Aktuelle Dermatologie 2015; 41(01/02): 31-34
DOI: 10.1055/s-0034-1391088
Eine Klinik im Blickpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Hätte ich das mal eher gewusst!“ – Prävention von Berufsdermatosen durch gesundheitspädagogische Schulung und Beratung

„If I had known this before!“ – Prevention of Occupational Skin Diseases by Health Educational Training and Counseling
A. Wilke
1   Fachgebiet Dermatologie, Umweltmedizin, Gesundheitstheorie, Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation (iDerm) an der Universität Osnabrück, Niedersächsisches Institut für Berufsdermatologie (NIB)
,
S. M. John
1   Fachgebiet Dermatologie, Umweltmedizin, Gesundheitstheorie, Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation (iDerm) an der Universität Osnabrück, Niedersächsisches Institut für Berufsdermatologie (NIB)
,
B. Wulfhorst
2   Fakultät Humanwissenschaften/Department Pädagogik, MSH Medical School Hamburg, University of Applied Sciences and Medical University, Hamburg
,
F. Sonsmann
1   Fachgebiet Dermatologie, Umweltmedizin, Gesundheitstheorie, Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation (iDerm) an der Universität Osnabrück, Niedersächsisches Institut für Berufsdermatologie (NIB)
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Korrespondenzadresse

Dr. rer. medic. Annika Wilke
Fachgebiet Dermatologie, Umweltmedizin, Gesundheitstheorie
Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation (iDerm) an der Universität Osnabrück
Niedersächsisches Institut für Berufsdermatologie (NIB)
Sedanstr. 115
49090 Osnabrück

Publication History

Publication Date:
10 February 2015 (online)

 

Zusammenfassung

Berufsbedingte Hauterkrankungen verlaufen häufig chronisch. Patienten können durch das eigene Hautschutzverhalten den Erkrankungsverlauf jedoch maßgeblich positiv beeinflussen. An diesem Punkt setzen gesundheitspädagogische Interventionen an, z. B. in Form von Patientenschulungen und Einzelberatungen. Sie zielen darauf ab, beim Teilnehmer eine ausreichende Wissensbasis sowie die notwendige Motivation zu erzeugen, um am Arbeitsplatz sowie im Privatbereich ein adäquates Hautschutzverhalten umzusetzen.

Gesundheitspädagogische Interventionen sollten evidenzbasiert sein. Zunehmend gelingt es, wissenschaftliche Belege für deren Wirksamkeit auf der Ebene der Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention zu erbringen.


Abstract

Occupational skin diseases often show a chronic course. However, patients can significantly and positively influence the course of the disease by applying an appropriate skin protection behavior. This is addressed by health educational interventions, such as patient education and individual counseling. The aim of these interventions is to improve the individual knowledge and motivation in order to implement an appropriate skin protection behavior both at the work place and at home.

Health educational interventions should be evidence based. Evidence for their effectiveness is compiling on the levels of primary, secondary as well as tertiary prevention.


Einleitung – „Was tun Gesundheitspädagogen?“

Am Institut für interdisziplinäre dermatologische Prävention und Rehabilitation (iDerm) arbeiten insgesamt acht Gesundheitspädagoginnen und -pädagogen an den Standorten Osnabrück und Hamburg. Diesem Tätigkeitsfeld liegt kein „klassisches“ Berufsbild zugrunde, sodass zunächst in kurzer Form das Selbstverständnis des Berufsfeldes „Gesundheitspädagogik“ im iDerm darzustellen ist.

Allgemein kann der Begriff „Gesundheitspädagogik“ als „Dachbegriff“ verstanden werden, der sämtliche Maßnahmen und Konzepte einschließt, die gesundheitsrelevante Verhaltensweisen und Kompetenzen zu beeinflussen und gesundheitsrelevante Inhalte zu vermitteln versuchen. Zentrales Merkmal ist die wissenschaftliche Begründung dieser Maßnahmen, wobei verschiedene wissenschaftliche Bezugsdisziplinen infrage kommen, z. B. Gesundheitspsychologie, Erziehungswissenschaften, (Fach-)Didaktik, Medizin und Public Health [1].

In der berufspraktischen gesundheitspädagogischen Tätigkeit bedarf es somit erziehungswissenschaftlich-didaktischer Kenntnisse, z. B. um eine Zielgruppe und deren Vorwissen und subjektive Krankheitstheorien zu analysieren und um komplexe fachwissenschaftliche Inhalte zu reduzieren und methodisch aufzubereiten, z. B. in Form von Experimenten und Bildern ([Abb. 1 – 3]). Weiterhin wird naturwissenschaftlich-medizinisches Wissen im jeweiligen Spezialgebiet (z. B. Berufsdermatologie) benötigt. Die Kenntnis gesundheitspsychologischer Modelle über die Aufnahme und Beibehaltung gesundheitsbezogener Verhaltensweisen hilft bei der Konzeption und Evaluation von gesundheitspädagogischen Maßnahmen [1].

