Aktuelle Dermatologie 2015; 41(03): 104-109
DOI: 10.1055/s-0034-1391574
Fort- und Weiterbildung
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Dermatologische Nebenwirkungen der Zytostatika[*]

Dermatological Reactions to Cytostatic Agents
C. B. Walter
Universitätsfrauenklinik Tübingen
,
H. Burow
Universitätsfrauenklinik Tübingen
,
E.-M. Grischke
Universitätsfrauenklinik Tübingen
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. med. Christina Barbara Walter
Universitätsfrauenklinik Tübingen
Calwerstraße 7
72076 Tübingen

Publication History

Publication Date:
16 March 2015 (online)

 

Lernziele

Umgang mit:

  • Alopezie

  • Hautveränderungen an Händen, Füßen und Nägeln

  • Veränderungen der Mundschleimhaut

  • akneiformen Hautveränderungen


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Einleitung

In der Behandlung gynäkologischer Malignome, sowohl im adjuvanten als auch im palliativen Bereich, stellt die Chemotherapie eine sehr wichtige Säule dar. Während bestimmte Probleme des Nebenwirkungsspektrums, wie z. B. Emesis, Obstipation oder Myelotoxizität, oftmals in der supportiven Behandlung bereits initial berücksichtigt oder engmaschig überwacht werden, erfahren dermatologische Nebenwirkungen häufig deutlich weniger Beachtung. Auch bei den neueren „Targeted“ Therapieverfahren – etwa dem Einsatz von Antikörpern oder „Small Molecules“ – werden therapieassoziierte dermatologische Veränderungen beobachtet, auf die ein Augenmerk gerichtet werden sollte bzw. die der Behandlung bedürfen.


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Alopezie

Die häufigste dermatologische Erscheinung unter Chemotherapie, v. a. im adjuvanten Bereich gynäkologischer Malignome, ist die Alopezie. Für die Patientinnen stellt dies zumeist die schwerwiegendste körperliche Veränderung dar, die für die größte psychische Belastung sorgt.


Ursache. Grund für den Haarausfall ist die Wirkung vieler Zytostatika auf die Matrixzellen des Haarfollikels, die einer schnellen Zellteilung unterliegen und somit den Ausfall derjenigen Haare bedingen, die sich in der anagenen Phase des Haarzyklus befinden [1].


Der Haarzyklus wird insgesamt in 3 Phasen unterteilt:

  • anagene Phase

  • katagene Phase

  • telogene Phase


Dabei nimmt die Wachstumsphase (anagene Phase) den zeitlich längsten Teil von ca. 4 – 6 Jahren ein (s. [Abb. 1]). Die darauffolgende katagene Phase ist durch eine Verkürzung des Haarfollikels geprägt und nimmt 4 – 6 Wochen in Anspruch. In der telogenen Phase, auch Ruhephase genannt, kommt es schließlich zum natürlichen Ausfall des Haares und zur Erneuerung des Haarfollikels. Diese Phase dauert durchschnittlich 2 – 4 Monate. Insgesamt befinden sich weit über 80 % des Kopfhaares in der anagenen Phase, in der der zytotoxische Effekt der Chemotherapeutika zum Tragen kommen kann [2].

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Abb. 1 Der Haarzyklus mit dem Angriffspunkt der Chemotherapeutika.

Die schneller wachsenden Haare der Kopfhaut sind insgesamt häufiger betroffen als die z. B. langsamer wachsenden Haare der Augenbrauen oder der Wimpern.

Die durch Chemotherapie bedingte Alopezie ist reversibel, wobei die Haarstruktur oder -farbe zunächst durchaus verändert sein kann [3]. Sie beginnt ca. 2 – 4 Wochen nach Beginn der Chemotherapie. Nur wenige Fallberichte beschreiben eine dauerhafte komplette oder inkomplette posttherapeutische Alopezie.


Ausprägung wirkstoffabhängig. Modernere Modifikationen, wie zum Beispiel die Verwendung von pegyliertem liposomalen Doxorubicin, führen zu keinem oder nur sehr geringem Haarausfall. [Tab. 1] zeigt eine Übersicht verschiedener Substanzen und die jeweilige Ausprägung der Alopezie [1].

