Psychother Psychosom Med Psychol 2015; 65(03/04): 112-118
DOI: 10.1055/s-0034-1389960
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Essbegleitung für Patienten mit Essstörungen: Eine Umfrage zur Versorgungspraxis an deutschen Essstörungszentren

Mealtime Support for Patients with Eating Disorders: A Survey on the Clinical Practice in German Eating Disorders Centers
Timo Brockmeyer
1   Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik, Universitätsklinikum Heidelberg
,
Hans-Christoph Friederich
1   Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik, Universitätsklinikum Heidelberg
,
Burkard Jäger
2   Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover
,
Michael Schwab
1   Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik, Universitätsklinikum Heidelberg
,
Wolfgang Herzog
1   Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik, Universitätsklinikum Heidelberg
,
Martina de Zwaan
2   Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. Timo Brockmeyer
Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik
Universitätsklinikum Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 410
69120 Heidelberg

Publication History

eingereicht 04 July 2014

akzeptiert 25 August 2014

Publication Date:
17 November 2014 (online)

 

Zusammenfassung

Essbegleitung stellt einen zentralen Therapiebaustein in der stationären und teilstationären Behandlung von Patienten mit Essstörung dar. Bisher gibt es jedoch kaum empirische Forschung, die als Grundlage für eine wissenschaftlich fundierte, praxisorientierte Handlungsempfehlung herangezogen werden kann. Ziel der aktuellen Studie war es daher, zunächst einen umfassenden Überblick über die aktuelle Versorgungspraxis der Essbegleitung in Deutschland zu erhalten. An der landesweiten Umfrage nahmen 97 Mitarbeiter von insgesamt 66 deutschen Essstörungszentren teil. Die Umfrage zur Essbegleitung umfasste 4 große Themenbereiche: (a) Setting, (b) allgemeine Rahmenbedingungen, (c) spezifische Interventionen, und (d) Perspektive der Mitarbeiter. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen u. a., dass die Mahlzeiten in erster Linie durch Pflegepersonal begleitet werden. An etwa zwei Drittel der Zentren wird mindestens eine Essbegleitung pro Tag unter strukturierten Rahmenbedingungen angeboten. Die meisten Zentren bieten eine Patientenküche und/oder eine Kochgruppe für die Zubereitung von Mahlzeiten durch Patienten an. Von etwa drei Viertel der Behandler wird das Essverhalten und die Essensmenge der Patienten systematisch dokumentiert. Ferner nehmen die meisten Behandler eine Vorbildfunktion ein, indem sie selbst Mahlzeiten am Patiententisch einnehmen. Eine gezielte Nahrungsmittelexposition wird nur von einer Minderheit der Behandler angeboten. Sanktionen bei Nichteinhaltung therapeutischer Zielvereinbarungen werden deutlich häufiger eingesetzt als positive Verstärkung bei Erreichen dieser Ziele. Weniger als die Hälfte der Behandler bietet eine Nachbetreuung nach dem Essen an. Die Ergebnisse der Umfrage geben wichtige Einblicke in die aktuelle Praxis der Essbegleitung und stellen einen Ausgangspunkt für die Entwicklung klinischer Untersuchungen zur Überprüfung der Wirksamkeit spezifischer Interventionen dar.


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Abstract

Mealtime support is a cornerstone of eating disorders (ED) inpatient and day-care treatment but has received only little attention in research so far and no valid recommendations are available for this type of intervention. Thus, the aim of the present study was to gather a comprehensive picture of how mealtime support is currently practiced in Germany. In a nationwide survey, 97 staff members from 66 ED centers across Germany completed a survey-form that covered 4 broad topics: (a) setting, (b) general conditions, (c) specific interventions, and (d) treatment providers’ perspective. For the most part, mealtime support is delivered by nurses. Two thirds of the centers provide at least one therapeutically supported meal per day. Most centers offer their patients a kitchen and/or a guided cooking group. Patient eating behavior and amount of food eaten is documented by three quarters of staff members. Most staff members offer some kind of role modeling by eating their own meals at the same table. Food exposure is provided by a minority. Whereas two thirds use sanctions when patients did not achieve their eating goals, only one third use positive reinforcement when patients achieved their goals. Less than one half offer some kind of post-meal support. The results provide important insights into the current practice of mealtime support and will thus inform future studies that examine the efficacy of different types and interventions of mealtime support.


