Pneumologie 2015; 69(05): 295-298
DOI: 10.1055/s-0034-1391843
Historisches Kaleidoskop
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

I. Ueber Tuberculose[*]

Prof. Dr. P. Baumgarten
R. Kropp
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Dr. Robert Kropp
Sturmiusstraße 8
36037 Fulda

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Publication Date:
13 May 2015 (online)

 

(Vortrag, gehalten in dem Verein für innere Medicin.)

Wenn ich es, einer ehrenvollen Aufforderung Ihres Herrn Präsidenten, Geh. Rath Leyden, nachkommend, wage, Ihnen, hochgeehrte Herren Collegen, einige meiner, auf die Tuberculosefrage bezüglichen Präparate vorzulegen und der Demonstration derselben einige einleitende Bemerkungen vorauszuschicken, so würde ich mich einer Unbescheidenheit schuldig machen, wenn ich die Zeit einer Versammlung wie die Ihrige, damit in Anspruch nehmen wollte, den Inhalt allgemein bekannter Arbeiten auf dem Tuberculosengebiete zu reproduciren. Ich denke mich vielmehr lediglich darauf zu beschränken, eine kurze Zusammenstellung der Resultate meiner eigenen Untersuchungen auf diesem Felde, welche bisher nur theilweise und in zerstreuten kleinen Aufsätzen publicirt worden sind, vor Ihr Forum zu bringen. Ausgehen möchte ich hierbei von meinen Impfversuchen mit Perlsuchtmassen, welche mit absoluter Constanz das Auftreten einer echten Tuberculose bei den geimpften Thieren den Kaninchen, zur Folge gehabt haben. Ein Minimum perlsüchtiger Substanz, gleichviel ob jung und unverkalkt oder alt und verkalkt oder käsig zerflossen, in die vordere Augenkammer von Kaninchen übertragen, genügt nach diesen Versuchen, um mit unfehlbarer Sicherheit zunächst eine Tuberculose der Vordermembranen des Augapfels, sodann eine solche der nächstgelegenen Lymphdrüsen und schliesslich eine generalisirte über die meisten Organe verbreitete Tuberkelbildung hervorzurufen. Weder Villemin noch irgend ein Anderer nach ihm, ist, wie ich wohl kaum zu erwähnen brauche, in der Lage gewesen, über eine derartige Regelmässigkeit und Gleichmässigkeit des Erfolges der Tuberkelimpfung bei Kaninchen zu berichten. Die Producte der Perlsuchtimpftuberculose, ja sogar das Blut der in den letzten Stadien der Erkrankung befindlichen Thiere lösen – vorausgesetzt, dass man die Knötchen zerquetscht oder anschneidet – wenn sie von einer noch so dünnen Schicht normalen Gewebes umgeben sind, sind sie völlig wirkungslos – gleichfalls mit ausnahmsloser Constanz die Erscheinungen einer generalisirten Tuberculose aus, und die Producte dieser letzteren besitzen diese Fähigkeit nicht minder, so dass sich die Erkrankung leicht durch beliebig viele Generationen hindurch mit völlig unverändertem Charakter fortpflanzen lässt. Ebenso constant wie das Auftreten ist der Verlauf dieser Impftuberculose. Mit untrüglicher Sicherheit kann man voraussagen, dass etwa 14 Tage nach der Inoculation die ersten Iristuberkelchen in der bis dahin intacten Iris aufschiessen und dass weitere 14 Tage später die ersten Tuberkelchen in der Lunge sichtbar sein werden. Dazwischen liegt die Erkrankung der Lymphdrüsen; durch rechtzeitige Exstirpation des inficirten Bulbus kann man die Infection der Drüsen und damit die des Gesammtkörpers verhüten. Nicht viel später, oft gleichzeitig, wie die Lungen, erkranken die übrigen Organe, Nieren, Milz, Leber, Knochenmark, seröse Häute u. s. w., in der Lunge ist aber jeder Zeit der Process am extensivsten und intensivsten entwickelt. Bemerkenswerth erscheint, dass dieser Impftuberculose gegenüber Magen- und Darmkanal geradezu immun zu sein scheint; wenigstens fand ich sie nicht ein einziges Mal ergriffen, ein Umstand, der es erklärlich macht, dass die Thiere bis zuletzt ihre Fresslust unvermindert beibehalten. Trotzdem magern die Thiere zusehends bis zu Skeletten ab und verfallen ohne Ausnahme nach 3 bis 4 Monaten dem Tode.


