Pneumologie 2015; 69(06): 329-334
DOI: 10.1055/s-0034-1391776
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Versorgungsqualität in zertifizierten Lungenkrebszentren

Quality of Care in Certified Lung Cancer Centers
C. Kowalski
1   Deutsche Krebsgesellschaft, Bereich Zertifizierung, Berlin
,
J. Ferencz
2   OnkoZert, Neu-Ulm
,
D. Ukena
3   Klinikum Bremen Ost, Klinik für Pneumologie und Beatmungsmedizin
,
H. Hoffmann
4   Universitätsklinikum Heidelberg, Thoraxklinik
,
S. Wesselmann
1   Deutsche Krebsgesellschaft, Bereich Zertifizierung, Berlin
› Author Affiliations
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Korrespondenzadresse

Dr. Christoph Kowalski
Deutsche Krebsgesellschaft, Bereich Zertifizierung
Kuno-Fischer-Str. 8
14057 Berlin

Publication History

eingereicht 03 February 2015

akzeptiert 16 February 2015

Publication Date:
30 March 2015 (online)

 

Zusammenfassung

Hintergrund: Seit 2008 können sich Lungenkrebszentren nach den Anforderungen der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizieren lassen. In diesem Aufsatz wird das Zertifizierungsprogramm für Lungenkrebszentren der Deutschen Krebsgesellschaft vorgestellt und über Ergebnisse für 18 Kennzahlen berichtet, die im Rahmen der Zertifizierung erhoben werden.

Methode: Nach Überprüfung von Vollständigkeit und Plausibilität werden die Kennzahlen der Jahre 2011 und 2012 und die Angaben zu den zertifizierten Zentren und den versorgten Patienten deskriptiv (relative/absolute Häufigkeiten, Mittelwerte, Standortmediane) ausgewertet.

Patienten: 23 222 Patienten mit den Diagnosen C33 und C34 aus 35 (2012) bzw. 24 Standorten (2011).

Ergebnisse: Die Zahl der zertifizierten Standorte und der behandelten Patienten steigt. Die Umsetzung der Anforderungen ist bereits relativ weit fortgeschritten und hat sich vom Kennzahlenjahr 2011 zum Kennzahlenjahr 2012 leicht verbessert. Bei Kennzahlen ohne Sollvorgabe ist die Umsetzung deutlich geringer.

Schlussfolgerungen: Durch das Engagement der beteiligten Fachgesellschaften und der Fachexperten entwickelt sich das Zertifizierungssystem für Lungenkrebszentren stetig weiter, die Zahl der Zentren nimmt zu und die Erfüllung der Anforderungen steigt.


Abstract

Background: Since 2008, lung cancer centers can be certified in accordance with the criteria set out by the German Cancer Society (Deutsche Krebsgesellschaft). This paper reports on the certification program for lung cancer centers and presents data on 18 quality indicators collected during certification.

Methods: After checks for plausibility and completeness, data on quality indicators for the 2011 and 2012 patient cohorts as well as data of the treating centers were analyzed descriptively (relative/absolute frequencies, means, site medians).

Patients: 23,222 patients with ICD-10 diagnoses C33 und C34 from 35 (2012) and 24 operating sites (2011), respectively.

Results: From 2011 to 2012, both the number of certified sites and the number of patients treated increased. Fulfillment of the certification requirements is already high and improved slightly from 2011 to 2012. The implementation of indicators without target values is less advanced.

Conclusion: Thanks to the medical and professional associations as well as the oncologic medical experts, the lung cancer certification program is evolving continuously. There has been a steady increase both in the number of patients treated and the number of lung cancer centers; certification requirements are also being increasingly fulfilled.