Tab. 1

Häufigkeit und Schwere der Alopezie unter verschiedenen Chemotherapeutika (mod. nach [1]).

schwer

moderat

mild

häufig

  • Doxorubicin

  • Daunorubicin

  • Paclitaxel

  • Docetaxel

  • Cyclophosphamid

  • Ifosphamid

  • Etoposid

  • Mechlorethamin

  • Methotrexat

  • Bleomycin

selten

  • Vincristin

  • Vinblastin

  • 5-Fluorouracil

  • Hydroxyurea

  • Thiotepa

Die Ausprägung der Alopezie ist substanz- und dosisabhängig.

Prophylaxe. Verschiedene Arbeitsgruppen haben sich mit Verfahren beschäftigt, welche die chemotherapieinduzierte Alopezie mildern oder verhindern sollen. Zu nennen wäre hierbei die lokale Hypothermie, bei der die Kopfhaut der Patientinnen über den Zeitraum der Chemotherapie sowie kurz darüber hinaus auf mind. 24 °C gekühlt werden muss. Ähnliche Ansätze gibt es zur Anwendung lokaler Kompression. Insgesamt konnten diese und ähnliche Vorgehensweisen teilweise eine Milderung der Alopezie bewirken, jedoch kann keine generelle Empfehlung zu derartigen Maßnahmen ausgesprochen werden, da einzelne Fallberichte von einer nachfolgenden Metastasierung in den gekühlten bzw. komprimierten Arealen berichten [4] [5] [6].

Tipp für die Praxis

Die frühzeitige Information über Häufigkeit und voraussichtliche Intensität einer Alopezie bei bevorstehender Chemotherapie geben den Patientinnen die Möglichkeit, sich mit dieser Thematik zu befassen und sich Gedanken über entsprechenden Haarersatz bzw. alternative Kopfbedeckungen zu machen. Eine professionelle Perückenberatung und Anpassung kann den Patientinnen viel an Sicherheit und Zuversicht im Hinblick auf die geplante Therapie geben.


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Hautveränderungen an Händen, Füßen und Nägeln

Die Gabe von Taxanen stellt einen wichtigen Behandlungsaspekt bei der Chemotherapie gynäkologischer Malignome dar. Vor allem in der adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms und des Ovarialkarzinoms sind sie essenzielle Bestandteile der nach aktuellen Leitlinien vorgesehenen Behandlung. Die Dermatotoxizität im Bereich von Händen, Füßen und Nägeln ist hierbei jedoch eine häufig auftretende Problematik, die eine turnusgemäße Behandlung behindern kann. Auch bei der Behandlung mit pegyliertem liposomalen Doxorubicin oder einem oral verfügbaren 5-Fluorouracil in Form von Capecitabin kann diese Nebenwirkung auftreten.

Das Wissen um die Dermatotoxizität bestimmter Wirkstoffe ist von essenzieller Wichtigkeit beim Monitoring derartiger Chemotherapien.


Hände und Füße. Die Dermatotoxizität an Händen und Füßen unter Chemotherapie wird auch Hand-Fuß-Syndrom (sog. Palmar-Plantar-Erythem; PPE) genannt. Sie lässt sich in 3 verschiedene Schweregrade einteilen und geht vornehmlich mit augenscheinlichen Veränderungen der Haut an Händen und Füßen sowie mit Funktionseinschränkungen einher (s. [Tab. 2]). Die [Abb. 2 – 4] zeigen Beispiele aus der klinischen Routine.

Tab. 2

Schweregrade des Hand-Fuß-Syndroms (modifiziert nach [7]).

Grad

Symptome

I

leichte Rötung der Haut ohne Schmerzen an Handflächen und/oder Fußsohlen, Hautschuppung

II

Schwellung und/oder Rötung und/oder Schmerzen an Handflächen und/oder Fußsohlen, kleine Blasen, keine Funktionseinschränkung

III

Blasen, Ulzerationen, Symptomatik mit Funktionseinschränkung

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Abb. 2 Hand-Fuß-Syndrom Grad I.
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Abb. 3 Hand-Fuß-Syndrom Grad II.
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Abb. 4 Hand-Fuß-Syndrom Grad III.

Vor allem bei einem Hand-Fuß-Syndrom Grad III gehen die Veränderungen in Form von Blasenbildung und Hautablösungen mit schweren Einschränkungen der Funktionalität einher, die bei dieser Ausprägung zu einem gewissen Anteil irreversibel sein können.

Auch hier ist die prätherapeutische Information der Patientinnen von großer Wichtigkeit. Sie sollten zu einem aufmerksamen Beobachten von Veränderungen an Händen und Füßen aufgefordert werden.

