Einleitung
Als Komplikation einer provozierten (z. B. nach orthopädischer Operation) oder unprovozierten
(ohne erkennbaren Auslöser) tiefen Venenthrombose droht der Tod durch eine Lungenembolie.
Eine Lungenembolie kann einerseits während der Behandlung kritisch kranker Patienten
auf der Intensivstation entstehen, andererseits werden akut an einer Lungenembolie
erkrankte Patienten häufig primär auf einer Intensivstation behandelt. Daher muss
jeder auf einer Intensivstation tätige Arzt mit Pathogenese, Diagnostik und Therapie
der Lungenembolie vertraut sein. Im Sommer 2014 hat die European Society of Cardiology
(ESC) eine exzellent ausgearbeitete und im Klinikalltag sehr hilfreiche Leitlinie
herausgegeben, deren wichtigste Punkte und insbesondere für die Akuttherapie relevante
Empfehlungen im Folgenden zusammengefasst werden (Infobox 1) [1].
Leitlinienempfehlungen
Die Empfehlungsklassen der Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) und der Deutschen Gesellschaft
für Kardiologie (DGK) entsprechen folgender Nomenklatur:
-
I „soll“ (klare Indikation)
-
IIa „sollte“ (die Evidenz/Expertenmeinung spricht trotz widersprüchlicher Daten für
die Maßnahme)
-
IIb „kann“ (Nutzen/Effektivität der Maßnahme ist weniger gut belegt)
-
III „sollte nicht“ (es wird empfohlen, die Maßnahme zu unterlassen)
Die Evidenzgrade beruhen auf folgenden Grundlagen:
-
A mehrere randomisierte Studien
-
B eine randomisierte oder mehrere große, nicht randomisierte Studien
-
C Konsensusmeinungen von Experten und/oder kleinen Studien, retrospektiven Erhebungen
oder Registern
Nomenklatur. Die semantische Diskussion, ob eine Lungenembolie korrekterweise als „Lungenarterienembolie“
zu bezeichnen wäre, ist eher akademischer Natur und im angelsächsischen Raum weitgehend
irrelevant. Der Begriff „Lungenembolie“ ist sowohl international klinisch gebräuchlich
als auch korrekt, denn eine Abgrenzung zu einer „Lungenvenenembolie“ – die es nicht
gibt – oder einer „Bronchialarterienembolie“ in den Vasa privata – die spontan nicht
klinisch relevant auftritt, sondern lediglich iatrogen bei Lungenblutung als Bronchialarterienembolisation
zur Blutstillung angewendet wird – ist nicht nötig. Eine Lungenembolie betrifft immer
die Pulmonalarterien und führt dort zur Verlegung der Strombahn.
Ätiologie. Bei mehr als 20 % der Patienten mit Lungenembolie war die tiefe Venenthrombose klinisch
stumm geblieben oder lässt sich keine Emboliequelle mehr nachweisen, weil ein kompletter
Venenthrombus embolisierte. In seltenen Fällen embolisiert ein rechtskardialer Thrombus,
z. B. bei Vorhofflimmern oder bei rechtskardialen Klappenauflagerungen, der dann aber
in der Regel zu kleinen, teils asymptomatischen Lungenembolien führt.
Symptomatik. Für den Patienten kann eine Lungenembolie klinisch stumm verlaufen und erst als Zufallsbefund
entdeckt werden (z. B. bei einer Verlaufs-CT-Untersuchung bei Tumorpatienten). Das
Spektrum der klinischen Erstmanifestationen erstreckt sich über akut bis schleichend
einsetzende thorakale Schmerzen, Husten, Stress und Dyspnoe bis hin zum Schock und
Herzstillstand.
Therapie. Der wichtigste Baustein der Therapie einer tiefen Venenthrombose ist die plasmatische
Antikoagulation in therapeutisch wirksamer Dosierung, um ein fortschreitendes Thrombuswachstum
und die Embolisierung zu verhindern.
Hämodynamisch instabile Patienten mit Lungenembolie im Schock weisen mit über 15 % eine enorm hohe 30-Tage-Mortalität
auf und bedürfen einer umgehenden Wiedereröffnung der verlegten Lungenstrombahn –
in der Regel primär mit einer systemischen Thrombolyse [1]. Besonders schwierig fällt aber oft die Entscheidung, ob bei hämodynamisch stabilen Patienten mit einer Lungenembolie mit mittlerem Risiko die Lungenstrombahn rekanalisiert
werden sollte, wenn Zeichen einer akuten Rechtsherzbelastung vorliegen – wie beim
in Abb. [1] vorgestellten Patienten. Auch für diese Fälle geben die neuen Leitlinien hilfreiche,
evidenzbasierte Entscheidungshilfen.
Abb. 1 56-jähriger Patient mit 1 Stunde zuvor aufgetretener Lungenembolie. Beginnende, akute
Rechtsherzbelastung im CT und auch laborchemisch fassbar (Troponin T und proBNP leicht
erhöht, CK und Myoglobin normwertig). Mehrere Segment-Pulmonalarterien beidseits sind
durch einen elongierten Embolus verlegt (gelbe Pfeile), der auf der Pulmonalisbifurkation
reitet. Der Durchmesser des rechten Ventrikels übersteigt diskret denjenigen des linken
Ventrikels (rote Doppelpfeile). Echokardiografisch liegt noch kein D-Sign vor (Abflachung
des Ventrikelseptums – nicht dargestellt). Die Tabelle zeigt die laborchemischen Parameter
bei Aufnahme (rechts) und 4 Stunden später (links, rot – außerhalb des Referenzbereichs,
ok – validiert).
Risikofaktoren
Nach wie vor ist die von Rudolf Virchow 1856 postulierte Virchow-Trias die Grundlage
für das Verständnis der Pathogenese venöser thromboembolischer Ereignisse. Virchow
führte aus, dass eine erhöhte Gerinnbarkeit des Bluts (Hyperkoagulabilität), ein verlangsamter
Blutfluss (Stase) und eine Schädigung der Gefäßwand Ursachen für das Entstehen von
Thrombosen sind. Die Faktoren, die zu den genannten Veränderungen führen, sind mannigfaltig
und viele dieser Faktoren sind bei Intensivpatienten vorhanden. Da eine Lungenembolie
in bis zu 90 % der Fälle ihren Ursprung in einer tiefen Beinvenenthrombose hat, geht
man von gleichartigen Risikofaktoren für eine Lungenembolie wie für eine tiefe Beinvenenthrombose
aus. Im Folgenden wird daher nicht zwischen Risikofaktoren für eine Lungenembolie
oder eine tiefe Beinvenenthrombose unterschieden, sondern es werden einheitlich Risikofaktoren
für thromboembolische Ereignisse genannt.