Einleitung

Lungenkrebs ist bei Männern die häufigste und bei Frauen die dritthäufigste Krebstodesursache in Deutschland. 2010 kamen auf knapp 35 000 neu erkrankte Männer und 17 000 neu erkrankte Frauen 29 400 bzw. 13 600 lungenkrebsbedingte Todesfälle [1]. Während die altersstandardisierten Erkrankungs- und Sterberaten seit Ende der 1990er Jahre bei Männern rückläufig waren, stiegen sie bei Frauen weiter an [1]. Vergleichbare Zahlen zeigen sich für die meisten westlichen Länder. In den USA beispielsweise ist Lungenkrebs bei Männern und Frauen jeweils die zweithäufigste Krebsart und die Entität, die die meisten Todesopfer fordert [2]. Hauptrisikofaktor für eine Lungenkrebserkrankung ist in diesen Ländern mit großem Abstand das Rauchen. Der wichtigste Erklärungsfaktor für die gegenläufige Entwicklung von Erkrankungs- und Sterberaten bei Männern und Frauen ist der starke Anstieg der Zahl der Raucherinnen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Je nach Lungenkrebsart sind die Überlebenschancen unterschiedlich gut, im Vergleich mit anderen soliden Tumoren aber relativ ungünstig. Bei Frauen ergibt sich für ICD-10 C33-C34 insgesamt eine relative 5-Jahres-Überlebensrate von 21 %, für Männer von nur 16 % [1], und die medizinischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte bei Diagnose und Therapie konnten sich bislang auch international nur geringfügig im Überleben von Lungenkrebspatienten niederschlagen [3] [4] [5] [6]. Die hohe Inzidenz und die ungünstige Prognose bei zugleich hoher Forschungsintensität werfen die Frage auf, wie es gelingen kann, aktuelles (Leitlinien-)Wissen, die Zusammenarbeit im multidisziplinären Team und hohe professionelle Expertise flächendeckend umzusetzen und jedem Patienten zugänglich zu machen.


Das Zertifizierungsprogramm Lungenkrebs der Deutschen Krebsgesellschaft

Um die Versorgung von Lungenkrebspatienten zu verbessern, wurden in den vergangenen Jahren von den Fachgesellschaften und der Politik zahlreiche Initiativen auf den Weg gebracht, darunter die Entwicklung von Leitlinien [7] und die Etablierung von zertifizierten Zentren. Laut Nationalem Krebsplan ist ein Zentrum „ein Netz von qualifizierten und gemeinsam zertifizierten, multi- und interdisziplinären, transsektoralen und ggf. standortübergreifenden Einrichtungen (Krankenhäuser, vertragsärztliche Versorgung, Rehabilitationseinrichtungen), die, sofern fachlich geboten, möglichst die gesamte Versorgungskette für Betroffene abbilden“ [8] [32]. Seit 2008 können sich Lungenkrebszentren nach den Anforderungen der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) zertifizieren lassen, die im Erhebungsbogen für Lungenkrebszentren formuliert sind [9]. Der Erhebungsbogen wird von der Zertifizierungskommission Lungenkrebszentren der DKG entwickelt und regelmäßig aktualisiert. Wie bei den anderen Zertifizierungsprogrammen der DKG sind die Inhalte der evidenzbasierten Leitlinie bei der Entwicklung der Anforderungen berücksichtigt. Das Update der S3-Leitlinie für Lungenkrebs wird für 2015 erwartet. Während des Update-Prozesses werden Qualitätsindikatoren aus den starken Empfehlungen der Leitlinie abgeleitet, die – falls einer Messung zugänglich – im Rahmen der Zertifizierung angewendet werden [10]. Die Abstimmung über die Anforderungen erfolgt durch die Zertifizierungskommission mit über 30 Mitgliedern, die von den an der Versorgung beteiligten Fachgesellschaften, Berufsverbänden und Arbeitsgemeinschaften benannt sind. Die Anforderungen beziehen sich auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die Leitlinienempfehlungen und die Behandlungsexpertise und beinhalten auch Vorgaben zu Mindestmengen, deren Zusammenhang mit der Versorgungsqualität in zahlreichen Studien gezeigt werden konnte, zuletzt auch für den Lungenkrebs [11] [12].

