Corporale Tunnel-Verfahren erreichen eine suffiziente Detumeszenz
Der Low-Flow-Priapismus stellt eine urologische Notfallsituation dar! Aufgrund eines
falschen Schamgefühls stellen sich die Betroffenen oftmals mit einer seit vielen Stunden
bestehenden Erektion vor. Neben der akuten Problematik der schmerzhaften Dauererektion
stellt die Spätfolge der erektilen Dysfunktion eine Herausforderung für den Urologen
dar. Nach Versagen der Erstlinientherapie (Punktion der Corpora cavernosa und Aspiration
des Staseblutes, Spülung mit Kochsalzlösung, ggf. auch spätere Injektion von Alpha-Adrenergika)
ist die Anlage eines corporospongiösen Shunts indiziert. Hierbei werden distale (z.
B. Winter, Ebbehoj, Al-Ghorab) und proximale (z. B. Quackels, Grayhack) Shunt-Techniken
unterschieden.
Intrakavernöse Tunnel-Bildung zur Entfernung des Stasebluts
Bei einem längere Zeit bestehenden, ischämischen Priapismus wird die Durchblutung
der Corpora cavernosa durch ein Ödem im erektilen Gewebe verhindert. Zur Reduktion
des intrakavernösen Druckes ist eine suffiziente Entfernung des Stasebluts notwendig,
damit eine Kontraktion der glatten Muskulatur und somit eine Detumeszenz möglich ist.
Da der Al-Ghorab-Shunt bei ausgeprägten Befunden oft nicht eine ausreichende Drainage
ermöglicht, wurden verschiedene Modifikationen mit der Etablierung eines intrakavernösen
Tunnels beschrieben, die eine bessere Entfernung des Stasebluts ermöglichen sollen
[
1
]–[
5
]. Nachteil eines corporoglanulären Shunts stellt die unzureichende Drainage des proximalen
Corpus cavernosum dar, wohingegen beim proximalen cavernospongiösen oder corporovenösen
Shunt die Drainage distal unzureichend ist. Das Tunnel-Manöver schafft einen Kanal,
durch den das Blut aus dem Corpus cavernosum abfließen kann: Nach Inzision der Glans,
Darstellung der Spitzen der Corpora cavernosa und Teil-Exzision der Tunica albuginea
wird beidseits ein Dilatator (z. B. Hegar-Stift) weit in das Corpus cavernosum vorgeschoben.
Eine suffiziente Drainage des Stasebluts mit dauerhaftem Nachlassen der Erektion kann
so bei ca. 70 % der Patienten erreicht werden [
1
], [
3
], [
5
]; allerdings sind diese Zahlen aufgrund der eher kleinen Fallserien mit Vorsicht
zu bewerten. Es zeigt sich ein Trend zu schlechteren Ergebnissen bei einem bereits
seit längerer Zeit bestehenden Priapismus, insbesondere nach ≥ 36 Stunden nimmt der
Erfolg deutlich ab [
5
]; dennoch scheinen die Erfolgsraten günstiger als bei proximalen Shuntverfahren zu
sein.
Veränderungen der Histoarchitektur als Determinante der erektilen Dysfunktion
Bereits 1986 wurden die ultrastrukturellen Veränderungen, die sich durch einen Low-Flow-Priapismus
ergeben beschrieben: Nachdem zunächst ein interstitielles Ödem besteht, kommt es zu
einer Transformation der glatten Muskelzellen im Corpus cavernosum in Fibroblasten-ähnliche
Zellen nach ca. 24 Stunden. Im weiteren Verlauf entwickelt sich eine Entzündungsreaktion
mit weiterer Transformation von Muskelzellen bzw. deren Nekrose [
6
]. In der Folge lassen sich nach 48 Stunden eine Abnahme der glatten Muskulatur und
eine Zunahme der elastischen Fasern nachweisen [
7
]. Letztlich bedingt dies die gefürchtete Fibrosierung des Schwellkörpers mit Ausbildung
einer erektilen Dysfunktion. In der Untersuchung von Zacharakis et al. wurde eine
rapide Zunahme nekrotischer glattmuskulärer Zellen und einer Fibrosierung ab 24 Stunden
Dauer des Priapismus festgestellt [
5
]. Zwar erlaubt die Darstellung der Ergebnisse in der Publikation keinen direkten
Rückschluss auf den Effekt der veränderten Histoarchitektur auf die postoperative
erektile Funktion, allerdings scheint die Fibrosierung das Ausmaß der erektilen Dysfunktion
maßgeblich zu bedingen. Ein dauerhaftes Trauma des Schwellkörpers durch das Tunnel-Verfahren
scheint nicht aufzutreten, und somit nicht die Impotenz zu bedingen. Die Autoren schlussfolgern
daher, dass der Nachweis von ausgedehnten Nekrosen und Fibrosierungen als Entscheidungshilfe
zur frühzeitigen Implantation einer Schwellkörperprothese herangezogen werden kann.
Fazit
Die Bildung eines corporalen Tunnels im Rahmen einer distalen Shunt-Operation ermöglicht
auch in Priapismuspatienten, die auf die Aspiration und medikamentöse Maßnahmen nicht
Ansprechen, eine Detumeszenz. Letztlich wird jedoch die Spätfolge Erektionsstörung
durch die Dauer des Priapismus bedingt, sodass eine möglichst rasche Detumeszenz,
ggf. unter frühzeitiger Zuhilfenahme von invasiven, aber möglichst effizienten Shunt-Operationen,
angestrebt werden muss.
PD Dr. Jörg Ellinger,
Prof. Dr. Stefan C. Müller, Bonn