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Einleitung

Ähnlich wie in den USA, in Kanada und in Großbritannien [1] [2] stellt Essbegleitung in den meisten Essstörungszentren in Deutschland einen wichtigen Therapiebaustein dar. Trotz dieser Situation gibt es aktuell keine spezifischen, standardisierten Richtlinien zur Durchführung dieser Intervention [1] [2]. Die Normalisierung von Essverhalten und Körpergewicht sind zentrale Ziele in der Behandlung von Essstörungen [3] [4]. Jedoch zeigen insbesondere Patientinnen mit Anorexia nervosa eine massive Furcht vor der Nahrungsaufnahme bzw. der damit assoziierten Gewichtszunahme und fühlen sich daher selbst von kleinen Änderungen im Essverhalten oftmals extrem belastet [5] [6]. Patientinnen mit Bulimie und Binge-Eating-Störung zeigen wiederholt auftretende Essanfälle, begleitet von einem Kontrollverlust über die Nahrungsaufnahme. Studien belegen, dass die Integration einer therapeutischen Essbegleitung in das Behandlungsprogramm die Behandlungszufriedenheit seitens der Patienten maßgeblich beeinflusst [7] [8]. Die Essbegleitung in der Essstörungsbehandlung ist im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass Patienten ihre Mahlzeiten unter der Aufsicht des therapeutischen Personals sowie unter strukturierten Rahmenbedingungen einnehmen. Dabei können verschiedene therapeutische Techniken zur Anwendung kommen, die eine Normalisierung der Nahrungsaufnahme erleichtern sollen (z. B. Beeinflussung des Essverhaltens durch operante Konditionierung, Vermittlung von Skills zum Umgang mit aversiven Gefühlen, Achtsamkeitsübungen) [9]. Strikte Rahmenbedingungen erscheinen dabei aus klinisch-praktischer Perspektive hilfreich, da sie den Patienten Sicherheit und Halt vermitteln, was als wesentliche Voraussetzung für die Erprobung alternativer Verhaltensweisen angesehen werden kann.

Obwohl die Essbegleitung eine zentrale Komponente in der stationären und teilstationären Therapie von Essstörungen darstellt, wurde diesem Therapiebaustein bisher nur wenig Aufmerksamkeit im Rahmen empirischer Forschung gewidmet [9] [10]. Eine repräsentative Übersicht zur Versorgungspraxis und Informationen zur Umsetzung und Ausübung von Essbegleitung an deutschen Essstörungszentren liegt, soweit uns bekannt, bisher nicht vor. Eine englische Arbeitsgruppe hat Mitarbeiter in spezialisierten Essstörungseinheiten befragt und hierüber einen ersten Eindruck gewonnen, wie Essbegleitung aktuell in Großbritannien durchgeführt wird [11]. Die Umfrage ergab, dass (a) auf vielen Stationen Essbegleitung sowohl im Gruppen- als auch im Einzelformat angeboten wird, (b) auf etwa der Hälfte der Stationen die Mitarbeiter am selben Tisch mitessen, und (c) dass in der Mehrheit der Zentren Zeitlimits zwischen 30 und 60 min für die Einnahme der Mahlzeiten gesetzt werden. Darüber hinaus berichteten die Autoren, dass nur auf einer Minderheit der Stationen regelmäßig gezielte Interventionen vor den Mahlzeiten angeboten werden, während auf etwa der Hälfte der Stationen eine Nachbetreuung nach dem Essen angeboten wird. Zudem wird in den meisten Zentren Unterhaltung oder Radio als Möglichkeiten der Ablenkung während des Essens eingesetzt. Allgemein hoben die befragten Mitarbeiter die Wichtigkeit eines spezifischen Trainings in der Essbegleitung für das Personal hervor, was die Vermittlung von konkreten Fertigkeiten und einem Behandlungsrepertoire beinhalten sollte. Ohne ein solches Training wäre die Gefahr groß, dass insbesondere neue und unerfahrene Mitarbeiter schnell überfordert und frustriert wären, mit negativen Konsequenzen für das therapeutische Arbeitsbündnis. Die befragten Mitarbeiter hoben zudem die Wichtigkeit von Teamarbeit und einer genauen Beobachtung der Einhaltung der Mahlzeitenregeln hervor. Leichner et al. [9] haben in einem praxisorientierten Artikel sehr detailliert die Durchführung der Essbegleitung in einem kanadischen Kinderkrankenhaus beschrieben. Sie heben dabei mehrere wichtige Aspekte hervor, wie z. B. die Aufklärung der Patienten über das Rational der Essbegleitung, das verlässliche Angebot einer sicheren Umgebung und einer Halt gebenden Struktur, Steigerung der Selbstverantwortung mit Blick auf die Auswahl der Portionsgrößen, gemeinsames Essen mit den Mitarbeitern (die damit eine Orientierung für gesundes Essverhalten und normale Portionsgrößen liefern), Einsatz von Ablenkungsstrategien, empathisches Einfühlen in mit der Nahrungsaufnahme assoziierte aversive Gefühle (z. B. Gewichtsphobie, Unzufriedenheit mit der Körperfigur), Verhindern von Wettbewerbsverhalten unter den Patienten, Vergabe von positivem Feedback, Angebot einer Nachbetreuung für eine Stunde nach dem Essen und Implementierung von Essbegleitung außerhalb der Klinik (z. B. in einem Restaurant). Viele dieser Vorschläge wurden in einer qualitativen Befragung auch von erwachsenen Patienten als hilfreich benannt [4]. Ferner wurde von Patienten in dieser Studie darauf hingewiesen, dass es schwierig ist, mit unterschiedlichen Ansätzen und Vorgehensweisen des Personals bei der Essbegleitung zurechtzukommen, die oftmals kein einheitliches Konzept aufweisen. Schließlich gaben die Patienten auch an, dass sie sich im Therapieverlauf eine aktivere Rolle in der Auswahl und Zubereitung der Speisen wünschen, als Vorbereitung auf die Zeit nach der Entlassung.