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Weder Race, Alter, Grösse, noch Constitution beeinflussen in irgendwie merklicher Weise den typischen Verlauf der Erkrankung. Einschalten will ich, dass ich niemals ein Beispiel einer Ansteckung durch blosses Zusammenleben constatiren konnte, obwohl ich immer im Interesse der Beantwortung dieser Frage nicht geimpfte, gesunde Thiere mit den geimpften zusammen in denselben Kasten sperrte.

Dass die durch Perlsuchtimpfung erzeugte Krankheit der Kaninchen wirklich eine echte Tuberculose und nicht etwa irgend einen anderen infectiösen Process darstellt, geht aus der vollkommenen anatomischen und histologischen Identität ihrer Producte mit den menschlichen Tuberkeln hervor. Bei der Begründung dieser Identität fiel weniger der Umstand ins Gewicht, dass die experimentell erhaltenen Knötchen vielfach das typische histologische Gepräge Schüppelʼscher Epithelioid- und Langhansʼscher Riesenzelltuberkel an sich trugen, denn aus früheren Untersuchungen war mir bekannt, dass sich durch Einpflanzung nicht specifischer Fremdkörper in die Gewebe solche Riesenzelltuberkel gleichfalls hervorbringen lassen[1], sondern es wurde die Identität erst dadurch für gesichert erachtet, dass unsere Impftuberkel nicht allein die geformte histologische Structur, sondern auch den histologischen Verlauf, vor Allem die constante Neigung zu jener als Verkäsung bezeichneten eigenthümlichen Form des Gewebsunterganges mit den echten Tuberkeln theilten, eine Eigenschaft, durch welche sich diese letzteren von fast allen anderen pathologischen Producten, insbesondere von den durch gewöhnliche Fremdkörper zu erzeugenden tuberkelähnlichen Knötchen, fundamental unterscheiden.

Während sich dieselben Erfolge wie mit den Perlmassen und den Producten der lmpfperlsucht auch mit den Herden der echten spontanen Kaninchentuberculose auslösen lassen, verhält sich die Sache wesentlich anders, wenn man anstatt der genannten Substanzen menschliche Tuberkelstoffe zur Impfung in die Vorderkammer von Kaninchen verwendet. Hier bleibt nicht selten, trotz Berücksichtigung aller Fehlerquellen die dabei in Betracht kommen können, jeder Erfolg gänzlich aus und wenn er eintritt, dann culminirt er meist in dem örtlichen Effekt der Iristuberculose, eine weitergehende Dispersion der Tuberkelbildung kommt in der Regel nicht hinzu. Keinesfalls ist fernerhin der Verlauf hier in den positiven Fällen ein so gleichartiger, wie bei der Perlsuchttuberculose: Das lncubationsstadium währt länger und ist von unbestimmter Dauer; die Augentuberculose führt weit langsamer zur Phthisis bulbi und was die Allgemeininfection betrifft, so bewirkt diese an sich gar nicht oder erst nach sehr langer Zeit das tödliche Ende.

Worauf diese Verschiedenheiten in der Wirkung der Producte der Perlsucht und Kaninchentuberculose einerseits, der menschlichen Tuberculose andererseits beruhen, lässt sich nicht mit Bestimmtheit beantworten. Dass die durch beiderlei Stoffe auf dem Wege der Impfung erzeugten Krankheiten unter einander identisch sind, darüber kann ein Zweifel nicht bestehen, da ihre Producte nicht nur anatomisch und histologisch, sondern auch darin übereinkommen, dass sie, auf Kaninchen übertragen, beide dieselbe Impftuberculose hervorbringen.