Vor allem die Füße geraten im Rahmen der gesamten Belastungssituation unter Chemotherapie oft in Vergessenheit.


Ein gewisser Anteil des Nebenwirkungsspektrums lässt sich durch lokale prophylaktische Maßnahmen deutlich mildern. Allen Patientinnen sollte eine lokale Behandlung mit ureahaltigen Hand- und Fußcremes mehrmals täglich dringend empfohlen werden. Dies fördert auch im gleichen Zug die aufmerksame visuelle Kontrolle im Hinblick auf Veränderungen an Händen und Füßen. Eine gleichzeitige Gabe von Vitamin B6 kann ebenfalls hilfreich sein [5], ebenso wie lokal kühlende Maßnahmen [8]. Insgesamt ist jedoch die ärztliche Anamnese und Inspektion vor jeder Chemotherapiegabe unerlässlich.

Tipp für die Praxis

Bei fortgeschritteneren Graden des Hand-Fuß-Syndroms kann lediglich die frühzeitige Dosisreduktion vor einer bleibenden Schädigung in Form von Funktionseinschränkungen bewahren.

Nägel. Veränderungen der Nägel führen im Gegensatz zum Hand-Fuß-Syndrom nur sehr selten zu bleibenden Beeinträchtigungen. Die Nagelveränderung an sich gestaltet sich sehr variabel und reicht von leichten Pigmentveränderungen über die Bildung transversaler Querfurchen bis zur kompletten Onycholyse mit subungualer Abszessbildung. Neben dem Rat zur Anwendung eines härtenden Nagellacks steht auch hier die klinische Inspektion und unter Umständen die Dosisreduktion im Vordergrund [5]. Für die betroffenen Patientinnen kann eine lokale Kühlung eine symptomatische Besserung bewirken [8].


Cave. Ein ausgeprägtes Hand-Fuß-Syndrom ebenso wie eine komplette Onycholyse kann zu einer Therapieverzögerung oder gar einem Therapieabbruch führen und für die Patientinnen bleibende Schädigungen hinterlassen. Daher ist eine ggf. frühzeitige Dosisreduktion bei Auftreten dieser Art von Nebenwirkungen immer in Betracht zu ziehen!


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Veränderungen der Mundschleimhaut (Mukositis)

Veränderungen der Mundschleimhaut sind eine häufige Nebenwirkung bei solchen Chemotherapeutika, die in die DNA-Synthese eingreifen, wie z. B. 5-Fluorouracil oder Methotrexat. Sie sind dosisabhängig und treten im Durchschnitt ca. 1 Woche nach Applikation auf. Sie äußern sich in Form von Erosionen und Aphthen v. a. im Mundbereich. Theoretisch können sie allerdings den gesamten Verdauungstrakt betreffen [6]. Für die gesamte Behandlung stellen derartige Veränderungen ein großes Problem dar, v. a. wenn die betroffenen Patientinnen schmerz- und entzündungsbedingt keine Nahrung oder sogar keine Flüssigkeit mehr zu sich nehmen können. Dies kann Therapieverschiebungen oder gar -abbrüche zur Folge haben, die es prinzipiell zu verhindern gilt.

Tipp für die Praxis

Bei Mukositis kann das Lutschen kleiner Eisstücke, teilweise auch von geeisten Ananasstücken, oder die Anwendung lokaler Anästhetika die Symptomatik lindern.

Prophylaxe. Zur Prophylaxe stehen Lösungen zum Ausspülen und Gurgeln zur Verfügung, die aus der Mund-und Kieferchirurgie kommend die Mundschleimhaut mit einem Schutzfilm umgeben. Auch der Einsatz von G-CSF-Präparaten stellt einen Schutz dar.

Generell ist eine sorgfältige Mundhygiene in jedem Fall zu empfehlen.

Tipp für die Praxis

Vor allem im Hinblick auf die Superinfektion der betroffenen Schleimhautstellen ist unter Umständen auch die Entnahme eines mikrobiologischen Abstriches zur gezielten weiteren Behandlung sinnvoll [6]. Bei schweren Verläufen ist auch hier ggf. eine Dosisreduktion angezeigt.