Darüber hinaus wurde in den letzten Jahren damit begonnen, die Wirksamkeit von bestimmten psychotherapeutischen Techniken in der Essbegleitung näher zu untersuchen. In einer Serie von Pilotstudien zur Nahrungsmittelexposition mit Reaktionsverhinderung haben Steinglass et al. [11] [12] [13] diese Form der Intervention entwickelt und getestet, wobei sich eine gute praktische Umsetzbarkeit und Effektivität hinsichtlich der Steigerung der Nahrungsaufnahme und der Reduktion essensbezogener Ängste zeigte. Zudem können essensbezogene Achtsamkeitsübungen eine nützliche Ergänzung darstellen [14] [15].

Vor dem Hintergrund des Mangels an empirischen Untersuchungen zur Umsetzung und Durchführung von Essbegleitung für Patienten mit Essstörung war es das Ziel der aktuellen Umfrage, ein möglichst repräsentatives Bild hinsichtlich der aktuellen Praxis der Essbegleitung in deutschen Essstörungszentren zu gewinnen. Eine Berücksichtigung der gängigen Praxis und damit der Elemente, die sich in der Praxis bewährt haben und die von der Mehrheit der Therapeuten akzeptiert und unterstützt werden, kann nach Meinung der Autoren eine sinnvolle und reichhaltige Ausgangsbasis für zukünftige empirische Untersuchungen zur Machbarkeit und Effektivität verschiedener Interventionen der Essbegleitung darstellen. Bislang findet sich in der Literatur nur eine Studie, welche die Versorgungspraxis der Essbegleitung für erwachsene Patienten mit Essstörung näher untersucht hat. Wesentliche Limitationen dieser in Großbritannien durchgeführten Studie sind die eingeschränkte Repräsentativität der Erhebung (Studienbeteiligung betrug lediglich 37%, n=22 Essstörungszentren) sowie die Begrenzung auf bestimmte inhaltliche Themen [2]. Um einen besseren Einblick in die aktuelle Versorgungspraxis der Essbegleitung für Patienten mit Essstörung in Deutschland zu gewinnen, wurde die aktuelle landesweite Umfrage durchgeführt, bei der eine Reihe praxisrelevanter Aspekte wie z. B. Mahlzeitenregeln, Exposition, positive Verstärkung vs. Sanktionen, Interventionen zur Mahlzeitenvorbereitung und der Nachbetreuung berücksichtigt wurden.


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Methoden

Mittels verschiedener offizieller und online verfügbarer Suchmaschinen (z. B. www.weisse-liste.de, www.kliniken.de) wurden zunächst spezialisierte Essstörungszentren innerhalb Deutschlands identifiziert. Im nächsten Schritt wurden dann jene Essstörungszentren ausgewählt, die laut ihrem aktuellsten jährlichen Qualitätsbericht mindestens 20 Fälle von Essstörungen pro Jahr behandelten. Dabei wurden ausschließlich Zentren berücksichtigt, in denen erwachsene Patienten mit Essstörung behandelt wurden, da sich die Art der Durchführung bei Kindern und Jugendlichen von der Behandlung bei Erwachsenen deutlich unterscheiden kann. Insgesamt wurden an 70 infrage kommende Zentren jeweils 3 Umfragebögen versandt, mit der Bitte diese ausgefüllt in einem beiliegenden, vorfrankierten Rückumschlag zurückzusenden. Dieses Vorgehen ließ keine nachträgliche Zuordnung von zurückgeschickten Umschlägen zu teilnehmenden Zentren zu. Da in einer früheren Studie [2] deutlich wurde, dass Essbegleitung von den Mitarbeitern eines Zentrums oder einer Station nicht selten sehr unterschiedlich durchgeführt wird, wurde die aktuelle Umfrage so gestaltet, dass die Bögen innerhalb eines Zentrums bzw. einer Station von bis zu 3 Angestellten, die regelmäßig Essbegleitungen durchführen, ausgefüllt und gemeinsam zurückgeschickt werden sollten. Nach 3 und 6 Wochen erhielten alle Zentren eine E-Mail zur Erinnerung an die Studienteilnahme.

Von den 70 kontaktierten Zentren antworteten insgesamt 66. Von diesen 66 Zentren erfüllten 52 die Einschlusskriterien für die Umfrage (mindestens 20 Essstörungsfälle pro Jahr). 10 Zentren gaben an, weniger als 20 Fälle pro Jahr zu behandeln und 4 Zentren gaben keine Fallzahlen an. Diese 14 Zentren wurden daher von der Auswertung ausgeschlossen. In den verbleibenden Zentren wurden im Mittel ca. 91 Patienten mit Essstörung (SD=81 Patienten; Range: 20–325) pro Jahr behandelt. Im Durchschnitt wurde der Fragebogen von 2 Mitarbeitern pro Zentrum ausgefüllt (an 20 Zentren wurde der Bogen von einem Mitarbeiter, an 8 Zentren von 2 Mitarbeitern und an 24 Zentren von 3 Mitarbeitern ausgefüllt). Von diesen 52 eingeschlossenen Zentren gaben Mitarbeiter aus 44 Zentren an, regelmäßig Essbegleitung für Patienten mit Essstörung anzubieten. Wenn nicht anders ausgewiesen, basieren die im nächsten Abschnitt dargestellten Ergebnisse daher auf den 97 von Mitarbeitern ausgefüllten Fragebögen aus 44 Zentren.