Dass die individuelle Disposition der Versuchsthiere bei der Ungleichheit der Resultate die Hand im Spiele habe, ist natürlich angesichts der absoluten Constanz der Perlsuchtimpfung völlig auszuschliessen; wohl aber dürfte dabei die Thierspecies eine Rolle spielen. Ich fand wenigstens, dass auch durch Impfung mit Spontantuberkeln vom Hunde nur eine locale lristuberculose und auch diese nicht constant zu erzielen ist und dass die Uebertragung von Tuberkeln von Hühnern und Tauben auf Kaninchen, soweit die bisherigen Versuche reichen, gänzlich negativ ausfällt. Vielleicht hängt aber die in Rede stehende Differenz der Impfwirkung auch mit davon ab, dass die tuberculösen Processe des Menschen sehr verschiedene Abstufungen der Malignität besitzen, während die PerIsucht stets denselben Grad der Bösartigkeit an den Tag zu legen scheint. Von der menschlichen Tuberculose weiss jeder Patholog, dass sie als ganz beschränkter örtlicher Process verlaufen und als solcher ausheilen kann und die Beobachtungen über latente Tuberculose, die ich in einem Vortrag in den Volkmannʼschen Heften zusammengestellt habe, zeigen, dass dies noch sehr viel häufiger der Fall Ist, als man bisher annehmen zu dürfen glaubte. Von der Perlsucht ist mir dagegen weder aus der Literatur noch aus eigner Erfahrung ein Fall einer definitiven Heilung bekannt; diese Krankheit ist stets progressiv und führt unaufhaltsam zum Tode, wie ihr Abkömmling die Perlsuchttuberculose der Kaninchen.

Durch die bisher mitgetheilten Versuche war also festgestellt, dass sich durch Impfung mit perlsüchtigen und mit tuberculösen Stoffen eine der menschlichen Tuberculose identische Erkrankung erzeugen lässt. Es drängte sich nunmehr die Frage auf, ob eine solche echte Impftuberculose nur durch die genannten Krankheitsproducte oder auch durch andere Substanzen oder Schädlichkeiten hervorgebracht werden könne, eine Frage, von deren Beantwortung selbstredend nicht nur die Entscheidung über Specificität oder Nichtspecificität der Tuberculose, über Identität oder Nichtidentität von Perlsucht und Tuberculose, sondern auch die Möglichkeit, auf dem Wege des Experimentes Aufschluss über das Wesen der Tuberculose zu gewinnen, abhing. Immer noch cursirte die Annahme und findet auch heute noch gläubige Anhänger, dass die Impftuberculose der Kaninchen das Resultat sehr verschiedenartiger Eingriffe und Einwirkungen auf diese Thiere sein könne. Wäre diese Annahme richtig, so könnte die Frage nach einem specifischen Virus der Tuberculose, wenn überhaupt auf experimentellem Wege, nur auf weiten Umwegen erledigt werden. Denn gesetzt selbst, es wäre später gelungen, aus tuberculösem Rohmaterial einen Stoff oder einen Körper, etwa einen specifischen Parasiten, zu isoliren, der für sich allein, auf diese übertragen, bei diesen die Erscheinungen der Impftuberculose hervorriefe, was hätte dieser Erfolg besagen wollen angesichts der prätendirten Thatsache, dass man auch mit anderen Stoffen und Körpern z. B. mit Baumwolle und Kautschuk, mit Anilin- und Lycopodiumkörnern, mit Strongyluseiern oder beliebigen Schizo- und Hyphomycetenarten dieselbe Impftuberculose gleichfalls ins Dasein rufen könne? Ich habe es demzufolge als eine Hauptaufgabe meiner Untersuchungen über Tuberculose betrachtet, eine Controlversuchsreihe in weitestem Maassstabe anzustellen. Ich übertrug zunächst die denkbar verschiedensten organischen und anorganischen Fremdkörper, sodann chemische Stoffe aller Art, fernerhin die heterogensten pathologischen Neubildungen als Krebse, Sarcome (auch solche mit massenhaften Riesenzellen) maligne Lymphome, leukämische Tumoren, harte und weiche Schanker, Lupus, Typhus, Rotz, Actinomycosis u. s. w., ferner die Producte auffalliger acuter und chronischer Entzündungen: guten und schlechten Eiter, croupôse und diphtheritische Massen, Granulations- und Narbengewebe verschiedensten Ursprungs und Beschaffenheit, weiterhin Käsestoffe der differentesten Genese, käsigen (nicht tuberculösen) Eiter von Menschen und Thieren, käsige Infarcte, verkäste Geschwulstmassen, ferner fauliges Material in den verschiedensten Graden der Zersetzung und schliesslich niedere Organismen sehr verschiedener Art, Gregarinen, lnfusorien, die Coccen und Bakterien fauliger und septischer Flüssigkeiten und allerhand Schimmelpilze. Diese, einer Ergänzung wohl kaum mehr bedürftige, Controllversuchsreihe hat nun zu dem Ergebniss geführt, dass ausser den Perlsuchtstoffen, den Producten der Tuberculose, Phthise und Scrophulose keine andere organische oder anorganische Substanz oder Schädlichkeit im Stande ist, eine echte Tuberculose der Kaninchen inʼs Leben zu rufen, obwohl viele der genannten Controllstoffe eine langdauernde käsige Phthise des Augapfels einleiteten, welche die Thiere Monate lang mit sich herum trugen, ohne auch nur ein wirkliches Tuberkelchen zu acquiriren. Bei lnjection von bakterienhaltigen Flüssigkeiten in die Vorderkammer bilden sich zuweilen in inneren Organen kleine tuberkelähnliche Heerde aus; dieselben erweisen sich aber histologisch als kleine Abscesschen, in denen man häufig die injicirten Coccen und Bakterien wiederfindet.

