Psychiatr Prax 2014; 41(08): 461
DOI: 10.1055/s-0034-1387439
Mitteilungen der BDK
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen aus der Bundesdirektorenkonferenz (BDK)

Gerhard Längle
1   Tübingen/Bad Schussenried
,
Thomas Pollmächer
2   Ingolstadt
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
07 November 2014 (online)

 

Bericht über die Herbsttagung der Bundesdirektorenkonferenz

Die Bundesdirektorenkonferenz war bei ihrer Herbsttagung am 23./24.10.2014 in der traditionsreichen Klinik Dr. von Ehrenwall, Ahrweiler, zu Gast.

Die Thematik war trotz des idyllischen Umfelds im Ahrtal sehr ernsthaft: „Die Selbstverfügbarkeit des eigenen Lebens bei psychisch kranken Menschen“. Das wissenschaftliche Programm ermöglichte – dank der höchst kompetenten ReferentInnen – den TeilnehmerInnen, eine grundsätzliche Befassung mit den Themen Suizidalität und assistiertem Suizid.


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Eingeleitet vom Lehrstuhlinhaber für Medizinethik an der Ruhr-Universität Bochum, dem Psychiater Prof. Dr. Vollmann, wurde das Thema von allen ReferentInnen über die psychischen Erkrankungen hinaus auch für somatisch Erkrankte diskutiert und griff damit auch die aktuelle politische Diskussion zum assistierten Suizid auf. Prof. Vollmann wies darauf hin, dass in den letzten Jahrzehnten medizinethische/-rechtliche Fragen viel diskutiert wurden und manche Klärung stattfand. Stichworte hierfür seien der Behandlungsabbruch im Rahmen einer Intensivtherapie am Lebensende, das Konstrukt der Patientenverfügung oder der Vorsorgevollmacht. Kritisch diskutiert würden dagegen die ärztliche Assistenz zur Selbsttötung sowie die ärztliche Tötung auf Verlangen. Letztere sei in einigen europäischen Ländern bereits erlaubt. Prof. Vollmann plädierte für eine Gleichbehandlung der somatisch Kranken mit den psychisch Kranken und wies darauf hin, dass eine psychische Erkrankung nicht ohne Weiteres die Selbstbestimmungsfähigkeit ausschließe. Er forderte aber eine intensive Forschung zur Möglichkeit, die Selbstbestimmungs- und Einwilligungsfähigkeit zuverlässig einschätzen zu können, umso zu vermeiden, dass krankheitsbedingte Todeswünsche fehlgedeutet würden.

Der Richter Matthias Koller, ein vielgefragter Experte zu juristischen Aspekten bei psychischen Erkrankungen, verwies auf die Unterschiede zwischen rechtstheoretischen Erwägungen und der realen Rechtsprechung, letztere häufig in Form von BGH-Urteilen. Als Orientierungshilfe für die Einschätzung, wo die freie Verantwortlichkeit, die als Voraussetzung für eine assistierte Selbsttötung gelten müsse, könne die Schuldfähigkeit dienen. Wenn ein Zustand der Schuldunfähigkeit bei einem Patienten vorliege, dann sei auch die Verantwortlichkeit für die Entscheidung zu einem Suizid eher nicht gegeben. Diese Fragen seien unter den Juristen aber umstritten. Die Rechtsprechung komme z. T. zu höchst widersprüchlichen Ergebnissen. „Im Zweifel sei es dem Arzt erlaubt, dem Suizidanten den Strick anzureichen, sobald er aber in der Suizidhandlung bewusstlos geworden sei, müsse der Arzt gegenteilig handeln und das Leben retten.“

Prof. Dr. Wolfersdorf, allseits bekannter Experte für Fragen der Suizidalität verwies auf die große Mehrzahl der Menschen, die eindeutig im Rahmen einer psychischen Erkrankung einen Suizidversuch oder einen Suizid begingen. Er verwies auf die Gefahr, die für diese große Mehrheit der Menschen mit Suizidgedanken bestünde, wenn die Beihilfe oder Unterstützung zum Suizid legalisiert und dieser damit vereinfacht würde.

Mit besonderem Interesse wurden die Ausführungen von Herrn Privatdozent Dr. Spittler, Ruhr-Universität Bochum verfolgt, der über eigene Erfahrungen als Gutachter und auch Sterbebegleiter in Kooperation mit der Schweizer Einrichtung Dignitas berichtete. In sehr differenzierter Weise legte er anhand von Fallbeispielen dar, wann seiner Meinung nach auch schwer psychisch kranke Menschen das Recht auf einen begleiteten Suizid hätten.

Dr. Manfred Koller, Göttingen, untersuchte die Rolle der „Patientenverfügung als Mittel zum Suizid“ und arbeitete insbesondere die Angst vor Autonomieverlust als Antrieb für eine entsprechende Patientenverfügung heraus. Er verwies vor allem auf die Wechselhaftigkeit der eigenen Einstellungen zum Wert des eigenen Lebens in Abhängigkeit vom jeweiligen Gesundheitszustand, vom Alterungsprozess usw. und auf die damit verbundene Fragwürdigkeit einer ggf. vor Jahrzehnten getroffenen Entscheidung als Basis für eine Handlungsanweisung.

Frau Sybille Prins, Vertreterin der Betroffenen, verwies auf die Gefahr einer gesellschaftlichen Entwicklung, die im assistierten Suizid eine rasche Lösung von Problemen für Schwerstkranke sehen könne und langsam den Druck hin zur Selbsttötung aufbaue. Sie verwies auf Bemerkungen wie „das ist heute ja aber wohl nicht mehr nötig“, die gelegentlich Eltern von behinderten Kindern zu hören bekämen. Die Frage: „Musst Du Dich wirklich so quälen“ könne für Schwerstkranke mit somatischen oder psychischen Erkrankungen eine ungute Dynamik in Gang setzen.

Die darauf folgende Podiumsdiskussion war ungewöhnlich offen und nachdenklich. Es wurden an die Thematik anknüpfend ganz grundsätzliche Fragen zur Rolle der Ärztinnen und Ärzte aufgeworfen und die Risiken betont, die in einer Zuschreibung der Kompetenz zum Töten lägen. Infrage gestellt wurde auch die derzeit nahezu absolute Gültigkeit des Selbstbestimmungsrechts kontrastiert zur Frage der Geschöpflichkeit des Menschen und es wurde das Konstrukt des „freien Willens“ kritisch bedacht.

Aufgrund der außergewöhnlichen Thematik und der hervorragenden Fachbeiträge entschied sich der Vorstand, in Zusammenarbeit mit den Referentinnen und Referenten eine Dokumentation dieser Tagung vorzunehmen. Es ist geplant, dass dieser Tagungsband im Februar 2015 zur Verfügung steht.

Prof. Dr. G. Längle


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