Der Fragebogen wurde speziell für die Zwecke dieser Studie entwickelt. Ausgehend von der aktuellen Literatur und der Konsultation von Therapeuten und Wissenschaftlern (Ärzte, Psychologen, Pflegepersonal) an den 2 studiendurchführenden Zentren, diskutierten die Autoren gemeinsam relevante Aspekte und erstellten eine erste vorläufige Fragebogenversion. Diese wurden dann an 15 klinisch tätigen Mitarbeitern an den beiden Zentren evaluiert. Anschließend wurden mehrere Items ergänzt, angepasst und gestrichen. Der endgültige Fragebogen umfasste 46 Fragen und mehrere Unterfragen, die sich auf die folgenden 4 größeren Themenbereiche der Essbegleitung bezogen: (a) Setting, (b) allgemeine Rahmenbedingungen, (c) spezifische Interventionen, und (d) Perspektive der Mitarbeiter. Es wurden zumeist kategorische Antwortformate gewählt (Ja/Nein Antworten) wobei auch einige offene Fragen enthalten waren. Im Ergebnisteil werden daher entweder Prozentwerte und Anzahl oder Mittelwerte und Standardabweichungen berichtet.


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Ergebnisse

Die Ergebnisse der Umfrage sind, nach den ersten 3 inhaltlichen Themen geordnet, in den [Tab. 1] [2] [3] dargestellt. Die Ergebnisse zur Perspektive der Behandler (Themenbereich 4) ergaben, dass 61% der Befragten eine Einführung in die Interventionen der Essbegleitung erhalten haben. Größtenteils bezogen sich die Befragten dabei auf das Beobachten von erfahrenerem Personal. Keiner der Befragten gab an, eine spezielle Fortbildung o. ä. erhalten zu haben. Im Mittel gaben die Behandler an, von der Essbegleitung als Therapieangebot insgesamt eher überzeugt zu sein (Skala von 0 „gar nicht überzeugt“ bis 5 „voll überzeugt“; M=3,38; SD=0,66) und sich davon eher nicht belastet zu fühlen (Skala von 0 „gar nicht belastet“ bis 5 „sehr belastet“; M=2,05; SD=1,02). Darüber hinaus berichteten die Behandler, dass sie die Essbegleitung für Patienten mit Essstörung als eher wichtig (Skala von 0 „gar nicht wichtig“ bis 5 „sehr wichtig“; M=3.58; SD=0,59) und hilfreich (Skala von 0 „gar nicht hilfreich“ bis 5 „sehr hilfreich“; M=3,39; SD=0,62) erachten.

Tab. 1 Setting und Kontext der Essbegleitung.

Setting

 Stationär

73%

 Tagesklinisch

2%

 Gemischt

25%

Therapeutische Orientierung

 Psychodynamisch

20%

 Kognitiv-verhaltenstherapeutisch (KVT)

20%

 Kombiniert psychodynamisch und KVT

60%

Anzahl behandelter Patienten mit Essstörung pro Jahr (Näherungswert)2

M=91, SD=81

Essbegleitung für einzelne Essstörungen

 für Anorexia nervosa

95%

 für Bulimia nervosa

91%

 für Binge Eating Störung

77%

 für Adipositas ohne Essstörung

30%

Wer führt die Essbegleitung durch?

 Pflegepersonal

86%

 Psychologen

41%

 Ärzte

27%

 Andere (Ernährungsberater, Fachtherapeuten, usw.)

25%

Tab. 2 Allgemeine Rahmenbedingungen der Essbegleitung (n=97 Behandler)

Durchschn. Anzahl begleiteter Mahlzeiten pro Woche

M=15 (SD=10); Range 1–35

 Weniger als eine Essbegleitung pro Tag

24%

 Eine Essbegleitung pro Tag

10%

 2–3 Essbegleitungen pro Tag

23%

 3 Essbegleitungen pro Tag

26%

 5 Essbegleitungen pro Tag

10%

 keine Angaben

6%

Zeitgrenzen pro Hauptmahlzeit

 Durchschn. untere Zeitgrenze (in Minuten)

M=30 (SD=8); Range 15–50

 Durchschn. obere Zeitgrenze (in Minuten)

M=35 (SD=9); Range 25–60

Beginn der Essbegleitung

 bei Aufnahme

77%

 nur phasenweise bzw. wenn Mindestgewicht unterschritten

23%

Beendigung der Essbegleitung

 während der gesamten Behandlung

40%

 wenn festgelegtes Gewicht erreicht

60%

Patientenküche und/oder Kochgruppe?

 ja

83%

 nein

17%

Mahlzeitenregeln

 Essen austauschen verboten

93%

 Kommentieren anderer Patienten verboten

79%

 vom Tisch aufstehen verboten

71%

 über Essen sprechen verboten

54%

 Gewürze verboten

23%

 Getränke: max. Anzahl von Gläsern (á 200 ml) pro Mahlzeit

M=1.86 (SD=0.47); Range 0–3

 Handout/Poster mit Regeln

47%

Dokumentation

 Teambesprechung bzgl. der Mahlzeiten

92%

 Dokumentation des Essverhaltens u. der Nahrungsmenge

77%

 Technische Unterstützung beim Erfassen der verzehrten  Nahrungsmenge (z. B. Mandometer)

1%

Patientenaufteilung

 Alle Essstörungen am selben Tisch

83%

 Andere Patienten (ohne Essstörung) am selben Tisch

17%

 Essbegleitung in der Gruppe

100%

 Essbegleitung für einzelne Patienten

24%

weitere Aspekte

 Einschränkungen bei der Essenswahl

71%

 Essbegleitung in der Tagesklinik (wenn Tagesklinik vorhanden)

60%

 Essbegleitung außerhalb der Klinik

25%

Tab. 3 Spezifische Interventionen im Rahmen der Essbegleitung (n=97 Behandler).