Bei den Risikofaktoren unterscheidet man angeborene (hereditäre Thrombophilie) von erworbenen Risikofaktoren, die erst im Laufe des Lebens erworben werden. Diese können zeitlich
begrenzt oder permanent vorhanden sein. In den meisten Fällen müssen allerdings mehrere
Faktoren zusammenkommen, damit ein thromboembolisches Ereignis auftritt. Die venöse
Thromboembolie ist somit ein typisches Beispiel für eine multifaktorielle Erkrankung.
Angeborene Risikofaktoren. Die hereditäre Thrombophilie ist definiert als genetisch determinierte Neigung zu
Thromboembolien. Zu den angeborenen Risikofaktoren zählen die in Tab. [1] aufgeführten Veränderungen, welche mit einem unterschiedlich hohen Risiko für thromboembolische
Ereignisse einhergehen und in unterschiedlicher Prävalenz in der Bevölkerung auftreten,
wobei die Angaben in der Literatur teils erheblich variieren.
Tabelle 1
Hereditäre Thrombophilien. VTE: venöse Thromboembolie.
|
Gerinnungsstörung
|
Prävalenz
|
Relatives Risiko
|
Anteil bei Patienten mit VTE
|
|
Faktor-V-Leiden-Mutation (heterozygot)
|
3 – 7 %
|
5 – 8 %
|
20 – 40 %
|
|
Faktor-V-Leiden-Mutation (homozygot)
|
0,02 %
|
40 – 50 %
|
3 %
|
|
Faktor-II-Mutation (heterozygot)
|
1 – 3 %
|
3 %
|
7 – 16 %
|
|
Faktor-V-Leiden- u. Faktor-II-Mutation (heterozygot)
|
< 0,05 %
|
20 %
|
2,3 %
|
|
Protein-S-Mangel (heterozygot)
|
0,7 – 2,3 %
|
5 – 11 %
|
2 – 4 %
|
|
Protein-C-Mangel (heterozygot)
|
0,2 – 0,5 %
|
7 – 10 %
|
4 – 5 %
|
|
Antithrombin-Mangel (heterozygot)
|
0,1 – 0,3 %
|
4 – 50 %
|
1,5 – 3 %
|
Von der häufigsten hereditären Thrombophilie – der heterozygoten Faktor-V-Leiden-Mutation
– sind etwa 5 % der Bevölkerung betroffen. Das relative Risiko dieser Personen für
eine venöse Thromboembolie liegt ebenfalls bei etwa 5 %.
Die häufigsten beiden Veränderungen, die bei Patienten mit venöser Thromboembolie
nachweisbar sind, sind die APC-Resistenz, deren häufigste Ursache die Faktor-V-Leiden-Mutation
ist, und die Prothrombin-Mutation (Faktor-II-Mutation). Beide Veränderungen sind bei
50 – 60 % der Patienten mit thromboembolischen Ereignissen nachzuweisen. Unter bestimmten
Bedingungen kann eine APC-Resistenz auch erworben sein (z. B. in der Schwangerschaft
oder unter Einnahme von Ovulationshemmern), wobei die klinische Bedeutung dieser Veränderung
nicht klar ist.
Seltenere angeborene Veränderungen sind der Mangel an Protein S, Protein C oder Antithrombin
sowie die sehr seltenen Fälle eine Dysfibrinogenämie. Der hereditäre Antithrombinmangel
weist dabei das höchste Risiko für eine venöse Thromboembolie auf, während die Faktor-II-
und -V-Mutationen mit einem geringeren Risiko für Thromboembolien einhergehen, ähnlich
dem Risiko für Thromboembolien während einer Schwangerschaft.
Zusätzlich zu den genannten Ursachen hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass
ein permanent erhöhter Faktor VIII mit einem ca. 5-fach erhöhten Thromboserisiko assoziiert
ist, wobei transitorische Erhöhungen (z. B. im Rahmen einer Akut-Phase-Reaktion) ausgeschlossen
werden müssen. Insbesondere das Rezidivrisiko für eine venöse Thromboembolie scheint
bei Patienten mit einem persistierend erhöhtem Faktor VIII deutlich erhöht zu sein
[2].
Auf mögliche weitere hereditäre Ursachen, die mit einem erhöhten Risiko für thromboembolische
Ereignisse in Verbindung gebracht werden, wird aufgrund der Seltenheit der Veränderungen
und des fraglichen Zusammenhangs nicht näher eingegangen.
Ein Screening auf eine hereditäre Thrombophilie ist bei einem thromboembolischen Ereignis
bei Patienten auf der Intensivstation nicht sinnvoll, da im Rahmen des akuten Ereignisses
verschiedene Marker verändert sein können und somit nicht verwertbar sind (z. B. Protein
S, Protein C, Antithrombin) und andererseits der Nachweis einer Thrombophilie keine
therapeutischen Konsequenzen zur Folge hat.
Erworbene Risikofaktoren. Erworbene Risikofaktoren oder prädisponierende Faktoren für Thromboembolien sind
mannigfaltig, wobei den bedeutendsten Risikofaktor das höhere Lebensalter darstellt.