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Abb. 1 Modell einer Backsteinmauer zur Visualisierung des Backstein-Mörtel-Aufbaus der Hornschichtbarriere.
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Abb. 2 Eine an den Knien abgenutzte Kinderjeans als Bild zur Erklärung der Pathogenese eines kumulativ-subtoxischen Kontaktekzems („Abnutzungsekzem“).
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Abb. 3 Experiment mit Standardschmutz zur Visualisierung der erleichterten Hautreinigung nach der Anwendung einer geeigneten Hautschutzcreme (unten: mit Hautschutzcreme; oben: ohne Hautschutzcreme).

Gesundheitspädagogische Schulung und Beratung in der Berufsdermatologie

(Patienten-)Schulungen sind bei jenen Erkrankungen erfolgversprechend, bei denen das eigene Verhalten den Erkrankungsverlauf beeinflussen kann [2]. Berufsbedingte Hauterkrankungen zählen zu diesen Erkrankungen, da durch ein konsequent und korrekt umgesetztes Hautschutzverhalten der individuellen Arbeitskraft ein signifikanter Beitrag zur Gesunderhaltung der Hautbarrierefunktion am Arbeitsplatz geleistet werden kann [3]. Eine wesentliche Voraussetzung ist, dass diese Arbeitskraft sowohl über das Wissen zum Hautschutz als auch über die notwendige Motivation zur tatsächlichen Umsetzung verfügt. Gesundheitspädagogische Schulungen und Beratungen können auf dieser verhaltenspräventiven Ebene dazu beitragen, beim Schulungsteilnehmer eine Wissensbasis sowie die Motivation zu einer Verhaltensänderung zu schaffen. Das Ziel ist, die Teilnehmer zu befähigen, verantwortungsvoll und bewusst mit der eigenen Hautgesundheit umzugehen.

Zusammenfassend bilden die Durchführung von Schulungen und Beratungen sowie deren wissenschaftsbasierte theoretische Konzeption und Evaluation wesentliche Aufgaben der berufspraktischen Tätigkeit der Gesundheitspädagoginnen und -pädagogen am iDerm.


Subjektive Krankheitstheorien zu berufsbedingten Hauterkrankungen

Die Kenntnis über eine Zielgruppe sowie deren subjektive Krankheitstheorien sind für die gesundheitspädagogische Schulung und Beratung ein wichtiger Ansatzpunkt. In der Literatur finden sich verschiedene Beispiele für subjektive, teils irrige Krankheitstheorien im spezifischen Kontext der Berufsdermatosen:

  • Schwanitz et al. [4] fanden eine Zustimmung von 46,7 % (n = 70) bei hauterkrankten Friseurinnen und Friseuren zu der Aussage, dass leicht gerötete oder trockene Hände „normal“ im Friseurberuf seien.

  • Bathe et al. [5] führten Interviews mit 50 berufsdermatologischen, stationären Patienten. Die persönliche Verantwortung für den eigenen Hautzustand, z. B. durch Hautschutz und Hautpflege, wurde häufig verkannt, ebenso wie die trockene Haut als frühes Warnsignal einer gestörten Hautbarriere. Ferner resultierten schlechte Erfahrungen mit Hautschutzmaßnahmen häufig nachfolgend in einer generellen Ablehnung derselben aufgrund vermeintlich fehlender Wirksamkeit.

  • Katta [6] weist auf diverse Missverständnisse und Fehlschlüsse von Patienten aber auch Ärzten im Zusammenhang mit der allergischen Kontaktdermatitis hin. Diese würden beispielsweise bei der Auslobung von Produkten bzw. deren Inhaltsstoffen als „natürlich“, „beruhigend“, „hypoallergen“, „mild“ oder „für Babys geeignet“ existieren. Auch die falsche Vorstellung, das Tragen von Handschuhen schütze unweigerlich immer vor Allergenen, wird am Beispiel von Knochenzement sowie der ausgesprochen kurzen Durchbruchszeit (Permeation) von darin enthaltenen Acrylatmonomeren durch gängige Einmalhandschuhmaterialien widerlegt.

Subjektive Krankheitstheorien können im Rahmen von gesundheitspädagogischen Schulungen explizit aufgegriffen, thematisiert und diesen – sofern es sich um Fehleinschätzungen handelt – entgegengewirkt werden.


Gesundheitspädagogik in der Primärprävention

Praktische Anwendungsfelder gesundheitspädagogischer Interventionen finden sich auf der Ebene der Primärprävention mit Fokus auf hautgesunde Teilnehmer sowie auf der Ebene von Sekundär- und Tertiärprävention bei Schulungsteilnehmern mit bereits diagnostizierter Berufsdermatose.

Primärprävention von Berufsdermatosen ist gemäß § 3 des Arbeitsschutzgesetzes zunächst eine Aufgabe des Arbeitgebers [7]. Gleichwohl können gesundheitspädagogische Schulungen, idealerweise bereits in der Ausbildungsphase bzw. während des Erlernens einer hautbelastenden beruflichen Tätigkeit, dazu beitragen, dass adäquater Hautschutz von Beginn an ein selbstverständlicher Teil der Berufsausübung wird.