Modellverhalten (Mitarbeiter essen am selben Tisch)

78%

Systematische Anwendung von Ablenkungsstrategien

67%

Systematische Anwendung von Sanktionen

62%

Art der Sanktionen

 Beschränkung des Ausgangs

17%

 Hochkalorische Trinknahrung oder Magensonde

8%

 Einschränkung des Therapieangebots

8%

 Entlassung

8%

 Zimmerruhe

2%

 Tischdienst

2%

 Kombinationen versch. genannter Sanktionen

32%

 keine Spezifizierung

23%

Systematisches Hervorheben individueller Erfolge

55%

Feedback-Runde

53%

 Feedback-Zeit pro Patient (in Minuten; Näherungswert)

M=2.37 (SD=2.18 ); Range 0.17–12.5

Systematischer Ausdruck von Empathie

51%

Systematische Nachbetreuung (purging/exercising Prävention)

46%

Art der Prävention

 Kurzgespräche mit Personal

36%

 Gruppentherapie

11%

 Skills Coaching

5%

 Spaziergang (in der Gruppe)

2%

 Gesellschaftsspiele (in der Gruppe)

2%

 Nutzung von Medien (z. B. Filme, Musik)

2%

 Kombination

29%

 Keine Spezifizierung

13%

Systematische Vermittlung von Skills vor dem Essen

34%

Systematisches Adressieren zwanghaften Essverhaltens

31%

Systematische Anwendung positiver Verstärkung

30%

Art der positiven Verstärkung

 mehr Ausgang

28%

 größeres Therapieangebot/Kombination von Verstärkern

24%

 Größere Auswahl beim Essen

17%

 Keine Spezifizierung

31%

Systematische Anwendung von Nahrungsmittelexposition

24%

lege artis Anwendung*

7%

Systematische Anwendung von Achtsamkeits- und/oder Entspannungsübungen vor, während oder nach dem Essen

22%

Systematische Erfassung von Angst vor der Mahlzeit

19%

Systematische Anwendung von Medien (z. B. Film, Musik)

12%

Training für Familienangehörige

10%

*lege artis Nahrungsmittelexposition umfasst Psychoedukation bezüglich des Rationals der Intervention, Hierarchisierung gefürchteter Nahrungsmittel, systematische Erfassung von Angst/Anspannung vor, während und nach dem Essen, Verhinderung von Vermeidungsverhalten, Beendigung der Übung nur nach erfolgter Habituation, Nachbesprechung und Verhaltensanalyse

In den offenen Fragen zu wahrgenommenen Problemen mit der Essbegleitung wurden am häufigsten Widerstand seitens der Patienten und zu wenig Zeit/Personal genannt. Des Weiteren wurden folgende Probleme berichtet: starke Konkurrenz und Anspannung unter den Patienten, Täuschungsversuche der Patienten, Störung der Übertragungssituation und der therapeutischen Beziehung, zu kleine oder ungeeignete Räumlichkeiten, zu wenig Wertschätzung seitens des Teams und Widerstand seitens der Behandler gegen die Intervention.

Als besonders hilfreich für die Essbegleitung erachteten die Behandler hingegen: regelmäßige Intervision/Teambesprechung, Einnahme eigener Mahlzeiten am Patiententisch, Nutzung der Essbegleitung zu diagnostischen Zwecken und zur Motivierung der Patienten, direktes Feedback für die Patienten, gegenseitige Unterstützung unter den Patienten, Förderung der therapeutischen Beziehung, direkte Arbeit am Symptom, Informationen zu den Hintergründen der Essbegleitung sowie klare Vorgabe der Struktur und Regeln.

Darüber hinaus gaben die Behandler an, sich folgende Veränderungen für die Essbegleitung zu wünschen: mehr Zeit, mehr begleitete Mahlzeiten, größere/angenehmere Räumlichkeiten, spezielles Training zur Durchführung der Essbegleitung, klare Regeln, kleinere Patientengruppen, mehr Auswahl beim Essen, Anwendung von Achtsamkeits- und Entspannungsübungen, Anwendung durch Psychologen und Ärzte, bessere Vorbereitung der Patienten auf die Mahlzeiten, Implementierung einer Feedbackrunde.


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Diskussion

Die vorliegende Umfrage ergänzt bisherige Arbeiten zum Thema Essbegleitung durch die Berücksichtigung eines breiten Spektrums praxisrelevanter Informationen und stellt die erste systematische Erhebung von Informationen zur Versorgungspraxis der Essbegleitung für Patienten mit Essstörung in Deutschland dar. Insgesamt betrachtet erscheinen die allgemeinen Prinzipien in der Durchführung von Essbegleitung für Patienten mit Essstörung in Deutschland und Großbritannien vergleichbar im Hinblick auf allgemeine Rahmenbedingungen und Spektrum der spezifischen Interventionen wie z. B. die Einbindung des Personals, Zeitlimits für Mahlzeiten, Mahlzeitenvorbereitung und Nachbetreuung. Verglichen mit den Ergebnissen von Long et al. aus der britischen Studie [11], wird jedoch deutlich, dass Behandler in Deutschland öfter ihre Mahlzeiten zusammen mit den Patienten einnehmen und vor der Mahlzeiteneinnahme häufiger Fertigkeiten zur Bewältigung der Anspannung mit den Patienten einüben.