Durch ein höheres Lebensalter wird das allgemeine Thromboserisiko, das durch hereditäre
oder erworbene Risikofaktoren bereits vorhanden ist, durch Interaktion der verschiedenen
Risikofaktoren im Sinne der Multikausalität erhöht. Eine Übersicht über weitere erworbene
Risikofaktoren gibt Infobox 2 ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Erworbene Risikofaktoren für Thromboembolien
-
Alter
-
frühere thromboembolische Ereignisse
-
Immobilisierung, Bettlägrigkeit, Lähmung
-
Trauma
-
Operation
-
Malignom
-
hämatologische Erkrankungen
-
Schwangerschaft und Wochenbett
-
zentralvenöser Katheter
-
internistische Erkrankungen
-
akuter Herzinfarkt
-
Herzinsuffizienz
-
respiratorische Insuffizienz
-
Infektionen
-
chronische entzündliche Darmerkrankungen
-
nephrotisches Syndrom
-
chronische Lebererkrankungen
-
Morbus Behçet
-
Medikamente
-
orale östrogenhaltige Kontrazeptiva
-
Hormonersatztherapie
-
Tamoxifen
-
Thalidomid, Lenalidomid
-
Glukokortikoide
-
Bevacizumab
-
intravenöser Drogenabusus
-
Heparin (heparininduzierte Thrombozytopenie)
-
Chemotherapie
-
Antiphospholipid-Syndrom (APS)
-
anatomische Anomalien
-
Übergewicht
In 2 unabhängigen Studien war bei Intensivpatienten das Risiko für eine Lungenembolie
durch folgende Faktoren erhöht [3]
[4]:
-
schwere exazerbierte COPD
-
akute internistische Erkrankung
-
meningeale Blutung
-
Fraktur der Wirbelsäule
-
schwere Hypoxämie
-
Fehlen einer medikamentösen Thromboseprophylaxe
Ein Screening auf eine hereditäre Thrombophilie ist bei einem thromboembolischen Ereignis
bei Intensivpatienten nicht sinnvoll. Eine Vielzahl der typischen Charakteristika von Intensivpatienten erhöht
ihr Risiko für eine venöse Thromboembolie.
Heparininduzierte Thrombozytopenie
Heparininduzierte Thrombozytopenie
Während das Screening auf eine hereditäre Thrombophilie beim Akutereignis nicht sinnvoll
ist, muss man beim Verdacht auf eine heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) eine
rasche Abklärung veranlassen, da die sofortige Beendigung der Heparingabe und der
Umstieg auf ein alternatives Antikoagulans lebensrettend für den Patienten sein kann.
Auch wenn die Inzidenz der HIT mit 0,3 – 0,5 % bei Intensivpatienten niedrig ist,
kann das Übersehen einer HIT fatale Folgen haben [5]. In der Literatur wird eine Amputationsrate von bis zu 6 %, eine Mortalität von
bis zu 7 % und eine Lungenembolie in bis zu 25 % der Fälle einer HIT berichtet.
Symptomatik. Der Verdacht auf eine HIT ergibt sich u. a. bei folgenden klinischen Auffälligkeiten:
-
Thrombozytopenie oder Thrombozytenabfall um 50 % vom Ausgangswert ab dem vierten Tag
nach Beginn der Heparintherapie (cave: auch bei Reexposition innerhalb von 30 Tagen
durch noch vorhandene Antikörper auch innerhalb von 24 Stunden möglich)
-
Progression eines thromboembolischen Ereignisses trotz Heparingabe
-
arterielle Gefäßverschlüsse
-
Hautveränderungen an Einstichstellen der Heparininjektionen (z. B. Hautnekrosen, Quaddeln).
Diagnostik. Da eine Thrombozytopenie gerade bei Intensivpatienten nicht selten ist, sollte man
die klinische Wahrscheinlichkeit mit verschiedenen Score-Systemen ermitteln (z. B.
4T-Score, HEP-Score) sowie die Diagnose rasch bestätigen oder ausschließen (Antigen-Test
und ggf. Bestätigung durch einen funktionellen Test). Erwähnt werden muss allerdings,
dass z. B. bei bis zu 50 % der kardiochirurgischen Patienten HIT-Antikörper nachgewiesen
werden, aber nur 1 – 2 % dieser Patienten thrombotische Gefäßverschlüsse entwickeln
[6].
Primärprophylaxe
Aufgrund des hohen Risikos für thromboembolische Ereignisse bei Intensivpatienten
mit einer nicht unerheblichen Letalität bei einer Lungenembolie ist eine entsprechende
Thromboseprophylaxe von enormer Bedeutung. Wann immer möglich sollte man unter Abwägung
des Nutzens und des Risikos (Prophylaxe vs. Blutungsrisiko) eine medikamentöse Thromboseprophylaxe
durchführen. Aufgrund der Besonderheiten bei Intensivpatienten erhalten diese häufig
weiterhin unfraktioniertes Heparin als kontinuierliche intravenöse Gabe. Gründe hierfür
sind:
-
kurze Halbwertszeit bei i. v. Gabe, sodass Interventionen nach Unterbrechung der i. v.
Gabe rasch durchgeführt werden können
-
einfachere Antagonisierung bei Blutungen
-
nicht so ausgeprägte Akkumulation bei Niereninsuffizienz
Grundsätzlich kann man aber auch bei Intensivpatienten niedermolekulare Heparine und
Fondaparinux einsetzen, wobei bei Niereninsuffizienz eine entsprechende Dosisanpassung
erforderlich ist. Bei Patienten mit einem hohem Blutungsrisiko oder schwerer Thrombozytopenie
(< 20 000 /μl) sind physikalische Maßnahmen als Alternative zur medikamentösen Antikoagulation
zu erwägen, auch wenn ihr Nutzen zum Teil kritisch diskutiert wird.
Risikobeurteilung
Unabhängig von Größe und Lokalisation des Embolus in der Bildgebung (meist CT) muss
man sofort eine Einschätzung des frühen Mortalitätsrisikos vornehmen, denn hiervon
hängt das weitere Vorgehen ab [1]. Mit sehr einfachen und schnell verfügbaren Mitteln kann der behandelnde Arzt innerhalb
weniger Minuten einschätzen, ob eine Hoch-, Intermediär- oder Niedrigrisiko-Lungenembolie
vorliegt (Tab. [2]):
-
Bei Hochrisiko-Lungenembolie dominiert klinisch die hämodynamische Instabilität. Wenn
die Lungenstrombahn nicht umgehend rekanalisiert wird, liegt die 30-Tage-Letalität
bei über 15 % (in einigen Studien sogar bis zu 65 %).
-
Bei Intermediärrisiko-Lungenembolie liegt die frühe Sterblichkeit zwischen 3 und 15 %.
Die aktuellen Leitlinien können erstmals – gestützt auf aktuelle Studien – Intermediärrisiko-Patienten
definieren, die von einer Rekanalisierung profitieren (bei akuter Rechtsherzbelastung,
myokardialer Ischämie und niedrigem Blutungsrisiko; s. u.).