Während die Zertifizierungskommission innerhalb des Zertifizierungssystems die Legislative darstellt, wird die Exekutive von onkologisch tätigen und speziell qualifizierten Fachexperten gebildet, die die Umsetzung der Anforderungen durch Audits vor Ort überprüfen. In Vorbereitung der Audits werden zertifizierungsrelevante Daten erhoben, die Auskunft über die Erfüllung der fachlichen Anforderungen geben. Die Exekutive wird über OnkoZert, das Zertifizierungsinstitut der DKG, gesteuert. Der „Ausschuss Zertifikaterteilung“, der aus drei erfahrenen Auditoren besteht, entscheidet nachfolgend über die Vergabe des Zertifikats (Judikative). Grundlage für diese Entscheidung ist der Auditbericht, in dem die Fachexperten Stellung zur Umsetzung der Anforderungen beziehen. Für die Zertifikatserteilung ist bei der Erst- und Wiederholungszertifizierung die vollständige Erfüllung der Kernanforderungen (Mindestzahlen, strukturelle Anforderungen) zwingend. In der Laufzeit des Zertifikats (3 Jahre) werden geringfügige Abweichungen bei den Mindestzahlen toleriert, sofern die strukturellen Merkmale erhalten bleiben und Maßnahmen zur Behebung der Abweichungen ergriffen werden.

In diesem Beitrag werden die Ergebnisse der Kennzahlen vorgestellt, die im Rahmen der Zertifizierung der Auditjahre 2012 und 2013 (Kennzahlenjahre 2011 und 2012) erhoben wurden.


Material und Methoden

Datenerhebung: Alle Zentren, die sich nach den Anforderungen der DKG (re-)zertifizieren lassen wollen, berichten vor dem jährlichen Audit die Kennzahlen des vorangegangen Jahres mittels elektronischen Fragebogens. Die Angaben werden dann vom Zertifizierungsinstitut OnkoZert auf Vollständigkeit und Plausibilität geprüft. Die meisten Kennzahlen haben Plausibilitätsgrenzen und/oder Sollvorgaben. Werden diese nicht erreicht, müssen die Zentren die Über- oder Unterschreitungen begründen. Die Fachexperten nehmen vor dem Audit Einsicht in die Kennzahlen und prüfen die Angaben durch Einsicht in eine Stichprobe der Patientenakten bei der Begehung. Im Jahr nach den Audits werden die Kennzahlen der Öffentlichkeit mittels anonymisierten Benchmark-Berichts vorgestellt [13].

Auswahl der Kennzahlen: Von insgesamt 21 erhobenen Kennzahlen werden hier 18 vorgestellt. Sie beziehen sich auf die fachliche Expertise und die interdisziplinäre Zusammenarbeit gleichermaßen.

Statistische Analyse: Wir berichten die Zahl der zertifizierten Standorte und Zentren sowie der behandelten Primärfälle in den Jahren 2011 und 2012 ([Tab. 1]), außerdem für 2012 absolute Häufigkeiten für die Art der durchgeführten Behandlung (operativ oder nicht-operativ), stratifiziert nach Stadien ([Abb. 1]). Für die Kennzahlen des Jahres 2012 berichten wir, wenn möglich, absolute und relative Häufigkeiten, ansonsten absolute Häufigkeiten (z. B. Anzahl der behandelten Primärfälle) ([Tab. 2]). Zusätzlich stellen wir den Anteil der Standorte, die die Sollvorgaben erfüllt haben, sowie Minimum, Maximum und Median der Kennzahlerfüllung auf Standortebene für 2011 und 2012 dar. Die Auswertungen werden mit der Data-WhiteBox, dem von OnkoZert entwickelten Benchmarkingtool, durchgeführt. Aus 35 Standorten liegen für 2012 auswertbare Daten vor. Die Standorte, für die keine Daten vorliegen, waren entweder nicht das gesamte Kalenderjahr hindurch zertifiziert oder wechselten im Laufe des Jahres das Tumordokumentationssystem.