Setting

Die Umfrage ergab, dass die große Mehrheit der Essstörungszentren Essbegleitung nicht nur für Patienten mit Anorexia nervosa, sondern auch für solche mit Bulimia nervosa und Binge-Eating-Störung (und teilweise auch für übergewichtige Patienten ohne das Vollbild einer Essstörung) anbieten. Die Mitarbeiter der Zentren sehen Essbegleitung als eine wichtige und hilfreiche Intervention an, was die Rolle der Essbegleitung als Eckpfeiler in der stationären/teilstationären Therapie von Patienten mit Essstörungen unterstreicht. In den meisten Fällen wird die Essbegleitung von Pflegepersonal durchgeführt, sehr viel seltener hingegen von Psychologen, Ärzten, Ernährungsberatern oder Fachtherapeuten. Vor dem Hintergrund des Mangels an einer spezifischen Aus- bzw. Fortbildung von Pflegepersonal für die Durchführung von Essbegleitung erscheint die Entwicklung und Implementierung entsprechender Fortbildungen/Trainings sinnvoll. Zudem erscheint es wünschenswert, dass psychotherapeutisch ohnehin gut ausgebildete Psychologen und Ärzte stärker in die Durchführung der Essbegleitung eingebunden werden.

Die Frage, ob Essbegleitung angeboten wird oder nicht, scheint nicht von der therapeutischen Orientierung einer Einrichtung abzuhängen. Essbegleitung scheint sowohl in ein psychodynamisch als auch in ein kognitiv-verhaltenstherapeutisch ausgerichtetes Setting integrierbar zu sein. Einige der befragten Mitarbeiter aus psychodynamisch orientierten Zentren berichteten, dass Essbegleitung als Interventionsform die Übertragungssituation störe und die Bildung der therapeutischen Beziehung erschwere. Die Möglichkeiten und Chancen, die sich durch eine konsequentere Integration der Essbegleitung in die Therapie ergeben, sind jedoch – auch aus psychodynamischer Perspektive – nicht zu unterschätzen. Die Essbegleitung bietet bspw. einen exzellenten Kontext, um das lebensbestimmende Konfliktthema von Autonomie vs. Bedürftigkeit zu adressieren, und um an strukturellen Fähigkeiten wie Affektdifferenzierung, -klärung und -regulation, Impulskontrolle sowie Körperwahrnehmung zu arbeiten. Dementsprechend berichteten auch mehrere befragte Mitarbeiter, dass Essbegleitung eine sehr direkte Arbeit am inneren Erleben von Affekten und Ängsten ermögliche, die sich förderlich auf die therapeutische Beziehung auswirke.


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Allgemeine Rahmenbedingungen

Im Mittel werden an den teilnehmenden Essstörungszentren 15 begleitete Mahlzeiten pro Woche angeboten. Die Mehrzahl der Befragten berichtete über eine Begleitung von mind. 2 Mahlzeiten pro Tag. Besonders in solchen Zentren, in denen maximal eine Mahlzeit pro Tag begleitet wird, sprachen sich mehrere Befragte für eine Anhebung der Anzahl begleiteter Mahlzeiten aus. Bisher ist jedoch nichts über die optimale Dosis und Frequenz von Essbegleitung bekannt. In der Mehrzahl der Zentren wird bei Erreichen eines Mindestgewichts die Essbegleitung mit dem Ziel beendet, das Essen wieder stärker in die Selbstverantwortung der Patienten zu übergeben. Die Zeitgrenzen für die Dauer der Mahlzeiten variieren beträchtlich zwischen den verschiedenen Zentren. In einigen Zentren wird keine untere Zeitgrenze festgelegt, was möglicherweise sehr schnelles, „hastiges“ Essen begünstig, wodurch aus Patientensicht versucht wird, die Auseinandersetzung mit der phobisch besetzten Nahrung möglichst kurz zu halten. Umgekehrt wird in einigen Zentren auf Zeithöchstgrenzen verzichtet, was wiederum die Gefahr in sich birgt, dass einige Patienten die Nahrungsaufnahme extrem hinauszögern und somit eine Normalisierung des Essverhaltens vermeiden. Die Daten der vorliegenden Erhebung sprechen für eine mittlere Dauer zwischen 30–35 min pro Mahlzeit.