-
Niedrigrisiko-Patienten sollten nicht rekanalisiert werden und können in vielen Fällen
früh ambulant behandelt werden.
Tabelle 2
Risikobeurteilung und risikoadaptierte Therapie der Lungenembolie.
|
30-Tage-Mortalitätsrisiko
|
Risikomarker
|
Therapie
|
|
Schock
|
akute Rechtsherzbelastung
|
myokardiale Nekrose (Troponin)
|
|
hoch (> 15 %)
|
+
|
+
|
irrelevant
|
|
|
intermediär (3 – 15 %)
|
–
|
+
|
+
|
|
|
–
|
+
|
–
|
-
NMH/Fondaparinux + VKA
-
DOAK
|
|
–
|
–
|
+
|
|
niedrig (< 1 %)
|
–
|
–
|
–
|
-
NMH/Fondaparinux + VKA
-
DOAK
|
DOAK: direkte orale Antikoagulanzien; NMH: niedermolekulares Heparin; UFH: unfraktioniertes
Heparin; VKA: Vitamin-K-Antagonisten
Pulmonary Embolism Severity Index. Eine feinere Risikobeurteilung erlaubt der Pulmonary Embolism Severity Index (PESI),
der anhand 11 klinischer Charakteristika 5 Risikoklassen unterscheidet [1]
[7]. Zu den Charakteristika zählen u. a. Alter, Herz- und Atemfrequenz, malignes oder
kardiopulmonales Grundleiden, Vigilanz- oder Oxygenierungsstörung. Für die beiden
niedrigsten PESI-Klassen (Frühletalität 0 – 1,6 % und 1,7 – 3,5 %) erlauben die Leitlinien
eine ambulante Behandlung mit einer Klasse-IIaB-Empfehlung.
Diagnostik
Symptomatik und Labor. Typische Symptome sind Dyspnoe, thorakale Schmerzen, Husten, Fieber, Hämoptysen,
Synkope und Symptome einer tiefen Venenthrombose. Die klinische Vortestwahrscheinlichkeit
für eine venöse Thromboembolie kann mit dem Wells- oder dem Genfer Score ermittelt
werden. Laborchemisch kann die Bestimmung der D-Dimere sehr hilfreich sein, weil mit
einem assayabhängigen, negativ prädiktiven Wert von über 95 % eine venöse Thromboembolie
recht sicher ausgeschlossen werden kann (3-Monats-Risiko für eine venöse Thromboembolie
zwischen 0 und 0,4 %).
Bei hoher Vortestwahrscheinlichkeit und typischen Symptomen sollte man eine weiterführende
Diagnostik durchführen, weil auch negative D-Dimere keine absolute Sicherheit bieten
können.
Als Marker der myokardialen Schädigung bei akuter Rechtsherzbelastung dienen im Wesentlichen
Troponine und BNP oder NT-proBNP. Der frühe Marker „heart-type fatty acid-binding
protein“ (H-FABP) hat wie das NT-proBNP einen hohen negativ prädiktiven Wert von 99 %
für die 30-Tage-Mortalität.
CT-Angiografie. Goldstandard für die Darstellung einer Lungenembolie ist die Multidetektor-CT-Angiografie
mit Kontrastmittel.
Ventilations-Perfusions-Szintigrafie. Die Stärken der alternativ anwendbaren Ventilations-Perfusions-Szintigrafie sind
die geringere Strahlenbelastung (ca. 1,1 mSv vs. 2 – 6 mSv bei der CT), die hohe Sensitivität
(ein normales Szintigramm schließt eine Lungenembolie mit hinreichender Sicherheit
aus) und die fast fehlende Nephrotoxizität und Allergenität.
Pulmonalisangiografie. Die invasive Pulmonalisangiografie bleibt wegen des hohen Komplikationsrisikos Notfällen
vorbehalten – wenn etwa im Herzkatheterlabor reanimiert wird (IIbC-Empfehlung). Immerhin
kann man damit innerhalb von Minuten transarteriell eine KHK und Aortendissektion
sowie transvenös eine Lungenembolie als Ursache eines Herzstillstands ausschließen
bzw. diagnostizieren.
MRT. Die Magnetresonanztomografie hat in der Lungenemboliediagnostik noch nicht Einzug
in die klinische Anwendung gefunden.
Echokardiografie. Bei allen Patienten mit vermuteter oder nachgewiesener Lungenembolie und hohem oder
intermediärem Risiko sollte man unbedingt eine Echokardiografie durchführen. Mit ihr
kann man eine rechtsventrikuläre Dysfunktion als Zeichen einer akuten Rechtsherzbelastung
nachweisen (u. a. Septumabflachung als D-Sign, rechtsventrikuläre Erweiterung). Nicht
zweifelsfrei ausschließen lassen sich akute Anteile bei chronischer Rechtsherzbelastung
mit einer globalen Reduktion der systolischen rechtsventrikulären Pumpfunktion (bei
akuter Rechtsherzbelastung zumindest noch erhaltene apikale Kontraktilität) und ggf.
einer Abnahme der rechtsventrikulären Wanddurchmesser. Der direkte Nachweis von echogenen,
teilmobilen Strukturen im rechten Herzen oder den Pulmonalarterien erleichtert die
Diagnose (auch mit transösophagealer Echokardiografie möglich).
Venöse Kompressionssonografie. Die venöse Kompressionssonografie kann eine tiefe Venenthrombose als Ursprung der
Lungenembolie sicher diagnostizieren.
Therapie
Patienten mit Lungenembolie, die auf einer Intensivstation behandelt werden, haben
meist ein hohes oder intermediäres frühes Todesrisiko aufgrund der Lungenembolie (Tab. [2]). Ist bei hämodynamischer Instabilität eine CT nicht unmittelbar möglich, kann auch
der echokardiografische Nachweis einer akuten Rechtsherzbelastung eine Thrombolyse
rechtfertigen. Andererseits erlaubt das Fehlen dieser echokardiografischen Zeichen
den Ausschluss einer Lungenembolie als Schockursache. Sind bei Instabilität weder
Echokardiografie noch CT verfügbar oder bei präklinischer Reanimation nicht möglich,
kann auch die Verdachtsdiagnose „Lungenembolie“ eine Thrombolyse rechtfertigen.