Tab. 1

Zertifizierte Zentren und behandelte Primärfälle.

Stand 31.12.2013

Stand 31.12.2012

zertifizierte Zentren

38

34

zertifizierte Standorte

42

38

Primärfälle gesamt

13 862 (2012)

12 875 (2011)

Primärfälle arithmetisches Mittel Zentrum

364 (2012)

379 (2011)

Primärfälle Median Zentrum

300 (2012)

369 (2011)

Zoom
Abb. 1 Primärfälle nach Stadium und Art der Behandlung 2012 (13 483 Primärfälle aus 35 Standorten).
Tab. 2

Kennzahlen Lungenkrebszentren Kennzahlenjahre 2011 und 2012.

Kennzahl

2012: absolute Häufigkeit; ggf. Anteil Patienten insgesamt

2012: Median Standortebene; Minimum; Maximum

2011: Median Standortebene; Minimum; Maximum

Sollvorgabe

Anteil Standorte, die 2012 Sollvorgabe erfüllten

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Prätherapeutische Tumorkonferenz

12 064/13 483; 89,5 %

92,9 %;

64,9 %;

100 %;

−/−

 ≥ 90 %

65,7 %

Tumorkonferenz nach operativer Primärtherapie Stadium IB–IIIB

2960/3261; 90,8 %

94,5 %;

73,2 %;

100 %

−/−

keine

−/−

Psychoonkologische Betreuung

3856/12 799; 30,1 %

28,5 %;

 8,5 %;

86,9 %

50,5 %;

 1,5 %;

92,2 %

keine

−/−

Beratung Sozialdienst

6214/12 799; 48,6 %

54,5 %;

21,5 %;

87,3 %

53,7 %;

20,6 %

90,8 %;

keine

−/−

Studienteilnahme

2829/13 483; 21,0 %

12,2 %;

0,0 %;

85,6 %

11,2 %;

0,8 %;

39,9 %

≥ 10 %

68,6 %

Fachliche Expertise

Primärfälle des Lungenkrebszentrums

13 483

344;

191;

945

369;

166;

871

≥ 200

94,3 %

Flexible Bronchoskopien pro Leistungserbringer

83 068

2327;

508;

5300

2661,5;

543;

4821

≥ 500

100 %

Interventionelle bronchologische Eingriffe (thermische Verfahren und Stenteinlagen)

2776

47;

5;

388

−/−

≥ 20

85,7 %

Lungenresektionen

4803

112;

74;

352

128;

68;

401

≥ 75

97,1 %

Anteil Pneumonektomien an Lungenresektionen

406/4803; 8,4 %

7,6 %;

0,9 %;

19,5 %

9,2 %;

3,5 %;

21,5 %

< = 25 %

100 %

Anteil broncho-/angioplastischer Operationen an Lungenresektionen

611/4803; 12,7 %

11,6 %;

3,1 %;

27,7 %

12,8 %;

5,7 %;

24,1 %

≥ 10 %

74,3 %

30-Tage-Mortalität nach Resektion

85/4803; 1,8 %

2,1 %;

0,0 %;

5,5 %

1,3 %;

0 %;

7,5 %

 ≤ 5 %

97,1 %

Postoperative Bronchusstumpf-/Anastomoseninsuffizienz

67/4803; 1,4 %

1,2 %;

0 %;

6,7 %

1,2 %;

0 %

5,0 %

 ≤ 5 %

97,1 %

Revisionsoperationen

269/4803; 5,6 %

6,1 %;

0,0 %;

10,4 %

6,4 %;

0,7 %;

14,0 %

≤ 10 %

94,3 %

Lokale R0-Resektionen im Stadium IA/B und IIA/B

3332/3387; 98,4 %

98,4 %:

96,2 %;

100 %

98,0 %;

96,2 %;

100 %

≥ 95 %

100 %

Lokale R0-Resektionen im Stadium IIIA/B

1015/1144; 88,7 %

90,0 %;