Die meisten Zentren bieten eine Patientenküche und/oder begleitete Kochgruppe für Patienten an, was im Hinblick auf die Reduktion von essens-assoziierten Ängsten und das Erlernen von gesunden Essgewohnheiten sowie einem normalen Umgang mit Nahrungsmitteln sinnvoll erscheint. Die meisten Behandler verfolgen relativ strikte Regeln bei der Essbegleitung, jedoch werden solche Regeln eher selten über Plakate oder Handouts für die Patienten transparent gemacht. Um die Compliance seitens der Patienten hinsichtlich der Regeln zu erhöhen, erscheint es erstrebenswert, die Regeln möglichst klar zu kommunizieren. Hinsichtlich der grundlegenden Rahmenbedingungen und Regeln gibt es eine gute Übereinstimmung zwischen den Zentren, was dafür spricht, dass sich diese in der Praxis bewährt haben. Hierzu zählt z. B., dass das Essverhalten anderer Patienten nicht kommentiert wird und dass es nicht erlaubt ist, während der Mahlzeit vom Tisch aufzustehen. Diese Regeln stellen in den meisten Zentren eine für alle Patienten verbindliche Vereinbarung dar. Nicht alle Behandler gaben an, das Essverhalten der Patienten systematisch zu dokumentieren. Obgleich dies mit einem möglicherweise erhöhten Arbeitspensum für das Personal einhergeht, erscheint eine detaillierte Dokumentation des Essverhaltens und der aufgenommenen Nahrungsmenge hilfreich und notwendig für ein kontinuierliches Monitoring und ein entsprechendes Feedback für die Patienten. Zudem ist es für die Einzeltherapie bedeutsam, die Beobachtungen der Essbegleitung zu berücksichtigen und in die Behandlung zu integrieren. Die meisten Mitarbeiter gaben an, dass Patienten mit unterschiedlichen Essstörungen zusammen an einem Tisch sitzen. Das bietet zum Einen Vorteile mit Blick auf gegenseitiges Lernen unter den Patienten, fordert andererseits jedoch auch die parallele Anwendung unterschiedlicher Interventionen für unterschiedliche Patienten mit unterschiedlichen Problemen (z. B. Fördern vs. Begrenzen der Nahrungsaufnahme bei Patienten mit Anorexia nervosa vom restriktiven Typus vs. adipösen Patienten). Essbegleitung außerhalb der Klinik (z. B. in Restaurants) kann eine sinnvolle Ergänzung des Behandlungsprogramms darstellen, insbesondere in der Einübung und Erprobung eines gesunden Essverhaltens in wechselnden Kontexten. Jedoch wird diese Art von Essbegleitung nur von wenigen Behandlern angeboten.


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Spezifische Interventionen im Rahmen der Essbegleitung

In der Anwendung spezifischer Interventionen im Rahmen der Essbegleitung zeigten sich in der vorliegenden Untersuchung erhebliche Unterschiede. In der vorliegenden Umfrage gab die Mehrheit der Befragten an, ihre Mahlzeiten zusammen mit den Patienten an einem Tisch einzunehmen. Jedoch gibt es eine Reihe von Interventionen, die nur von manchen Behandlern (oft von einer Minderheit) in deutschen Essstörungszentren angewandt werden. Dabei handelt es sich z. B. um die selektive Anwendung von Ablenkungsstrategien wie (nicht konfrontative) Unterhaltung oder Musik, Empathie und Verständnis, die Vergabe von positivem Feedback, eine Nachbetreuung nach den Mahlzeiten und ein Mahlzeiten-Training für Familienangehörige. Patienten finden Ablenkungsangebote nach den Mahlzeiten in der Regel sehr hilfreich [16] und es gibt erste empirische Belege dafür, dass Familien von jugendlichen Patienten mit Essstörung ein Lehrvideo mit Manual zum gezielten Mahlzeiten-Training sehr gut annehmen [17].

Des Weiteren scheint es ein Ungleichgewicht zwischen der Anwendung von Sanktionen bei Nichterreichen von vereinbarten Therapiezielen im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme und der Anwendung von positiver Verstärkung beim Erreichen solcher Ziele zu geben. Während zwei Drittel der Behandler angeben, Sanktionen einzusetzen, berichtet weniger als ein Drittel, dass sie regelmäßig positive Verstärkung einsetzen. Lerntheoretisch und im Hinblick auf ethische Prinzipien erscheint es sinnvoll, mehr auf positive Verstärkung als auf Sanktionen zu setzen. Fortschritte sollten auch deswegen positiv verstärkt werden, weil dieses Vorgehen das Selbstwert- und Autonomie-Erleben der Patienten fördern kann, was insbesondere in der Behandlung der Anorexia nervosa einen zentralen Stellenwert einnimmt [18] [19].

Darüber hinaus können Nahrungsmittelexposition mit Reaktionsverhinderung, essensbezogene Achtsamkeitsübungen und Entspannungsverfahren eine sinnvolle Ergänzung des Gesamtbehandlungsprogramms darstellen [13] [14] [15]. Um die Patienten auf die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme vorzubereiten, erscheint es auch sinnvoll, systematische Interventionen direkt vor der Essbegleitung einzusetzen. Dies wird bisher jedoch nur von wenigen Behandlern umgesetzt. Ferner weisen Untersuchungen darauf hin, dass Patienten sich wünschen, dass die Behandler ihre Aufmerksamkeit stärker auf das ritualisierte Essverhalten der Patienten richten und dieses aktiv ansprechen.