Bei directer Injection von Aspergillussporen inʼs Blut treten, wie bekannt, an Nieren, Leber, Herz u. s. w. Krankheitsheerde auf, welche makroskopisch eine mehr oder minder grosse Aehnlichkeit sowohl dem Gesammtbilde nach als einzeln betrachtet mit Impftuberkeln haben; indessen mikroskopisch sind sie grundverschieden von letzteren; sie bestehen, abgesehen von den gekeimten Pilzsporen, nur aus kleinen Rundzellen, die ein eigenthümlich atrophisches, wie zerbröckeltes, Aussehen darbieten, und mehr oder minder reichlichem, in Anilinfarben sich intensiv färbendem Kerndetritus. Schüppelʼsche Epithelioid-, Langhansʼsche Riesenzellen und vollends eine echte tuberculöse Gewebsverkäsung wird man vergeblich in diesen Aspergillustuberkeln suchen.

Da nun Perlsucht, Tuberculose, Phthise und käsige Scrophulose anatomisch und histologisch in allen wesentlichen Punkten übereinstimmen, eine Ansicht, die freilich nicht allgemein anerkannt ist, für deren Richtigkeit ich aber nach meinen speciellen histologischen Untersuchungen mit aller Bestimmheit eintreten muss, so darf wohl aus dem Umstand, dass nur die Producte der genannten Krankheiten die Tuberculose, und die Producte der genannten Krankheiten nur die Tuberculose durch Impfung zu reproduciren vermögen, der sichere Schluss gezogen werden, dass Perlsucht, Tuberculose, Phthise und Scrophulose einer einzigen einheitlichen Krankheitsspecies angehören, sowie dass die Tuberculose eine specifische contagiöse Infectionskrankheit ist.

