Einleitung
Frühe traumatische Erfahrungen wie sexuelle oder physische Gewalt in der Kindheit
und Jugend haben häufig schwerwiegende Folgen im Erwachsenenalter. Die Betroffenen
entwickeln nicht selten eine schwere und chronische Posttraumatische Belastungsstörung
(PTBS). Häufig liegen zusätzliche Symptome vor wie eine Störung der Emotionsregulation,
negatives Selbstkonzept, dissoziative Symptome sowie zwischenmenschliche Probleme.
Viele dieser Patientinnen erfüllen auch die Kriterien für eine komorbide Störung,
wie z. B. Substanzmissbrauch oder eine Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS).
Patientinnen mit PTBS und komorbider BPS weisen oft eine große Anzahl an Suizidversuchen,
hohe Hospitalisierungsraten und geringere Remissionsraten auf [1]
[2]
[3].
In der Vergangenheit fehlten auf die Bedürfnisse und Besonderheiten dieser Patientengruppe
angepasste evidenzbasierte Behandlungsprogramme.
Aus den Ergebnissen großer Metaanalysen kann nicht geschlossen werden, dass PTBS-Standardbehandlungen
für diese Patientengruppe sicher und effektiv sind, weil sie in den bislang vorliegenden
Psychotherapiestudien unterrepräsentiert ist (vgl. [4]).
Viele ambulante Behandler haben Sorge, dass der Einsatz der – von allen Leitlinien
empfohlenen – traumafokussierten Psychotherapieverfahren kurzfristig zu einer Symptomverschlimmerung
oder zu suizidalen Krisen bei diesen Patientinnen führen könnte (vgl. [5]). Häufig wird von Behandlern für den Beginn einer traumafokussierten Intervention
verlangt, dass die Patientinnen lange Zeit kein suizidales oder selbstverletzendes
Verhalten gezeigt haben. Daher werden die Patientinnen leider häufig (auch lange)
psychotherapeutisch behandelt, ohne überhaupt jemals gezielt über die traumatischen
Erfahrungen zu sprechen [6].
Entwicklung der DBT-PTSD. Eine deutsche Arbeitsgruppe um M. Bohus und R. Steil entwickelte in den letzten 10
Jahren eine spezifische Psychotherapie für die PTBS mit schwerer Störung der Emotionsregulation
(wie z. B. und v. a. eine komorbide Borderline-Persönlichkeitsstörung): die Dialektisch-behaviorale
Therapie der PTBS (DBT-PTSD) [7]
[8]. Diese Behandlung integriert Elemente der Dialektisch-behavioralen Therapie (DBT),
klassische kognitiv-behaviorale sowie innovative Interventionen.
Störungsbild der PTBS
Traumatisierung nach DSM-5
Die Konfrontation mit Tod oder Lebensbedrohung, ernsthafter Verletzung oder sexueller
Gewalt entweder durch direktes Erleben oder Zeugenschaft oder das Erfahren, dass das
Ereignis oder die Ereignisse einem Verwandten oder Freund passierten oder die wiederholte
Konfrontation mit aversiven Details des Ereignisses oder der Ereignisse.
Für das Stellen der Diagnose der PTBS ist das Erleben eines traumatischen Ereignisses
eine Voraussetzung.
Kernsymptome. Die PTBS ist gekennzeichnet durch
-
Symptome des Wiedererlebens der belastenden Erinnerungen im Wachen und Schlafen (Intrusionen),
-
dysfunktionale Gedanken und Überzeugungen zum Trauma und seinen Folgen,
-
emotionale Taubheit,
-
Hypervigilanz,
-
Übererregung und
-
Vermeidungsverhalten.
Die Hauptsymptome der PTBS sind Intrusionen, Vermeidungsverhalten, traumaspezifische
dysfunktionale Kognitionen und Übererregung.
PTBS im DSM-5. Eine Vielzahl an Stimuli kann das traumaassoziierte Netzwerk aktivieren und damit
Gefühle, Körperempfindungen und Gedanken auslösen, die während der Traumatisierung
eine Rolle gespielt haben. Die Patientinnen versuchen, diese Stimuli vermehrt zu vermeiden
und entwickeln Strategien wie Grübeln, selbstverletzendes Verhalten oder Substanzkonsum,
um die belastenden Gefühle zu beenden.
Im 2013 erschienenen Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders 5 (DSM-5)
wird die PTBS erstmals nicht mehr unter dem Kapitel der Angststörungen aufgeführt,
sondern zusammen mit der akuten Belastungsstörung und den Anpassungsstörungen im Kapitel
„Trauma- and Stressor-Related Disorders“ [9].
Neu ist auch ein stärkerer Fokus auf negative Veränderungen in Kognitionen und Stimmung
im Zusammenhang mit dem traumatischen Ereignis wie anhaltende und übertriebene negative
Überzeugungen oder Erwartungen in Bezug auf sich selbst, andere oder die Welt (z. B.
„Ich bin schlecht“, „Man kann niemandem vertrauen“, „Die Welt ist total gefährlich“,
„Mein ganzes Nervensystem ist dauerhaft ruiniert“) (s. Tab. [1]).
Tabelle 1
DSM-5-Kriterien der Posttraumatischen Belastungsstörung (309.81) [9].
A
|
Konfrontation mit Tod oder Lebensbedrohung, ernsthafter Verletzung oder sexueller
Gewalt auf eine oder mehrere der folgenden Arten:
-
direktes Erleben
-
persönliches Miterleben, wie das Ereignis einer anderen Person passiert
-
Erfahren, dass das Ereignis einem Verwandten oder einem Freund passierte
-
wiederholte Konfrontation mit aversiven Details des Ereignisses
|
B
|
Intrusive Symptome nach dem Ereignis (mind. 1)
|
C
|
Anhaltende Vermeidung von traumassoziierten Reizen (mind. 1)
-
Vermeidung von Erinnerungen, Gedanken oder Gefühlen
-
Vermeidung von äußeren Hinweisreizen (Orte, Menschen …)
|
D
|
Negative Veränderungen in Kognitionen und Stimmung im Zusammenhang mit dem Ereignis
(mind. 2)
-
Unfähigkeit Traumaspekte zu erinnern
-
anhaltende und übertriebene, negative Grundüberzeugungen; verzerrte Schuldzuweisungen
-
negativer Gefühlszustand (z. B. Angst, Scham, Schuld)
-
Interessenverlust und Reduktion von Aktivitäten
-
Gefühl der Distanziertheit und Entfremdung von anderen
-
Unfähigkeit, positive Gefühle zu empfinden
|
E
|
Veränderung hinsichtlich Arousal und Reagibiliät im Zusammenhang mit dem Ereignis
(mind. 2)
|
F
|
Das Störungsbild dauert länger als einen Monat.
|
G
|
Das Störungsbild verursacht klinisch bedeutsames Leiden und Beeinträchtigungen in
wichtigen Bereichen.
|
H
|
Die Störung ist nicht zurückzuführen auf eine Substanz oder eine medizinische Ursache.
|
Im DSM-5 wird erstmals zusätzlich ein Kriterium zu negativen Veränderungen in Kognitionen
und Stimmung angegeben.
Komplexe Traumatisierung. Nach multipler Traumatisierung in Kindheit und Jugend entwickeln Patientinnen häufig
zusätzlich zu der PTBS-Kernsymptomatik Störungen in den Bereichen:
-
Emotionsregulation
-
interpersonelle Fertigkeiten
-
Aufmerksamkeit und Bewusstsein
-
Glaubenssystem
-
somatische Symptome [10].