66,7 %;

100 %

88,2 %;

68,8 %

100 %

≥ 85 %

80 %

Thorakale Bestrahlungen

4729

115,5;

45;

506

109,5;

50;

315

≥ 50

96,9 %

Pathologische Begutachtungen

19 335

453;

224;

1206

483;

113;

5175

≥ 200

97,1 %


Ergebnisse

Mit Stand 31.12.2013 waren 38 Lungenkrebszentren (mit 42 Standorten) zertifiziert, die 2012 13 826 erstmalig an Lungenkrebs erkrankte Patientinnen und Patienten behandelten. Im Median waren dies 300 Patienten pro Zentrum ([Tab. 1]). Zwei der 42 zertifizierten Standorte befinden sich im Ausland. Sowohl die Zahl der Zentren als auch die Gesamtzahl der Primärfälle stiegen von 2011 bis 2012.

[Abb. 1] zeigt die Primärfälle nach Stadium und Art der Behandlung 2012. Die mit Abstand größte Gruppe war die der Stadium IV-Patienten, die zum weit überwiegenden Teil nicht operiert wurden. Auch Stadium III-Patienten wurden – anders als Stadium I- und II-Patienten – mehrheitlich nicht operiert.

[Tab. 2] zeigt die Ergebnisse der Kennzahlen für die Jahre 2011 und 2012. Dargestellt sind die absoluten und relativen Häufigkeiten auf Patientenebene sowie Median, Minimum und Maximum auf Standortebene. Die Ergebnisse des Kennzahlenjahres 2012 beruhen auf den Angaben von 13 483 Patienten aus 35 Standorten und die des Kennzahlenjahres 2011 auf denen von 9739 Patienten aus 24 Standorten. Für sieben der Ende 2013 und 14 der Ende 2012 zertifizierten Standorte können keine Daten für die Patient(inn)en der Jahre 2012 bzw. 2011 berichtet werden, da diese aufgrund einer Erstzertifizierung oder einer Software des Tumordokumentationssystems nicht für das gesamte Kalenderjahr erhoben werden mussten. Für Kennzahlen mit Sollvorgabe ist zudem der Anteil der Standorte dargestellt, von denen die Sollvorgabe erfüllt wird. 12 der 15 Kennzahlen mit Sollvorgaben werden von mindestens 80 % der Standorte erfüllt. Bei der Teilnahme an der prätherapeutischen Tumorkonferenz (65,7 % der Standorte), der Studienteilnahme (68,6 %) und dem Anteil broncho-/angioplastischer Operationen an Lungenresektionen (74,3 %) liegt der Anteil unter 80 %. Bezogen auf die Standortmediane zeigt sich überwiegend ein leichter Anstieg der Anforderungsumsetzung, beispielsweise bei der Beratung durch den Sozialdienst oder dem Anteil Pneumonektomien an Lungenresektionen, allerdings gibt es auch Kennzahlen mit Verschlechterungen bei der Umsetzung, am deutlichsten bei der psychoonkologischen Betreuung (Median 2011: 50,5 %, 2012: 28,5 %).


Diskussion

Dieser Artikel leistet einen Beitrag zur Darstellung der Versorgungssituation von Lungenkrebspatienten und damit zur Verbesserung der bislang ungenügenden Datenlage [14]. Insgesamt zeigt sich, dass die Umsetzung der fachlichen Anforderungen zur Zertifizierung durch die Deutsche Krebsgesellschaft weit fortgeschritten ist. Zudem zeigen sich leichte Verbesserungen im Zeitverlauf. Bei den Kennzahlen zur Psychoonkologie und zur Sozialarbeit ist die Umsetzung allerdings deutlich schwächer, was insbesondere daran liegen dürfte, dass es keine Sollvorgaben gibt.

