Dabei unterschieden sie in für die Rehabilitation entworfene Spiele in virtueller Umgebung von kommerziellen Gaming-Systemen wie die Wii von Nintendo, Move von Sony oder Kinect von Microsoft. Insgesamt analysierten die Forscher 26 Studien hinsichtlich aller ICF-Komponenten. Für die Komponente der Körperfunktionen und -strukturen fanden sie heraus, dass sich Klienten durch den Einsatz von virtueller Realität im Vergleich zu einer konventionellen Therapie signifikant verbessern konnten. Kein signifikanter Unterschied zeigte sich zwischen dem Einsatz einer virtuellen Umgebung und Gaming-Systemen. Dasselbe beobachteten sie für die Komponenten „Aktivitäten“ und „Partizipation“.

Bewegungsgesteuerte Spiele kommen zunehmend in der Rehabilitation von Erwachsenen zum Einsatz. Sie führen bei Klienten nach Schlaganfall im Vergleich zu einer konventionellen Therapie zu signifikanten Verbesserungen hinsichtlich aller ICF-Komponenten.

Kave

PLOS ONE 2014; 3: e93318; doi:10.1371/journal.pone.0093318


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ICF – Klassifikation für Gesundheit

Die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) ist eine Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie ist dank des zugrunde liegenden biopsychosozialen Modells nicht primär defizitorientiert, sondern klassifiziert Komponenten von Gesundheit: Körperfunktionen, Körperstrukturen, Aktivitäten und Partizipation (Teilhabe) sowie Umweltfaktoren. Durch ihre Ressourcenorientierung nimmt die ICF bezüglich der Ätiologie einen neutralen Blickwinkel ein und kann auf alle Menschen mit und ohne Krankheit oder Behinderung bezogen werden.

Kave

Deutsches Institut für Medizinwissen und Dokumentation (DIMDI). www.dimdi.de/static/de/klassi/icf


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Abb.: J Neuroeng Rehabil 2014; 11: 32
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Abb.: Int J Environ Res Public Health 2014; 11: 2244–2261