Diese Patientinnen haben aufgrund von frühen negativen Erfahrungen häufig keine ausreichenden
Fertigkeiten, mit ihren starken Emotionen umzugehen, und nutzen dysfunktionale, langfristig
schädliche Bewältigungsstrategien zur Emotionsvermeidung wie Selbstverletzung, Drogen-
oder Alkoholmissbrauch oder Hochrisikoverhalten.
Mit der International Classification of Diseases 11 (ICD-11) wird voraussichtlich
ein neues Störungsbild der komplexen PTBS eingeführt werden, welches im Gesundheitswesen
die besondere Schwere und über die PTBS hinausgehende Symptomatik diagnostizierbar
macht (vgl. [11]).
Bisherige Therapieansätze und deren Wirksamkeit
Bisherige Therapieansätze und deren Wirksamkeit
Metaanalysen
In Metaanalysen zu Psychotherapiestudien der PTBS konnten für traumafokussierende
kognitiv-behaviorale Behandlungsverfahren und Eye Movement Desensitization and Reprocessing
(EMDR) große Effekte auf die posttraumatische Symptomatik ermittelt werden [12]
[13]
[14]. Inwieweit diese Ergebnisse auf die Behandlung der PTBS mit schwerer Störung der
Emotionsregulation übertragen werden können, ist jedoch unklar. Denn in vielen Studien
wurden Patientinnen mit Symptomen wie z. B. Suizidalität oder selbstverletzendes Verhalten
ausgeschlossen. Beispielsweise wurden in der Metaanalyse von Bradley et al. zu 26
Behandlungsstudien Patientinnen mit Suizidrisiko in 46 % der Studien ausgeschlossen,
solche mit Abhängigkeitserkrankungen und mit schwerer Komorbidität jeweils in 62 %
der Studien [12]. Es ist wahrscheinlich, dass diese Ausschlusskriterien häufiger auf Patientinnen
mit PTBS mit schwerer Störung der Emotionsregulation zutreffen.
In den wenigen vorliegenden Studien, die den Einfluss einer komorbiden BPS auf das
Behandlungsergebnis einer PTBS untersucht haben, findet sich zwar eine vergleichbare
Reduktion der posttraumatischen Symptome nach traumafokussierender kognitiver Verhaltenstherapie
bei Patientinnen ohne BPS im Vergleich zu denen mit BPS [15]
[16]
[17]; es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass Patientinnen mit gegenwärtigem selbstverletzendem
Verhalten ausgeschlossen wurden. Zudem wiesen die Patientinnen mit BPS ein geringeres
Endfunktionsniveau auf. In einer randomisierten kontrollierten Studie zur Behandlung
der PTBS nach Kindesmissbrauch, welche spezifische Informationen zur Wirksamkeit bei
Patientinnen mit einer BPS beinhaltet, zeigte sich, dass alle Patientinnen mit einer
komorbiden BPS eine primär expositionsbasierte Therapie abbrachen [18].
Die Wirksamkeit bislang etablierter Verfahren bei PTBS mit schwerer Störung der Emotionsregulation
ist unklar.
Berücksichtigung in nationalen und internationalen Leitlinien
Die Unsicherheit zur Behandlung der PTBS mit komorbiden Störungen wird auch in Behandlungsleitlinien
der PTBS deutlich.
ISTSS-Leitlinien. In den Leitlinien der International Society for Traumatic Stress Studies (ISTSS)
wird generell eine traumafokussierende kognitiv-behaviorale Behandlung empfohlen;
es wird jedoch angeführt, dass für Patientinnen mit komorbiden dissoziativen Störungen
und Persönlichkeitsstörungen bislang nur wenige Daten vorliegen [19].
APA-Leitlinien. Die Leitlinien der American Psychiatric Association (APA) betonen, dass Suizidalität
und selbstverletzendes Verhalten bei der Behandlungsplanung zu berücksichtigen sind
und bei komorbiden Störungen eine längere Sitzungszahl notwendig sein kann [20]
[21].
NICE-Leitlinien. Die britischen NICE-Leitlinien führen an, dass Abhängigkeitserkrankungen und Suizidalität
vor der PTBS-Behandlung fokussiert werden sollten [22]. Zudem wird für Patientinnen mit multiplen Traumatisierungen und schweren komorbiden
Störungen eine größere Sitzungszahl eingeräumt.
Australische Leitlinien. In den australischen Leitlinien wird angeführt, dass bei komplexen Störungsformen
häufig zusätzliche Sitzungen, ein Training der Emotionsregulation sowie ein graduiertes
Vorgehen in der Exposition notwendig sind [23].
AWMF-Leitlinien. In der deutschsprachigen Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen
Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) wird die traumafokussierende Therapie generell
auch bei komplexer PTBS, also bei Patientinnen mit schwerer Störung der Emotionsregulation,
als Methode der Wahl aufgeführt[24]. Dabei sollten Probleme der Affektregulation in der Behandlungsplanung initial berücksichtigt
werden.
Die in vielen der Leitlinien erwähnte Schwierigkeit der Generalisierung der Ergebnisse
auf Patientinnen mit komplexer PTBS hat die ISTSS veranlasst, eine Expertenbefragung
zur komplexen PTBS durchzuführen [25]. Als typischstes Merkmal einer komplexen PTBS wurde die Emotionsregulationsstörung
herausgestellt.
Als effektivste Interventionen wurden ein Training der Emotionsregulation und das
Berichten der traumatischen Erinnerung eingeschätzt.
Studien. Die Arbeitsgruppe um Cloitre hat eine 2-phasige Behandlung – bestehend aus 8 Sitzungen
Emotionsregulationstraining und nachfolgenden 8 Sitzungen Exposition – in 2 randomisiert
kontrollierten Studien untersucht [26]
[27]. Die Wirksamkeit für Patientinnen mit komorbider BPS ist jedoch bislang unklar.
In der ersten Studie wurde diese Patientengruppe ausgeschlossen. In der 2010 publizierten
Studie wird keine Subgruppenanalyse zur Wirksamkeit bei Patientinnen mit einer komorbiden
BPS (24 % der Stichprobe) berichtet.
Als das empirisch am besten gesicherte Konzept zur Behandlung der BPS gilt derzeit
die DBT [28]. Der Großteil der Publikationen bezieht sich jedoch auf die Behandlung in Phase
I, in der auf die Verbesserung der Emotionsregulation fokussiert wird und v. a. eine
Reduktion von suizidalem und selbstschädigendem Verhalten sowie der Hospitalisierung
angestrebt wird (Standard-DBT). Die wenigen vorhandenen Daten sprechen dafür, dass
die Elemente dieser Phase bei der Mehrheit der BPS-Patientinnen mit komorbider PTBS
nicht ausreichen. So berichten Harned und Linehan nach einjähriger ambulanter Standard-DBT
eine Remissionsrate der PTBS von nur 13 % [29]. Obwohl im ursprünglichen DBT-Manual die Reduktion posttraumatischer Symptome als
wesentliches Ziel der Behandlungsphase II benannt wurde, wurde im Manual das genaue
Vorgehen nicht spezifiziert [30].