Die Diagnose des Tumors erfolgt häufig spät bei bereits inoperabler Krankheit, was auch zur hohen Letalität beiträgt. Aussagen darüber, ob die in den zertifizierten Zentren behandelten Patienten hinsichtlich des Stadiums repräsentativ für die Erkrankten insgesamt sind, lassen sich derzeit nicht treffen: Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes weist darauf hin, dass der Anteil von Patienten mit fehlenden Angaben eine bevölkerungsrepräsentative Abbildung der Stadien bei erstmalig erkrankten Lungenkrebspatienten nicht zulasse [1], weshalb wir diese nicht mit den Angaben aus den zertifizierten Zentren vergleichen können. Ein Blick auf die amtliche Statistik deutet aber darauf hin, dass inoperable Patienten in höheren Stadien in Zentren unter-, operable Patienten hingegen überrepräsentiert sind: Laut Statistischem Bundesamt wurden beispielsweise 2012 in Deutschland 10 866 anatomische Lungenresektionen bei der Diagnose Lungenkrebs (ICD C34) durchgeführt (Stat. Bundesamt 2013). Dem stehen allein 4803 operierte Patienten mit Erstdiagnose (Patienten mit Rezidiv nicht dokumentiert) in zertifizierten Zentren gegenüber. Von den laut GBE in Deutschland jährlich 48 986 (2010) neuerkrankten Patienten werden hingegen nur 13 862 in zertifizierten Zentren behandelt. Die Auswertungen legen daher nahe, dass Patienten in einem fortgeschrittenen, nicht-operablen Stadium seltener in interdisziplinär arbeitenden, zertifizierten Netzwerken behandelt werden.

Einige Kennzahlen werden im Zertifizierungssystem entitätsübergreifend erhoben, beispielsweise die Betreuung durch Sozialdienst und Psychoonkologie sowie die Vorstellung in der prätherapeutischen Tumorkonferenz. Dies ermöglicht den Vergleich der Versorgungssituation für Patienten mit unterschiedlichen Krebserkrankungen. Während die Besprechung in der Tumorkonferenz entitätsübergreifend bei fast allen Patienten erfolgt, zeigen sich deutliche Unterschiede bei den Kennzahlen zum Sozialdienst und der Psychoonkologie, wobei der Anteil der psychoonkologisch betreuten Lungenkrebspatienten im Vergleich zu anderen Tumorerkrankungen gering ist [15]. Auch der standortbezogene Median der Lungenkrebspatienten, die durch Mitarbeiter des Krankenhaus-Sozialdienstes beraten wurden, liegt nur im unteren Mittelfeld der neun verschiedenen Organkrebszentren (Lunge: 54,5 %; zum Vergleich Brustkrebszentren 2012: 87,9 %) [16].

Wie in anderen Bereichen der Krebsversorgung ist auch bei der Behandlung von Lungenkrebs die internationale Diskussion zu geeigneten Qualitätsindikatoren noch in vollem Gange [17] [18]. Die hier verwendeten Kennzahlen entsprechen in Teilen den Qualitätsindikatoren aus anderen Ländern [19] und berücksichtigen darüber hinaus neben somatisch-medizinischen Aspekten der Behandlung ausdrücklich auch die psychosoziale Versorgung. Abweichungen von den Sollvorgaben bzw. Plausibilitätsgrenzen der Kennzahlen müssen begründet werden, wodurch sich beispielsweise von Leitlinien abweichende Patientenpräferenzen, wie zum Beispiel die Ablehnung einer bestimmten Therapie durch die Patienten, anders als in anderen Systemen nicht zwangsläufig negativ auf die Bewertung der Versorgungsqualität und damit die Vergabe des Zertifikats auswirken [20]. Entscheidend für die Bewertung der Versorgungsqualität ist die nachvollziehbare Begründung bei Abweichung von Leitlinienempfehlungen. Das Benchmarking erfolgt anonym, was dem Gedanken des strukturierten Dialogs des Zertifizierungssystems entspricht und Anreize zur Falschangabe von Kennzahlen minimiert. Die Anforderungen werden regelmäßig aktualisiert, zum Beispiel auf Grundlage aktueller medizinischer Entwicklungen oder weil die Ergebnisse der im Rahmen der Zertifizierung gesammelten Daten dafür Hinweise liefern.