Hochrisikopatienten
Volumengabe. Zur hämodynamischen Stabilisierung ist eine milde Volumengabe (500 ml Kristalloidlösung)
möglich.
Eine massive Volumentherapie kann die rechtsventrikuläre Funktion durch Overstretching
weiter verschlechtern.
Katecholamine. Katecholamine der Wahl im refraktären Schock sind Adrenalin und Noradrenalin. Bei
reduziertem Herzindex kann man unter Beachtung der vasodilatierenden Wirkung bei einigen
Patienten Dobutamin geben. Pathophysiologisch sinnvoll erscheint auch Levosimendan,
für das es bei Lungenembolie jedoch bislang nur eine unzureichende Evidenz gibt (nur
Fallserien) [1]. Primär sollte man das hypoxische respiratorische Versagen mit einer Sauerstoffinsufflation
behandeln. Ein persistierendes Foramen ovale oder ein atrialer Septumdefekt können
bei Rechts-links-Shunt die Oxygenierungsstörung verschlechtern. Ist eine nicht invasive
oder invasive Beatmung erforderlich, muss man darauf achten, den positiven endexspiratorischen
(PEEP) und endinspiratorischen Druck möglichst gering zu halten, um das Preload möglichst
wenig zu reduzieren. Eine extrakorporale Herz- oder Lungenunterstützung mit ECMO oder
ECLS kann in refraktären Fällen lebensrettend sein.
Unfraktioniertes Heparin. Alle Hochrisikopatienten sollte man mit unfraktioniertem Heparin in therapeutischer
Dosierung (Ziel: 1,5- bis 2,5-fache aPTT-Verlängerung) antikoagulieren (Klasse-IC-Empfehlung).
Thrombolyse/Embolektomie. Daneben ist unverzüglich eine systemische Thrombolyse (IB-Empfehlung) oder – wenn
die Lyse absolut kontraindiziert oder frustran verlaufen ist – eine chirurgische Embolektomie
erforderlich (IC-Empfehlung). Nur wenn auch die chirurgische Embolektomie nicht möglich
ist, sollte man kathetergestützte Verfahren einsetzen (IIaC-Empfehlung).
In über 90 % der Fälle führt eine systemische Thrombolyse zur raschen hämodynamischen
Stabilisierung. Wird die Initialphase überlebt, bildet sich die akute Rechtsherzbelastung
sowohl unter unfraktioniertem Heparin als auch nach zusätzlicher Lyse meist innerhalb
von 7 Tagen zurück.
In Deutschland setzt man zur Lyse meist Alteplase ein (rt-PA, Actilyse): Zunächst
wird ein Bolus von 10 mg injiziert, gefolgt von einer Perfusorinfusion von 90 mg über
2 Stunden (Tab. [3]). Eine Halbierung der Alteplasedosis auf 50 mg war in 2 kleineren Studien ähnlich
effektiv, aber sicherer als die Standarddosierung von 100 mg [1]. Bislang geben die Leitlinien jedoch keine Präferenz für das eine oder andere Regime.
Die Niedrigdosis-Alteplasegabe erfolgt akzeleriert über 15 min (0,6 mg/kgKG, Maximaldosis
50 mg). Insbesondere für blutungsgefährdete Patienten erscheint dieses Regime praktikabel.
Tabelle 3
Systemische (intravenöse) Thrombolyse.
|
Substanz
|
Applikationsregime
|
|
Streptokinase (unfraktioniertes Heparin wird während der Applikation pausiert)
|
|
|
|
|
Urokinase (unfraktioniertes Heparin wird während der Applikation pausiert)
|
|
|
|
|
Alteplase
|
|
|
|
Tenecteplase (TNK-tPA, 30 – 50 mg Bolus über 5 – 10 s gewichtsadaptiert) ist wie auch
Reteplase und Desmetoplase zur Therapie der Lungenembolie in Deutschland bislang nicht
zugelassen.
Infobox 3 listet absolute und relative Kontraindikationen für eine systemische Lyse auf. Wird
eine Thrombolyse jedoch als ultima ratio bei erfolgloser Reanimation bei vermuteter
Lungenembolie durchgeführt oder lässt sich keine hämodynamische Stabilisierung bis
zur Durchführung einer chirurgischen oder interventionellen Embolektomie erreichen
(bzw. ist eine ECLS nicht verfügbar), gelten auch absolute Kontraindikationen nur
noch als relativ.
Kontraindikationen für eine systemische Thrombolyse
absolute Kontraindikationen:
-
Hirnblutung
-
ischämischer Insult vor weniger als 6 Monaten
-
ZNS-Malignom
-
schweres Trauma, Operation oder Schädel-Hirn-Trauma vor weniger als 3 Wochen
-
gastrointestinale Blutung vor weniger als 1 Monat
-
bekannte Blutungsneigung
relative Kontraindikationen:
-
TIA vor weniger als 6 Monaten
-
orale Antikoagulation
-
Schwangerschaft oder erste postpartale Woche
-
nicht komprimierbare Punktionsstelle
-
traumatische Reanimation
-
refraktäre Hypertonie (systolischer Blutdruck über 180 mmHg)
-
fortgeschrittene Lebererkrankung
-
infektiöse Endokarditis
-
aktives Magenulkus
Intermediärrisiko-Patienten
Bei Intermediärrisiko-Patienten mit akuter Rechtsherzbelastung und einer Erhöhung
der myokardialen Nekroseparameter sollte man die Möglichkeit einer systemischen Lyse
prüfen, sofern das Blutungsrisiko gering erscheint (IIaB-Empfehlung). Ist die Lyse
nicht möglich oder frustran verlaufen, kann man eine chirurgische (IIbC-) oder interventionelle
Embolektomie (IIbB-Empfehlung) erwägen. Rationale der blutungsaffinen Lyse ist die
mit bis zu 15 % hohe Frühletalität der Intermediärrisiko-Patienten.
Die im Frühjahr 2014 publizierte PEITHO-Studie zeigte bei 1006 Intermediärrisiko-Patienten
eine signifikante Halbierung des primären Endpunkts „Tod oder hämodynamische Dekompensation“
(Abb. [2]). Signifikant vervielfacht wurden jedoch Blutungskomplikationen. Intrakranielle
Blutungen wurden durch die Verabreichung von Tenecteplase von 0,2 % auf 2,0 % erhöht.