In den letzten Jahren wurde die Behandlung in Phase II von 2 Arbeitsgruppen entwickelt
und erforscht. So liegen nun 2 Behandlungsprogramme vor, für die es erste Wirksamkeitsnachweise
gibt:
In der DBT + PE erhalten Patientinnen während einer einjährigen Standard-DBT zusätzlich
traumafokussierende Expositionssitzungen, sobald sie für mindestens 2 Monate selbstschädigendes
und therapiestörendes Verhalten eingestellt haben. In einer amerikanischen Prä-Post-Studie
an 13 Patientinnen fand sich eine deutliche Verbesserung der posttraumatischen Symptomatik
mit einer Effektstärke von 1,4 [31]. In einer kürzlich publizierten randomisiert kontrollierten Studie, in der DBT + PE
mit Standard-DBT verglichen wurde, fand sich bei beiden eine deutliche Verbesserung
der posttraumatischen Symptomatik (DBT + PE g = 1,8; DBT g = 1,3) [32]. Von insgesamt 17 Patientinnen in der DBT + PE-Bedingung begannen jedoch insgesamt
nur 8 Patientinnen – weniger als die Hälfte – überhaupt die traumaspezifische Behandlung.
Grundlagen und Beschreibung der DBT-PTSD
Grundlagen und Beschreibung der DBT-PTSD
Anwendungsbereich und Voraussetzungen
Die DBT-PTSD wurde zunächst für das stationäre Setting entwickelt und hinsichtlich
ihrer Wirksamkeit überprüft. Sie erwies sich jedoch auch bei der Übertragung in den
ambulanten Bereich als vielversprechend. Im stationären Setting sind 12 Wochen mit
24 Einzelsitzungen angemessen, im ambulanten Rahmen werden ca. 45 Behandlungssitzungen
verteilt auf mindestens ein Jahr empfohlen.
Voraussetzung für die stationäre und ambulante Behandlung ist, dass die Patientinnen
keine psychotische, bipolare oder demenzielle Erkrankung haben. Zudem darf keine aktuelle
Substanzabhängigkeit vorliegen und der Body-Mass-Index sollte über 16 liegen, sonst
wäre eine Behandlung in einem anderen Setting bzw. mit einem anderen Schwerpunkt indiziert.
Eventuell können auch schwere körperliche (z. B. kardiovaskuläre) Erkrankungen einen
Ausschlussgrund darstellen – dies muss im Einzelfall in Abstimmung mit Körpermedizinern
geprüft werden. Des Weiteren sollte in den letzten 2 Monaten vor Aufnahme der Behandlung
kein Suizidversuch, keine lebensbedrohliche Selbstverletzung und kein lebensgefährliches
Hochrisikoverhalten stattgefunden haben.
Voraussetzungen für DBT-PTSD
In den letzten 2 Monaten kein Suizidversuch, keine lebensbedrohliche Selbstverletzung
und kein lebensgefährliches Hochrisikoverhalten
Kontraindikation
Behandlungshierarchie
Der Behandlung der DBT-PTSD liegt eine für DBT-Interventionen typische dynamische
Behandlungshierarchie zugrunde (vgl. Tab. [2]). Dabei folgt die Behandlung einem klaren Algorithmus, der dem Therapeuten bzw.
dem behandelnden Team hilft zu entscheiden, in welcher Reihenfolge problematische
Verhaltensweisen oder Störungsbereiche fokussiert und behandelt werden sollen.
Tabelle 2
Dynamische Behandlungshierarchie der DBT-PTSD.
Hierarchiestufen
|
Behandlungsfokus
|
Beispiel
|
Standard-DBT
|
|
|
Stufe 1
|
lebensbedrohliche Verhaltensweisen
|
Suizidversuche
|
Stufe 2
|
therapiestörende Verhaltensweisen
|
Termine nicht wahrnehmen, nicht antworten
|
Stufe 3
|
krisengenerierende Verhaltensweisen
|
Obdachlosigkeit
|
DBT-PTSD
|
|
|
Stufe 1
|
Therapiefortschritt behinderndes Verhalten
|
dissoziative Symptomatik, schwere Essstörung
|
Stufe 2
|
schwere psychosoziale Probleme
|
fatale Partnerschaft, massive Geldsorgen
|
Stufe 3
|
PTBS aufrechterhaltendes Verhalten
|
dysfunktionale Escape- und Meidungsstrategien z. B. Vermeidung von Triggern, ungünstige
traumabezogene Kognitionen
|
Stufe 4
|
Lebensqualität einschränkendes Verhalten
|
Ablehnung des eigenen Körpers sowie der eigenen Sexualität, gestörte soziale Beziehungen
|
Abbau von lebensbedrohlichem oder therapiegefährdendem Problemverhalten. Im Fokus stehen zunächst lebensbedrohliche Verhaltensweisen wie Suizidversuche, lebensgefährliche
Selbstverletzungen und schweres Hochrisikoverhalten. Anschließend wird daran gearbeitet,
Verhaltensweisen zu reduzieren, welche die Therapie gefährden. Hierzu gehören häufiges
Zuspätkommen, Nichtwahrnehmen von vereinbarten Terminen und eine fehlende Bereitschaft,
sich auf die Behandlung einzulassen. Vor den traumafokussierenden Interventionen sollten
zudem krisengenerierende Verhaltensweisen wie drohende Obdachlosigkeit, finanzielles
Chaos oder schwere Aggressivität reduziert werden.
Bevor mit der formalen Expositionsphase begonnen werden kann, sieht die DBT-PTSD eine
Reduktion von Verhaltensweisen vor, die den Therapiefortschritt und damit die Wirksamkeit
der traumafokussierten Interventionen beeinträchtigen. Hierzu gehören dissoziative
Symptome und der Konsum von Substanzen, die die Lernfähigkeit beeinträchtigen, wie
z. B. Cannabis.
Das Kernelement der DBT-PTSD ist die formale Exposition.
Expositionstherapie. Die Hierarchisierung der Behandlung hat das Ziel, auch bei schwer kranken Patientinnen
möglichst bald mit der formalen Exposition beginnen zu können, die das Kernelement
der Behandlung darstellt. Für den Beginn der Exposition ist es nicht ausgeschlossen,
dass z. B. leichte Selbstverletzungen weiterhin vorkommen. Wenn jedoch im Verlauf
der Behandlung problematische Verhaltensweisen auftreten, die einer höheren Hierarchie-Ebene
zuzuordnen sind, rücken diese unmittelbar in den Fokus der therapeutischen Aufmerksamkeit.
So müssen etwa schwere Selbstverletzungen, die auftreten, nachdem bereits mit der
Exposition begonnen wurde, vorrangig mithilfe von Verhaltensanalysen bearbeitet werden.
Die Behandlungsphasen der DBT-PTSD
Die Behandlungsphasen der DBT-PTSD
Die DBT-PTSD besteht aus 5 Behandlungsphasen, die nacheinander durchlaufen werden
(Tab. [3]). Einige Module davon sollten bei allen Patientinnen durchgeführt werden, z. B.
die Vermittlung von Skills zum Umgang mit Belastung und die Durchführung der Exposition,
während auf andere in Abhängigkeit von den Bedürfnissen der Patientin zurückgegriffen
werden kann, z. B. auf die Bearbeitung von Wut und Albtraumbehandlung.
Tabelle 3
Die 5 Behandlungsphasen der DBT-PTSD.