Im Vergleich zu anderen Zentrumstypen, beispielsweise dem seit 2003 bestehenden Brustkrebszentrumsprogramm [21], zeigen sich relativ große Unterschiede zwischen den Zentren bei der Umsetzung der Anforderungen. Dies mag zum einen daran liegen, dass das System der Lungenkrebszentren insgesamt jünger ist, kann aber auch ein inhärentes Merkmal der Versorgung von Lungenkrebspatienten sein: Auch britische Untersuchungen fanden große Varianz zwischen den Versorgern, die aber durch den Einsatz eines Auditverfahrens verringert werden konnte [22]. Es ist daher damit zu rechnen, dass die Unterschiede im Zeitverlauf durch die Durchführung der Audits und die Diskussion und Reflexion der Ergebnisse mit den Fachexperten für die DKG-zertifizierten Zentren in Zukunft kleiner werden.

Das Zertifizierungssystem für Lungenkrebszentren soll eine flächendeckend hohe Versorgungsqualität für die gesamte Bevölkerung gewährleisten. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des ausgeprägten „sozialen Gradienten“ [23] bei Lungenkrebs von Bedeutung: Ein niedrigerer Sozialstatus hinsichtlich Bildung, Beruf und Einkommen ist in Deutschland und im Ausland mit einem höheren Erkrankungsrisiko für Lungenkrebs assoziiert [24] [25]. Eine flächendeckende Betreuung in zertifizierten Zentren stellt sicher, dass Patienten qualitätsgesichert versorgt werden. Davon können insbesondere sozialstatusniedrige Patienten profitieren, die ansonsten aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen oder geringer Gesundheitskompetenz Probleme hätten, eine gute Klinik aufzusuchen (Stichwort „Versorgungsgerechtigkeit“). Allerdings wird bislang nur gut ein Drittel der Patienten in zertifizierten Lungenkrebszentren behandelt. Viele der übrigen Patienten werden in Krankenhäusern mit niedrigen Fallzahlen behandelt, in denen relevante Qualitätssicherungsmaßnahmen fehlen, so etwa interdisziplinäre Tumorkonferenzen oder der Nachweis der operativen Expertise. Die Auswertungen des Statistischen Bundesamts für 2012 zeigen beispielsweise, dass 42 % der anatomischen Lungenresektionen bei der Diagnose Lungenkarzinom von insgesamt 272 Kliniken mit weniger als 76 Resektionen pro Jahr durchgeführt wurden. Unter diesen 272 Kliniken befanden sich darüber hinaus über 100 Kliniken mit weniger als zehn Resektionen pro Jahr (Statistisches Bundesamt, DRG-Statistik). Vor dem Hintergrund der eingangs genannten Studien zur Mindestmengendiskussion ist zumindest fraglich, ob dies im Sinne der Patienten ist und ob bei einem so geringen Eingriffsvolumen eine hohe Expertise aufrecht erhalten werden kann. Auf der anderen Seite zeigt die Auswertung auch, dass im Jahr 2012 58 % der anatomischen Lungenresektionen in nur 47 High-Volume-Kliniken (> 75 Eingriffe/Jahr) durchgeführt wurden, von denen 80 % nach den Anforderungen der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert waren. Diese erwünschte Konzentration der Eingriffe auf wenige Kliniken, die ihre Expertise im Rahmen von Qualitätssicherungsmaßnahmen wie der Zertifizierung nachweisen, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen.