Diese deutliche Risikoerhöhung im Gesamtkollektiv erscheint inakzeptabel hoch. Die
Subgruppenanalyse zeigte jedoch, dass jüngere Patienten (unter 75 Jahre) mit einer
relativen Risikoreduktion für den primären Endpunkt um 67 % besonders deutlich profitierten
und ihr Blutungsrisiko nicht so stark erhöht war wie das der älteren Patienten.
Abb. 2 Relevante Endpunkte im Gesamtkollektiv der PEITHO-Studie, die Effekte der systemischen
Thrombolyse bei Patienten mit Intermediärrisiko-Lungenembolie mit akuter Rechtsherzbelastung
untersuchte (nach [31]).
Zusammenfassend lässt sich mit einer systemischen Thrombolyse das Mortalitätsrisiko
deutlich senken und ist für jüngere Patienten mit relativ geringem Blutungsrisiko
sinnvoll, weil der klinische Nettonutzen überwiegt. Das akzelerierte, dosishalbierte
Alteplaseregime wurde zwar in PEITHO nicht untersucht, erscheint aber pathophysiologisch
sinnvoll und ist durch die Leitlinien gedeckt. Alternativ kann auch die volle Alteplasedosierung
nach Standardregime nach Einzelfallabwägung gegeben werden. Auch bei Intermediärrisiko-Patienten
sollte man eine begleitende Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin durchführen.
Die Indikation zur Thrombolyse bei Intermediärrisiko-Patienten sollte man sorgfältig
abwägen. Sie kann aber bei jüngeren Patienten mit niedrigem Blutungsrisiko das Überleben
deutlich verbessern.
Chirurgische und interventionelle Behandlung
Chirurgische und interventionelle Behandlung
Bei Hochrisiko- oder Intermediärrisiko-Lungenembolie mit rechtsventrikulärer Dysfunktion
ist eine chirurgische oder interventionelle Therapie insbesondere dann indiziert,
wenn eine Lyse oder Antikoagulation nicht möglich ist oder nicht erfolgreich war.
Für die Hochrisiko-Lungenembolie liegt in diesen Fällen eine Klasse-IC-Empfehlung
vor [1]. Der Zustand des Patienten diktiert hierbei die Notwendigkeit und Geschwindigkeit
des Vorgehens.
Zunächst sollte man alle Maßnahmen unternehmen, um den Patienten hämodynamisch und
respiratorisch zu stabilisieren. Kommt es trotz medikamentöser Therapie nicht zu einer
Stabilisierung der Hämodynamik, sollte man eine Hypoperfusion des Patienten nicht
tolerieren, sondern ein extrakorporales Unterstützungssystem (ECLS) einsetzen. Dies
ist in der Notfallsituation über den Zugang der Leistengefäße per Punktion oder mit
chirurgischer Freilegung der Gefäße möglich. Ist der Patient hingegen hämodynamisch
stabil genug, ist eine operative oder interventionelle Embolektomie möglich. Ob eine
chirurgische oder katheterbasierte Embolektomie in Erwägung gezogen wird, hängt insbesondere
von der Verfügbarkeit und Expertise ab. Ein direkter Vergleich der beiden Methoden
wurde bislang nicht durchgeführt, Daten zur Effektivität beider Therapieformen sind
nur begrenzt verfügbar.
Chirurgische Embolektomie
Die chirurgische Embolektomie kann lediglich in einem großen Zentrum mit Herz-Lungen-Maschine
und herzchirurgischem Personal durchgeführt werden. Aufgrund der Schwere der Erkrankung
ist dieser Eingriff insbesondere bei älteren Patienten mit einer hohen Sterblichkeit
verbunden (bis zu 46 % bei den über 80-Jährigen) [8]. Neben der Klasse-IC-Empfehlung für die chirurgische Embolektomie bei kontraindizierter
oder fehlgeschlagener Thrombolyse kann in Einzelfällen außerhalb der Leitlinienempfehlung
auch dann eine chirurgische Therapie erwogen werden, wenn ein großer Thrombus im Foramen
ovale, im rechten Herzen oder dem Pulmonalarterienhauptstamm durch Echokardiografie
oder CT gesichert wurde [9].
Einschränkend liegt zur chirurgischen Embolektomie allerdings im Vergleich zur thrombolytischen
Therapie nur eine ungenügende Evidenz vor. In einer Kohortenstudie mit 40 Höchstrisiko-Patienten
konnte die chirurgische Embolektomie erneute Lungenembolien und schwere Komplikationen
wie Massenblutung und Todesfälle im Vergleich zur wiederholten Lyse numerisch reduzieren,
nachdem eine initiale Lyse erfolglos geblieben war [9]. Während der chirurgischen pulmonalen Embolektomie leitet eine intraoperative transösophageale
Echokardiografie den Operateur. Diese beeinflusste in einer systematischen Untersuchung
das chirurgische Vorgehen bei 10 % der Patienten [10].
Das chirurgische Vorgehen sieht in den meisten Fällen den Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine
in bikavaler Technik vor, denn die Thrombektomie kann dann am schlagenden Herzen durchgeführt
werden. Hierzu wird die Pulmonalarterie meist im Truncus pulmonalis eröffnet, anschließend
werden mit chirurgischem Instrument, großen Embolektomiekathetern oder mit manueller
Kompression der Lungenflügel die Thromben geborgen. Ziel der Therapie ist eine möglichst
vollständige Entfernung der Thromben (Abb. [3]).
Abb. 3 Frische, mit chirurgischer Embolektomie geborgene Emboli im Größenvergleich mit einer
5-ml-Spritze.
Das Outcome nach chirurgischer Embolektomie bestimmt hauptsächlich der präoperative
Zustand des Patienten. Ist er vor der chirurgischen Therapie zwar hämodynamisch instabil,
aber es lag kein Herzstillstand vor, so zeigen ältere Untersuchungen eine Überlebenswahrscheinlichkeit
von über 95 % [11]. Die Sterblichkeit bei Patienten, die zuvor einen Herzstillstand erlitten hatten,
ist hingegen deutlich höher [11]
[12]
[13]
[14].