Behandlungsphasen
|
Module
|
Phase 1
Commitment
|
-
Anamnese und Psychopathologie
-
Exploration von derzeitigem krisengenerierendem Verhalten
-
Therapieaufklärung, Zielklärung und Therapievertrag
|
Phase 2
Planung und Motivation
|
|
Phase 3
Bearbeitung von traumabezogenen Escape-Strategien
|
-
Belastungstoleranz und Umgang mit Dissoziation
-
Gefühlsregulation
-
individuelle Bearbeitung von Schuld, Scham und Wut
-
Vorbereitung zur Durchführung der Exposition
|
Phase 4
Exposition: Reduktion des Wiedererlebens traumabezogener Gefühle
|
|
Phase 5
Entfaltung des Lebens
|
-
Selbstwert und Selbstkonzepte
-
Reviktimisierung
-
Körper, Sexualität und Partnerschaft
-
soziales Netzwerk und berufliche Tätigkeit
-
Rückfallprophylaxe und Abschied
|
Während der gesamten Behandlung bleibt die oben beschriebene Behandlungshierarchie
bestehen, sodass lebensgefährliches, krisengenerierendes und therapiestörendes Verhalten
zu jedem Zeitpunkt vorrangig behandelt werden können.
Die Commitmentphase
In der Commitmentphase findet zunächst eine ausführliche Anamnese statt, in der die
aktuelle Lebenssituation, der biografische Hintergrund, Vorbehandlungen und die bestehenden
Symptome erfasst werden. Darüber hinaus exploriert der Therapeut selbstschädigende
Verhaltensweisen, Suizidversuche und frühere Therapieabbrüche genau und leitet Verhaltensanalysen
hierzu an, in denen die Patientin die prädisponierenden Bedingungen wie auch die nachfolgenden
Konsequenzen von schädlichem Verhalten genau analysiert. Zur Erfassung relevanter
belastender wie auch positiver biografischer Ereignisse wird eine individuelle Lebenslinie
erstellt.
In dieser Phase werden außerdem erste Ziele für die Behandlung definiert und die Patientinnen
erhalten eine Einführung in das Skills-Training, bei der sie ein computerbasiertes
Selbsthilfe-Programm unterstützt [33]. Ein Schwerpunkt wird auch auf Achtsamkeitsübungen gelegt, die den Patientinnen
die Fähigkeit vermitteln sollen, in der Gegenwart zu bleiben und zu unangenehmen Erinnerungen
und Gefühlen inneren Abstand zu gewinnen. Am Ende der Commitmentphase unterschreiben
Patientin und Therapeut den behandlungsspezifischen Therapievertrag.
In der Commitmentphase wird eine individuelle Lebenslinie erarbeitet, mit dem Skills-Training
begonnen und der Therapievertrag geschlossen.
Die Planungs- und Motivationsphase
Viele Patientinnen äußern zu Beginn der Behandlung zunächst v. a. den Wunsch, von
den bestehenden Symptomen befreit zu werden. Da die DBT-PTSD die Patientin dabei unterstützen
will, trotz der traumatischen Erfahrungen ein erfülltes Leben zu leben, werden der
alte Weg (Leben mit den Symptomen) und der neue Weg (z. B. Einsatz mit Skills anstatt
Nutzen ungünstiger Escape-Strategien) der Patientin so konkret wie möglich besprochen.
Als nächstes wird ein individuelles Störungsmodell der PTBS erarbeitet.
Für die Erarbeitung des individuellen Störungsmodells greift die DBT-PTSD auf das
Bild eines Wasserballs zurück, der durch die Vermeidung der Erinnerungen unter Wasser
gehalten wird und bei der kleinsten Unaufmerksamkeit mit Wucht in Form von belastenden
Erinnerungen nach oben schießt [34].
Im Rahmen der Entwicklung des Störungsmodells werden individuelle Meidungs- und Escape-Strategien
der Patientin erarbeitet und die Befürchtungen der Patientin bezüglich der Aufgabe
dieser Strategien (z. B. „Ich könnte verrückt werden“ oder „Ich werde nie mehr aufhören
zu weinen“) mithilfe kognitiver Methoden relativiert.
In der Planungs- und Motivationsphase erarbeitet das therapeutische Team ein individuelles
Störungsmodell und trifft nach der Bearbeitung von Befürchtungen die Entscheidung
für die aktive Auseinandersetzung mit den Erinnerungen.
Die Bearbeitung von traumabezogenen Escape-Strategien
Skills zur Stresstoleranz und gegen Dissoziation. In dieser Phase der Behandlung erlernen die Patientinnen Stresstoleranzskills, die
ihnen helfen sollen, Zustände hoher Anspannung und dissoziative Symptome zu reduzieren
(vgl. [33]). Zur Reduktion dissoziativer Symptome werden beispielsweise deren kurz- und langfristige
Vor- und Nachteile erarbeitet, Dissoziationsprotokolle geführt, Frühwarnzeichen erarbeitet
und antidissoziative Skills vermittelt, wie z. B. der Einsatz von Chilischoten. Darüber
hinaus wird die emotionale Verwundbarkeit durch ausreichendes Trinken und Schlafen
sowie regelmäßige Bewegung reduziert.
Escape-Strategien bearbeiten. Nach der Verringerung von Escape-Strategien auf der Verhaltensebene, z. B. Dissoziation
und Missbrauch von Alkohol, werden die individuellen Escape-Strategien auf der emotionalen
Ebene (in der Regel Schuld- oder Wutgefühle) fokussiert.
Schuldgefühle werden reduziert durch den Einsatz kognitiver Interventionen, wie z. B.
der Frage, warum die Patientin sich damals so und nicht anderes verhalten hat und
das Abwägen der Handlungsmöglichkeiten eines Kindes diesen Alters.
Darüber hinaus kann die Funktion der Schuld erarbeitet werden, wobei sich meist zeigt,
dass diese dazu dient, die Illusion einer gewissen Kontrolle über die damalige Situation
aufrechtzuerhalten, was meist leichter auszuhalten ist, als das eigentlich zur Situation
gehörige Gefühl der Hilflosigkeit.
Zur Reduktion von Schuldgefühlen werden verschiedene kognitive Interventionen wie
die Advocatus-diaboli-Technik eingesetzt. Dabei nutzt die Therapeutin die Ambivalenz
der Patientin bzgl. der Schuldüberzeugung.
Zur Reduktion von Schamgefühlen, wie sie v. a. bei Opfern sexueller Gewalt häufig
vorkommen, ist die Veränderung der Körperhaltung hin zu einer der Scham entgegengesetzten
Haltung (z. B. aufrichten und Blickkontakt suchen) besonders wirkungsvoll und hilfreich.
Die Expositionsphase
Vorbedingungen für den Einsatz formaler Exposition. Die DBT-PTSD definiert bestimmte Bedingungen, die für den Beginn der formalen Exposition
erfüllt sein müssen. Hierzu gehört beispielsweise, dass die Patientin in den letzten
Wochen keinen Suizidversuch begangen und keine lebensbedrohlichen Selbstverletzungen
oder lebensbedrohliches Hochrisikoverhalten gezeigt hat. Darüber hinaus sollte sie
Skills selbstständig einsetzen, Dissoziation entgegensteuern und sich rational von
Schuld distanzieren können sowie die Entscheidung für die Exposition getroffen haben.
Die DBT-PTSD definiert bestimmte Bedingungen, die erfüllt sein müssen, bevor mit der
formalen Exposition begonnen werden kann.