Hiermit war die Untersuchung zu einem gewissen Abschluss gelangt. Indessen befriedigte auch dieser Abschluss noch nicht. Durchdrungen von der logischen Berechtigung der Annahme, dass den infectiösen Processen parasitäre Elemente zu Grunde liegen müssten, war es von Anfang an mein Bestreben gewesen, specifische Organismen in den Heerden der tuberculösen Krankheiten nachzuweisen, um damit ein absolut pathognomonisches Kriterium für die Tuberculose zu gewinnen, an welchem es bekanntlich zur Zeit noch fehlte. Aber alle meine Bemühungen in dieser Richtung waren anfänglich vergebens. Bei der grossen Anerkennung, welche die Färbungsmethoden in der Bakterioscopie gewonnen hatten, war es natürlich, dass ich vorzugsweise von diesen mir Erfolg versprach, aber obwohl ich mir im Laufe der Zeit die nöthige Technik aneignete, mit keinem der vielen von mir probirten Farbstoffe konnte ich ein Resultat erreichen. Dass ich schliesslich doch noch zu positiven Befunden gelangte, verdanke ich Beobachtungen, die ich bei der Untersuchung von Aspergillustuberkeln zu machen Gelegenheit hatte. Hier sah ich, dass sich selbst die dickbalkigsten, dichtverzweigtesten Mycellager bis zur völligen Unkenntlichkeit selbst an den schönstgefärbten und bestens aufgehellten Präparaten innerhalb der Zellwucherungen parenchymatöser Organe verstecken konnten, während sie sofort in grösster Klarheit zur Anschauung kamen, wenn man die nämlichen Präparate der Einwirkung sehr verdünnter Natron- oder Kalilaugen aussetzte. Diese Erfahrung hat selbstverständlich jeder Beobachter derartiger Objecte gemacht und ich würde sie nicht erwähnen, wenn sie nicht für mich die Fährte geworden wäre, auf der ich zur Auffindung der Tuberkelbakterien gelangte. Wenn sich pflanzliche Bildungen von solcher Grösse, wie Schimmelpilzmycelen, trotz aller Färbungen und Aufhellungen der Sichtbarkeit entziehen können, wie viel mehr müssen dies Gebilde von der Feinheit und Kleinheit der Schizomyceten zu thun vermögen! Also ich nahm daraufhin nochmals eine aufmerksame Prüfung der Tuberkelproducte mit der Kalibehandlung vor. Und da bin ich denn zu Resultaten gelangt, welche ich bereits am 18. März d. J. in Königsberg i. Pr. Herrn Prof. E. Neumann und vielen anderen Herren Collegen bis zu deren vollständiger Ueberzeugung demonstrirt habe. Es fanden sich nämlich in jedem Heerde der durch Perlsuchtstoffe erzeugten Tuberculose der Kaninchen sowohl in der ersten als in allen folgenden Generationen unzählige Mengen echter Stäbchenbakterien, deren Masse sich genau deckt mit der Masse der Tuberkelzellen; wo Tuberkelzellen im Gewebe vorhanden sind, da ist auch eine den gleichen Raum wie sie einnehmende Bakterienanhäufung vorhanden; wo Tuberkelbakterien im Gewebe vorhanden sind, da findet sich auch eine den gleichen Raum occupirende Tuberkelzellenwucherung; ohne Tuberkelbakterien also keine Tuberculose, ohne Tuberculose keine Tuberkelbakterien. Dass es sich bei dem von mir geschilderten Bakterienbefund um eine prämortale Erscheinung handelt, geht daraus hervor, dass derselbe am besten zu constatiren ist, wenn man die zu untersuchenden Knötchen dem noch lebenden oder soeben getödteten Thiere entnimmt. Dass es sich um eine specifische Bakterienart handelt, beweist sowohl Form und Anordnung der Gebilde, als besonders ihr Verhalten Farbstoffen gegenüber. Sämmtliche der bisher bekannten Stäbchenbakterienspecies sind durch die Weigertʼschen Kernfärbemittel, besonders mit Zuhilfenahme der Kochʼschen Beleuchtungsmethoden mehr oder minder deutlich kenntlich zu machen; meine Tuberkelbakterien reagierten auf diese Darstellungsmethoden absolut nicht. Dem Einwand, dass es sich bei den von mir als Tuberkelbakterien bezeichneten Formelementen um krystallinische Gebilde handeln könne, begegne ich dadurch, dass mir keine in thierischen Geweben vorkommende Krystallform bekannt ist, welche so aussähe wie diese Tuberkelbakterien, ferner dadurch, dass die letzteren in Säuren, Alkalien aller Art und Concentration unlöslich sind, sowie schliesslich dadurch, dass jeder Uebertragungsversuch eines Impftuberkels in die vordere Augenkammer Gelegenheit giebt, das Auswachsen der Bacillen aus dem coagulationsnecrotischen Impfstück in das angrenzende lrisgewebe direct in klarster Weise zu verfolgen, also die vitale Natur der Gebilde in ebenso unanfechtbarer Weise darzuthun, wie durch gelungene Culturen ausserhalb des thierischen Körpers.

