Intensivmedizin up2date 2015; 11(01): 1
DOI: 10.1055/s-0034-1391407
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Comprehensive Care bei Querschnittlähmung – wichtiger denn je

Norbert Weidner
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Norbert Weidner
Klinik für Paraplegiologie
Universitätsklinikum Heidelberg
Schlierbacher Landstr. 200a
69118 Heidelberg

Publication History

Publication Date:
12 February 2015 (online)

 

Mitte des letzten Jahrhunderts baute Sir Ludwig Guttmann im Auftrag der britischen Regierung im Stoke Mandeville Hospital in Aylesbury die erste Spezialklinik für Wirbelsäulenverletzte auf. Dort gelang es ihm, mittels einer umfassenden Versorgung (comprehensive care) durch Vermeiden bzw. fachgerechte Behandlung häufiger Komplikationen einer Querschnittlähmung (Infektionen, Dekubitalulzera, chronische Niereninsuffizienz) die Lebenserwartung der Betroffenen dramatisch zu steigern und ihnen durch spezifische rehabilitative Maßnahmen ein möglichst selbstständiges Leben zu ermöglichen. Dieses Konzept wurde weltweit erfolgreich übernommen und in den letzten Jahrzehnten weiter verbessert.

In Zeiten wachsender gesundheitsökonomischer Zwänge wird auch die Notwendigkeit einer umfassenden Versorgung akut Querschnittgelähmter in entsprechend spezialisierten Behandlungszentren hinterfragt – Zentren, die das komplette Spektrum sowohl akut-medizinischer Diagnostik- und Behandlungsmaßnahmen als auch rehabilitativer Therapien auf höchstem Niveau vorhalten. Es wird die Ansicht vertreten, dass auch nicht spezialisierte Akut- und Rehabilitationskliniken in der Lage sind, Patienten mit akuter und chronischer traumatisch und nicht-traumatisch bedingter Para- oder Tetraplegie auf ebenso hohem Niveau bei geringerem Kostenaufwand zu behandeln.

Studien zum Outcome nach Behandlung in einer auf Querschnittgelähmte spezialisierten Einrichtung im Vergleich zu nicht spezialisierten Klinken belegen jedoch, dass in Querschnittzentren deutlich weniger Komplikationen (z. B. Dekubitalulzera) auftreten, die Mortalität geringer ist und Patienten im Querschnitt-spezifischen Rehabilitationsverlauf mehr alltagsrelevante funktionelle Verbesserungen erzielen. Je früher Patienten nach der medizinischen Erstversorgung in spezialisierte Zentren verlegt werden, desto kürzer ist im Durchschnitt der weitere stationäre Behandlungszeitraum (http://www.scireproject.com/rehabilitation-evidence/rehabilitation-practices).

Darüber hinaus macht sich in den letzten Jahren zunehmend die deutliche Verschiebung des Altersdurchschnitts bei Eintritt der Querschnittlähmung hin zu älteren Patienten bemerkbar – mit daraus resultierender Zunahme an behandlungsbedürftigen Begleiterkrankungen. So müssen immer häufiger über längere Zeiträume akut-medizinische Probleme bei gleichzeitiger Durchführung rehabilitativer Maßnahmen adressiert werden, was in dieser Form nur von einem Querschnittzentrum geleistet werden kann.

Die Querschnitt-spezifische medizinische Behandlung ist nicht nur bei akuter Querschnittlähmung, sondern auch für die lebenslange Nachsorge bei chronischer Querschnittlähmung von großer Bedeutung (Spreyermann & Michel, Praxis 2013). Hier kommt es auf die engmaschige Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und betreuendem Querschnittzentrum an. Viele Symptome, die sich beim Gesunden durch typische Symptomkonstellation bemerkbar machen, sind bei Querschnittgelähmten mit fehlender Sensibilität des Körpers häufig höchst unspezifisch und erfordern besondere Erfahrung (z. B. zunehmende Spastik als einziges Symptom eines akuten Abdomens). Durch das Wissen um spezifische Komplikationen können möglichst schnell adäquate Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen in Zusammenarbeit mit den Querschnittzentren eingeleitet werden. Dadurch können unnötige Komplikationen vermieden werden.

Für das nachweislich bewährte Konzept der umfassenden Versorgung von Querschnittgelähmten in dafür spezialisierten Querschnittzentren gibt es keine Alternativen. In der Gesamtbilanz wird die kompetente medizinische Versorgung dieses folgenschweren Krankheitsbildes gewährleistet und finanzielle Ressourcen werden geschont.

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Norbert Weidner

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  • Literatur

  • 1 Spreyermann R, Michel F. Langzeitbetreuung von Menschen mit Querschnittlähmung – Vorsorge und Nachsorge. Praxis (Bern 1994) 2014; 103: 95-104

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Norbert Weidner
Klinik für Paraplegiologie
Universitätsklinikum Heidelberg
Schlierbacher Landstr. 200a
69118 Heidelberg

  • Literatur

  • 1 Spreyermann R, Michel F. Langzeitbetreuung von Menschen mit Querschnittlähmung – Vorsorge und Nachsorge. Praxis (Bern 1994) 2014; 103: 95-104

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