Die Patientin sollte darauf vorbereitet werden, dass die nächsten Wochen mit einer
vermehrten Belastung einhergehen können. Aus diesem Grund sollte die Patientin eine
Person aus ihrem Umfeld haben, die sie während der Exposition unterstützen kann und
die der Therapeut bei Bedarf vor Beginn der Exposition zu einem gemeinsamen Gespräch
einlädt.
Durch Kontextlernen und Elaboration des Trauma-Gedächtnisses kommt es im Verlauf der
Exposition zu einer Reduktion der belastenden Gefühle – aus einem unkontrollierten
Wiedererleben soll ein kontrollierbares Erinnern werden.
Diskriminationstraining. Zu Beginn der Expositionsphase kann das Diskriminationstraining eingesetzt werden.
Hierbei werden die Unterschiede zwischen aktuellen Auslösern, die die Patientin an
das Trauma erinnern, und der damaligen Situation erarbeitet. In Situationen, in denen
Reize die Patientin an traumatische Erfahrungen erinnern, soll sie sich besonders
auf die Unterschiede zwischen damals und heute konzentrieren. Diese Unterschiede können
sich beispielsweise auf die anwesenden Personen, deren Aussehen, die Umgebung und
die eigenen Handlungsmöglichkeiten beziehen.
Gestufte Exposition. Zentrales Element dieser Phase ist die skills-assistierte Exposition gegenüber der
heute am stärksten belastenden Erinnerung, dem Indexereignis. Diese erfolgt in mehreren
Stufen: Zunächst berichtet die Patientin im Gespräch in der Vergangenheitsform von
dem Ereignis. Anschließend fertigt sie einen schriftlichen Traumabericht an, den sie
in der Sitzung vorliest. Im nächsten Schritt, der imaginativen Aktivierung, stellt
die Patientin sich das Ereignis möglichst lebhaft vor und berichtet Schritt für Schritt
von dem Geschehen.
Die Exposition im Rahmen der DBT-PTSD folgt einem gestuften Vorgehen.
Trauma-Netzwerk aktivieren. Um ein Kontextlernen zu ermöglichen, muss während der formalen Exposition das Trauma-Netzwerk
aktiviert werden und gleichzeitig der Kontakt zur Gegenwart bestehen (vgl. Abb. [1]). Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Exposition unter der Zuhilfenahme von Skills
durchgeführt, mit denen Patientin und Therapeut die emotionale Erregung modulieren.
Hierzu erfragt der Therapeut in regelmäßigen Abständen die Stärke der Belastung sowie
die gerade vorliegenden Gefühle. Bei Patientinnen mit hoher Dissoziationsneigung kann
darüber hinaus das Ausmaß der Dissoziation erfragt werden.
Abb. 1 Skills-assistierte Exposition.
Um das Trauma-Netzwerk stärker zu aktivieren, kann der Therapeut die Patientin bitten,
die Augen zu schließen, das Geschehen in der Ich-Form und der Gegenwart zu beschreiben;
er kann sich sensorische Details schildern lassen, sensorische Wahrnehmungen, z. B.
bestimmte Geräusche und Gerüche bereitstellen, Gedanken und Gefühle verbalisieren
sowie bestimmte Situationen in Zeitlupe durchgehen. Um den Gegenwartsbezug stärker
zu aktivieren, kann der Therapeut im Gegensatz dazu sensorische Eindrücke aus der
Gegenwart anbieten. Hierzu kann er z. B. die Patientin loben, sie bitten, die Augen
zu öffnen, auf Geräusche hinweisen und ihr starke sensorische Reize anbieten, die
für die gegenwärtige Situation stehen (z. B. Eisbeutel, Igelball).
Während der Exposition muss der Realitätskontakt sichergestellt sein. Dazu wird während
der Expositionsdurchführung das aktuelle Ausmaß der Belastung zwischen 0 und 100 eingeschätzt,
der Therapeut wiederholt bei Bedarf das, was die Patientin sagt, und es werden Stressregulationsskills
oder antidissoziative Skills eingesetzt.
Nachbereitung. An die Exposition schließt sich in der Regel eine kognitive Nachbereitung an, in
der beispielsweise erneut aufgetretene Schuldgefühle besprochen werden.
Zwischen den Therapiestunden hören die Patientinnen zu Hause möglichst täglich eine
Tonbandaufnahme der Sitzung an und führen mit deren Hilfe die Exposition selbstständig
fort. Gegen Ende der Exposition werden Sätze zum Annehmen des Erlebten formuliert
und in die Übungen integriert, wie z. B. „Ich wurde in der Kindheit missbraucht und
das gehört zu meinem Leben, das werde ich nie vergessen können“.
Nachdem die Exposition gegenüber dem Indexereignis abgeschlossen ist, können bei Bedarf
andere Ereignisse fokussiert werden. Gegebenenfalls kann das Imagery Rehearsal Training
in die Behandlung integriert werden [35]. Dabei schreibt die Patientin einen belastenden Albtraum auf und verändert diesen
zu einem guten Ende, welches sie dann eine Woche lang täglich imaginiert.
Die Entfaltung des Lebens
Neben der Förderung der Akzeptanz des Erlebten soll das therapeutische Team in dieser
Behandlungsphase die Verbesserung der Lebensqualität im Fokus haben. Dabei geht es
beispielsweise um eine Verbesserung des Selbstwerts sowie die Verhinderung einer erneuten
Viktimisierung. Je nach Lebenssituation der Patientin können Interventionen eingesetzt
werden:
-
zur Verbesserung des Körperbilds, z. B. durch Spiegeltraining
-
zum Aufbau von Partnerschaften und Freundschaften
-
zur Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit.
Hierzu können beispielsweise Skills zur Verbesserung der zwischenmenschlichen Fertigkeiten
vermittelt werden, die die Patientin dabei unterstützen, in den Beziehungen zu anderen
ihre eigenen Bedürfnisse zu äußern und sich von deren Forderungen abzugrenzen.
Behandlung im Team. Die DBT-PTSD wird begleitet von wöchentlicher Supervision und versteht sich – auch
ambulant – als Behandlung durch ein Team aus Therapeut, Supervisor und anderen Therapeuten.
Die Patientin lernt den Supervisor und die anderen Behandler kennen. Der Behandlungsvertrag
wird zu dritt mit dem Supervisor geschlossen, das erarbeitete Störungsmodell wird
in der Supervisionsgruppe durch Patientin und Therapeut vorgestellt. Die Patientin
weiß, dass die Supervisionsgruppe auch in den Therapieverlauf eingreifen kann. Dies
geschieht z. B., wenn die Supervisionsgruppe den Eindruck gewinnt, dass Therapeut
und Patientin gemeinsam vermeiden bzw. die formale Exposition hinauszögern.
Am Ende der Behandlung würdigt die Supervisionsgruppe bei einem letzten direkten Treffen
die Arbeit der Patientin und des Therapeuten und überreicht der Patientin ein Zertifikat
über den erfolgreichen Abschluss der Behandlung.
Fallvorstellung
Spontan berichtete Symptomatik. Die 43-jährige Frau K. leidet aufgrund des sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater
und anderer physischer und sexueller Gewalterfahrungen, die sie während ihrer Ehe
erleben musste, seit ca. 15 Jahren unter Intrusionen in Form von wiederkehrenden Bildern
und Albträumen. Sie reagiert mit intensiver Angst und Belastung sowie körperlichen
Symptomen (Zittern, Atemnot), wenn sie durch irgendetwas an den Missbrauch erinnert
wird. Sie versucht, die Gedanken nicht zuzulassen und sich abzulenken. Aufgrund der
starken Belastung kann sie viele Einzelheiten der traumatischen Übergriffe nicht erinnern.