Zusammengefasst ist die chirurgische Embolektomie die Therapie der Wahl für Patienten
mit Hochrisiko-Lungenembolie, die nicht lysiert werden können (bei Vorliegen absoluter
Kontraindikationen) oder wenn eine Lyse fehlgeschlagen ist. Der Präsident des North
Atlantic Thrombosis Forum (NATF) Samuel Goldhaber vom Brigham and Women’s Hospital
in Boston, USA, rät dringend zur Etablierung multidisziplinärer Teams an den großen
Zentren unter Einbeziehung von in der Embolektomie erfahrenen Herzchirurgen. Ähnlich
der Heart Teams können auf diese Weise schnell fundierte Entscheidungen getroffen
und umgesetzt werden, die dem individuellen Risiko dieser vital bedrohten Patienten
gerecht werden.
Die chirurgische Embolektomie muss als Alternative bei Hochrisikopatienten sehr früh
in Betracht gezogen werden, wenn eine Thrombolyse nicht möglich oder nicht erfolgreich
ist (Klasse-IC-Empfehlung). Sie kann das Leben der akut bedrohten Patienten retten
und rechtfertigt auch die notfallmäßige Verlegung in ein Zentrum mit erfahrenen Herzchirurgen.
Interventionelle Embolektomie und lokale Thrombolyse
Zur interventionellen Embolektomie sind verschiedene Methoden etabliert und bereits
klinisch im Einsatz, obwohl sie bislang nur in kleinen Serien untersucht wurden und
bislang noch nicht mit anderen Techniken in randomisierter Form verglichen wurden.
Wegen der bislang noch hohen Komplikationsraten betonen die Leitlinien den höheren
Stellenwert der chirurgischen Embolektomie [1].
Rheolytische Embolektomie. Über eine großlumige, venös gelegte Schleuse wird mit einem speziellen Katheter unter
Druck Kochsalzlösung in die Emboliezone eingespritzt, um damit den Embolus zu fragmentieren.
Es folgt die sofortige Absaugung von Fragmenten, Gerinnseln und Restkochsalz mit dem
Katheter. In einer kleinen Serie von 12 Patienten konnten 10 Patienten mit dieser
Prozedur gerettet werden (Sterblichkeit 17 %) [15]. Über den Katheter kann dann direkt auch eine Thrombolyse appliziert werden [16]. Auch kleinlumige Katheter und seit kurzer Zeit verfügbare steuerbare Drähte mit
einem Hohlraum eignen sich zur gezielten Applikation von Thrombolytika [17].
Rotationsembolektomie. Die Rotationskatheterfragmentierung führt zur Fragmentierung des Embolus mit oder
ohne gleichzeitige Aspiration der Gerinnselfragmente [18]
[19]. In den meisten Fällen kann hiermit eine Rekanalisierung erzielt werden. In den
vorliegenden Studien rangiert die Sterblichkeit bei dieser Therapieform zwischen 5
und 20 % [20].
Aspirationsembolektomie. Über einen großlumigen Zugang kann der Embolus mit einem Katheter mit Unterdruck
abgesaugt werden. Einige Autoren kombinieren diese Art der Absaugung mit einer vorherigen
Fragmentation mit Pigtailkatheter oder Ähnlichem [21]
[22].
Kathetergestützte Thrombolyse. Über in Pulmonalposition direkt proximal des Embolus platzierte Katheter kann lokal
eine niedrig dosierte Thrombolyse appliziert werden (z. B. Actilyse). Die Effektivität
der lokalen Lyse kann mechanisch oder durch Beschallung mit Ultraschall hoher Energie
verstärkt werden. Diese Verfahren haben aber noch nicht Einzug in die klinische Routine
gehalten.
Antikoagulation
Wichtigster Pfeiler der Therapie der Lungenembolie ist zweifelsfrei die plasmatische
Antikoagulation in therapeutischer Dosierung. In der Akutphase sollte man unfraktioniertes
Heparin nur dann verwenden, wenn in einer Hochrisikosituation oder bei Intermediärrisiko-Patienten
eine Thrombolyse durchgeführt wird. Wegen besserer Evidenz sollte man in allen anderen
Fällen entweder parenteral niedermolekulares Heparin oder Fondaparinux einsetzen (IA-Empfehlung)
mit überlappender Einstellung auf einen Vitamin-K-Antagonisten (Ziel-INR: 2 – 3) oder
ein direktes orales Antikoagulans (DOAK) wie Rivaroxaban, Dabigatran oder Apixaban
(IB-Empfehlung) [1]. Im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten sind DOAK bei der Verhinderung von Rezidiven
einer venösen Thromboembolie nicht unterlegen, weisen aber ein deutlich reduziertes
Blutungsrisiko auf. Für Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz (GFR < 15 ml/min
bei Rivaroxaban und Apixaban bzw. GFR < 30 ml/min bei Dabigatran) stehen DOAK jedoch
nicht zur Verfügung.
Rivaroxaban. Der Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban ist basierend auf dem EINSTEIN-Phase-3-Studienprogramm
seit 2012 zugelassen und seither im klinischen Einsatz (Tab. [4]) [23]. Für die ersten 3 Wochen werden 2 × 15 mg verabreicht, gefolgt von der Erhaltungstherapie
mit 1 × 20 mg. Durch die Extensionsstudien (Abb. [4]) wurde in die Leitlinien bereits eine Therapieverlängerung mit den DOAK zur Sekundärprophylaxe
der unprovozierten Lungenembolie um 6 – 12 Monate aufgenommen und für Patienten mit
niedrigem Blutungsrisiko empfohlen (IIaB-Empfehlung) [1]. Rivaroxaban kann dann mit 1 × 20 mg für weitere 12 Monate gegeben werden [24].
Tabelle 4
Therapie der venösen Thromboembolie mit DOAK.
|
Europäische Zulassung
|
Initialdosis
|
Erhaltungsdosis
|
Sekundärprävention
|
|
Rivaroxaban
|
2012
|
2 × 15 mg
für 21 Tage
|
1 × 20 mg
|
6 – 12 Monate
1 × 20 mg
|
|
Dabigatran
|
2014
|
niedermolekulares Heparin
|
2 × 150 mg
|
bis 6 Monate
2 × 150 mg
|
|
Apixaban
|
2014
|
2 × 10 mg
für 7 Tage
|
2 × 5 mg
|
12 Monate
2 × 2,5 oder 5 mg
|
Abb. 4 Raten der Rezidive einer venösen Thromboembolie und schwerer Blutungsereignisse in
den Extensionsstudien der DOAK zur sekundärprophylaktischen Therapieverlängerung nach
Ablauf der regulären Therapiedauer [24]
[26]
[28]. Orange und blau – Plazebo, grün und rot – DOAK.