Soweit waren meine Beobachtungen über Tuberkelbakterien gediehen und ich war eben im Begriff, ein kurzes Referat darüber inʼs Centralblatt zu schicken, als ich von befreundeter Seite auf eine Notiz in der Berliner klinischen Wochenschrift aufmerksam gemacht wurde, wonach Herr Regierungs-Rath Koch am 24. März in der physiologischen Gesellschaft zu Berlin einen Vortrag über Nachweis und Züchtung der Tuberkelbacillen gelmalten habe. Am 10. April erschien Kochʼs ausführliche Abhandlung, am 15. April meine vorläufige Mittheilung, welche mit einer leider recht mangelhaften Abbildung versehen war, die zu Missverständnissen Veranlassung gegeben, unter Andern Herrn Aufrecht ermuthigt hat, Prioritätsansprüche hinsichtlich der Entdeckung des Tuberkelbacillus zu erheben. Aufrechtʼs ,,kurzstäbchenförmige Gebilde“ sind aber sicherlich etwas ganz Anderes gewesen, als meine Tuberkelbakterien; dagegen sind diese letzteren zu meiner Freude von Koch bei der heute Vormittag im Laboratorium des Herrn Geh.-Rath Leyden stattgefundenen Demonstration meiner Präparate, als identisch mit seinen ,,TuberkeIbacillen“ anerkannt worden. Da meinen bisherigen zahlreichen Beobachtungen zufolge derartige Bakteriensammlungen, wie ich sie in den Impftuberkeln gesehen und beschrieben, bei keinem anderen Processe gefunden worden, als bei solchen, die die anatomischen und histologischen Kriterien tuberculöser Erkrankungen aufweisen, so muss ich sie als pathognomonisch für Tuberculose hinstellen und würde mich demzufolge für berechtigt halten, in zweifelhaften Fällen aus ihrer Anwesenheit auf das Vorhandensein einer Tuberculose zu schliessen. Die Tuberkelbacillen sind am massenhaftesten entwickelt in den allerjüngsten Tuberkelformationen; eben aufschiessende, sandkorngrosse Knötchen sind die besten Objecte; je älter das Tuberkelchen wird, desto spärlicher werden die Bacillen. Diese bei der Impftuberculose auf das Leichteste zu constatirende Thatsache erklärt es, dass man an menschlichen Tuberkeln, ja selbst an den Perlknoten, unverhältnissmässig mehr Schwierigkeiten hat, die Bakterien aufzufinden, als an den stets in statu nascendi zu beschaffenden Impftuberkeln. In fast derselben Reichlichkeit wie in den Kaninchentuberkeln fand ich meine Tuberkelbakterien ausser in dem schon im Centralblatt erwähnten Fall von frischer Pericardial- und Pleuratuberculose in ganz jungen miliaren Hodentuberkeln und in noch völlig transparenten submiliaren Tuberkelknötchen der Lungen; ziemlich reichlich in allen frischen unverkalkten Perlknötchen, nur spärlich dagegen in mehreren Fällen chronisch-tuberculoser Erkrankungen; ebenfalls nur spärlich, aber in ganz unzweifelhaften Exemplaren, in allen bisher untersuchten Fällen von Lymphdrüsenscrophulose und fungöser Gelenkentzündung. Ueber das Verhalten der Tuberkelbakterien zu den Tuberkelzellen directe Beobachtungen anzustellen, gestattet leider die Kalimethode nicht; die ersteren sind erst dann in voller Deutlichkeit sichtbar, wenn die Contouren der letzteren in hohem Grade verblichen sind. Trotzdem kann man sagen, dass die Tuberkelbakterien da, wo sie in so dichten fast continuirlichen Schwärmen liegen, wie in den Impftuberkeln, sie zu einem grossen Theile innerhalb von Zellen liegen müssen; denn sonst müssten den bakterienfreien Zellen entsprechende Unterbrechungen in den Stäbchenschwärmen vorhanden sein, was eben nicht der Fall ist; auch das kann man behaupten, dass sie unter den genannten Verhältnissen keine vorzugsweise oder vollends ausschliessliche Beziehung zu den Riesenzellen besitzen können, die ja immer nur in einem oder in wenigen Exemplaren in einem Tuberkel vorhanden sind und in den Impftuberkeln sogar häufiger fehlen, als vorhanden sind, während die Tuberkelbakterien ganz constant in annähernd gleichmässiger Dichtigkeit den Impftuberkelheerd durchsetzen. Wo sie dagegen spärlich, nur in vereinzelten Gruppen vorhanden sind, wie in vielen menschlichen Tuberkeln, da habe auch ich mich wiederholt, durch Zufliessenlassen einer alkoholischen Safraninlösung, die sich mit dem Kali sehr gut verträgt, aber freilich meine Tuberkelbakterien ebensowenig färbt, wie alle anderen von mir erprobten Farbstoffe, durch Zufliessenlassen einer solchen Safraninlösung unter das Deckgläschen davon überzeugen können, dass die Bacillengruppen ihrer Lage nach Riesenzellen entsprechen.