Sie fühlt sich wie „abgestorben“. Sie kann kaum Beziehungen eingehen, bleibt viel
zu Hause. Bei starker Belastung fühlt sie sich z. T. wie „in Watte gepackt“. Außerdem
leidet die Patientin unter Schlafstörungen und kann sich „nichts merken“. Bezüglich
der Erlebnisse empfindet sie häufig Schuld sowie Scham, Ekel und Selbsthass.
Frau K. fühlt sich außerdem nicht in der Lage, ihren Beruf auszuüben. Sie ist als
Hauswirtschafterin in einer Klinik tätig und hat häufig mit sehr kranken Menschen
zu tun. In diesen Situationen nimmt die traumaspezifische Symptomatik und Belastung
zu. Daher ist sie seit diesem Jahr arbeitsunfähig.
Ferner berichtet die Patientin von rasch einschießenden, wenig kontrollierbar erscheinenden
Gefühlen. Häufig habe sie Druck, sich selbst durch Schneiden zu verletzen, sie führe
es ca. 4- bis 5-mal jährlich oberflächlich aus, zuletzt vor 3 Monaten. Auch sei sie
gereizt, sei gegenüber ihrem Partner und Arbeitskollegen verbal und physisch aggressiv
(Gegenstände werfen). Bei innerer Anspannung hat Frau K. Essattacken und gibt viel
Geld aus. In der Vorgeschichte ist es auch zu schädlichem Alkoholkonsum gekommen.
Sie hat große Angst vor dem Alleinsein und berichtet von mehreren instabilen Beziehungen.
Darüber hinaus ist sie seit ca. 4 Wochen sehr niedergeschlagen und traurig. Seit ihrer
Kindheit erlebt sie immer wieder depressive Phasen.
Vorgeschichte. Die Patientin wuchs mit ihrer Schwester (+ 3 Jahre) im gemeinsamen Elternhaus auf.
Der Vater wurde als sadistisch beschrieben, das frühere Verhältnis zu ihm sei gewaltvoll
gewesen. Die Mutter sei früher wie heute liebevoll gewesen, habe sich dem Vater jedoch
stets unterworfen. Frau K. sei besonders von ihrem Vater bis zum 15. Lebensjahr emotional,
physisch und sexuell misshandelt worden. Der Missbrauch habe nach einem Suizidversuch
der Patientin geendet. Frau K. berichtet, dass sie als Kind unvorhersehbar und ohne
für sie damals ersichtliche Gründe sehr hart bestraft worden sei. So sei sie als Kind
sehr verschüchtert gewesen, habe sich nichts getraut. Sie sei darüber hinaus als Kind
durch Fortlaufen, Stehlen und Lügen auffällig gewesen, sie habe „nur schlechte Erlebnisse“
gehabt und wenige Freunde.
Frau K. berichtet von einer zurückliegenden Ehe, der Ehemann habe Alkohol- und Drogenprobleme
gehabt, er habe versucht, sie zu erwürgen, und habe sie auch sexuell viktimisiert.
In dieser Zeit habe Frau K. in einer Kneipe gearbeitet und viel Alkohol getrunken
(ca. 8 Gläser Bier, ca. 16 cl Schnaps täglich). Sie habe den Konsum ohne therapeutische
Unterstützung eingestellt. Aus der Ehe entstand eine Tochter (heute 23 Jahre). Bei
Behandlungsbeginn lebt Frau K. gemeinsam mit ihrem Partner in einer Mietwohnung. Zu
ihrer Tochter hat sie regelmäßigen Kontakt, diese hat einen 1-jährigen Sohn. Zu ihren
Eltern hat sie regelmäßigen Kontakt.
Diagnosen nach ICD-10. F43.1. Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), F33.1: Rezidivierende depressive Störung,
derzeit mittelgradige depressive Episode, F60.31: Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung,
Borderline-Typus.
Behandlungsverlauf
Phase 1 (Commitment). Zu Beginn wurde mit Frau K. die aktuelle Symptomatik und der lebensgeschichtliche
Hintergrund anhand der Lebenslinie erarbeitet sowie aktuelles Problemverhalten erfasst.
Sie zeigte zu Beginn der Behandlung Dissoziation, selbstverletzendes Verhalten, Essanfälle,
aggressives Verhalten sowie Alkoholabusus (in der Vorgeschichte). Gemäß der DBT-PTSD-Behandlungshierarchie
formulierten wir die folgenden Behandlungsschwerpunkte:
-
Standard-DBT:
-
DBT-PTSD:
-
Stufe 1: dissoziative Symptomatik
-
Stufe 3: Selbstverletzung, Alkoholabusus, Umgang mit Emotionen (v. a. Schuld, Scham,
Ekel, Wut), Vermeidungsverhalten
-
Stufe 4: Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit
Frau K. wurde über den Ablauf der DBT-PTSD (Therapiephasen) aufgeklärt und in das
computerbasierte Selbsthilfeprogramm zum Skills-Erwerb (Skills-Training) eingeführt.
Therapeutin und Patientin schlossen einen speziellen Therapievertrag, in welchem Frau
K. sich zu einem Non-Suizid-Versprechen verpflichtete und sich bereit erklärte, an
der Aufgabe von Dissoziation, Selbstverletzungen, aggressivem Verhalten und Essanfällen
zu arbeiten. Da Frau K. in der Vorgeschichte ein problematisches Trinkverhalten gezeigt
hatte, einigten sich Therapeutin und Patientin ebenfalls auf ein Abstinenzversprechen,
da sie davon ausgingen, dass die Vulnerabilität für erneutes problematisches Trinkverhalten
durch die bevorstehende Behandlung steigen würde.
Phase 2 (Planung und Motivation). Zur Ableitung des Therapierationals erarbeiteten Therapeutin und Patientin ein individuelles
Störungsmodell. Frau K. erhielt Psychoedukation zur Aufrechterhaltung der PTBS durch
Vermeidungs- und Escape-Strategien und konnte das konfrontative Behandlungsrational
ableiten. Mit der „Entscheidung für den neuen Weg“ erarbeitete Frau K. die kurz- und
langfristigen Konsequenzen der Aufgabe von Vermeidung und stärkte somit ihre Entscheidung
für die aktive Auseinandersetzung mit den traumatischen Erlebnissen. Hierzu äußerte
Frau K. allerdings zahlreiche Bedenken und Befürchtungen (z. B. „Ich werde mich wieder
selbst verletzen, ich werde trinken, ich werde durchdrehen.“). Diesen Bedenken begegnete
die Therapeutin, indem sie mit Frau K. im weiteren Teil der Behandlung Strategien
zum Umgang mit Drang nach Problemverhalten besprach.
Phase 3 (Bearbeitung von traumabezogenen Escape-Strategien). Zunächst führte die Therapeutin die Tagebuchkarte ein, in der Frau K. den Drang nach
Problemverhalten und andere Aspekte der Symptomatik täglich protokollieren sollte.
Hierdurch konnte Frau K. schnell lernen, unterschiedliche Grade von Anspannung und
Problemverhaltensdrang zu differenzieren. Zum besseren Verständnis des Problemverhaltens
fertigte die Patientin Verhaltensanalysen zum letzten Suizidversuch und zur letzten
Selbstverletzung an. Die Analyse des letzten Suizidversuchs ergab, dass die Patientin
diesen als 15-jähriges Mädchen aus massiver Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit
heraus unternommen hatte. Die Konsequenzen waren, dass die Übergriffe durch den Vater
aufhörten, jedoch auch, dass sie von der Familie ausgegrenzt wurde. Mit der Patientin
wurden auch die kurz- und langfristigen Konsequenzen suizidaler Gedanken besprochen.