Es existieren bereits verschiedene Ansätze für primärpräventive gesundheitspädagogische Interventionen. In pflegerischen sowie in metallverarbeitenden Ausbildungsberufen wurde eine gesundheitspädagogische Hautschutzschulung in verschiedenen Klassen des 1. Ausbildungsjahres durchgeführt und mit Kontrollklassen verglichen. Es konnten nach einem Jahr Hinweise für positive Effekte bezüglich des Wissens- und Hautzustandes ermittelt werden [8]. Auch im Friseurhandwerk wurden bereits primärpräventive gesundheitspädagogische Schulungen durchgeführt [9]. Ein aktuelles Forschungsprojekt „Occuderm“, das zusammen mit der Universitätsmedizin Göttingen am iDerm durchgeführt wird, untersucht die Wirksamkeit entsprechender Maßnahmen systematisch und über einen vollen Ausbildungszyklus in metallverarbeitenden Ausbildungsberufen.

Neben persönlichen Schulungen wurde im Rahmen des EU-geförderten Projektes „SafeHair 2.0“ eine modulare Online-Toolbox (abrufbar unter: www.safehair.eu) für das Friseurhandwerk mit den Zielgruppen der Auszubildenden, Angestellten, Arbeitgeber und Lehrer entwickelt. Erste Evaluationsergebnisse weisen auf positive Effekte bei systematischem Einsatz im Unterricht an Berufsschulen hin [3] [10].


Gesundheitspädagogik in der Sekundär- und Tertiärprävention

Seit den 90er-Jahren haben sich speziell für die berufsbedingten Hauterkrankungen Schulungsangebote entwickelt, die mittlerweile als „fachtheoretische und fachpraktische Schulungen zur Auswahl und Anwendung adäquaten Hautschutzes“ Eingang in die AWMF-Leitlinie „Management von Handekzemen“ gefunden haben [11]. Gesundheitspädagogische Hautschutzschulungen können als ambulante Maßnahmen (individuelle Beratungen/Zeitnahe Individualprävention/ZIP, Hautschutzseminare in Gruppen/Sekundäre Individualprävention/SIP) durchgeführt werden und einen Teil eines modifizierten stationären Heilverfahrens nach dem „Osnabrücker Modell“ bilden [3] [12] [13] [14].

Es wurden bereits zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, die – teils in kontrollierten Studiendesigns – die Wirksamkeit entsprechender ambulanter, aber auch stationärer Angebote einschließlich gesundheitspädagogischer Patientenschulungen evaluiert haben [2] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] [20]. Dabei wurden nicht nur Effekte auf kurzfristig veränderbare Parameter, z. B. den krankheitsspezifischen Wissensstand [2] [15] [18] ermittelt, sondern auch auf erst im Zeitverlauf abbildbare Erfolgskriterien, z. B. Veränderungen des Hautzustandes, der Lebensqualität und des Berufsverbleibes [3] [12] [13] [14] [16] [17] [18] [19] [20]. Es zeigt sich ferner unter den Schulungsteilnehmern eine ausgesprochen hohe Zufriedenheit mit den Maßnahmen, die sich für ambulante Hautschutzseminare des iDerm u. a. in einer weit über 90 %igen Weiterempfehlungsrate für andere Patienten mit berufsbedingten Hauterkrankungen ausdrückt [14].


Zusammenfassung und Ausblick

„Hätte ich das mal eher gewusst!“ ist eine Reaktion, die sich regelmäßig bei Patienten mit berufsbedingten Hauterkrankungen nach der Teilnahme an einer gesundheitspädagogischen Schulung beobachten lässt. Gesundheitspädagogische Schulungen und Beratungen sind nachweislich wirksam und können durch eine mehrstündige und individuelle Gestaltung das Krankheitsverständnis und die Krankheitsbewältigung von Patienten nachhaltig und positiv verändern. Nur wenn Patienten die eigene Beeinflussbarkeit von und Verantwortung für die eigene Hautgesundheit erkennen, werden sie in die Lage versetzt, sich eigenverantwortlich und gesundheitsfördernd zu verhalten. Besondere Bedeutung muss der Primärprävention zukommen, um das „Hätte ich das mal eher gewusst!“ im Laufe des Arbeitslebens erst gar nicht notwendig werden zu lassen.



Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. rer. medic. Annika Wilke
Fachgebiet Dermatologie, Umweltmedizin, Gesundheitstheorie
Institut für interdisziplinäre Dermatologische Prävention und Rehabilitation (iDerm) an der Universität Osnabrück
Niedersächsisches Institut für Berufsdermatologie (NIB)
Sedanstr. 115
49090 Osnabrück


Zoom
Abb. 1 Modell einer Backsteinmauer zur Visualisierung des Backstein-Mörtel-Aufbaus der Hornschichtbarriere.
Zoom
Abb. 2 Eine an den Knien abgenutzte Kinderjeans als Bild zur Erklärung der Pathogenese eines kumulativ-subtoxischen Kontaktekzems („Abnutzungsekzem“).
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Abb. 3 Experiment mit Standardschmutz zur Visualisierung der erleichterten Hautreinigung nach der Anwendung einer geeigneten Hautschutzcreme (unten: mit Hautschutzcreme; oben: ohne Hautschutzcreme).