Es könnte wohl die Frage aufgeworfen werden, wie es komme, dass man bisher mit der so einfachen, in der Technik der Bakterienuntersuchungen längst gekannten und wohlrenommirten Kalimethode die Tuberkelbakterien nicht wenigstens in den Impftuberkeln, wo sie doch so massenhaft sind, dass man fast sagen kann, die Substanz des Tuberkels bestehe zur Hälfte aus der Substanz der Bacillen, gesehen hat. Der Grund hierfür dürfte wohl darin liegen, dass ein ganz bestimmter und vorübergehender Härtungsgrad des Gewebes dazu gehört, um die darin vorhandenen Tuberkelbakterien durch Kalieinwirkung deutlich sichtbar zu machen. Diesen Härtungsgrad erreicht man nach meinen Erfahrungen am besten, wenn man möglichst kleine Fragmente unmittelbar post exstirpationem in Alkohol. absol. legt und 24 – 36 Stunden darin liegen lässt, wenn man viel vor oder viel nach dieser Zeit untersucht, erhält man auch mit der Kalimethode keine oder nur mehr oder weniger undeutliche Bilder. Ich brauche wohl kaum daran zu erinnern, dass Friedländer ganz ähnliche Erfahrungen mit den Typhusbakterien gemacht hat.

Ob nun die von mir gefundenen Tuberkelbakterien die Ursache der tuberculösen Processe oder nur ihre Begleiter sind, lässt sich freilich aus dem blossen Zusammenvorkommen beider nicht entscheiden; unendlich viel wahrscheinlicher ist natürlich schon an und für sich das erstere; denn dass die Anwesenheit so kolossaler Mengen von parasitären Elementen in den Geweben eine zellige Wucherung hervorruft, erscheint begreiflich und fast selbstverständlich; dass aber Zellenwucherungen, die sich an und für sich durch Nichts von denen unterscheiden, die sich um Fremdkörper beliebiger Art herum bilden können, eine Parasitenschaar und noch dazu eine Schaar von ganz specifischen Parasiten einfach zur Begleitung erhalten, das scheint nicht sehr verständlich und noch weniger wahrscheinlich. Die Bahn zur sicheren Entscheidung dieser Frage hat bereits Koch mit seinen berühmten, Ihnen so wohl bekannten Untersuchungen betreten.


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* Erstveröffentlichung des Beitrags in: Dtsch Med Wochenschr 1882; 8: 305 – 307


1 Ich möchte mir zum Belege dieser Beobachtungen, für welche ich mir die Priorität vindiciren muss, gestatten, diese nach meinen Präparaten angefertigten Zeichnungen herumzureichen, ein der Zeichnung A entsprechendes Präparat habe ich eingestellt.



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