Die Patientin konnte erkennen, dass es sich hierbei um einen
Escape-Mechanismus handelte, um belastende emotionale Zustände zu beenden. Die Entscheidung
zur Aufgabe dieser Strategie konnte gestärkt werden.
Um Alternativstrategien bei Anspannung zu erarbeiten, wurde die Patientin in die Grundlagen
des Skills-Trainings eingeführt; verschiedene Skills-Module bei unterschiedlichen
Anspannungsausprägungen wurden besprochen. Als Grundlage aller Fertigkeiten wurde
Achtsamkeit benannt und erläutert. Sowohl während der Therapiestunde als auch zwischen
den Stunden führte die Patientin regelmäßig Achtsamkeitsübungen durch. Um den Umgang
mit Hochspannung zu verbessern, wurden Frühwarnzeichen (z. B. Kognition „Ich halte
das nicht mehr aus“, Kribbeln im Körper) und Stresstoleranz-Skills erarbeitet. Besonders
wichtig war es hier, auf das Phänomen von Dissoziation gesondert einzugehen. Die Patientin
führte separate Dissoziationsprotokolle, um Dissoziation früher zu erkennen und zu
unterbinden. Die hilfreichsten Stresstoleranz-Skills (z. B. Riechöl) sammelte Frau
K. in einem Notfallkoffer.
Gleichzeitig zeigte sich auch schon in dieser Phase, dass die Patientin unter massiven
Schuldgefühlen in Bezug auf den Missbrauch durch den Vater litt. Die Schuldgefühle
und die Verleugnung des Geschehenen („Vielleicht bilde ich mir das alles nur ein.“)
konnten als Escape-Strategien aus dem starken Gefühl von Hilflosigkeit identifiziert
werden. Hiernach wurden die Schuldkognitionen mithilfe kognitiver Techniken hinterfragt.
Es wurde zunehmend deutlich, dass Frau K. ihre damaligen Handlungsmöglichkeiten überschätzte
(„Ich hätte mich nur mehr wehren müssen.“) und bei der Beurteilung ihres Verhaltens
die Situation nur einseitig betrachtete. Beispielsweise ignorierte Frau K., dass es
für sie als Kind keinerlei Möglichkeit gab, Aufmerksamkeit und Zuwendung durch die
Eltern zu erfahren.
In diesem Rahmen begann die Patientin, ihre aktuell positive Beziehung zum Vater infrage
zu stellen, sie könne „nur hassen oder nur lieben“ (Schwarz-Weiß-Denken). Im Rahmen
eines Familienfestes mit den Eltern kam es dann zu massivem Alkoholkonsum. Diesen
bearbeitete die Patientin mithilfe einer Verhaltensanalyse.
Phase 4 (Exposition). Als erste Intervention sollte die Patientin das heute belastendste Ereignis (Indextrauma)
als Hausaufgabe so ausführlich wie möglich aufschreiben und in der folgenden Sitzung
vorlesen. Anschließend wurden in den Sitzungen imaginatives Nacherleben und kognitive
Nachbearbeitung eingesetzt. Frau K. war während der Expositionen hochbelastet; es
mussten mehrfach antidissoziative Skills eingesetzt werden (z. B. Exposition während
die Patientin sich auf einem Stepper bewegt), wodurch es der Patientin gelang, nicht
zu dissoziieren.
In der kognitiven Nachbearbeitung wurden v. a. die Themen Schuld und Scham besprochen
und mittels kognitiver Umstrukturierung bearbeitet. Eine weitere maladaptive Kognition
bestand in der Annahme, dass angenehme Gefühle (in Form von sexueller Erregung) den
Vater zu weiteren Übergriffen aufgefordert hätten. In diesem Zusammenhang erhielt
die Patientin Psychoedukation zur sexuellen Erregung. Mithilfe kognitiver Techniken
wurde an einer Neubewertung der angenehmen Gefühle gearbeitet. Die Patientin exponierte
sich auch zwischen den Therapiesitzungen mit ihren Erinnerungen, indem sie die Audioaufnahmen
der Sitzungen immer wieder anhörte.
Die Belastung der Patientin nahm sehr langsam ab, die Dissoziationsneigung sank jedoch,
sodass die Anwendung von Skills während der Expositionsübungen schrittweise ausgeschlichen
werden konnte. Während der letzten Expositionssitzungen lernte die Patientin zunehmend
auszuhalten, dass der Missbrauch für sie sowohl mit angenehmen als auch mit unangenehmen
Gefühlen verknüpft war. Mithilfe von Strategien zur Emotionsregulation (besonders
Emotionssurfen) und Achtsamkeit gelang es der Patientin, diese Spannung zu tolerieren
und zunehmend Akzeptanz zu entwickeln und Schuld- und Schamgefühle sowie Ekel, Ohnmachtserleben
und Angst in Bezug auf die Erlebnisse abzubauen.
Phase 5 (Entfaltung des Lebens). Im letzten Teil der Behandlung lag ein Schwerpunkt auf der Akzeptanzstärkung in Bezug
auf das Vergangene. Die Patientin formulierte Sätze, die sie akzeptieren lernen wollte
(z. B. „Ich wurde missbraucht, ja, das ist so.“) und wiederholte diese im Rahmen einer
Akzeptanzübung. Darüber hinaus äußerte die Patientin den Wunsch, ihre Arbeitstätigkeit
wieder aufzunehmen. Frau K. wandte sich an den Arbeitgeber und besprach ihre Rückkehr.
Frau K. wurde klar, dass sie sich in der Vorgeschichte bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit
häufig überfordert hatte und stellte somit einen Antrag auf Arbeitszeitverkürzung
(30 h) und vereinbarte mit ihrem Vorgesetzten, Tätigkeiten mit weniger Belastung zu
übernehmen.
Behandlungsergebnis
Am Ende der Behandlung berichtete die Patientin, dass sie sich mittlerweile deutlich
„freier“ fühle. Sie traue sich mehr zu und könne mehr und mehr ein Leben nach „eigenen
Vorstellungen führen“. Obwohl sie noch vereinzelt von Erinnerungen an die Gewalterfahrungen
eingeholt werde, könne sie diese mit Distanz betrachten und habe nicht mehr den Drang,
die Erinnerungen zu vermeiden. Problemverhalten in Form von Suizidgedanken, Selbstverletzungen,
Dissoziation, Essattacken, Alkoholkonsum oder Kaufen treten überhaupt nicht mehr auf,
es bestehe auch kein Drang mehr. Sie habe das Gefühl, „ganz gut alleine klar zu kommen“,
ihr mache die Zukunft keine Angst mehr (s. a. Tab. [4] und Abb. [2]).
Abb. 2 Behandlungsergebnis der traumaspezifischen Symptomatik bei Frau K.
