ergopraxis 2014; 7(07/08): 43
DOI: 10.1055/s-0034-1386569
profession & perspektiven
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Kolumne – Shades of Ergo

Andrea Moser

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Publication Date:
17 July 2014 (online)

 

    Mit diesem Rezept haben Sie garantiert schlaflose Nächte: Würzen Sie eine Fortbildung mit einer Prise leichter Literatur und geben Sie einen Schuss Fieberwahn hinzu. Von den Auswirkungen kann Andrea Moser ein Lied singen.


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    Lange schon arbeite ich mit viel Freude als Ergotherapeutin in der Handtherapie. Um am Ball zu bleiben und meinen fachlichen Horizont zu erweitern, verbringe ich hin und wieder meine Wochenenden in der stickigen Luft von Fortbildungszentren und erlerne neue Behandlungsansätze. So stand ich kürzlich über meinen Kursübungspartner gebeugt und erlernte die praktische Anwendung von Fasziendistorsionstechniken nach Stephan Typaldos. Hier werden sämtliche Beschwerden auf sechs Verdrehungsmechanismen der Muskelfaszie zurückgeführt. Die Faszie ist also so etwas wie die Herz-Ass-Karte, auf die man alles setzen kann. Verdrehte Muskelfaszien werden ausgestreift, diverse Hernien reponiert, verworrene Zylinderfaszien wieder entwirrt und ein- oder entfaltete Gelenke wieder richtig gefaltet. Das klingt nach Handanlegen, festem Drücken und Ziehen. Und tatsächlich: Es geht um Schleudern, Peitschen, Umfassen, Verdrehen, Bürsten, Saugglocken und Nagelmatten. Man arbeitet nach dem Allesoder-nichts-Prinzip. Wenn ein Triggerband behandelt wird, wird FEST mit dem Daumen entlanggezogen. Mitunter entstehen schon mal Rötungen und blaue Flecken. Für mich etwas ganz Neues: Ein Therapiekonzept, das wehtun muss, um zu helfen. Weg von Schmerzskalen und Samtpfoten und hin zu konkreten Fragen über den Schmerz: Ist das der Schmerz, den Sie kennen? Falls dies bejaht wird, geht‘s erst richtig los. Jawohl!

    Zurzeit arbeite ich an der Umsetzung des Gelernten in den Berufsalltag. Und das mit Feuereifer und einigen Erfolgen. Leider wurde ich von der Grippewelle lahmgelegt. Erst wollte ich das nicht wahrhaben, trank Vitamin C und Zink und schnupfte vor mich hin. Als ich schlussendlich das Fieberthermometer holte und mich ins Bett legte, gestand ich mir ein: Mein Körper braucht Ruhe. Tee trinkend und Halstabletten lutschend lag ich da und las in meinem E-Book. Etwas Seichtes sollte es sein: Shades of Grey – dickes Buch, einfacher Inhalt, banal gestrickt. Genau das Richtige bei 37,8 Grad Fieber. Unerfahrene Jungfrau verliebt sich in superreichen, gutaussehenden, aber sexuell entarteten feschen Kerl, der sie in seine SM-Welt einführt. Er Dom, sie Sub. Ein paar Stunden und ein Grad später geben meine Augen auf, und ich falle in einen unruhigen Fieberschlaf. Ich merke, wie ich schwitze und mich unruhig im Bett hin und her wälze. Und da ist es plötzlich ganz real: Ich liege auf der Behandlungsliege in meiner Praxis, die Liege zur Sprossenwand geschoben. An eben diese sind meine Handgelenke mit dem Theraband medium gefesselt. Über mich gebeugt mein Übungskollege vom Wochenendkurs – diesmal nicht in Jogginghose und T-Shirt, sondern in schwarzen Skinny Jeans ohne T-Shirt. Er möchte mein Kniegelenk behandeln. „Moment mal“, denke ich, „ich hab doch gar nichts am Knie!“ EINfalten, ENTfalten, EINfalten, ENTfalten. Er wolle ja auch nur üben, erklärt er mir ironisch lächelnd. Dann ergreift er mein Bein zum Peitschenschlag und … Stopp! Gerade noch rechtzeitig fällt mir die rettende Kurstheorie ein: Faltungen tun nie weh, wenn sie in die richtige Richtung durchgeführt werden. Darüber will ich ihn gerade aufklären, doch mir versagt die Stimme, und ich wache endlich aus meinem Fiebertraum auf.

    Ihr denkt euch jetzt sicher, „du bist echt schräg, Mädel“. Aber ich sage euch eins: Das Faszien-Distorsions-Modell fesselt einen!


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