Dabigatran. Seit dem Sommer 2014 ist auch der Thrombininhibitor Dabigatran zur Lungenembolietherapie
zugelassen (Zulassungsstudie RE-COVER) [25]. Initiiert wird die Therapie mit Dabigatran 2 × 150 mg, laut der Zulassung aber
nicht direkt mit einer Monogabe des DOAK, sondern ähnlich wie bei Vitamin-K-Antagonisten
überlappend mit niedermolekularem Heparin. Nach Ablauf der Therapiedauer kann bei
niedrigem Blutungsrisiko mit 2 × 150 mg um 6 Monate verlängert werden (Abb. [4]) [26].
Apixaban. Mit Apixaban ist seit Sommer 2014 ein weiterer Faktor-Xa-Hemmer zugelassen und kann
ähnlich wie Rivaroxaban direkt (ohne Überlappung mit niedermolekularem Heparin) in
der Dosierung von 2 × 10 mg über 7 Tage gegeben werden (Zulassungsstudie AMPLIFY)
[27]. Es schließt sich die Erhaltungstherapie mit 2 × 5 mg an. Bei niedrigem Blutungsrisiko
ist gemäß der AMPLIFY-EXT-Studie eine Sekundärprophylaxe für 12 Monate mit der Erhaltungsdosis
2 × 5 mg möglich (Abb. [4]) [28]. Mit Apixaban wurde neben der regulären Erhaltungsdosis auch die Therapieverlängerung
mit halbierter Dosis untersucht (2 × 2,5 mg) und verhinderte Rezidive einer venösen
Thromboembolie ähnlich effektiv, ohne das Blutungsrisiko zu erhöhen. Die Sekundärprävention
mit 2 × 2,5 mg ist daher insbesondere für ältere Patienten oder solche mit reduzierter
Nierenfunktion attraktiv. Sowohl Apixaban als auch Rivaroxaban können bei Niereninsuffizienz
bis zu einer GFR von 30 ml/min gegeben werden (zulassungskonform sogar bis 15 ml/min
möglich). Dabigatran wird zwar stärker renal metabolisiert, kann aber ebenfalls zulassungskonform
bis zu einer GFR von 30 ml/min eingesetzt werden.
Therapiedauer. Zur regulären Therapiedauer geben die neuen Leitlinien etwas konkretere Hinweise
als ältere Versionen, obwohl die Spannen immer noch recht groß sind und weiterhin
ein wesentliches Gewicht auf individuellen Therapieentscheidungen liegt. Nach einer
Lungenembolie durch eine tiefe Venenthrombose, die von einem transienten Faktor provoziert
wurde (z. B. orthopädische Operation), sollte für 3 Monate behandelt werden (IB-Empfehlung)
[1]. Nach unprovozierter Lungenembolie sollte man für mindestens 3 Monate eine Antikoagulation durchführen (IA-Empfehlung) und eine Verlängerung je
nach Rezidiv- und Blutungsrisiko erwägen. Nach einem Rezidiv einer venösen Thromboembolie
sollte dauerhaft antikoaguliert werden (IB-Empfehlung).
Nach Beendigung der plasmatischen Antikoagulation kann, basierend auf den positiven
Daten der WARFASA- und ASPIRE-Studien, auch eine längerfristige Plättchenhemmung mit
Azetylsalizylsäure (ASS) erwogen werden [29]
[30]. Mit ASS lassen sich Rezidive einer venösen Thromboembolie dann effektiv verhindern,
wenn eine therapeutische Antikoagulation wegen dem Überwiegen des Blutungsrisikos
nicht mehr gerechtfertigt erscheint. Patienten mit einem Rezidiv einer venösen Thromboembolie
sollten hingegen nicht mit ASS, sondern mit einer plasmatischen Dauerantikoagulation
therapiert werden.
Für Patienten mit absoluter Kontraindikation für eine Antikoagulation sollte man beim
Nachweis einer tiefen Venenthrombose in der unteren Extremität einen (passageren)
V.-cava-Filter erwägen (IIaC-Empfehlung) [1]. Auch bei Rezidiven einer venösen Thromboembolie unter Antikoagulation mit therapeutischer
INR oder plausibler täglicher DOAK-Einnahme sollte die Filterplatzierung erwogen werden.
DOAK sind ähnlich effektiv, aber deutlich sicherer als Vitamin-K-Antagonisten. Eine
Therapieverlängerung sollte mit DOAK erwogen werden. Auch die Plättchenhemmung mit
ASS verhindert Rezidive einer venöse Thromboembolie und kann für eine Dauertherapie
in Betracht gezogen werden, wenn keine plasmatische Antikoagulation mehr erforderlich
ist.
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Hochrisikopatienten mit Lungenembolie sind hämodynamisch instabil und sollten umgehend
einer pulmonalen Rekanalisierung zugeführt werden, um die hohe Letalität zu reduzieren.
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Therapie der Wahl ist in der Regel eine systemische Thrombolyse, alternativ sollte
man eine chirurgische Embolektomie anstreben.
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Auch Intermediärrisiko-Patienten mit akuter Rechtsherzbelastung und einer Erhöhung
der myokardialen Nekroseparameter profitieren von einer Lyse, wenn sie jünger als
75 Jahre sind, ein niedriges Blutungsrisiko haben und keine Kontraindikationen vorliegen.
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Zentraler Pfeiler der Lungenembolietherapie ist die sofortige plasmatische Antikoagulation
in therapeutischer Dosierung.
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Neu zugelassen sind für Therapie und Sekundärprophylaxe die DOAK Rivaroxaban, Dabigatran
und Apixaban, die ähnlich effektiv Rezidive einer venösen Thromboembolie verhindern,
aber weniger Blutungskomplikationen verursachen als Vitamin-K-Antagonisten.