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Akneiforme Hautveränderungen

Akneiforme Hautveränderungen insbesondere im Bereich von Gesicht, Brust, Rücken und Kopfhaut sind eine Erscheinung, die vornehmlich unter neueren Therapieformen beobachtet werden kann. Hierzu gehören v. a. die Inhibitoren des „Epidermal Growth Factor Receptors“ (EGFR), wie z. B. Cetuximab oder Gefitinib [9]. Schon wenige Wochen nach Behandlungsbeginn kann das makulopapulöse bis pustulöse Exanthem auftreten, das in der Regel nach Absetzen der Behandlung wieder verschwindet (s. [Tab. 3]) [6]. Genauere pathophysiologische Mechanismen sind noch unklar. Diskutiert wird eine erhöhte Ki27-Expression [10].

Tab. 3

Einteilung der Schweregrade beim papulopustulösen Exanthem (modifiziert nach [11]).

Grad

Symptome

I

Papeln und/oder Pusteln (< 10 % der Körperoberfläche), mit oder ohne Pruritus oder Schmerzen

II

Papeln und/oder Pusteln bedecken 10 – 30 % der Körperoberfläche, mit oder ohne Pruritus oder Schmerzen, psychosoziale Auswirkungen; Beeinträchtigung der instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL)

III

Papeln und/oder Pusteln bedecken > 30 % der Körperoberfläche, mit oder ohne Pruritus oder Schmerzen; Beeinträchtigung der Selbstversorgung, lokale Superinfektionen, mit Indikation einer systemischen Antibiose

IV

Papeln und/oder Pusteln (unabhängig von der Größe der betroffenen Körperoberfläche), mit oder ohne Pruritus oder Schmerzen; extensive Superinfektionen, mit Indikation einer i. v. Antibiose; lebensbedrohliche Verläufe

Grundlegend kann den betroffenen Patientinnen angeraten werden, direkte Sonneneinstrahlung sowie ausgeprägte Feuchtigkeit und Hitze zu meiden.


Die supportive Behandlung richtet sich nach den gängigen Behandlungsschemata der Akne, mit z. B. topischen Keratolytika, Antibiotika oder oralen Retinoiden [5].


Bakterielle Superinfektion.
Besondere Beachtung sollte hierbei die bakterielle Superinfektion erfahren. Während die Schweregrade I und II oft keine Auswirkungen auf die weitere Behandlung haben, kann im Stadium III und IV eine systemische antibiotische Therapie erforderlich sein. Hier wurden auch lebensbedrohliche Verläufe mit Sepsis beschrieben. Bei zunehmender klinischer Ausprägung ist daher eine frühzeitige antibiotische Behandlung mit Unterstützung durch eine mikrobiologische Abstrichentnahme und der Möglichkeit der gezielten Therapie vonnöten.

Schweregrad als prädiktiver Faktor. Während die akneiformen Hautveränderungen eine starke Belastung für die Patientinnen darstellen, konnte eine Untersuchung von Tsimboukis et al. zeigen, dass der Schweregrad dieser Veränderungen mit dem Therapieansprechen korreliert [13]. Diese interessante Gegebenheit wurde hierbei für die Wirkung von Erlotinib beim Ansprechen des metastasierten Bronchialkarzinoms beobachtet.

Kernaussagen

Zahlreiche Nebenwirkungen der Zytostatika äußern sich im dermatologischen Bereich. Bei der Behandlung gynäkologischer Malignome treten neben der Alopezie vor allen Dingen Hautveränderungen im Bereich von Händen, Füßen und Nägeln, Veränderungen der Mundschleimhaut (Mukositis) sowie akneiforme Hautveränderungen auf. Trotz der Möglichkeit der symptomatischen Behandlung kann neben dem zeitlich begrenzten Leidensdruck auch eine irreversible Schädigung entstehen. Ebenso kann die Dermatotoxizität zur Therapieverzögerung bis hin zum Therapieabbruch führen. Demnach bedürfen diese unerwünschten Wirkungen der besonderen klinischen Beachtung und ggf. dem frühzeitigen Eingreifen, z. B. im Sinne einer Dosisreduktion.


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Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

* Erstveröffentlichung in Frauenheilkunde up2date 2014; 8: 195 – 202



Korrespondenzadresse

Dr. med. Christina Barbara Walter
Universitätsfrauenklinik Tübingen
Calwerstraße 7
72076 Tübingen


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Abb. 1 Der Haarzyklus mit dem Angriffspunkt der Chemotherapeutika.
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Abb. 2 Hand-Fuß-Syndrom Grad I.
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Abb. 3 Hand-Fuß-Syndrom Grad II.
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Abb. 4 Hand-Fuß-Syndrom Grad III.