Tabelle 4
Behandlungsergebnisse für die DBT-PTSD bei Frau K.
|
Behandlungsbeginn
|
Behandlungsende
|
CAPS
|
|
|
alle traumatischen Ereignisse
|
96
|
22
|
Index-Trauma
|
97
|
22
|
BDI
|
52
|
2
|
SCL-90 (T-Wert)
|
80
|
56
|
Borderline-Symptomliste
|
PR = 90 Befindlichkeit = 10 %
|
PR = 46 Befindlichkeit = 70 %
|
Empirische Ergebnisse zur Wirksamkeit der DBT-PTBS
Empirische Ergebnisse zur Wirksamkeit der DBT-PTBS
Pilotstudie. Steil und Kollegen untersuchten im Rahmen einer Prä-Post-Studie die Wirksamkeit einer
12-wöchigen DBT-PTSD an 29 Patientinnen mit PTBS nach sexuellem Missbrauch in der
Kindheit und zumindest einer anderen komorbiden Störung nach DSM-IV (z. B. einer komorbiden
schweren Depression, Anorexia oder Bulimia nervosa, Substanzmissbrauch oder Borderline-Persönlichkeitsstörung)
[8]. Die Zahl der Ausschlusskriterien wurde dabei auf ein Minimum begrenzt: Schizophrenie,
mentale Retardation oder eine schwere Psychopathologie, die eine Behandlung in einem
anderen Setting indizierte (wie z. B. ein Body-Mass-Index unter 16 oder akute Suizidalität)
wurden ausgeschlossen. Die Wirksamkeit wurde mithilfe verschiedener Selbstbeurteilungsinstrumente
vor der Behandlung sowie 6 und 12 Wochen danach erfasst:
-
Posttraumatische Diagnoseskala (PDS)
-
Symptom-Checklist-90-Revised (SCL-90-R)
-
Beck-Depressionsinventar (BDI)
-
State-Trait-Anxiety Inventory (STAI).
Die Patientinnen waren im Schnitt 35,4 Jahre alt. Die Zeit zwischen dem Missbrauch
und dem Behandlungsbeginn betrug im Schnitt 27,4 Jahre. Die Patientinnen hatten im
Schnitt 3,8 Diagnosen der Achsen I oder II des DSM-IV (90 % eine schwere Depression,
45 % eine Persönlichkeitsstörung, 38 % eine Essstörung und 14 % eine substanzassoziierte
Störung). Die Effektstärken für den Vergleich zwischen Prä- und Follow-up-Messung
waren groß mit Cohen‘s d = 1,22 (PDS), 1,04 (BDI), 0,52 (SCL-90-R) und 0,71 (STAI-Trait).
Randomisierte kontrollierte Studie. Bohus und Kollegen untersuchten die Wirksamkeit einer 12-wöchigen stationären DBT-PTSD
im Vergleich mit einer Wartelistenbedingung an 74 Patientinnen mit PTBS mit schwerer
Störung der Emotionsregulation nach sexuellem Missbrauch in der Kindheit und vergleichbarer
Symptomatik [7]. Bei 74 % der Patientinnen beinhaltete der sexuelle Missbrauch auch Penetration.
Die Patientinnen waren im Schnitt 35 Jahre alt, hatten im Schnitt 3 Diagnosen der
Achse I des DSM-IV. 44,6 % der Patientinnen hatten eine Borderline-Persönlichkeitsstörung,
über 79 % eine schwere depressive Episode. Es handelte sich also um eine schwer kranke
Patientengruppe. Tab. [5] zeigt die Effektstärken für den Vergleich zwischen Behandlungs- und Wartelistengruppe
zum letzten Messzeitpunkt 6 Monate nach Therapieende. In den verwendeten Selbst- und
Fremdbeurteilungsmaßen zur PTBS-Symptomatik zeigten sich große bis sehr große
Effektstärken zugunsten der DBT-PTSD.
Tabelle 5
Effektstärken DBT-PTSD im Vergleich zu einer Wartelistenkontrollgruppe.
Verwendetes Instrument/Symptomatik
|
Hedge‘s g
|
Clinician Administered PTSD Scale (PTBS im Fremdurteil)
|
1,60
|
Posttraumatic Diagnostic Scale (PTBS im Selbsturteil)
|
0,98
|
Borderline Symptom List (Borderline-Symptome im Selbsturteil)
|
0,52
|
Fragebogen zu dissoziativen Symptomen (Dissoziation im Selbsturteil)
|
0,50
|
Beck-Depressionsinventar II (Depression im Selbsturteil)
|
0,70
|
Zwölf Wochen nach Therapieende zeigten deutlich mehr Patientinnen der Behandlungsgruppe
eine Remission der PTBS als in der Wartelistengruppe (38,9 % vs. 10,5 %). Weder die
Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung noch die Anzahl der entsprechenden
Symptome war bedeutsam assoziiert mit dem Therapieerfolg.
Fazit zur Wirksamkeit der DBT-PTSD
Mit der DBT-PTSD gibt es für die stationäre Behandlung von schwer kranken PTBS-Patientinnen
nach Missbrauchserfahrungen ein strukturiertes, die besonderen Probleme gestörter
Emotionsregulation berücksichtigendes Behandlungsprogramm, das auch Patientinnen mit
wiederkehrender Suizidalität oder Selbstverletzung, komorbider Borderline-Persönlichkeitsstörung
bzw. weiterer komorbider Symptomatik sicher und effektiv behandeln kann. Der Vergleich
mit anderen schon länger eingeführten Interventionen steht bislang noch aus.
Derzeit wird in einer großen multizentrischen Studie (Release-Projekt) in den Zentren
Berlin, Frankfurt und Mannheim eine ambulante Form der DBT-PTSD verglichen mit einer
der meist beforschten Psychotherapien der PTBS – der Cognitive Processing Therapy
[36].
Die Hauptsymptome der PTBS sind Intrusionen, Vermeidungsverhalten, traumaspezifische
dysfunktionale Kognitionen und Übererregung.
Nach multipler Traumatisierung in der Kindheit und Jugend entwickeln Patientinnen
häufig zusätzlich zu der PTBS-Kernsymptomatik Störungen der Emotionsregulation.
In der Vergangenheit fehlten auf die Bedürfnisse und Besonderheiten dieser Patientengruppe
angepasste evidenzbasierte Behandlungsprogramme.
Die in den letzten 10 Jahren entwickelte DBT-PTSD ist bislang die einzige Intervention,
die eine gezielte traumafokussierte und formale Exposition beinhaltende Struktur für
Patientinnen mit PTBS und Störung der Emotionsregulation aufweist.
Der Behandlung der DBT-PTSD liegt eine für DBT-Interventionen typische dynamische
Behandlungshierarchie zugrunde, bei der die Behandlung einem klaren Algorithmus folgt,
der dem Therapeuten bzw. dem behandelnden Team hilft zu entscheiden, in welcher Reihenfolge
problematische Verhaltensweisen oder Störungsbereiche fokussiert und behandelt werden
sollen. Die Hierarchisierung der Behandlung hat das Ziel, auch bei schwer kranken
Patientinnen möglichst bald mit der formalen Exposition beginnen zu können, die das
Kernelement der Behandlung darstellt.
Die DBT-PTSD besteht aus 5 Behandlungsphasen: Commitment, Planung und Motivation,
Bearbeitung von traumabezogenen Escape-Strategien, Exposition: Reduktion des Wiedererlebens
traumabezogener Gefühle und Entfaltung des Lebens.
Die DBT-PTSD wird begleitet von wöchentlicher Supervision und versteht sich als Behandlung
durch ein Team aus Therapeut, Supervisor und anderen Therapeuten.
Die Wirksamkeit der DBT-PTSD wurde in bislang 2 Studien belegt.