In letzter Zeit wurden einige innovative Ansätze im Rahmen der Essbegleitung bei Patienten mit Essstörung untersucht, die sich vornehmlich der Anwendung neuer Medien und mobiler Geräte widmeten, durch welche die Durchführung von Essbegleitung und Nahrungsmittelexposition unterstützt werden kann [20] [21] [22]. Bspw. wurden in einer Einzelfallstudie positive Effekte einer virtual reality Exposition (als Alternative zu in-vivo Exposition) auf allgemeine Ängstlichkeit, essensbezogene Ängste, Essstörungssymptome und Körpergewicht berichtet [21]. Dieselbe Arbeitsgruppe fand in einem randomisierten Innersubjekt-Vergleichsdesign mit 18 Patienten mit Anorexia nervosa größere Mengen verzehrter Nahrung während eines Testessens, eine stärkere Reduktion von Ängstlichkeit und negativen Gedanken sowie eine größere Steigerung positiver Stimmung nach der Präsentation eines vodcast (in welchem essensbezogene Ängste und Nahrungsvermeidung thematisiert wurden) als nach Präsentation entspannender Musik [21]. In einer nachfolgenden Studie konnten die Autoren diese Ergebnisse insofern differenzieren, als dass ambulante Patienten stärker von der vodcast Bedingung profitierten, während stationäre Patienten besser von der Präsentation entspannender Musik profitierten [22].


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Die Perspektive der Behandler

Die Mehrheit der befragten Behandler sehen die Essbegleitung als wichtige und hilfreiche Intervention in der Behandlung von Patienten mit Essstörung an. Die Behandler gaben zudem an, dass sie die Intervention als eher wenig belastend empfinden. Nur zwei Drittel der Befragten berichteten, dass sie eine Einführung in die Essbegleitung erhalten haben. Meistens handelte es sich dabei um einfache Instruktionen unter Aufsicht von erfahrenerem Personal. Diese Ergebnisse sprechen für die Entwicklung einheitlicher Empfehlungen und Trainings für Behandler. Damit übereinstimmend sprachen sich einige der Befragten für ein spezifisches Training für Mitarbeiter aus, was mit den Ergebnissen der Studie von Long et al. [2] übereinstimmt.


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Limitationen

Die vorliegende Studie unterliegt mehreren Limitationen. Soziodemografische Daten aufseiten der Behandler (z. B. Geschlecht, Alter, Erfahrung in der Behandlung von Patienten mit Essstörung im Allgemeinen und mit der Durchführung von Essbegleitung im Besonderen) wurden nicht systematisch erfasst und hätten sicherlich ein noch differenzierteres Bild von der aktuellen Praxis der Essbegleitung in deutschen Essstörungszentren ermöglicht. Dem gegenüber stand jedoch das Interesse, den Aufwand für die Befragten möglichst gering zu halten. Des Weiteren muss angemerkt werden, dass die Ergebnisse lediglich für Zentren gelten, an denen erwachsene Patienten behandelt werden und nicht ohne Weiteres auf die Praxis der Essbegleitung bei Kindern und Jugendlichen mit Essstörung übertragen werden können. Schließlich bietet die aktuelle Studie aufgrund ihres Designs ausschließlich deskriptive Daten, die einem Überblick über den Stand der Versorgungspraxis dienen sollen. Kausale Schlussfolgerungen jedweder Art sind somit nicht möglich.

Die Umfrage bietet einen umfassenden und repräsentativen Überblick über die gängige Versorgungspraxis der Essbegleitung an deutschen Essstörungszentren. Die klinische Erfahrung und das praktische Wissen von Behandlern, die regelmäßig Essbegleitung durchführen, liefern nach Meinung der Autoren wichtige Informationen bezüglich verschiedener Aspekte der Durchführung, die sich in der klinischen Praxis bewährt haben. Im Hinblick auf das neue pauschalierende Entgeltsystem für psychiatrische und psychosomatische Leistungen ist zu diskutieren, in welcher Form die personal- und zeitintensive Begleitung von mehreren Mahlzeiten pro Tag in der Kalkulation der Behandlungskosten berücksichtigt werden sollte. Darüber hinaus konnten durch die Umfrage Ideen zur Verbesserung der Intervention gewonnen werden. Im Kontrast zu der zentralen Rolle, welche die Essbegleitung in der stationären und teilstationären Behandlung von Patienten mit Essstörung in Deutschland einnimmt, gibt es einen deutlichen Mangel an Studien, die sich der Effektivität und Machbarkeit verschiedener therapeutischer Techniken der Essbegleitung widmen. Die aktuelle Umfrage stellt eine Ausgangsbasis zur Entwicklung einheitlicher Empfehlungen und wichtige Informationen für die Planung künftiger klinischer Studien dar.

Fazit für die Praxis

Aktuell ergibt sich das Bild, dass es eine relativ große Heterogenität hinsichtlich der konkreten Durchführung der Essbegleitung gibt. Aus Sicht der Behandler wären v. a. folgende Punkte wünschenswert: mehr Zeit für die Essbegleitung, eine größere Anzahl begleiteter Mahlzeiten, eine spezielle Weiterbildung zur Durchführung der Essbegleitung, eine klare Kommunikation von Regeln, mehr Auswahl beim Essen, Anwendung von Achtsamkeits- und Entspannungsübungen, spezifische Vorbereitung der Patienten auf die Mahlzeiten, Implementierung einer standardisierten Feedbackrunde. Wünschenswert wären daher sowohl die Etablierung entsprechender Weiterbildungsmöglichkeiten als auch eine Manualisierung der Intervention.


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Interessenkonflikt:

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

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Korrespondenzadresse

Dr. Timo Brockmeyer
Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik
Universitätsklinikum Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 410
69120 Heidelberg

  • Literatur

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