Insbesondere die Durchführung von Tumorkonferenzen in multidisziplinären Teams leistet einen wichtigen Beitrag, Diagnose und Behandlung unter Beteiligung der relevanten Spezialisten auf hohem Niveau sicherzustellen und gerade auch bei konkurrierenden, leitliniengetreuen Therapiemaßnahmen für den Patienten den in seinem Sinne besten Therapieplan zu erarbeiten. Die Bedeutung der multidisziplinären Teams und der Tumorkonferenzen wird in zahlreichen Konsenspapieren hervorgehoben, so beispielsweise bei [26]. Den Tumorkonferenzen können auch Teilnehmer per Videokonferenz zugeschaltet werden, mit insgesamt guten Erfahrungen, ähnlich wie in vergleichbaren Ansätzen aus dem Ausland [27]. Multidisziplinäre Tumorkonferenzen waren zuletzt Gegenstand zahlreicher Untersuchungen (z. B. [28] [29] [30]) und entwickeln sich zu einem zentralen Aspekt der interdisziplinären Abstimmung. Durch die gemeinsame Abstimmung im multidisziplinären Team sind Tumorkonferenzen auch dem bloßen Einholen einer Zweitmeinung überlegen.

Eine bislang nur unzureichend erfüllte Anforderung ist der Einschluss von Patienten in Studien. Dieses Problem ist nicht neu und wurde bereits mehrfach adressiert [26]. Ab 2015 beträgt die Sollvorgabe 5 statt wie zuvor 10 %. Es ist zu hoffen, dass eine Zunahme an Versorgungsforschungsstudien und die Einrichtung von Studienportalen, z. B. der Study-Box [http://www.studybox.de/], eine flächendeckende Erfüllung der Studienquote zukünftig sichert.

Anders als beispielsweise bei Brustkrebspatientinnen [31] fehlt es bislang an belastbaren Daten zur Patientenperspektive bei der Versorgung von Lungenkrebs. Auch wenn aufgrund des insgesamt deutlich kürzeren Überlebens schwerer umsetzbar, gibt es gute Vorbilder für einheitliche Patientenbefragungen aus dem Ausland, beispielsweise den USA [32]. Es wäre wünschenswert, die Ergebnisse von Patientenbefragungen nicht nur im Rahmen zentrumsinterner Qualitätsinitiativen auszuwerten, sondern auch im Vergleich über Zentren hinweg und so von anderen zu lernen. Die Ergebnisse einzelner Befragungen aus Deutschland zeigen beispielsweise noch deutlichen Bedarf bei der Informationsvermittlung auf [33].

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass durch das Engagement der beteiligten Fachgesellschaften und der Fachexperten ein Zertifizierungssystem für Lungenkrebszentren etabliert worden ist, das fortwährend weiterentwickelt wird und das in einer zunehmenden Zahl zertifizierter Zentren die Patientenversorgung konzentriert. Mit Hilfe der Zertifizierung stellen die Zentren ihre Ergebnisse und damit die Qualität ihrer Arbeit dar, analysieren diese während der Audits und setzen bei Notwendigkeit Veränderungsmaßnahmen in ihrem eigenen Netzwerk um. Die Jahresberichte, in denen die Ergebnisse der Audits zusammengefasst sind, ermöglichen dem Einzelzentrum seine Ergebnisse im Vergleich zu den Ergebnissen der anderen Zentren einzuordnen und diese vor allem auch im Verlauf der Zeit zu beurteilen. Damit ist ein wichtiges Instrument für die Qualitätssicherung und -verbesserung im Sinne der Patienten im klinischen Alltag etabliert.



Interessenkonflikt

C. Kowalski, S. Wesselmann: Mitarbeiter DKG
J. Ferencz: Mitarbeiter OnkoZert
D. Ukena, H. Hoffmann: Mitglieder Zertifizierungskommission Lungenkrebs und deren Sprecher


Korrespondenzadresse

Dr. Christoph Kowalski
Deutsche Krebsgesellschaft, Bereich Zertifizierung
Kuno-Fischer-Str. 8
14057 Berlin


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Abb. 1 Primärfälle nach Stadium und Art der Behandlung 2012 (13 483 Primärfälle aus 35 Standorten).